Die Ortszensur kommt durch die Hintertür
Sturm der Filmindustrie gegen Remagener Präzedenzfall anno 1929
Rolf Plewa
Als dicke Schlagzeile auf der Titelseite der Berliner „Fachzeitung der Filmindustrie“ steht: Ortszensur durch Hintertür. Unterzeile: Ein Präzedenzfall in Remagen unter Führung eines Zensur-Beisitzers – Existenzvernichtung eines Theaters.
Da wettern die Berliner Zeitungsmacher der „Licht Bild Bühne“:
„Remagen am Rhein, in nächster Nähe von Bonn, Königswinter, Bad Neuenahr, ein Städtchen mit 5 000 Einwohner, beherbergt in seinen Mauern eine Zahl biederer Bürger, die mit ihren Ansichten so rückständig sind, das man nicht glauben sollte, sie leben im Brennpunkt des modernen Verkehrs, sondern eher annehmen dürfte, es handle sich um die Stadt und das Zeitalter des Dörnröschens.“
Diese Aussagen schreien förmlich nach der
presserechtlichen Möglichkeit der Gegendarstellung. Leider unmöglich. Der
Zeitungsbericht stammt vom
14. Mai 1929 und richtet sich auch noch gegen einen Mann der Kirche. Kaplan
Alois Funk wird vorgeworfen, „dass hier gewalttätige Übergriffe gewisser
Privatleute unter dem Schutz städtischer und kirchlicher Machthaber, eine
Existenz systematisch zugrunde richten“.
„Dies ist vor kurzem erst wieder an den Tag gekommen, weil die Remagener Bürger regen Anteil an unseren Bemühungen um den Erhalt des Alten Jugendheimes nehmen und uns alte Dokumente zukommen lassen“, erläutert der Vorsitzende des Fördervereins Altes Jugendheim, Rolf Plewa.
Stellvertreter Manfred Hopfeld verweist auf das Bild aus dem Jahre 1932, das Kronenwirt Berthold Schmitz ausgegraben hat und den Vorstand1) aus der damaligen Zeit zeigen soll. Man bemüht sich die Namen zu ermitteln.
Ansicht des Jugendheims Remagen, das nach Plänen der Kölner Architekten Aloys Böll und Otto Neuhaus erbaut wurde.
In dem altehrwürdigen Gebäude in der Kirchstraße, das von dem Architekten Aloys Böll, einem Onkel des Schriftstellers Heinrich Böll, errichtet worden ist, hatte in den 20-er Jahren der „Katholische Jungmänner-Verein“ unter Leitung von Kaplan Funk sein Domizil.
Dieser war auch Beisitzer der „Berliner Reichszensurstelle für Filme“. Filme wurden aber auch im Jugendheim gezeigt, und zwar „keineswegs nur jugendfreie Filme, sondern jeder erreichbare Spielfilm“. Und es gab ein gewerbsmäßiges Lichtspieltheater in der Rheinstadt. Und da gründete der Kirchenmann dort nun „unter dem Protektorat des Bürgermeisters und einiger Honoratioren den Verein der Lichtspielfreunde, der als Erwerbsquelle die Jugendlichtspiele in Betrieb nahm.“
Karnevalistisch geschminkte Gruppe vor dem Jugendheim Remagen, 1920er Jahre
Es entbrannte ein Existenzkampf, der „zugunsten der Jugendlichtspiele auch vom Predigtstuhl in der Kirche geführt wurde“.
Und dann kam Kaplan Funk auf eine Idee, die „fuchsschlau ausgetüftelt war“.
Er beschloss, das Filmfeld dem Privaten zu überlassen. Dafür machte dieser mit den Lichtspielfreunden einen Vertrag, wonach „bei einer Konventionalstrafe von 300 Mark für jeden Fall der Zuwiderhandlung, alle Filme einer örtlichen Zensurbehörde, bestehend aus einem Tierarzt, einem Fräulein aus der Biedermeierzeit, einem ehrbaren Schuhmacher, einem Lehrer, einem Chaussee-Aufseher zu zeigen“2) waren.
Sollte eine Stimme dagegen sein, war der Film verboten. Doch der Kinobetreiber weigerte sich dann, Filme, die von der Reichszensur genehmigt waren, noch einmal örtlich genehmigen zu lassen. Dass brachte ihn vor die Schranken des Gerichts. Er verlor auch in zweiter Instanz. „Die Gerichte versagen, lassen den unsittlichen Vertrag gelten“, schrieb 1929 die Fachzeitschrift. Und was sagt der Herr Minister dazu, dass einer seiner Mitarbeiter aus der Filmprüfstelle, jener besage Kaplan Funk, Schöpfer jener Ortszensur ist?“ Schließlich sei die gesetzlich verankerte Filmzensur ein Paladium3) unserer Industrie, darum gelte es schon aus grundsätzlichen Erwägungen Sturm zu läuten.
Was der Herr Minister sagte ist nicht überliefert, überliefert ist ein Briefwechsel vom 26. Juli 1929, in dem „Erich“ von der Deutschen Jugendkraft, Abteilung Remagen, an den lieben „Hermann“ schreibt: “Was das Kino angeht, die Sache geht jetzt nach Leipzig an das Reichsgericht.“
Was daraus wurde, ist nicht bekannt.
Anmerkungen: