Die Ahr kann wieder natürlich atmen
Im Jahr 1855 wurde die Ahr an der Mündung in den Rhein in ein unnatürliches Bett gezwängt. Das führte zu diversen Problemen. Jetzt kann der Fluss wieder „atmen", sprich: sich freier entfalten und neue Nischen für Tiere und Pflanzen schaffen. Die Baumaßnahmen zur Renaturierung der Ahrmündung sind abgeschlossen. Grund genug, dieses Ereignis als „historisch" einzustufen.
Die kreisweite Gewässerökologie und in diesem Rahmen der Gewässerpflegeplan Ahr sei ein zentrales, langfristig angelegtes Vorhaben beim Naturschutz im Kreis Ahrweiler, sagte Landrat Dr. Jürgen Pföhler zum Abschluss der Bauarbeiten in Sinzig am 30. November 2004.
An der Ahrmündung hat die Natur bereits begonnen, die Gesamtkosten von 320.000 Euro zu danken: Tier- und Pflanzenarten erobern die renaturierte Auenlandschaft zurück. Dazu nannte Bauingenieur Josef Groß von der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz Beispiele: Im Gewässerbett entstehe eine reich strukturierte Sohle, wo das seltene und gefährdete Bachneunauge seine Kinderstube finde. Kiesinseln, die sich ständig verändern, böten neuen Lebensraum für Tiere und Pflanzen. So lege der Flussregenpfeifer seine Eier direkt in Kiesmulden. Am Ufer mit seinen kleinen Buchten und variierten Fließgeschwindigkeiten schließe sich mit Gehölz durchsetztes Offenland an: ideale Lebensräume für geschützte Vogelarten wie Wasserralle, Beutelmeise oder Wachtelkönig.
Ein Blick zurück: Die Ahr wurde 1855 auf einer Länge von 560 Metern begradigt, sprich in ein Bett gezwängt. Das erhöhte die Fließgeschwindigkeit und den Druck auf den Damm, der sich am Ahr-Unterlauf kurz vor dem Rhein-Ufer befindet. Ein Dammbruch hätte große Geröllmassen in den Rhein geschwemmt, die Schifffahrt behindert, den Rhein-Radweg unbenutzbar gemacht und Rückzugsräume für Hochwasser verschlossen.
Jetzt wird der Fluss oberhalb des Naturschutzgebietes „Ahrmündung" gebremst. In Höhe des Klärwerkes wurden Steinschüttungen, die das Ufer befestigen, zurückgebaut, damit sich der Fluss dort ausbreiten kann. Das entlastet das flussabwärts gelegene Areal, weil sich Fließgeschwindigkeit und Wasserdruck im Mündungsbereich reduzieren. Seitliche Nebenarme bringen mehr Platz. Das Gewässer kann erodieren, Sedimente ablagern und sich sein Bett sowie die Aue selbst gestalten. Ein 90 Meter hoher Sendemast des Südwestrundfunks musste dafür gesprengt werden.
Innerhalb eines Jahres hatte sich die Ahr bereits um eine volle Gewässerbreite von 15 bis 20 Metern verlegt. In Abstimmung mit der Stadt Sinzig wurde der die Entwicklung hemmende Regenwasserkanal teilweise zurückgebaut. Zudem hat die Stadt die neue Radwegetrasse auf dem vorhandenen Wegenetz ausgewiesen und ausgeschildert. Von den 42 Nebenflüssen des Rheines gilt die Ahrmündung als einzige Mündung in einem weitgehend naturnahen Zustand.
Die Mündung stellt das größte, aber keinesfalls einzige Renaturierungsprojekt an der Ahr dar. Flussaufwärts wurden und werden 46 sperrige Querbauwerke ab- oder umgebaut, damit Fische sie passieren und zu ihren Laichplätzen ahraufwärts gelangen können. Voraussichtliche Gesamtkosten einschließlich der Ahrmündung: rund 3,9 Millionen Euro.
Eingeschlagene Holzpolder und befestigte Baumstämme dienen als Strömungslenker, damit die Ahr mäandriert und wieder einen natürlichen Flusslauf einnimmt.