Zum Kriegsende im Kreis Ahrweiler 1945
Gedenkveranstaltungen, Literatur, Zeitzeugenberichte 60 Jahre danach
Leonhard Janta/Günther Schmitt
Von den meisten Einwohnern des Kreises Ahrweiler wurde die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8./9. Mai 1945 wohl nur am Rande wahrgenommen, denn hier waren die Kampfhandlungen bereits seit Mitte März nach der Einnahme der Remagener Brücke durch die Amerikaner (7. März 1945) beendet.
Dass die damaligen Ereignisse 60 Jahre nach Kriegsende in der Öffentlichkeit auf ein so breites Interesse in den Medien und bei der Bevölkerung stoßen würden, hat selbst viele Zeithistoriker überrascht.
Gedenkveranstaltungen
Der Bombenopfer in unserer Region wurde Ende Januar 2005 u. a. in Ahrweiler und Adenau gedacht. In Ahrweiler errichtete der Heimatverein Alt Ahrweiler bereits 2004 eine Gedenk- und Erinnerungsstätte am Silberbergtunnel, wo 1944/45 mehr als 2500 Ahrweiler Schutz vor den Bombenangriffen suchten. Auf dem Friedhof am Ahrtor ist zudem ein Denkmal für die Bombenopfer in Planung.
An die Ereignisse um die Brücke von Remagen erinnerten Veranstaltungen in Remagen und Erpel am 6. und 7. März 2005. Historische Aufnahmen, Ausschnitte aus Dokumentationsfilmen wurden präsentiert, Zeitzeugen kamen zu Wort. In Erpel konnte der ehemalige Eisenbahntunnel besichtigt werden.
Deutsche Soldaten
an der Remagener Brücke auf dem Weg in die Kriegsgefangenschaft.
Am 8. Mai 2005 fand in der Remagener Rheinhalle die zentrale Gedenkfeier des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge – Landesverband Rheinland-Pfalz, der Stadt Remagen und des Friedensmuseums Brücke von Remagen statt.
Der 8. Mai 2005 war auch der Internationale Museumstag. Vom Sinziger Heimatmuseum im Schloss wurde eine viel beachtete Ausstellung zum Kriegsende in der Goldenen Meile präsentiert. Dazu erschien ein eigenes Begleitheft.
Zusammen mit einer von Schülern des Are-Gymnasiums Bad Neuenahr erstellten Dokumentation zum Kriegsende wurde die Ausstellung des Sinziger Heimatmuseums vom 18. Juli bis 14. September 2005 im Foyer der Kreisverwaltung einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.
In Adenau erinnerte der Verein für Heimatpflege in ebenfalls einer Ausstellung an die Kriegszeit in Adenau.
Literatur
Von Wolfgang Gückelhorn erschien 2005 die Dokumentation „Das Ende am Rhein. Kriegsende zwischen Remagen und Andernach“. Dieser Bild- und Textband ergänzt die bereits vorliegende Literatur zum Kriegsende in der Region.1) Dazu gehört auch die 2005 von Heinz Schmalz erarbeitete Zusammenstellung der Kriegsereignisse für Sinzig im März 1945.
Für die Ereignisse um die Remagener Brücke legten Lothar Brüne und Jakob Weiler bereits 1993 eine akribisch recherchierte Darstellung vor. Kurt Degen dokumentierte 1995 das Kriegsende im Brohltal, besonders in Burgbrohl, Manfred Weiland verfasste 1999 eine lokalhistorische Studie zu Waldorf im Zweiten Weltkrieg Waldorf, Paul Krahforst untersuchte 1995 ausführlich den Bombenkrieg in Ahrweiler.
Die Studienbücher des Kreises 1 – 3 gingen auf das Thema Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit ebenso ein wie auch das Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler von 1995.
Zeitzeugenberichte
Breiten Raum fanden 2004 / 2005 v. a. Zeitzeugenberichte über das Kriegsende in den im Kreisgebiet erscheinenden Printmedien.
Diese Berichte stammten in der Mehrzahl von Bürgern, die als Kinder und Jugendliche das Kriegsende erlebt hatten und denen sich die Ereignisse tief ins Gedächtnis eingegraben haben. Viele drängte es zur Mitteilung, Aufzeichnung und Weitergabe ihrer damaligen Erlebnisse, die vielfach traumatisch waren. Oft markierten sie für die Betroffenen das Ende der Kindheit.
Die Redaktion des Heimatjahrbuchs Kreis Ahrweiler erhielt ebenfalls eine ganze Reihe von Zeitzeugenberichten zum Kriegsende. Sie sah sich aus Platzgründen leider dazu gezwungen, auf Einzelveröffentlichungen zu verzichten und stattdessen eine kleine Zusammenfassung abzudrucken. Eine kreisweite Darstellung ist nicht möglich. Dies leistet die angeführte Literatur. Die ausgewählten Beispiele haben aber durchaus exemplarische Bedeutung. Andererseits können sie stets nur ganz kleine Ausschnitte eines individuellen Erlebens vorstellen.
Im Silberbergtunnel oberhalb von
Ahrweiler fanden 1944/45 rund 2500 Menschen Schutz
vor den Bombenangriffen: Blick in das Freilichtmuseum der ehemaligen „Stadt im
Berg“.
Zitiert wird u. a. aus den Ausführungen von Agnes Gillig (Antweiler), Hans-Peter Meyer (Niederadenau), Hans Schmitz (Brohltal) und Marlis Föhr (Remagen).2)
Bombenkrieg
Eine zentrale Rolle in allen Berichten spielt der Bombenkrieg.
In der zweiten Jahreshälfte 1944 setzten Luftangriffe verstärkt ein. Es kam zu gezielten Bombenabwürfen auf Verkehrswege, vor allem im Rheintal im Bereich der Remagener Brücke und Sinziger Eisenbahnbrücke über die Ahr, im gesamten Ahr- und Brohltal. Wegen der ständigen „Luftgefahr“ fiel ab Herbst 1944 der Schulunterricht bis auf weiteres aus.
Auch in Bergwerksstollen suchten die Menschen Schutz vor den Bombenangriffen: Stollen im ehemaligen Kupferbergwerk von Antweiler.
Im Zuge der Ardennenoffensive nahmen ab dem 16. Dezember 1944 die Angriffe an Heftigkeit zu. Jetzt kam es auch zu flächendeckenden Bombenabwürfen und verstärkt zu Tieffliegerangriffen. Luftangriffe um die Weihnachtszeit 1944 und Anfang 1945 forderten in Sinzig und Ahrweiler zahlreiche Tote. Bei dem Angriff auf Sinzig starben am 26. Dezember 72 Menschen. In Ahrweiler waren nach dem Angriff vom 29. Januar 1945 mindestens 85 Tote zu beklagen.
Schutz vor den Bombenangriffen suchten die Menschen in Kellern, Tunnelanlagen, Hütten im Wald und selbst gegrabenen Stollen. So beispielsweise in Niederzissen im Trassberg an der Klosterstraße. In Ahrweiler hauptsächlich im Silberbergtunnel, der „Stadt im Berg“, wo mehr als 2500 Menschen unter katastrophalen hygienischen Bedingungen über Monate lebten.
In Antweiler an der Oberahr zogen sich viele Familien ins Limbachtal zurück. Agnes Gillig berichtet darüber: „Das Limbachtal ist tief eingeschnitten und eng. Wegen dieser besonderen Lage konnten die Flugzeugpiloten es kaum einsehen. Im Schutz der Wälder hatten sich die Familien kleine Holzhütten errichtet. Wenn Flugzeuge nahten, begab man sich ins frühere Kupferbergwerk. (...) Manche übernachteten sogar dort, denn die Eisenbetten aus dem Duisburger Schullandheim dienten als Ruhelager. (...) Eine der Kammern im Bergwerk ‚bewohnte’ Pastor Franz Steffens. Im Bergwerksstollen übte er weiterhin seine seelsorgerische Tätigkeit aus. Auch die Sonntagsmesse fand nach einer schweren Beschädigung der Pfarrkirche durch Bombenabwürfe einige Male im Bergwerk statt. Außer dem Stollen im Limbachtal existierten noch andere, meist private Schutzräume in ortsnäheren Bereichen. Dann konnte man nach der Entwarnung schneller wieder an die Arbeit in Haus und Hof zurück.“ (Agnes Gillig)
In Niederadenau wurden am 2. Februar 1945 in einem Schutzbunker am heutigen „Tannenweg“ Schutzsuchende getötet. Daran erinnert sich Hans-Peter Meyer: „Gegen zehn Uhr eröffneten feindliche Flieger das Feuer und setzten einige Häuser und Scheunen in Brand, so dass besonders Männer den Schutzbunker verließen, um noch zu retten, was zur retten war.
Durch einen weiteren Bordwaffenbeschuss wurde dabei Peter Zimmermann, 49 Jahre alt, verheiratet und Vater von fünf Kindern, so schwer verletzt, dass er am nächsten Morgen im Adenauer Krankenhaus verstarb.
Gegen 12.30 Uhr, als sich die meisten Bürger um Hab und Gut im Dorf kümmerten, fielen drei Bomben hinter dem heutigen Tannenweg. Eine Bombe detonierte genau vor dem Eingang zum Bunker, wodurch dieser verschüttet wurde. Sofort eilten Mitbürger aus dem Ort zum Bunker. Doch konnten nur noch zwei Menschen, Franz Kossmann und dessen Tochter Elisabeth, lebend gerettet werden. Im Bunker starben insgesamt sieben Menschen, darunter zwei Soldaten, drei Kinder im Alter von elf und sieben Jahren und zwei Frauen. Das Dorf war wie gelähmt.( ... )“
An den 6. Januar 1945 im Brohltal erinnert sich
Hans Schmitz. „An diesem Dreikönigstag setzte gegen 11 Uhr ein heftiger
Bombenhagel ein. Kempenich und Engeln wurden sehr stark davon betroffen. Dort
waren mehr als 30 Tote zu beklagen. Viele Bomben schlugen rund um den Schellkopf
und Fußhölle ein.(...) Die Bahngeleise der Brohltalbahn auf dem Bahndamm vorm
Nußpicker standen senkrecht gegen den Himmel.“ (Hans Schmitz)
Marlis Föhr berichtet über die Situation in Remagen, wo am zweiten Weihnachtstag
1944 der erste schwere Bombenangriff erfolgte: „Es gab Tote zu beklagen, viele
Häuser wurden zerstört. (...) Wenige Tage später, am 2. Januar 1945 und an den
folgenden sieben Tagen kamen immer wieder um die Mittagszeit feindliche
Flugzeuge mit ihrer tödlichen Fracht und zerstörten, was von Remagen noch übrig
geblieben war. Die Zahl der Toten und Verletzten stieg von Tag zu Tag. Viele
Bewohner der Stadt zogen früh am Morgen, angeführt von Dechant Peters, in den
nahen Wald und hielten dort aus, bis sie gegen 17 Uhr den Heimweg antraten.
Danach begann ein bescheidenes Leben in der Stadt. Das Rathaus war geöffnet,
Lebensmittel konnten an wenigen Verteilungsstellen besorgt werden. Tote mussten
begraben werden.(...)
Die Patres des Apollinarisberges hatten die Keller unter der Kirche geöffnet, um Obdachlosen eine einfache Unterkunft zu bieten.“ (Marlis Föhr)
Die letzten Kriegstage
Die militärischen Ereignisse bis zur Einnahme der Remagener Brücke am 7. März 1945 und den anschließenden Kämpfen im Bereich des Brückenkopfes Remagen wurden in der Literatur akribisch aufgearbeitet.
„Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner erregte in Antweiler eine Kunde großes Aufsehen: ‚Zwischen Antweiler und Müsch steht ein Zug mit Proviant’. Da die Front sich immer weiter auflöste, konnte der Zug sein Ziel nicht mehr erreichen. – Nun versuchten alle einen Teil der begehrten Lebensmittel zu ergattern. (....) Ein großzügiger Offizier des Begleitpersonals gestattete die Räumung, denn von Westen her hörte man immer deutlicher das amerikanische Geschützfeuer. – Die Kinder wurden allerdings enttäuscht. Sie liefen vergebens von einem Waggon zum anderen auf der Suche nach Schokolade, die gab es aber schon lange nicht mehr.“ (Agnes Gillig)
Das Herannahen der Front und die Einnahme des gesamten Kreisgebietes von der Hocheifel bis zum Rhein waren um den 7. März 1945 nur noch eine Frage von Tagen,
Die zurückflutenden deutschen Soldaten wurden vielfach als „übermüdet, hungrig und heruntergekommen“ (Marlis Föhr) erlebt.
Pellkartoffeln, heiße Getränke, Milch, aber auch Wasser wurden an die Soldaten vom Straßenrand aus verteilt und dankbar angenommen.
Mit großer Anspannung und Ungewissheit wurde der Einmarsch der Amerikaner erwartet.
Amerikanische Fliegerabwehr auf
der Bahnlinie zwischen Remagen und Oberwinter im März 1945.
Im Hintergrund die noch stehende Rheinbrücke, die am 17. März 1945 einstürzte.
„Um vierzehn Uhr sahen wir am 7. März 1945 die ersten amerikanischen Soldaten (...). Sichernd nach allen Seiten bewegten sie sich Richtung Stadt. Ihnen folgten bald Soldaten auf Motorrädern, Jeeps und gegen Abend und in der Nacht schwere Panzer. Dieser Einmarsch mag den Amerikanern wie ein Wunder vorgekommen sein, auch uns wurde bald klar, dass die US-Soldaten ohne Kampf den Rhein überquert hatten“. (Marlis Föhr)
Aus Antweiler ist überliefert, dass die anwesenden Zwangsarbeiter „jubelnd über die Straße“ zogen. (Agnes Gillig).
Im Kreis Ahrweiler waren damals 1450 Franzosen, 1280 Russen, 110 Belgier, 340 Holländer, 21 Italiener, 55 Polen, 25 Kroaten und 100 Menschen verschiedener Herkunft als Zwangsarbeiter erfasst.3) Trotz Befreiung war ihr Schicksal ungewiss.
Es folgte die Evakuierung von Remagen. Die Einwohner fanden u.a. Zuflucht in Bodendorf und an der Ahr, in der Eifel und auf der Grafschaft.
In vielen Orten erlebten die Menschen kurzfristige Ausweisungen aus ihren Häusern, weil die Amerikaner Quartiere benötigten. Ausgangsbeschränkungen, Meldepflicht, erste Verhaftungen, Gefangennahme von versprengten oder desertierten Soldaten, Einsetzung von Bürgermeister gehörten zu den ersten Maßnahmen der Amerikaner.
Die Notbrücke der Ahrtalbahn an der zerstörten Brücke in Fuchshofen.
Aufstellung der
durch Kriegseinwirkungen zerstörten oder beschädigten Gebäude und der Opfer an Menschenleben im Kreis Ahrweiler (Stand 1945) |
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Amt | Wohn- und Geschäftshäuser Gaststätten und Hotels |
Landw. Bauten (Ställe, Scheunen, Lager) |
Gewerbl. Bauten (Bürogebäude, Werk- stätten, Verkaufsräume und Lagergebäude) |
Industrie-Gebäude (Bürogebäude, Fabriken und Lagergebäude) |
Menschen- leben |
Adenau | 260 | 204 | 19 | 0 | 48 |
Ahrweiler | 632 | 235 | 78 | 7 | 165 |
Altenahr | 453 | 365 | 9 | 2 | 45 |
Antweiler | 226 | 284 | 7 | 5 | 30 |
Bad Neuenahr | 389 | 223 | 48 | 10 | 30 |
Niederbreisig | 368 | 70 | 5 | 6 | 23 |
Niederzissen | 106 | 73 | 0 | 0 | 11 |
Remagen | 837 | 358 | 163 | 50 | 79 |
Ringen | 10 | 26 | 0 | 0 | 7 |
Sinzig | 249 | 52 | 5 | 6 | 65 |
Gesamt | 3530 | 1890 | 334 | 86 | 503 |
In Antweiler „beschlagnahmten die amerikanischen Truppen mehrere Häuser, darunter auch unser Haus. Es handelte sich um Häusern mit vielen Schlafgelegenheiten. Wir und die anderen Betroffenen mussten uns bei Nachbarn eine Bleibe suchen. Dabei ergaben sich keine Schwierigkeiten, denn viele wollten lieber einen Mitbürger aufnehmen, als ihr Haus zur Verfügung zu stellen. (...) Nach etwa 8 – 10 Tagen zogen die amerikanischen Kampftruppen wieder ab. (...)
In den geräumten Häusern blieben angebrochene Zigarettenschachteln, Militärdecken und Seifenreste zurück. Für die damalige Zeit waren es wertvolle Artikel.“ (Agnes Gillig)
Es kam aber auch zu Diebstählen, starken Verunreinigungen und massiven Zerstörungen des Mobiliar, sodass verschiedenen Häuser kaum bewohnbar waren.
Mitte März 1945 war das gesamt Kreisgebiet besetzt. Während auf der rechten Rheinseite noch gekämpft wurde, war der Krieg hier zu Ende.
Am 8. Mai 1945 wurden 46 Vertreter des Kreises Ahrweiler, darunter auch der von der Militärregierung eingesetzte Landrat Christian Ulrich ins Kreishaus in Ahrweiler gebeten, wo der amerikanische Capt. Emry zum Kriegsende feststellt: „Der Krieg ist vorbei. Ein neues deutsches Reich muß gegründet werden. Es soll so gegründet werden, dass Deutschland in Frieden mit allen anderen Völkern der Welt leben kann.“4)
Das Interesse der Bevölkerung an allem Politischen war zunächst äußerst gering. Jedoch erfolgte 1946 mit der Gründung der Parteien in der Französischen Besatzungszone, mit den ersten freien Gemeinde- und Kreistagswahlen der Nachkriegszeit auch der politische Neubeginn in unserer Region.
Anmerkungen:
1) Vgl. hierzu das Literaturverzeichnis
2) Die vollständigen Berichte der Zeitzeugen sind im Kreisarchiv archiviert.
3) Vgl. Ausführungen von Michael Schankweiler-Schell zu „Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Oberwinter“ im Kreisarchiv Ahrweiler
4) Kreisarchiv Ahrweiler 270 – 08
Literatur: