Der letzte Aalschokker
„Katharina“ sitzt im Altenteil auf dem Brohler Rheinufer
Hildegard Ginzler
Von der B 9 aus zu sehen, liegt in den Wiesen des Brohler Rheinufers seit dem Frühjahr 2004 ein Denkmal der Rheinfischerei: der letzte Aalschokker, genannt „Katharina“ nach der zweiten Ehefrau des Fischermeisters August Friedrich.
Nostalgischer Hingucker
Das proper rot-weiß-schwarz gestrichene Schiff sollte schon auf den Schrottplatz, da wurde es vom eigens gegründeten Kulturverein „Katharina“ gerettet, der es in mühsamer Kleinarbeit restaurierte. Was heute als nostalgischer Hingucker taugt, war früher kein so seltener Anblick. Der Maler Josef Krahforst (1904 – 1965) nahm in seinem Heimatort Brohl gerne den Hafen vor dem düsteren Massiv des Hammersteins unter den Pinsel. Mal waren dort die großen Verladekräne zu sehen und nicht selten auch ein oder mehrere Aalschokker. Die „Katharina“ erinnert natürlich in erster Linie an den beruflichen Fischfang, aber darüber hinaus auch an den Hafen als einst geschäftigen Verladeort von Trass und Tuff aus dem Brohltal. Bei der nur wenige Häuser umfassenden Siedlung Fornich sah der Koblenzer Gymnasiallehrer Josef Gregor Lang 1790 „die in Haufen da aufgelagerten Tuffsteine“ und kam zum benachbarten „Dorfe Brohl, wo dieses Produkt in noch größerer Menge aufgehäufet lag und wo ich am Rhein Reihen von arbeitenden Menschen gewahr wurde, die sich mit dem Zutragen der Tuffsteine ihren Unterhalt verschafften“.1) Lang glaubte sie „fröhlich“ bei der Arbeit und erwähnt besonders wohlwollend „die munteren Trägerinnen, die mit ihren Körben auf dem Kopfe die angestemmten Schiffsdielen auf- und abliefen“.
Lange Tradition der Schifffahrt
Der auf dem Trockenen liegende Aalschokker mag auch die Gedanken auf Generationen von Rheinschiffern lenken. Carl Bertram Hommen, der Kenner des „Breisiger Ländchens“ spricht für Breisig und Brohl von einer langen Tradition der Schifffahrt. Die ältesten Schriftzeugnisse, das früheste von 1367, weisen auf die Breisiger Rheinfähre hin. Im 16. Jahrhundert sollen Breisiger Schiffer mit Nachen oder Segelschiffen stromauf und stromab gefahren sein. 21 Schiffer lebten 1806 in Breisig, davon sechs Partikulierschiffer mit Schiffen von mehr als 100 Zentnern Tragfähigkeit, während die übrigen per Nachen Getreide, Wein, Holz und Steine im Gesamtgewicht von 20 bis 60 Zentnern auf kurzen Distanzen transportierten. Von Brohler Schiffern hatten 1813 „Bernhard Nonn einen 400-Zentner-Kahn, Johann Hommen drei Kähne von 90, 30 und 18 Zentnern Last und Wilhelm Michels zwei Kähne von 25 Zentnern“, die jedoch mit Trass, Tuff, Wein und Wasser meist nur zwischen Köln und Mainz zum Einsatz kamen. Sieben in Brohl und Fornich registrierte Kähne dienten dem Fährbetrieb nach Rheinbrohl und Hammerstein. Mit der sich im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts mehr und mehr durchsetzenden Dampfschifffahrt konnten die herkömmlichen Schiffe, die stromabwärts segelten, stromaufwärts mühsam und nicht ohne Gefahr von Pferden gezogen wurden, nicht konkurrieren.
Brohl damals: Die ideale Lage für den Rheinfischfang
Davon unberührt blieb indes der gewerbliche Fischfang. Um 1900 lockte der angesehene Berufsstand den Andernacher August Friedrich nach Brohl, wo er in der Koblenzer Straße vom Vorbesitzer Zenner ein Haus als Lebens- und Geschäftsstützpunkt erwarb und dazu ein angrenzendes Grundstück, auf dem er das Haus vergrößerte. „Die Lage, vor dem B 9-Ausbau direkt am Rhein, war ideal“, sagt Marion Nonn, Tochter des letzten Brohler Aalfängers. In den 1920ern entwickelte sich die Schokkerfischerei zur wichtigsten Fangmethode gewerblichen Fischfangs. Friedrich legte sich mit der Zeit ein ganzes Dutzend Aalschocker zu. 1922 beauftragte er eine Werft bei Speyer die 17 Meter lange „Katharina“ zu bauen – zwei Meter länger als die größten der üblichen Holländischen Schokker. Diese Schiffe ohne eigenen Antrieb werden ins Fanggebiet geschleppt und dort verankert. Wie für den Flussaalfang typisch, benutzt man einen Ankerkuil, ein 25 Meter langes, 10 Meter breites und 6 Meter tiefes Netz. Es wird auf der Steuerbordseite des Schokkers mit seiner Öffnung gegen den Strom zwischen zwei Balken ausgelegt und mit Ankern stationiert.
Vom Kulturverein gerettet: Das proper sanierte Schiff „Katharina“ auf dem Brohler Rheinufer
Von Schokker zu Schokker den Fang einsammeln
Um die Fischerei auszuüben, hatte Friedrich den Rhein von Bad Breisig bis Namedy und Ariendorf gepachtet. Dort, dazu in Andernach und Brohl, bei Fornich und an der Insel Hammerstein, lagen seine Schokker. „Gefangen wurde jeweils nachts von April bis Jahresende, jedenfalls bis Frosteinbruch“, weiß Marion Nonn. „Der Vater fuhr im eigenen Motorboot mit Kapitän von Schokker zu Schokker und sammelte den Fang ein, überwiegend Aale, manchmal auch Barsche, Rotaugen, Zander und Barben, mal ein Hecht, ganz selten Lachs“. Er brauchte einen Kapitän, weil er wohl selbst kein Schifferpatent besaß. Nonn glaubt, dass er auch keinen Führerschein hatte, denn ihr Vater ließ sich stets von einem Chauffeur mit dem Auto fahren. Auf den Schokkern beschäftigte er sechs, sieben Kräfte aus Holland, gelegentlich auch aus Hamburg: „Die wohnten das ganze Jahr über in dem Häuschen hinter unserem Haus. Nur zu Weihnachten oder wenn sie Urlaub hatten, fuhren sie nach Hause. Im Winter flickten sie Netze“. Den Fischverkauf im Hof und die Räucherei übernahm Katharina Friedrich. Tochter Marion half beim Verkauf. Doch mit dem Hauptfang belieferte man Großabnehmer, die Firma Ubber in Worringen und die Koblenzer Firma Briech mit Geschäftsführer Peter Altmeier, später der erste Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.
„Backfisch“ Marion Nonn auf dem Aalschokker „Katherina“, Foto vom 23. Juni 1954
Die Letzte von Zwölfen: „Katharina“
1939 wird zum Schicksalsjahr für die Familie des Fischermeisters. Tochter Marion kommt zur Welt und einer ihrer wehrfähigen Halbbrüder fällt im Krieg. 1940 stirbt auch Friedrichs zweiter Sohn. Zum Leid kommt der finanzielle Einbruch. Durch Beschuss auf dem Rhein büßt das bis Kriegsbeginn florierende Unternehmen Friedrich nach und nach seine Aalschokker und das Motorboot ein. Zu Kriegsende ist nur noch eines der Fangschiffe erhalten geblieben, die „Katharina“. „Einen Lastenausgleich hat es nicht gegeben“, so Marion Nonn. Die Eltern behelfen sich, indem sie Fisch dazukaufen und gewinnbringend in einem „Aalstübchen“ am Rhein weiterverkaufen. Noch schwerere Zeiten brechen für das erst 11-Jährige und ihre Mutter an, als August Friedrich 1951 stirbt. Die Witwe verpachtet die „Katharina“ bis 1964 und betreibt weiter den Fischverkauf im Hof. Als sich dies nicht mehr rentiert, verkauft sie den Schokker, der 1965 im Brohler Hafen gesunken war, an den Uhrmacher Walter-Friedrich Schmidt aus Andernach. Der baute ihn innen aus und nutzte ihn 40 Jahre lang an einem schönen Liegeplatz bei der Insel Hammerstein als Freizeit- und Ferienschiff.
Seltener Fang: Katharina Friedrich zerlegt im Hof einen kapitalen Salm.
„Katharina“ soll Brohl beleben
Kurz vor ihrer geplanten Ausmusterung sank die
bei Sturm leck geschlagene „Katharina“ im Frühjahr 2004. Ausgepumpt erreichte
sie in riskanter Schleppfahrt den Brohler Hafen. Der Verschrottung entging sie
nur, weil Hans-Joachim Boltersdorf, Vorsitzender das Brohler „Vereins zur
Förderung der Rheinanlagen, des Kulturlebens und der Industriegeschichte von
Brohl“, kurz Kulturverein „Katharina“ (damals in Gründung), sie kurz vor dem
Schneidbrenner aufkaufte. Vor Ort mussten die Fundamente für die hohe Last
ausgelegt werden. Eckart Bohrmann war einer der engagierten Bürger, die in
zahlreichen Arbeitsstunden dem Rost zu Leibe rückten, dem Schiff zum
ansehnlichen neuen Farbkleid verhalfen und die Deckaufbauten wieder wie zu
Zeiten des aktiven Fischfangs herstellten.
In der Instandsetzung und Aufstellung am Rhein sah der Verein einen ersten
Impuls zur Belebung Brohls und Stärkung seiner Vorzüge. „Wir möchten Brohl zu
einem Industrieort mit Charme transformieren“, lautete Boltersdorfs Leitidee.
Zum Auftakt wurde ein aufwändig vorbereitetes und von ungewöhnlich vielen
Programmpunkten getragenes Aalschokkerfest inszeniert. Leider blieb dem
dreitägigen Erlebnis (20. bis 22. Mai 2004) der erwartete Besucherandrang
versagt. Dabei wäre es dem Tor zum Brohltal zu wünschen, nicht nur eine Schleuse
zu den vulkanischen Sehenswürdigkeiten und zum Laacher See zu sein, sondern
selbst attraktiver Haltepunkt, wie einst zur Zeit der Rheinromantik. 1806
beispielsweise schrieb der Würzburger Universitätsprofessor Klebe in seinem Buch
„Reisen durch die teutschen und französischen Rheinländer nach Aachen und Spaa“
über Brohl: „Die freundliche Lage dieses Dorfes am Ufer in einer der schönsten
Rheinlandschaften und die naturhistorischen Merkwürdigkeiten in seiner Nähe
machen es der Aufmerksamkeit jedes Reisenden würdig“.
Quellen: