„Dem Radfahrer-Verein Neuenahr-Ahrweiler können und wollen wir unsere Anerkennung nicht versagen“
Eine fruchtbare sportliche Fusion im Jahre 1890
Hans-Jürgen Ritter
Die Anfänge des organisierten Radsports an der Ahr
Unsere Altvorderen kämen aus dem Staunen nicht mehr heraus, könnten sie das Ahrtal an Schönwetter-Wochenenden noch mal erleben. Scharen von Wanderern, Nordic-Walkern und vor allem Radfahrern genießen die Schönheiten einer vielfältigen Landschaft. Besonders die bizarren Felsformationen von Altenahr an ahrabwärts sind ein touristischer Magnet. Ein gut ausgebautes Radwegenetz lockt, hier kräftig in die Pedale zu treten. Hier begegnen sich einfache Tourenräder und Hochleistungsmaschinen in mannigfaltiger Typenvielfalt aller Preisklassen. Die Freizeitindustrie boomt.
Angefangen hat der Radsport wohl auf der Weltausstellung 1867 in Paris, wo Pieree Micheaux ein pedalbetriebenes Rad vorstellt. Es war die logische Weiterentwicklung des von C. F. Dreis 1818 zum Patent angemeldeten Laufrades, dessen Abbildung in keinem Geschichtsbuch fehlt.
Leider wird es im Dunkeln bleiben, wer zum ersten Male im Ahrtal mit einem Velociped aufkreuzte. Ende des 19. Jahrhunderts jedenfalls etablierte sich der Radsport in unserer Heimat.
Nach einem Aufruf an die Herren Radfahrer und Sportinteressenten von Ahrweiler, Neuenahr und Umgebung zu einer Zusammenkunft im separaten Zimmer bei Hub. Kreuzberg (Ahrweiler, Hirz) im Mai 1890 meldeten sich augenscheinlich so viele Interessenten, dass ein Radfahr-Verein Ahrweiler-Neuenahr gegründet werden konnte. Die Gründungsväter P. Schlecht, G. Lenzen und Herm. Schmitz hatten vorher Gelegenheit, durch einen in Ahrweiler anwesenden Vertreter „einer renommirten Velocipedfirma das Fahren auf dem Sicherheitsrad in unglaublich kurzer Zeit fix zu erlernen“.
Der Verein entwickelte sich vehement und konnte sehr schnell schon große Projekte in Angriff nehmen: „Der Radfahr-Sport hat sich nunmehr auch an der Ahr derart entwickelt, dass sich jüngst ein Verein unter der Benennung ‚Radfahr-Verein-Neuenahr-Ahrweiler’ bildete. Die Lebensfähigkeit dieses Vereins beweist schon die Tagesordung der auf nächsten Samstag im ‚Hotel-Restaurant P.Schlagwein in Neuenahr’ anberaumten Generalversammlung, welche den Mitgliedern bereits gelegentlich der Fahnenweihe Wettrennen, Ball etc in Aussicht stellt.“ (Ahrweiler Zeitung, 20. August 1890)
Festliche Standartenweihe
Anlässlich dieser Feierlichkeiten boten die Radfahrer ein großartiges Spektakel. Alle Programmpunkte der beiden Festtage hier aufzuführen, würde den Rahmen sprengen. Lassen wir deshalb Auszüge des Zeitungsberichtes vom 1. Oktober 1890 die Stimmung einfangen:
„Am Vorabend fand im Theatersaal des ‚Gasthofes
zum Stern’ zur Vorfeier ein Vokal- und Instrumental-Concert statt, welches sich
des regsten Besuches und des größten Beifalls erfreute. ... Bei dem von den
Mitgliedern des Vereins dargestellten lebenden Bilde: ‚Des Radfahrers
Kaiserhuldigung’ erblickten wir bei bengalischer Beleuchtung im Hintergrunde der
Bühne in einer prächtigen Palmen- und Blumen-Gruppe die Kaiserbüste, während
davor verschiedene Radfahrer in Costüm die einzelnen Phasen des Radfahrens
veranschaulichten, wobei auch ein ‚Gestürzter’ nicht vergessen war. Reichster
Beifall lohnt dem schön arrangirten Bilde. - Nachdem nun am Sonntag-Morgen um 8
Uhr die Standarte beim Vorsitzenden des Vereins in Ahrweiler abgeholt worden und
dann eine Sitzung des Fest-Ausschusses stattgefunden, fand um 12.30 Uhr im
festlich decorirten Wartesaal 2. Klasse des Bahnhofes Neuenahr die Begrüßung der
auswärtigen Radfahrer statt. ... Circa 150 Radfahrer verteilt auf 12 Vereine,
waren der Einladung des Neuenahr-Ahrweiler Radfahrer-Vereins gefolgt und
entwickelte sich bei dem Frühschoppen sowohl als bei dem darauf folgenden
Festessen in der ‚Flora’ ein von echt kameradschaftlichem Geiste getragenes
Leben und Treiben.“
Es folgt nun nachmittags im Kurgarten die Standartenweihe: „Die Radfahrer
schaaren sich nun mit ihren Standarten um die Tribüne, während Herr
Bürgermeister Hepke und Herr Direktor Lenne´ dieselbe besteigen. Herr
Bürgermeister Hepke, unter Assistenz des Herrn Direktors Lenne´, befestigten nun
das Fähnchen der Standarte vermittels einiger Schleifen an den Fahnenschaft, und
hält Ersterer dann eine kurze Ansprache an die anwesenden Vereine anschließend
mit einem ‚All Heil’ auf die Standarte und auf die Vereine. Nachdem nun Herr
Bürgermeister Hepke dem Verein die Standarte übergeben, feierte der Vorsitzende
des Neuenahr-Ahrweiler Vereins Herr Simon Gottschalk aus Ahrweiler in einer
längeren wohldurchdachten Rede den Radfahrer-Sport und schloß mit einem
begeistert aufgenommenen ‚All-Heil’ auf die auswärtigen Radfahrer. Darauf fand
unter Leitung des I. Fahrwartes, Herrn Rohe -Neuenahr, des eigentlichen
Begründers des Radfahrer-Sports im Ahrthale, eine Corso-Fahrt durch Neuenahr
statt, woran sich 90 Radfahrer beteiligten.“
Im Anschluss daran wird das Wettrennen in den beiden Alleen des Kurparks durhgeführt. „Ein wirklich interessantes Bild menschlicher Gewandheit, Lungen- und Sehnenkraft erblicken wir. ... Ein derartiges Fest darf im nächsten Jahr noch einmal arrangirt werden, wir sind überzeugt, dass demselben die regste Beteiligung aus Nah und Fern nicht fehlen wird und dürfen hoffen, dass unser Neuenahr die Sache nach besten Kräften unterstützen wird.“
Glanzpunkt des Festtages:
Der Preis-Corso
Die Verwaltung von Ahrweiler und Neuenahr und deren Bürger nahmen lebhaften Anteil am Aufblühen und Wachsen des Vereins. Hier war Realität geworden, was späteren Generationen nicht gelingen sollte, nämlich einen gemeinsamen Sportverein aus der Taufe zu heben. Und so lobt die Ahrweiler Zeitung im Dezember 1892 den jungen Radfahrer-Verein Neuenahr-Ahrweiler, „welcher sich durch die Veranstaltung eines Preis-Radfahrens im vergangenen Herbste in einer so äußerst schneidigen Weise eingeführt, hat nicht gerastet und geruht, bis daß er nunmehr auch in kurzer Zeit einen Sportplatz sein eigen nennen kann. Das Terrain, welches von Seiten der Gemeinde Neuenahr dem Vereine bereitwilligst gegen eine geringe Miethe überlassen wurde, ist sehr günstig bei Hemmessen in der Nähe der Wershofen’schen Geflügelzucht-Anstalt und dem Hochgürtel’schen Badehäuschen gelegen. Ein schattiger Baumgarten wird den Rennplatz, der einen Flächeninhalt von ungefähr 10 000 Quadratmeter erhalten wird, mit dem Centrum des Badeortes verbinden und mit eben einem solchen umgeben werden. ... Da es vorgesehen ist, dass derselbe im Winter fast mühelos zu einer künstlichen Eisbahn umgeschaffen werden kann, können sich die den Eissport liebenden Bewohner von Neuenahr, Ahrweiler und Umgegend, auch schon bei einem geringen Kältegrad auf dieses Vergnügen freuen und werden sich im kommenden Winter Eisfeste mit Musik, sowie Preiswettlaufen u.s.w. leicht arrangieren lassen.“ (Ahrweiler Zeitung 12/1892)
Leider existieren – soweit bekannt – von dieser großzügigen und im weiten Umkreis einzigartigen Sportanlage keine Abbildungen. Sie befand sich im heutigen Auguste-Viktoria-Park, etwa dort, wo Spielplatz und Rollschuhbahn sich befinden.
Der Redakteur schließt 1892 mit einem hoffnungsfrohen Ausblick: „Dem Radfahrer-Verein Neuenahr-Ahrweiler können und wollen wir unsere lobende Anerkennung nicht versagen; mit Thatkraft hat er die Sache angefaßt, mit Lust und Liebe wird er dieselbe auch zum glücklichen Gelingen führen.“
Schlosserei und Fahrradhandlung
S. Rohe in Bad Neuenahr, Poststraße 1: In Bad Neuenahr und Ahrweiler gab es um
die Jahrhundertwende
vom 19. zum 20. Jahrhundert mehrere Fahrradhandlungen. Sie führten eine reiche
Auswahl an in- und ausländischen Fabrikaten.
Die Grundsteinlegung für diese Sportanlage fand am 21. Februar 1891 statt. Schon im Juni feierte man mit einem dreitägigen Fest die Einweihung. Dabei zeigte sich die gutnachbarschaftliche Beziehung beider Orte, die Festveranstaltungen wurden abwechselnd in Ahrweiler und in Neuenahr gefeiert. Sonnabend, 13. Juni fand ein Großes Künstler-Conzert im Cursaale zu Bad Neuenahr statt. Anschließend traf man sich zu einem Festcommers im Theatersaal Kreie, dem späteren Hotel zum Stern. Am Sonntag, den 14. Juni empfing man die ankommenden Gäste im Hotel „3 Kronen“ in Ahrweiler und genoss hier auch einen Frühschoppen mit Militär-Concert. Anschließend führte ein Großer Preis-Corso durch Ahrweiler nach Neuenahr. Das gemeinsame Mittagessen nahm man im Hotel-Restaurant P. Schlagwein in Neuenahr ein. Nach einer Corsofahrt durch die Straßen Neuenahrs zum Sportplatz begannen hier die Wettrennen. Abends fand wiederum ein Garten-Concert im „Hof von Holland“ in Neuenahr statt. Festball und Preisvertheilung wieder im Theatersaal Kreie. Den Abschluss der umfangreichen Festveranstaltungen bildete am Montag ein Ausflug nach Altenahr.
Anzeige aus der Ahrweiler Zeitung vom August 1899
Es war ein rundum harmonisches und perfekt organisiertes Fest, das dem jungen Verein alle Ehre machte. „Es machte einen durchaus schönen Eindruck, wie die einzelnen Vereine in ihren kleidsamen Costümen, geschlossen, mit den betreffenden Standarten an der Spitze, in langsamem Tempo, unter Musikbegleitung, in musterhafter Ordnung die Straßen Ahrweilers und Neuenahrs durchfuhren. Dieser Eindruck konnte nicht einmal dadurch erhöht werden, daß Damen die Corsofahrt mitmachten (!!!). Beim Corsofahren erhielten den I. Preis, ein silbernes Trinkhorn, ‚Colonia’ Köln, mit 23 Hoch- und 10 Niederrädern, den II. Preis ein Rauchservice, der ‚Dürener Radfahrerverein’,. mit 16 Hoch- und 8 Niederrädern.“ (Ahrweiler Zeitung, 17.Juni 1891)
Die Ergebnisse der Wettrennen sind im Originalbericht beigefügt. Umfang der Teilnehmerliste und Klassifizierung nötigen noch heute großen Respekt ab!
...von allen Seiten strömen Sportsleute herbei
Die Radrennbahn in Neuenahr war sicherlich
nicht das, aber auf jeden Fall ein Mekka des Radrennsports im Rheinland. Der
Verein organisierte jährlich mehrere Wettrennen, an denen weithin bekannte
Velocipedfahrer teilnahmen. Hochrad- und Niederradrennen in verschiedenen
Klassen wurden durchgeführt. Immer gab es begleitende Festveranstaltungen und es
wurden vor allem Radfahrer-Corsos mit geschmückten Rädern zwischen beiden Orten
Ahrweiler und Neuenahr durchgeführt. Selbstverständlich nahmen an den
Wettfahrten keine Damen teil. Diese fuhren höchstens als schmückendes Beiwerk im
Corso mit.
Wie erinnerlich hatte sich der Gründungsaufruf von 1890 ja auch nur an die
Herren Radfahrer gerichtet! Und dennoch stifteten die Damen Neuenahrs schon mal
100 Mark für den ersten Corsopreis! Sie kannten es ja damals nicht anders. Sie
werden sich sicherlich auch im Saale Broicher bei der Vorfeier zum 6.
Stiftungsfest über die Darbietung der „Original-Posse in 2 Bildern“ mit dem
Titel „Die kaltgestellten Frauen“ herzlich amüsiert haben.
Trotz der vielen Aktivitäten und des großen Renommees, das er sich erworben hatte, geriet der Verein Ende der 1890er Jahre in Liquidation. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt.
Am 16. Januar 1900 versteigerte er einige Objekte: 20 wertvolle Preise, 1 Hektograph, 1 steinere Walze, ca. 1000 Quadratmeter Bretter-Umzäunung, 1 Holztribüne mit Bedachung und Bänken, 1 Bretterbude, mehrere Fahnen und dergl.
Bald beginnt hier die Anlegung eines Volksgartens mit einem großen Wegenetz – dem heutigen Kaiserin-Auguste-Viktoria-Park. Die Zeitung notiert im Dezember 1902: „Es ist staunenswerth, welche Umwandlung der ‚Sportplatz’ seligen Andenkens in der kurzen Zeit erfahren hat.“
Wenn wir heute Scharen stromlinienförmig gekleideter Pedalritter auf Hochleistungsmaschinen durch die Gegend kurven sehen, dann dürfte es interessant sein zu erfahren, dass 1896 ein Mitglied des Radfahrer-Vereins mit seinem Gefährt von morgens 7 Uhr bis abends 19 Uhr eine Strecke von 273 Kilometer zurücklegte. Er startete in Neuenahr und fuhr über Bonn, Köln, Opladen, Duisburg, Essen, Bochum, Hörde, Unna, Soest nach Lippstadt-Wiedenbrück!. Da bleibt dem Schreiber der Meldung die Spucke weg: Welch schnelles Beförderungsmittel doch unser modernes Zweirad ist.
Der Radweg an der Ahr entlang ist ein Paradies für Radfahrer (2005).