Die Namenswahl der Juden in der Mairie Niederbreisig anno 1808
Edikt Napoleons zwang Juden zu grundlegender Reform
Hans Kleinpass
Die Geschichte der Juden im ehemaligen „Ländchen Breisig“ reicht weit in die Jahrhunderte zurück. Von einer ursprünglich zweifellos größeren Zahl jüdischer Grabsteine sind 30 Grabmale aus dem Zeitraum 1621 bis 1861 auf dem alten jüdischen Waldfriedhof unterhalb der Burg Rheineck erhalten geblieben. Eine gut bebilderte Dokumentation von 1983 enthält neben einer Beschreibung dieser historischen Grabmale auch interessante Angaben zur Geschichte der Juden in Breisig.1)
Ehemaliges „Ländchen Breisig“
Rund 900 Jahre lang hatten aufgrund einer alten Schenkung die Fürst-Äbtissinnen des adligen Damenstifts Essen im ehemaligen „Ländchen Breisig“ die Herrschaft ausgeübt. Wie etwa die Kölner Kurfürsten so erließen seinerzeit auch die Essener Äbtissinnen für ihren Herrschaftsbereich so genannte „Judenordnungen“ und stellten ihren jüdischen Untertanen persönliche „Geleitbriefe“ aus, in denen Rechte und Pflichten der Juden ausführlich beschrieben waren. In der Fürstlich-Essendischen Judenordnung vom 25. Januar 1695 hieß es einleitend, es solle „...kein Jud oder Jüdin ohne Unser...Gleydt sich in unseres Stifft Stätten und Landen mit häußlicher Wohnung...niederlassen...“2)
Französische Revolution
Die Französische Revolution und die zeitweilige
Besetzung linksrheinischer Gebiete durch die Franzosen führten Ende des 18. /
Anfang des 19. Jahrhunderts hier zu zahlreichen Veränderungen, die sich
teilweise bis in die heutige Zeit auswirken und von denen auch die damals in
Breisig lebenden Juden nicht verschont blieben. Als die ersten französischen
Söldner am 21. Oktober 1794 in Breisig einrückten, begann auch hier gleichsam
eine neue Zeit. Die Menge der Gesetze, Dekrete, Edikte und sonstiger
Vorschriften, die ab 1794 in rund zwei Jahrzehnten von den Franzosen für die
linksrheinisch besetzten Gebiete erlassen wurden, füllt Bände.
Zunächst herrschte hier ein großer Verwaltungs-Wirrwarr, weil eine
Verwaltungs-Organisation die andere ablöste. Ziel der Franzosen war damals
zunächst die schnelle wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten Gebiete.
Plötzlich gab es hier unliebsame Einquartierungen, Beschlagnahmungen, hohe
Kontributionsforderungen und nicht zuletzt auch einen gewaltigen und planlosen
Raubbau in den Waldungen. Gleich nach der Besetzung führten die Franzosen hier
wertloses Papiergeld ein, die so genannten „Assignaten“ und vergrößerten damit
die Not der Bevölkerung, die den Repressalien der Besatzung hilflos ausgeliefert
war. Als am 19. Germinal VI (= 8. 4. 1798) auch in Niederbreisig ein so
genannter „Freiheitsbaum“ aufgestellt wurde, musste die Gemeinde für dieses
Schauspiel 22 Reichstaler 26 Stüber zahlen.3)
Neue Verwaltungs-Organisation
Im Zuge der Neuorganisation teilten die Franzosen 1798 das linksrheinisch besetzte Gebiet in vier Departements ein: Roerdepartement (Zentrale in Aachen), Rhein-Mosel-Departement (Zentrale in Koblenz), Saardepartement (Zentrale in Trier), Departement Donnersberg (Zentrale in Mainz). Jedes Departement war in mehrere Arrondissements (Bezirke) eingeteilt, die jeweils eine Reihe von Kantonen umfassten. Die 1800 von den Franzosen errichtete Mairie (Bürgermeisterei) Niederbreisig gehörte seinerzeit zum Kanton Andernach im Arrondissement Koblenz und damit zum Rhein-Mosel-Departement. Offensichtlich hatten die Franzosen damals gehofft, mit der Annexion des linksrheinischen Gebietes endlich ihren alten Wunschtraum erfüllt zu sehen, den selbst Ludwig XIV. in seinen Raubkriegen vergeblich geträumt hatte.
Im Frieden von Lunéville (9. 2. 1801), der die französischen Revolutionskriege abschloss, wurden die vier rheinischen Departements an Frankreich abgetreten. Die hiesigen Einwohner einschließlich der hier ansässigen Juden waren damit französische Staatsbürger geworden und blieben es mit allen Rechten und Pflichten, bis 1814 die Herrschaft Napoleons hier ein Ende fand.
Der französische Kalender
Auf wenig Begeisterung stieß hier 1798 die von den Franzosen erzwungene Umstellung auf den französischen republikanischen Kalender, der in Frankreich bereits durch Konventsdekret vom 5. 10. 1793 eingeführt worden war. Dieser völlig neue Kalender, dessen Jahr I mit dem 1. Vendémiaire I (= 22. 9. 1792) begonnen hatte, setzte sich schließlich doch nicht durch und hatte Ende 1805 glücklich ausgedient. Das letzte Jahr XIV, ein Rumpfjahr, hatte am 1. Vendémiaire XIV (= 23. 9. 1805) begonnen und endete am 10. Nivôse XIV (= 31. 12. 1805). Gemäß Dekret Napoleons I. vom 9. 9. 1805 galt ab 1. 1. 1806 wieder der alte Gregorianische Kalender.
Die „Säkularisation“
Durch die von den Franzosen betriebene „Säkularisation“ wurden 1802 alle linksrheinischen Klöster, Stifte und Ordenseinrichtungen der kath. Kirche aufgehoben, ersatzlos enteignet und zum französischen Staatseigentum erklärt, später nach und nach zum Besten der französischen Staatskasse öffentlich versteigert.4) Durch die „Säkularisation“ verlor 1802 auch das Stift Essen seine Macht und seinen gesamten Besitz im ehemaligen „Ländchen Breisig“. Die letzte Äbtissin von Essen, Prinzessin Maria Kunigunda, eine Tochter des Kurfürsten Friedrich August von Sachsen und eine Schwester des letzten Trierer Kurfürsten Klemens Wenzeslaus, floh nach Dresden, wo sie am 8. 4. 1826 im Alter von 86 Jahren starb. Am 8. 5. 1826 fanden in Breisig noch Exequien für sie statt.5)
Einrichtung der Standesämter
Eine der damals von den Franzosen geschaffenen Einrichtungen blieb uns in Form der Standesämter bis heute erhalten. Durch Verordnung vom 12. Floréal VI (= 1. 5. 1798) wurde das französische Personenstandsgesetz vom 20. 9. 1792 im Lauf des Jahres 1798 auch in den vier linksrheinischen Departements eingeführt. Seitdem gibt es linksrheinisch die Standesämter, und seit dieser Zeit hat die standesamtliche Beurkundung der Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle unbedingten Vorrang vor einer Eintragung in die Kirchenbücher.
Mit Einrichtung der Standesämter waren nun auch die Juden hier seit 1798 gesetzlich verpflichtet, ihre Personenstandsfälle beim zuständigen Standesamt beurkunden zu lassen. Ein Jahrzehnt lang konnten die Juden damals ihre seit Jahrhunderten zur Tradition gewordene Namensregelung noch beibehalten. Die Standesbeamten hatten allerdings damit vor allem deswegen große Probleme, weil die Familiennamen der Juden früher von Generation zu Generation wechselten. Seit Jahrhunderten hatten die Kinder nach uralter jüdischer Tradition in der Regel den Vornamen des Vaters als Familiennamen erhalten. Auf diese Weise gab es früher bei den Juden keine über Generationen hinweg gleichbleibenden und damit auch vererblichen Familiennamen. Bei den Männern kam es infolgedessen nicht selten vor, dass Vor- und Familiennamen gleichlautend waren (z. B.: David DAVID, Levi LEVI oder Hermann HERMANN).
Dekret vom 20. Juli 1808
Im Jahre 1808 machte ein Dekret Napoleons vom 20. 7. 18086) diesem verwirrenden Zustand ein Ende und führte hinsichtlich der jüdischen Namensgebung zu einer ebenso grundlegenden wie dauerhaften Reform. Dieses Dekret verpflichtete alle hier ansässigen Juden, innerhalb von drei Monaten nach seiner Bekanntgabe vor dem Standesbeamten ihrer Wohnsitzgemeinde zu erklären, welche Vor- und Familiennamen sie künftig zu führen gedachten. Für die Kinder hatten in der Regel die Väter die entsprechenden Erklärungen abzugeben. Sowohl ein Namenswechsel wie auch die Beibehaltung der alten Namen mussten zur Niederschrift erklärt werden. Von Generation zu Generation wechselnde Familiennamen gab es damit seit 1808 bei den linksrheinisch ansässigen Juden nicht mehr.
Beurkundung der Namenswahl
Die Erklärungen über die Namenswahl der Juden wurden 1808 in der damals hier geltenden französischen Amtssprache niedergeschrieben, und zwar zeitgleich in zweifacher Ausfertigung. Eigens zu diesem Zweck wurden für jede Bürgermeisterei zwei getrennte „Register“ angelegt. Die Registerblätter für die Bürgermeisterei Niederbreisig wurden vom damaligen Tribunalgericht erster Instanz in Koblenz geliefert, bestanden aus je fünf großen Doppelbogen (S. 1 - 10), die gestempelt und mit Seitenzahlen versehen waren.
Eines dieser französisch geschriebenen Register von 1808 befindet sich in der Regel auch heute noch beim örtlich zuständigen Standesamt. Für die vorliegende Arbeit wurde das im Landeshauptarchiv Koblenz aufbewahrte Exemplar des Registers der Bürgermeisterei Niederbreisig benutzt.7) Es trägt die Aufschrift: Mairie Niederbreisig. Régistre destiné à recevoir les déclarations des Juifs sur la mutation de leurs Noms et Prénoms conformément au Décret Impérial du 20 Juillet 1808. Ein kurzer Einleitungs-Text, der Sinn und Zweck dieses Registers erläutert, wurde geschrieben am 6. 10. 1808 in Koblenz und unterschrieben von Michel Jacques MICHELET, damals: Président du Tribunal de première Instance à Coblenz (Präsident des Tribunals erster Instanz in Koblenz).
Für die einzelnen Erklärungen zur Namenswahl der Juden war seinerzeit ein einheitlicher Rahmentext vorgegeben. Die zweifachen Niederschriften waren jeweils vom Erklärenden und vom Standesbeamten zu unterschreiben, womit mancher der Juden allerdings seine Schwierigkeiten hatte.
Im Jahre 1808 gab es nach dem Register über die Namenswahl der Juden in der damaligen Bürgermeisterei Niederbreisig einschließlich der Minderjährigen insgesamt 30 jüdische Einwohner, die alle in Niederbreisig wohnten. In der folgenden Auswertung des Koblenzer Registers von 1808 ist jeweils mit seinen bisherigen Namen angegeben, wer die betreffende Erklärung (ggf. für wen) abgab und für welche Namen man sich dann letztlich entschied. Die teilweise in eckigen Klammern eingesetzten Geburtsdaten wurden vom Verfasser nach den jeweiligen Altersangaben errechnet. Bei den Angaben zu Nr. 1 - 30 sind jeweils am Schluss nach dem Doppelpunkt die künftig geltenden Vor- und Familiennamen der betreffenden Personen aufgeführt.
Die Namenswahl 1808 in Niederbreisig:
Die insgesamt 30 Erklärungen wurden abgegeben von elf Männern und neun Frauen, dazu für fünf Jungen und fünf Mädchen. Nur acht Männer (vgl. Nrn. 1 - 8, 10, 12 - 14, 16 und 20) und eine Frau (vgl. Nr. 9) waren in der Lage, ihre Erklärung zu unterschreiben, und zwar alle mit ihrem alten Namen. Die übrigen Erschienenen erklärten, nicht schreiben bzw. unterschreiben zu können (ne savoir écrire / ne savoir signer). Bei der Namenswahl im Jahre 1808 entschieden sich die Breisiger Juden mehrheitlich für einen Namenswechsel. Nur in zwei Fällen wurden die alten Vornamen beibehalten, während für 28 Personen neue Vornamen gewählt wurden. Sieben Personen blieben bei ihren alten Familiennamen, während 23 sich für neue Familiennamen entschieden. Nur der jüdische Schullehrer Lambert SCHWEITZER (vgl. Nr. 20) behielt als einziger seine alten Vor- und Familiennamen bei.
Wenn man bedenkt, dass Präsident MICHELET in Koblenz den einleitenden Text zu diesem Register am 6. 10. 1808 niederschrieb, so ist es doch mehr als beachtlich, dass Bürgermeister KEIFFENHEIM in Niederbreisig bereits drei Tage später mit den ersten Eintragungen in dieses Register begann. Es muss damals einen hervorragenden Kurierdienst gegeben haben. Beurkundet wurden die Erklärungen Nr. 1 - 3 am 9. 10. 1808, Nr. 4 - 15 am 11. 10. 1808, Nr. 16 - 30 am 12. 10. 1808. Am 1. 12. 1808 schloss der Bürgermeister das sehr sauber und ordentlich geführte Register, erstellte dazu noch eine alphabetische Namensliste mit Hinweis auf die entsprechenden Nummern des Registers. Bürgermeister KEIFFENHEIM8) muss überhaupt ein sehr fähiger und tüchtiger Mann gewesen sein. Lobende Erwähnung fanden seine intensiven Bemühungen um ein gutes und geordnetes Schulwesen. Bürgermeister KEIFFENHEIM verfasste nicht nur ein eingehendes Schulreglement, sondern behielt sich auch die Wahl der Schulbücher vor und ließ sich in den ersten zehn Tagen eines jeden Monats von den Lehrern über den Fortschritt und das Betragen sämtlicher Schulkinder berichten.9)
Eine interessante Aufgabe wäre es, das weitere Schicksal der 1808 im Zusammenhang mit der Namenswahl erwähnten Breisiger Juden zu erforschen, was hier an drei Beispielen ansatzweise versucht werden soll. Der im Register von 1808 unter Nr. 6) genannte Philipp(e) MAYER, * 11. 5. 1801 in Niederbreisig, später Metzger, heiratete am 1. 5. 1832 die Caroline KOPPEL (* 23. 4. 1800 in Bornheim, dort † 26. 7. 1888). Philipp MAYER selbst starb bereits am 30. 5. 1869 in Bornheim, wo auf dem jüdischen Friedhof sein Grabstein noch erhalten ist.10)
Ein besonderes Amt erhielt Joseph GUTMANN von Breisig, als 1812 zur Aufsicht über die jüdischen Synagogen für die Kantone des Rhein-Mosel Departements besondere Kommissare („commissaires-surveillans“) bestellt wurden. Die betreffenden Personen waren vom Israelitischen Konsistorium des Departements benannt worden, hatten zudem auch die Zustimmung der französischen Obrigkeit gefunden. Mit Rundschreiben („Circulaire...“) vom 20. 11. 1812 teilte der damalige Präfekt des französischen Rhein-Mosel-Departements, J. DOAZAN, den Unterpräfekten und Bürgermeistern die Namen und den Zuständigkeitsbereich der bestellten Kommissare mit.11) Für den Kanton Andernach mit den Synagogen von Breisig, Kruft, Nickenich und Saftig wurde damals Joseph GUTMANN von Breisig als Überwachungs-Kommissar bestellt. In dem hier behandelten Register von 1808 erscheint er unter Nr. 10 und müsste 1812 etwa 72 Jahre alt gewesen sein. Diese Kommissare hatten für ihren Zuständigkeitsbereich den Schriftwechsel mit dem Israelitischen Konsistorium zu führen, Berichte zu liefern und Anfragen zu beantworten. In den Synagogen ihres Bereichs sollten sie den dort Verantwortlichen („commissaires particuliers“) helfen, die Ordnung in den Synagogen und den ungestörten Gottesdienst sicherzustellen. Schließlich sollten sie jene Personen melden, die dort ihre Aufgaben vernachlässigten. Abschließend betonte der Präfekt in seinem Rundschreiben, die Bestellung der Überwachungs-Kommissare habe einen nützlichen Zweck, und es sei deshalb wichtig, sie mit aller Autorität zu schützen und ihnen im Bedarfsfall bei der Erfüllung ihrer Aufgaben behilflich zu sein.
Einen interessanten Beitrag lieferte Carl Bertram HOMMEN im Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1989 / S. 50 - 56 unter dem Titel: „Julius und Alfred Berger - zwei führende Zionisten aus Breisig. Wiederherstellung des Rheinecker Waldfriedhofs ließ Nachfahren in Israel entdecken.“ Hommen stellt dabei einen Zusammenhang her zur „Witwe Gudula des Breisiger Synagogenvorstehers Joseph David GUTMANN, Tochter der Eheleute Theodor BERGER und Rosalie geb. FRÖHLICH aus Niederzissen,“ die laut Hommen 1853 den aus Niederbieber stammenden Salomon LAZARUS geheiratet haben soll. Vergleicht man jedoch die Angaben Hommens mit den Altersangaben unter den Nrn. 10/11 des Namensregisters von 1808, so erscheint die Familienforschung bei Hommen im Zeitraum 1808 - 1853 lückenhaft, die Generationenfolge nicht bewiesen. Unabhängig davon gibt Hommen in Anmerkung 6) abweichend das Jahr 1893 (statt 1853) an, nennt in Anmerkung 12) als Sterbejahr 1971, während dazu im Text (S. 56) 1963 als Sterbejahr angegeben wird.
Laut Bevölkerungsstatistik gab es am 16. Juni 1933 im Amt Niederbreisig noch zehn Juden, bis dann rund fünf Jahre später auch die letzten Juden Breisig verließen und hier die schrecklichen Ereignisse der so genannten „Reichskristallnacht“ zum Glück nicht mehr erlebten. Am 5. Juni 1938 meldete das Koblenzer Nationalblatt im typischen NS-Jargon: „Niederbreisig von Juden frei ! In diesen Tagen wandert die letzte hier wohnhafte jüdische Familie, die hier eine jüdische Fremdenpension betrieb, nach Amerika aus. Damit verschwindet der letzte ansässige Jude aus Niederbreisig...“12)
Anmerkungen: