Der Kreuzweg zum Ahrweiler Calvarienberg
Heinz Schönewald
Über die Gründung des Ahrweiler Calvarienbergs 1440 sind wir durch die etwa 200 Jahre später begonnene Klosterchronik der Franziskaner informiert. Initiator der ersten kleinen Fachwerkkapelle war demnach „ein nach etwa 15 Jahren von einer Pilgerfahrt aus dem Heiligen Land zurückkommender Ritter"1). Über die Identität des Mannes können wir heute nur vage Vermutungen anstellen. Da Ahrweiler an keiner überregionalen Durchgangsstraße liegt, sind aber Beziehungen zur Stadt oder zum Ahrtal zu vermuten. In der damaligen kurkölnischen Stadt Ahrweiler waren seit dem Hochmittelalter mehrere rheinische Adelsfamilien begütert. Von einigen Mitgliedern der Familien wissen wir heute, dass sie auch als Pilger im Heiligen Land waren. So ein Graf von Blankenheim, auf den u. a. die Gründung des Calvarienbergs von Alendorf bei Blankenheim zurückgeht2), oder, gegen Ende des 15. Jahrhunderts, ein Ritter von Harff3).
Da sich Pilgerreisen in dieser frömmsten Zeit der christlichen Kirchengeschichte nur wenige leisten konnten, kam vielerorts in Europa der Gedanke auf, die Heiligen Stätten plastisch nachzubilden. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung dieser Idee kam dem Franziskanerorden zu. Seit 1332 betreute der Orden die meisten der christlichen Pilgerstätten im Heiligen Land. Bis 1481 war der Ordensbruder Bernardino Caimi in Jerusalem Kommissar der Pilgerstätten. Nach seiner Rückkehr in seine italienische Heimat begann der Franziskaner 1485 im Piemont mit dem Bau des Sacro Monte di Varallo.4) Caimi, auch Apostolischer Nuntius des Königs Ferdinand von Spanien und Beichtvater der Herzogin Beatrice d’Este, leitete den Bau der monumentalen Anlage in Varallo bis zu seinem Lebensende 14995).
Auch in Ahrweiler ist die Geschichte des Heiligen Berges eng mit den Franziskanern verknüpft. So hatte bereits der erwähnte Ritter im Jerusalemer Heilandskloster aus den Händen des Guardians der Minderbrüder den Orden des Heiligen Grabes empfangen6). Die von ihm festgestellten Ähnlichkeiten der topografischen Gegebenheiten mit Jerusalem inspirierten die Ahrweiler Bevölkerung auf dem „Kopp", der vormaligen Richtstätte, eine Kapelle zu errichten. Von 1630-1803 besiedelten Franziskaner von der strengeren Observanz (OFM) den Ahrweiler Heiligen Berg. Es handelte sich um Angehörige der 1491 durch Erzbischof Hermann IV. von Wied in der damaligen Landeshaupt- und Residenzstadt Brühl angesiedelten Ordensgemeinschaft7).
Auch zu den seit mehr als 160 Jahren auf dem Berg pädagogisch wirkenden Ursulinen schließt sich durch deren Ordensgründerin, Angela Merici (1474-1540), ein Kreis. Die Heilige Angela hat den bereits erwähnten Sacro Monte di Varallo mehrfach in ihrem Leben zu Pferd pilgernd besucht.
Der Sieben-Stationen-Kreuzweg
Während die Kreuzwege anfänglich teilweise nur einen Anfangs- und einen Endpunkt besaßen8), setzten sich rasch, basierend auf der Anzahl der römischen Stationskirchen9), Sieben-Stationen Kreuzwege durch.
Kreuzigungsgruppe
Heckmanns-Fischer beschreibt den Ahrweiler Calvarienberg mit seinen sieben in Stein ausgeführten Stationen als ältesten Kreuzweg des Rheinlands10). Ernst Kramer zitiert dies ebenfalls11).
Wie auch in anderen Städten, befand sich die 1. Station des Ahrweiler Kreuzwegs an einem Stadttor (Ahrtor). Die Stationen 2-6 säumten den Weg zum Calvarienberg. Die siebte Station, eine spätgotische Kreuzigungsgruppe aus Eiche, hing früher über dem Altar der alten Kapelle und ist heute in der Klosterkirche, bis auf die Figur der Maria Magdalena, erhalten.
Beim Gekreuzigten und beim Heiligen Johannes könnte es sich um eine Arbeit des Kölner
Bildhauermeisters und Stadtsteinmetzen Tilman von der Burch handeln, einem Stich des anonymen oberrheinischen Meisters E. S. folgend. Von der Burch ist von 1470 bis etwa 1510 an mehreren Kölner Kirchen, darunter dem Dom, St. Ursula und St. Andreas, sowie des Kölner Umlandes (Kloster Steinfeld, Kloster Marienstatt) nachweisbar. Die Figur der Muttergottes stammt wahrscheinlich aus einer anderen Werkstatt12).
Besondere Beachtung kommt einem heute im Museum der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler aufbewahrten, 220 cm hohen Kreuztragungsrelief „Veronika reicht Christus das Schweißtuch" zu; ebenfalls ein Stationsmotiv eines früheren Kreuzwegs. Während der untere 160x100 cm rechteckige Teil als Hochrelief gestaltet ist, trennt ein Schriftband das darüberliegende Flachrelief im Bogenfeld ab.
Kreuztragungsrelief „Veronika reicht Christus das Schweißtuch" von 1542 im Museum der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler
Im weiten Umkreis gibt es nur wenige Hochreliefs dieser künstlerischen Güte.
Die Arbeit wird dem im Ahrtal tätigen Fassmaler und Steinmetzen Jacob Abel zugeschrieben. Die Darstellung des Volkes ist der zeitgemäßen Renaissance-Mode angepasst (u. a. Landsknechte), während sich Jesus, Veronika, Maria und Maria Magdalena mit ihren biblischen Gewändern klar hiervon absetzen. Die fromme Veronika (griech. vera icon = wahres Abbild) ist als einziges Motiv der sieben Stationen nicht in den vier Evangelien erwähnt13) und behandelt vielmehr eine zeitbedingte Legende der Volksfrömmigkeit.
Das obere Flachrelief zeigt einen orientalischen Reiterzug mit Ochsenkarren14) vor einem Gebirge. Im Jahre 1989 beschloss der Rat der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler das Tuffstein-Relief von seinem damaligen Standort, dem Tordurchgang des Ahrtors, zwecks Restaurierung zu entfernen. Im Laufe der 1991 mit Mitteln des Landes Rheinland-Pfalz begonnenen Arbeiten wurde im Bogenscheitel des Eselsrückens unter mehreren Farb- und Schmutzschichten die Jahreszahl „1542" freigelegt. Alle Einzelfiguren des Reliefs wurden abgenommen und wieder richtig zusammengesetzt, da einige Teile bei früheren Renovierungsversuchen zusammenhanglos in das Relief eingesetzt worden waren. Zudem analysierte man einen Naturklebstoff, der mehrere Jahrhunderte überdauerte ohne hierbei die Reliefoberfläche anzugreifen. Nicht mehr vorhanden ist die RenaissanceStuckierung eines Stifterwappens15).
Dank der Reformation ist in Homberg/Efze heute ein vollständiger 7-Stationen-Kreuz- weg aus etwa der gleichen Entstehungszeit wie in Ahrweiler erhalten16) (Geißelung, Dornenkrönung, Verurteilung, Veronika, Simon von Cyrene, Kreuztragung und Golgotha).
Der Vierzehn-Stationen-Kreuzweg
Im 18. Jh. ließ der Franziskaner Leonhard von Porto-Mauricio (1676-1751) in Italien insgesamt 572 Kreuzwege errichten, den sicherlich bekanntesten 1750 am römischen Colosseum.
Alle vom später heiliggesprochenen Leonhard initiierten Kreuzwege hatten insgesamt 14 Stationen.
Allmählich entwickelte sich hier ein Trend, der an den Jerusalemer Kreuzweg angeglichen war.
Papst Clemens XII. erkannte 1731 die Anzahl von 14 Stationen durch die Verleihung mehrerer Ablässe rechtsgültig an. Bereits wenige Monate später, am 18. Mai 1732, fand die feierliche Grundsteinlegung der 1. Kreuzwegstation am Ahrweiler Ahrtor statt.
Bei der Form des Bildstocks handelt es sich um eine häufig anzutreffende Übergangsform vom Heiligenhäuschen mit flacher Figurennische (vgl. Hostein/Tschechien oder Romans/Frankreich) hin zur großen Stationskapelle (vgl. ital. Sacri Monti Crea, Vanallo und Orta) mit annähernd lebensgroßen Figuren.
Laut Beschluss des Stadtrates von Ahrweiler vom 24. Juli 1897 wurden zur Neuanlage der Auffahrt zum Kloster einige städtische Parzellen veräußert bzw. mit dem Kloster Calvarienberg getauscht.
Kreuzwegstation VI: „Die h. Veronika trocknet das Angesicht Jesu ab."
Im Zuge dessen wurden die Stationen I. bis X. am neu entstandenen Zufahrtsweg versetzt.
Die ursprüngliche Station I. (direkt am Ahrtor) wurde zur Station IV.
Eine Besonderheit ist die Bildsäule der „Heiligen Helena", die sonst nur im Alpenraum in Verbindung mit Kreuzwegen anzutreffen ist.
Der Kreuzweg wird seit 1999 auf Initiative des Kunstvereins des Kreis Ahrweiler unter Beteiligung des Landeskonservators renoviert. Finanziell unterstützt wird dieses Projekt durch private Spenden (z.B. des Heimatvereins Alt Ahrweiler) und durch öffentliche Zuschüsse.
Das „heilige Grab"
Wesentlich älter als die Tradition der Kreuzwege sind die Nachbildungen des Heiligen Grabes16). Vielerorts gingen auch diese auf Kreuzfahrer zurück. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts verliert es seine eigenständige Bedeutung. Neuanlagen sind seither nicht oder nur noch vereinzelt feststellbar. Etabliert hat sich das „Heilige Grab" als letzte Station bei den 14-Stationen-Kreuzwegen.
Unter dem Westjoch der Klosterkirche des Ahrweiler Calvarienbergs erstreckt sich die dreischiffig zweijochige Krypta von 1627. Überdacht vom gotischen Kreuzgratgewölbe befindet sich seit 1680 das „Heilige Grab". Am 30. März 1731 beschloss der Rat der Stadt „zu solchem gottgefälligem werck den patribus uffm Calvarienberg zwey Pistoll sollen gegeben werden" für die Renovierung des Heilgen Grabes. Die Gipsfiguren sind jüngeren Datums und stammen aus dem 19. Jahrhundert17).
Anmerkungen
Chronicon Montis Calvariae prope Arweilerium ab Anno 1440 (siehe auch Fußnote 17).
Johannes Becker, Geschichte des Dekanats Blankenheim.
Sepp, Jerusalem und das Heilige Land m. Abb., 1863.
Atlante dei Sacri Monti, Calvari e Complessi devozionali eurapei. Atlas of Holy Mountains, Calvaries and devotional Complexes in Europe, Turin (2001).
Vom 17. bis 19.04.1996 fand in Varallo das Seminar für „Integrations- und Entwicklungslinien zum Atlas der europäischen Sacri Monti, Kalvarienberge und Andachtsstätten" statt.
A. J. Weidenbach, „Artikel über Ahrweiler", in: Rheinischer Antiquarius, 111 9, S. 615 ff.
Marlies Fey, „Das Franziskanerkloster Brühl", in: Klöster und Stifte im Erftkreis/Beiträge zur Geschichte des Erftkreises 6, S. 133-150, Pulheim-Brauweiler (1988)
Lübeck 1468.
u. a. Santa Sabina, Santa Prisca, San Giorgio in Velabro, San Pietro in Vaticano, Santa Anastasia.
Heckmanns-Fischer, Die sieben Fußfälle, Krefeld-Hüls (1921).
Ernst Kramer, Studien zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. 313, Kreuzweg und Kalvarienberg, Historische und baugeschichtliche Untersuchung, Kehl-Straßburg, (1957).
Madonnen im Landkreis Ahrweiler, Ausstellungskatalog, (1989).
Dies zeigt der heute noch vollständig erhaltene Sieben-Stationen-Kreuzweg von Homberg an der Efze, der aus etwa der gleichen Entstehungszeit wie in Ahrweiler stammt.
Der Ochse ist ein christliches Symbol für Flucht und Vertreibung (z. B. Flucht aus Ägypten).
1935 hat eine Untersuchung des rheinischen Landeskonservators einen fragmentarischen dreilatzigen Turnierkragen als Wappenmotiv ergeben.
Heinrich Steitz, Der Sieben-Stationen- Kreuzweg zu Homberg an der Efze.
St. Michael Fulda 882, Münster Konstanz 1260, Dom Freiburg um 1330.
Hans-Georg Klein (Bearb. & Hrsg.), Die Chronik des Franziskanerklosters Calvarienberg bei Ahrweiler 1440-1747, Bad Neuenahr-Ahrweiler (1994).