Zur Geschichte von Lohrsdorf / Green
Karl Hatwig
Lage und äußeres Erscheinungsbild
Lohrsdorf, circa 11 km vom Rhein bei Sinzig entfernt, liegt an der Unterahr direkt hinter dem in die Flussaue vorspringenden Fuß des Lohrsdorfer Koppen. Es ist seit 1970 Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler und zählt 730 Einwohner (2006). Dem Autofahrer bietet sich Lohrsdorf als typisches Straßendorf an der B 266 dar, die auch als Provinzialstraße oder Sinziger Straße bezeichnet wird und die auf der alten Eifel-Ardennenstraße verläuft.
Lohrsdorf ist seit 1970 Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler, Aufnahme von 2006.
Der alte Ortskern, urkundlich erstmals schon im Jahre 828 erwähnt, erweckt eher den Eindruck eines kleinen Bergflankendorfes, das versteckt zwischen dem Ausläufer der Landskrone, dem mit Weinbergen an seiner Südflanke bepflanzten Heuberg und dem steil aufstrebenden, ebenfalls mit Weinstöcken bestandenen Lohrsdorfer Koppen, eingebettet ist. Schließlich ist noch ein Neubaugebiet im Tal des Lohrsdorfer Baches zu nennen. Dieser Bach entspringt oberhalb des nur 300 Meter nördlich vom Lohrsdorfer Ortskern entfernt liegenden Köhlerhofes, heute ein Restaurant des landschaftlich herrlich gelegenen Golfplatzes.
Die Lohrsdorfer Kapelle St. Petrus und Marcelinus, 2006
Altertum und frühes Mittelalter
Archäologische Ausgrabungen und Funde weisen auf eine sehr alte Ansiedlung in dem vom Ahrhochwasser geschützten Tal des Lohrsdorfer Baches hin. Dies ist belegt durch Grundmauern auf dem Längsrücken des Lohrsdorfer Koppen (römisches Anwesen in dem Flurstück „Pitters Stuff“), durch Fundstücke auf der Reichsfeste Landskron (u.a. ein Steinbeil, römische Münzen etc.), römische Ziegelfunde in der Eulenstraße (Eulnergasse = Töpfergasse), die alte Flurbezeichnung „An der Heidenmauer“ und schließlich noch das an der alten B 266 in Richtung Bodendorf auf Lohrsdorfer Gebiet vermutete römische Heiligtum. Ebenso vermutet man eine keltische Kultstätte an der „Cluse“, dem Felsspalt hinter der heutigen Jungfrauenkapelle auf der Landskron.
In der Lohrsdorfer Gemarkung, auf dem Hochplateau des Lohrsdorfer Heuberges, des östlichen Ausläufers der Landskron, lag ein germanischer Thingplatz, heute gekennzeichnet durch eine schwarze Steinsäule auf zentnerschwerem Sockel. Die Säule ist mittlerweile zu einem Kreuz umgestaltet. Der nur einige Kilometer entfernt liegende Scheidskopf bei Kirchdaun lässt als ehemalige Fliehburg der Kelten ebenfalls auf eine frühe Ansiedlung im Tal des Lohrsdorfer Baches schließen.
Weiter spricht die über die Lohrsdorfer Gemarkung führende Aachen-Frankfurter-Heerstraße (AFH) für die Annahme, dass Lohrsdorf mit der „Motte“ Curle, jetzt Köhlerhof, als ein Stützpunkt dieser bedeutenden Verbindungsstrecke schon früh exisitierte. Die AFH war vormals ein nordwestlich über Aachen hinausgehender keltischer Handelsweg, der dann von den Römern ausgebaut wurde, im frühen und Hochmittelalter als Heerstraße der deutschen Könige und Kaiser und als Krönungsstraße der wichtigste Verbindungsweg zwischen Aachen und der Königspfalz Sinzig am Rhein und von dort nach Frankfurt/Main war. Schließlich erlangte die AFH als Wallfahrtsweg zu den Aachener Heiligtümern (Reliquien) alle sieben Jahre bei den Heiltumsfahrten einen hohen Bekanntheitsgrad. Es ist anzunehmen, dass auch Lohrsdorfer zum Schutz und Instandhaltung der Wegstrecke der AFH aufgeboten wurden.
Vom Hochmittelalter bis zur Neuzeit
Kaiser Ludwig der Fromme, der Sohn Karls des Großen, schenkte im April 828 dem Biographen seines Vaters, Einhard, ein 15 Huben und 9 Ar Weinberge umfassendes, schon lange vorher existierendes Krongut mit dem Namen „Hludolvesthor“ (Ludovesdorf = Ludwigsdorf) also das heutige Lohrsdorf.
Dieses Landgut ging dann nach der Gründung des Klosters Seligenstadt durch Einhard bis zu dessen Tod in den Besitz des Klosters über. Danach fiel Lohrsdorf als Krongut wieder an den deutschen Kaiser zurück.
Die Bedeutung Lohrsdorfs als Krongut und Gerichtsort wird hervorgehoben durch eine überlieferte „Translatio“, das war die feierliche Überführung der Reliquien der Heiligen Petrus und Marcellinus von Aachen nach Seligenstadt an den Main, und die Unterbrechung dieser Prozession für einige Zeit „in den Mauern“ Lohrsdorfs. Höchstwahrscheinlich wurden dabei die kostbaren Reliquien in der kleinen Dorfkirche aufbewahrt, von der noch Chorteile aus dem 13. Jahrhundert die Stürme der Zeiten überdauert haben. Die Vikarie südlich neben der Kapelle mit einem dem Pfarrherren von Heimersheim nicht unterstellten Vikar, war seit altersher im Besitz großer Güter. In französischer Zeit wurden diese Güter säkularisiert.
Doppelkreuz (Lothringisches Kreuz) an der Lohrsdorfer Kapelle, 2006
Das südlich neben der Kapelle aufgerichtete Lothringer Kreuz (1754), das vermutlich Vorläufer hatte, weist ebenfalls auf die Zugehörigkeit Lohrsdorfs zum karolingischen Mittelreich Kaiser Lothars hin, einem Sohn Ludwig des Frommen. Auf diesem Kreuz sind die Namen der Lohrsdorfer Kirchenpatrone Petrus und Marcellinus eingemeißelt.
Dass Lohrsdorf in vielen Geschichtsquellen, die heute u. a. im Landeshauptarchiv Koblenz aufbewahrt werden, genannt wird, lässt auf seine frühe hervorgehobene Stellung als „Tor zum mittleren Ahrtal“ und Durchgangsort der Eifel-Ardennen-Straße schließen.
Dass Lohrsdorf als kaiserliches Lehen begehrt war, zeigt auch die Tatsache, dass die KlösterLiesborn und Münster-Überwasser (1151) sowie Maria Laach (1163) hier begütert waren. Nicht ohne Grund wählte der deutsche Stauferkönig Philipp von Schwaben zur Sicherung seines Krönungsweges von Aachen nach Frankfurt neben der Tomburg, der Königspfalz Sinzig und Burg Hammerstein, den „mons Gimmiche“, von ihm „Landscron“ genannt, als strategisch hervorragenden Platz für seine Burg, mit deren Bau 1206 begonnen und die zur größten Reichsfeste am Niederrhein ausgebaut wurde.
Philipp von Schwaben schlug Green und Lohrsdorf der eigenständigen, reichsunmittelbaren Reichsherrschaft Landskron zu und übertrug seinem Ministerialen Gerichuin (Gerhard I.) aus Sinzig die Verwaltung seines Kronlehens.
Das Mühlendorf Green (von mhd. grien = Sand, Kies) verdankt seinen Namen dem südlich der Landskron angeschwemmten Gleithang der Ahr. Ein Johannes de Grinde wird im Jahre 1279, ein Giso von Greynden 1319, sein Sohn Heinrich 1324 und ein Godart, genannt von Green 1360 urkundlich erwähnt. Nach seiner Heirat mit Beatrix von Hammerstein kaufte Gerhard IV. von Landscron (1296 bis 1370) von Godart (Gotthard) und anderen Edlen deren Güter in Green auf und erlangte 1333 von den Schultheißen und Geschworenen von Green den „Gewährschaftseid“.
Eine der herrschaftlichen Mühlen, an der die Bauern ihr Korn mahlen lassen mussten, befand sich seit altersher in Green. Nach der Auflösung der Herrschaft Landskron im 19. Jahrhundert wurde die Mühlentradition bis in das 20. Jahrhundert in Green fortgesetzt.
Im Jahre 1333 wurde urkundlich erstmals ein Lohrsdorfer / Greener Gericht erwähnt.
Im Landeshauptarchiv aufbewahrte Akten vermitteln eindrucksvoll die relative Unabhängigkeit der Lohrsdorfer und Greener Bauern durch ihre verbriefte Reichsunmittelbarkeit.
Die Burgherren von der Landskron besaßen Lohrsdorf und Green als kaiserliches Lehen.
Die Namen der Richter und Schöffen, der Schultheißen und Bürgermeister, Gerichtsschreiber, Boten und Flurhüter, das eigene Gerichtssiegel, der uralte Kirmesbrauch, ab 1397 urkundlich erwähnt, und vor allem das „Prothokollum Judiciale et Communitatis Lohrtorff et Grien“ (= das Gerichtsprotokollbuch von Lohrsdorf und Green) belegen die besondere Stellung der Lohrsdorfer und Greener im damaligen Machtgefüge.
Schlaglichter von der Neuzeit bis zur neuesten Zeit
Im Jahre 1571 entstand für einen Prozess eine heute im Landeshauptarchiv Koblenz aufbewahrte großformatige Karte, auf der wir auch farbig eingezeichnet Lohrsdorf und Green finden.
Jahrzehnte später wütete die Pest in Lohrsdorf und Green. Die Landskroner Pestregel aus dem Jahre 1597 gab Anweisungen zur Bekämpfung der Seuche: u. a. Absonderung der Kranken, Sperrung und Kennzeichnung verseuchter Häuser.
Im Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) hatte auch die Ahrgegend als Durchmarschgebiet der plündernden und marodierenden Heere stark zu leiden. Selbst dem Hungertode nahe, mussten die Lohrsdorfer und Greener „zur Abwendung angedrohten Sengens und Brennens, Errettung von Haus und Hof, Mensch und Vieh, Leib und Lebensgefahr“ Geld leihen, um die Soldateska zu befriedigen. Als Druckmittel benutzten die Soldaten acht Bürger aus Lohrsdorf und Green, die unter „wirklich abscheulichen Erniedrigungen“ gefangen hinweggeführt worden waren.
1682 ließ der Kurfürst von der Pfalz und Herzog von Jülich die Reichsfeste Landksron sprengen und das Schloss abbrechen.
Im 17. Jahrhundert hatten auch die Hexenjäger Lohrsdorfer und Greener im Visier. Sechs Frauen und ein Mann aus Lohrsdorf wurden der Hexerei bezichtigt, angeklagt, gefoltert und zum Tode durch den Strang verurteilt.
Während des Spanischen Erbfolgekrieges durchzogen französische Truppen auch Lohrsdorf und erpressten von den Bewohnern hohe Fouragegelder.
Zusätzlich verwüstete die Ahr mit Hochwasserkatastrophen regelmäßig die Greener undLohrsdorfer Talaue. Den alljährlichen Überschwemmungen der Wiesen und Felder wurde durch die Ahrregulierung in französischer und preußischer Zeit ihre zerstörerische Gewalt genommen.
1794 marschieren auch hier französische Revolutionstruppen ein. Das Alte Reich ging zu Ende.
Im Jahre 1798 erlangte Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein, nach dem Tode des Mitbesitzers der Reichsherrschaft Landskron, Freiherr Benedikt von Clodt, einen großen Teil dieser Herrschaft, zu der Lohrsdorf und Green gehörten. 1801 ließ er einen Teil seines Besitzes in der ehemaligen Reichsherrschaft Landskron versteigern, 1810 wurden die noch verbliebenen Güter durch den französischen Staat ersatzlos eingezogen.
Kaum einer der Lohrsdorfer und Greener konnte bei den Versteigerungen der sogenannten Staatsdomänen wegen der hohen Kaufpreise mithalten.
Die Franzosen errichteten an der östlichen Einfahrt nach Lohrsdorf eine „Barriere“, um Wegegeld zu kassieren.
Auch Lohrsdorfer und Greener Männer mussten auf den Schlachtfeldern Europas in Napoleons Diensten kämpfen.
Nach der Niederlage Napoleons kamen die Rheinlande an Preußen. Seit 1816 sind Lohrsdorf und Green Teil des Kreises Ahrweiler.
Der Freiherr vom Stein erhielt seine Güter zurück und 5000 Reichstaler als Entschädigung. Er verkaufte aber diese Güter wieder.
1839/40 wütete eine Rinderpest im Ahrtal. Der Lohrsdorfer Schöffe Schmitz berichtete 1841 über ein Gelübde der Lohrsdorfer nach dieser Seuche: „Die Bürger der Gemeinde haben sich vereinbart und fest beschlossen, alljährlich auf den Festtag der Heiligen Petrus und Marcellinus einen Bittgang nach Coisdorf zu Ehren des hl. Wendelinus lebenslänglich zu halten ...“
Diese Gemeindeprozession, die nach 1945 eingestellt wurde, war ein schönes Beispiel für die Volksfrömmigkeit der Region.
Lohrsdorf lebte im 19. und 20. Jahrhundert im Schatten der allgemeinen Entwicklung und Erschließung des Ahrtales. Die „Soziale Frage“, die große Kluft zwischen der (neuen) „Oberschicht“, (den Fabrikbesitzern) und den Arbeitern, trat besonders krass in dem Arbeiterdorf Lohrsdorf/Green zutage. Der durch die „Postkutschenromantik“ eingeleitete wirtschaftliche Aufschwung vieler Orte an Rhein und Ahr ließ Lohrsdorf unberührt. Als dann die Postkutschen durch die Eisenbahn abgelöst wurden (1880), erhielt Lohrsdorf keine eigene Bahnstation.
Dabei waren die Gemeindeverantwortlichen durchaus nicht untätig geblieben. So förderten sie einen Abbau der in der Gemarkung Lohrsdorf vorkommenden Eisenerze, für den der Kaufmann Philipp Würzburger vom Königlichen Bergbauamt in Bonn 1894 die Genehmigung erhielt. Dieses Wirtschaftsunternehmen blieb aber ebenso ohne nennenswerten Erfolg, wie der Betrieb eines Quarzsteinbruches auf dem Koppen, der im Sommer 1916 begonnen, aber 1921 wieder eingestellt wurde.
Der Mangel an ergiebigen Bodenschätzen und Wald, die geringe landwirtschaftlich nutzbare Fläche, der Verlust ihrer Weinberge durch die Jahrhunderte hindurch andauernde Herrschaft der Landskroner Burgherren ließen die Lohrsdorfer und Greener immer mehr verarmen. Trotzdem hielten sie bis zur Annektion des linksrheinischen Gebietes durch die Franzosen und den Verzicht ihres Kaisers auf sein angestammtes Reichsgebiet treu zum „Reich“, ein kleines Gebiet um die ehemalige kaiserliche Burg Landskrone. (Rausch, Heimatbuch Ahrweiler, S. 76).
Zur Zeitgeschichte ab 1945
Nur allmählich gewannen die Lohrsdorfer nach 1945 Anschluss an den allgemeinen Wohlstand der Nachkriegszeit. Seit den 1960er Jahren dehnten sich Lohrsdorf und Green durch neue Baugebiete sprunghaft aus. 1970 wurden Lohrsdorf und Green Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Diese Eingemeindung war damals von der Mehrheit der Einwohner nicht gewünscht. Die bis 1970 zweiklassige Volksschule Lohrsdorf wurde im Zuge der Gebiets- und Verwaltungsreform aufgelöst. Die Lohrsdorfer und Greener Grundschüler besuchen seither die Grundschule Heimersheim.
Schüler der einstigen Lohrsdorfer Volksschule war übrigens auch der derzeitige Lohrsdorfer Ortsvorsteher Hans-Jürgen Juchem, der seit 1991 amtiert.
Der schwerwiegendste Eingriff in der Gemeinde Lohrsdorf/Green geschah durch den Bau derneuen B 266, die beide Ortsteile ohne Überbrückung oder Unterführung zerschneidet. Seit den 1950er Jahren hoffen die Lohrsdorfer auf die Umgehungsstraße.
Aus der einstigen Ackerer- und Winzergemeinde Lohrsdorf, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer überwiegend von Arbeitern und Berufspendlern bewohnten Doppelgemeinde entwickelte, wurde in neuester Zeit ein Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler, dessen Alt- und Neubürger in fast allen Kategorien unserer heutigen Berufswelt zu finden sind. Die Bewohner von Lohrsdorf können stolz auf ihre Geschichte, aber auch auf die vielfältigen kulturellen und sozialen Aktivitäten und die kontinuierliche Verschönerungen des Ortsbildes sein.
Ende 2006 wird in den Lohrsdorfer Wiesen mit dem Bau des Dorfgemeinschaftshauses begonnen. Diese Gemeinschaftseinrichtung wird einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft leisten.
Anmerkung:
Die Ausführungen stützen sich auf die langjährige Erforschung der Lohrsdorfer Geschichte durch den Verfasser in verschiedenen Archiven, darunter das Landeshauptarchiv Koblenz, das Kreisarchiv Ahrweiler und das Stadtarchiv Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ausgewertet wurden gedruckte und ungedruckte Quellen sowie die regionale und überregionale Literatur. Das alles ist in eine inzwischen umfangreiche Arbeit zur Geschichte von Lohrsdorf eingeflossen.