Montag, 19. Juni 2023
Klimaschutzministerin Eder und Landrätin Weigand beteiligen sich am „Wissenschaft-Praxis-Dialog“
Soziale Infrastruktur steht in der Veranstaltung des KAHR-Projekts im Fokus
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt KAHR („Klima-Anpassung, Hochwasser, Resilienz“), das den Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wissenschaftlich begleitet, hat den dritten „Wissenschaft-Praxis-Dialog“ gemeinsam mit dem Landkreis Ahrweiler und dem rheinland-pfälzischen Klimaschutzministerium in der Rheinhalle in Remagen ausgerichtet. Das Format des Wissenschaft-Praxis-Dialogs soll die Möglichkeit dafür bieten, Erkenntnisse aus der Forschung direkt mit Vertretern aus der Praxis zu diskutieren und Anregungen für weitere Forschungsaktivitäten zu sammeln und zielführende Modellansätze zu entwickeln.
Während die beiden bisherigen Wissenschaftskonferenzen unter anderem den Wiederaufbau der Infrastruktur beziehungsweise den Hochwasser- und Objektschutz thematisierten, sollten diesmal die sozialen Aspekte der Flutkatastrophe und des Aufbauprozesses im Mittelpunkt stehen. Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Verwaltungen hörten fachspezifische Impulsvorträge aus dem Projekt. Im Anschluss beteiligten Klimaschutzministerin Katrin Eder, Landrätin Cornelia Weigand, Dr. Katharina Scharping (Leiterin Traumahilfezentrum Ahrtal) Prof. Dr. Annegret Thieken ( Universität Potsdam) und Prof. Dr. Christian Kuhlicke (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung) an einer Podiumsdiskussion, die von Prof. Dr. Holger Schüttrumpf, einem der Sprecher des KAHR-Projekts, moderiert wurde.
„Der bevorstehende zweite Jahrestag der Flutkatastrophe ist ein Tag des Erinnerns. Im Kontext von KAHR schauen wir auf den Wiederaufbau als Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft des Ahrtals: Die permanente wissenschaftliche Begleitung sowie Verbesserung der Kommunikation im Krisenfall aber auch das Gewässerwiederherstellungskonzept für die Ahr sind nur drei Aspekte von vielen, die die Perspektiven hinsichtlich der Hochwasservorsorge und -resilienz der Region aufzeigen“, sagte Klimaschutzministerin Katrin Eder.
Die Bedeutung der sozialen Infrastruktur für den Aufbau im Flutgebiet verdeutlichte Landrätin Cornelia Weigand. „Die Flutkatastrophe hat gezeigt, wie wichtig soziale Strukturen sind. Deutlich wie nie zuvor konnten wir sehen, welche Bedeutung informelle Netzwerke und Organisationen, Nachbarschaften sowie Dorfgemeinschaften im Katastrophenfall haben. Es sind genau diese Strukturen, die uns Halt geben – die funktionieren, wenn nichts mehr funktioniert“, sagte die Landrätin. „Wir haben das Ziel, dass der Aufbau ganzheitlich gedacht wird. Ebenso, wie wir Gebäude und Straßen wiederaufbauen, müssen wir auch Kraft in die Stärkung sozialer Infrastrukturen investieren. Die Resilienzforschung kann Ansatzpunkte dafür liefern, erforderliche Unterstützungsangebote im sozialen Bereich zu identifizieren und umzusetzen. Höchste Priorität hat es, dass die Menschen auf einen möglichen Katastrophenfall vorbereitet sind und die Gemeinschaft somit bestmöglich geschützt ist.“
Das KAHR-Projekt präsentierte dazu neues Datenmaterial, das aus einer Befragung von mehr als 500 betroffenen Haushalten im Kreis Ahrweiler hervorging. Ausgewertet haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KAHR-Projektes Aussagen zum Grad der Traumatisierung oder etwa zur Bereitschaft für einen Wegzug oder Verbleib in der Region. Die Untersuchung liefert wertvolle Erkenntnisse dazu, inwieweit die Katastrophe neben baulichen Schäden auch massive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Bevölkerung mit sich brachte und die Frage der sozialen Verwundbarkeit auch beim Aufbau eine Rolle spielt. Der statistischen Auswertung zufolge hatten 42 Prozent der Befragten ein Jahr nach der Katastrophe angegeben, dass „das Ereignis sie noch immer sehr stark belastet“. Bei etwa 28 Prozent traten überdies Ausprägungen einer „posttraumatischen Belastungsstörung“ auf. Rund 14 Prozent der Betroffenen hatten während der Befragung angegeben, bereits dauerhaft weggezogen zu sein. Für fast sechs Prozent kam demnach ein Wegzug in Betracht.
„Unsere Forschung zeigt, dass der Wiederaufbau und die Stärkung von Resilienz neben dem physischen Wiederaufbau von Gebäuden und Infrastrukturen auch Ansätze erfordern, die die sozialen Strukturen und besonders verwundbaren Gruppen schützen. Für einen integrativen und ganzheitlichen Ansatz im Wiederaufbau braucht man dann aber auch Konzepte und Fördermittel, die über die reine Schadenskompensation hinausgehen“, erläuterte Prof. Dr. Birkmann, Sprecher des KAHR-Projektes. „Auch Fragen der Klimagerechtigkeit sind dabei zu berücksichtigen – konkret: wie sollte man eine Schule mit Kindern mit körperlichen und geistigen Behinderungen direkt an der Ahr wiederaufbauen? Kann man sie verlagern? Welche Schutzkonzepte sind sinnvoll, damit Kinder und Eltern sowie Lehrer sich wirklich dauerhaft sicher fühlen? Hier liegen noch wichtige Aufgaben und auch Möglichkeiten zur Stärkung der Resilienz vor uns. Forschung kann hier Impulse setzen, aber die politischen Entscheidungen sind an anderer Stelle zu treffen.“
Hintergrund zum KAHR-Projekt
KAHR („Klima-Anpassung, Hochwasser, Resilienz“) ist ein bundesweites, begleitendes Forschungsprojekt. Wesentliche Projekträume sind dabei die Flutgebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Eine enge Anbindung an die vor Ort handelnden Akteurinnen und Akteure ist ein zentraler Baustein des Projekts. Am KAHR-Forschungsvorhaben sind 13 Verbundpartner aus ganz Deutschland beteiligt: Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS) (Universität Stuttgart), Lehrstuhl und Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft (IWW) (RWTH Aachen University), Institut für Umweltwissenschaften und Geographie (IUG) (Universität Potsdam), Institut für Raumplanung (IRPUD) (Technische Universität Dortmund), Bauen-kunst-werkstoffe (bwk) (Hochschule Koblenz), Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft (FWW) (Technische Universität Kaiserslautern), Helmholtz Zentrum für Umweltforschung Leipzig (UFZ), GeoForschungsZentrum Potsdam (GFZ), Deutsches Institut für Urbanistik (DIFU), Institut für qualifizierende Innovationsforschung und -beratung (IQIB), Hochwasserkompetenzzentrum (HKC), Wasserverband Eifel-Rur (WVER), Landkreis Ahrweiler (L-Ahr). Weitere Informationen zum Projekt unter www.hochwasser-kahr.de.
Beteiligten sich am „Wissenschaft-Praxis-Dialog“ in Remagen: (v.l.) Landrätin Cornelia Weigand, Prof. Dr. Holger Schüttrumpf, Klimaschutzministerin Katrin Eder, Prof. Dr. Christian Kuhlicke, Prof. Dr. Annegret Thieken und Prof. Dr. Jörn Birkmann. Foto: Stephan Stegmann/ Kreisverwaltung Ahrweiler