Das „Schwabenkreuz im Beerenwinkel“ bei Wassenach
Fritz Mangartz
Die vulkanische Osteifel ist trotz aller Diebstähle der vergangenen Jahrzehnte immer noch reich an steinernen Wegekreuzen, welche fast alle aus dauerhafter Basaltlava geschaffen wurden. Hier bei uns sind – anders als in den meisten Gegenden Deutschlands – eine große Anzahl barocker, ja sogar eine handvoll spätmittelalterlicher Kreuze erhalten. In Gegenden, wo man weicheren Stein oder Holz zur Herstellung der Kreuze verwendete, findet man heute weit weniger dieser alten Zeichen der Volksfrömmigkeit. Viele der Eifeler Wegekreuze erzählen ihre Geschichte selbst: Häufig geben eingehauene Inschriften dem geduldigen Leser Auskunft über Stifter, Anlass und Datum der Kreuzstiftung. Manche der steinernen Denkmäler besitzen zwar keine Inschriften, man kennt jedoch wenigstens deren Funktion. Dies ist etwa bei den sogenannten „Schöpflöffeln“ der Fall, steinernen Bildstöcken mit im Oberteil eingearbeiteten Nischen. In diesen Nischen fand das Allerheiligste seinen Platz, wenn es z.
B. auf Flurprozessionen mitgeführt worden ist. Dann gibt es aber auch eine große Anzahl von Kreuzen, die aus sich heraus keine Auskunft geben über den Grund ihrer Errichtung. Eines dieser Kreuze, von denen nur noch wenige Menschen Näheres wissen, ist das „Schwabenkreuz im Beerenwinkel“. Es befindet sich auf Wassenacher Gemarkung im Südhang des Gleeser Bachtals. Am nächsten liegt dieses Kreuz zu Burgbrohl, und zu diesem Ort hat es auch seine deutlichsten Verbindungen. Man erreicht es nur zu Fuß und am schnellsten vom Burgbrohler Schützenplatz über den Weg, welcher sich oberhalb der Degensmühle Richtung Glees durch die Blockfelder der Mauerley zieht. Nach einem knappen Kilometer verlassen wir diesen Weg und wenden uns schräg zurück, bergauf nach Wassenach. Das „Schwabenkreuz“ liegt zwar versteckt, fällt dann aber durch sein Material und seinen Standort ins Auge. Kurz bevor uns der Weg aus dem Wald heraus über die Feldflur führt, leuchtet in einer natürlichen Nische des dunklen Basaltgesteins der Mauerley das kleine weiße Marmorkreuz. Keine Inschrift und auch kein sonstiger Hinweis kann dem Besucher vor Ort sagen, warum und durch wen dieses Kreuz aufgestellt wurde. Ich bin selber schon viele Male am „Schwabenkreuz“ vorbeimarschiert, ohne auch nur seinen Namen gewusst zu haben. Selbst in Wassenach und Burgbrohl wusste zunächst niemand Genaueres über das Kreuz. Nach einiger Zeit hatten Nachfragen aber Erfolg.1) Das Kreuz wurde in den 1930er Jahren von Albert Ott aufgestellt. Er war Teilhaber der Firma Heuft & Ott, Lebensmittelgroßhandel und Kaffeerösterei in Burgbrohl. Unter der Woche betrieb er sein Burgbrohler Geschäft, an den Wochenenden hielt er sich meist in Bonn auf, denn dort wohnte seine Frau. Albert Ott stammte aus Schwaben, daher kommt wohl der Name „Schwabenkreuz“. Die Bezeichnung im „Beerenwinkel“ mag von dort wachsenden Waldfrüchten herrühren. Allerdings wachsen dort heute nicht mehr und nicht weniger Beeren als anderswo, auch handelt es sich nicht um einen offiziellen Flurnamen. Es ist nicht bekannt, dass Albert Ott spezielle religiöse Gründe für die Errichtung des Kreuzes gehabt hätte. Da er evangelisch war, wird er sich vielleicht auch der katholischen Eifeler Landbevölkerung in dieser Hinsicht nicht offenbart haben: Die bis vor einigen Jahrzehnten auftretenden Schwierigkeiten zwischen den Konfessionen sind ja noch vielen bekannt. Abseits dieser blanken Vermutung war Albert Ott sicher ein Sonderling: Eine Zeit lang bewohnte er den kleinen barocken Weinbergstempel unterhalb der Propstei Buchholz. Dort hatte er weder ordentlichen Wohnraum, noch Strom oder Wasser. Das Wasser „zum Kaffeekochen“ habe er sich immer von der Degensmühle beschafft. Der Weinbergstempel liegt genau gegenüber des „Schwabenkreuzes“ auf der anderen Seite des Gleeser Bachtales. Vom „Schwabenkreuz“ aus kann man ihn heute noch mit einiger Mühe sehen, am ehesten im Winter, wenn die Bäume kein Laub tragen. Möglicherweise war die Sichtverbindung zwischen beiden Stellen vor 70 Jahren besser, sodass Albert Ott von seiner Behausung im Weinbergstempel aus die Felswand der Mauerley sehen konnte. Ein wie auch immer geartetes romantisches oder religiöses Gefühl mag ihn dann veranlasst haben, gegenüber seinem Domizil auf der anderen Talseite das weiße Marmorkreuz zu errichten. Während der nationalsozialistischen Herrschaft soll das „Schwabenkreuz“ für Gläubige um den Kaplan Hansen ein idyllischer Rückzugsort und somit eine Ausweichsmöglichkeit vor hakenkreuzgeschmückten Aufmärschen im Ort Burgbrohl gewesen sein. Die Firma Degen (Vorgängerin der Drogerie Stumpf in Burgbrohl) vertrieb eine selbst hergestellte Postkarte mit einer Schwarz-Weiß-Fotografie des Kreuzes mit der Aufschrift „Das Schwabenkreuz im Beerenwinkel“. Ende des 20. Jahrhunderts wurde das Kreuz durch den Burgbrohler Maurermeister Sieglohr (†) erneuert. Heute erinnert an der Mauerley nur noch das Kreuz selber an seinen Stifter Albert Ott aus dem Schwabenland.
Alte Postkarte mit dem Schwabenkreuz
Anmerkung:
Für die Hinweise zum „Schwabenkreuz“ habe ich Maria Gromke, Hedi Habermann und Heinz Friedsam aus Burgbrohl zu danken. Frau Gromke stellte auch die Postkarte zur Verfügung.