Die Kellerei in Wehr
Geschichte eines Hofgutes über 1500 Jahre
Bruno Andre
Zwei große Landvillen (villa rustica) existierten in der römischen Zeit (55 v. Chr. – ca. 450 n. Chr.) in dem fruchtbaren Wehrer Talkessel. Sie gingen wohl bei der Eroberung des Landes durch die Franken (Mitte des 5. Jh.) unter. Dann entstand, näher an die schützenden westlichen Berge herangeschoben, in fränkischer Zeit eines der typischen Großgüter eines fränkischen Edlen im Wehrer Tal. Dieses Hofgut, welches sich heute noch sehr deutlich in seinem ehemaligen Mauerbering abzeichnet, gehörte möglicherweise dem fränkischen Königsgeschlecht der Merowinger vor 750.
Luftaufnahme des Kellereibezirks: In den Gärten entstanden später z. T. Privathäuser.
Um 920 aber war der Graf des Eifelgaues, Sibodo von Aare-Hochstaden Besitzer dieses Hofes und des Dorfes Wehr, welches im Anschluss an diesen Hof in östlicher Richtung entstanden war. Als dieser Graf Sibodo 920 das Benediktinerinnen-Kloster Steinfeld (bei Kall/Eifel) gründete, schenkte er seinen gesamten Besitz in Wehr diesem Kloster, welches 1135 in ein Chorherren-Stift des PrämonstratenserOrdens umgewandelt wurde.
900 Jahre lang gehörten Hof und Dorf Wehr dem Kloster Steinfeld, und die Äbte führten u.a. den Titel „…Herr zu Wehr!" Die Steinfelder Äbte übten auch die höhere und niedere Gerichtsbarkeit über das Dorf aus. Den Hof und das Dorf (und weitere 29 Höfe in der benachbarten Herrschaft Olbrück) ließ der Abt durch einen ,Cellerar’ oder ,Kellner’ verwalten. So erhielt der Klosterhof die Bezeichnung „Kellnerey" – welche Bezeichnung sich in der Umgangssprache zu dem heute gebräuchlichen „Kellerei" entwickelte.
Ausschnitt aus der Tranchot-Karte von 1808: Das Dorf Wehr und links markiert der Kellereibezirk.
Dieser in den ältesten Urkunden als ,Mönchs- Hoff’, später nur noch als ,Kellnerey’ bezeichnete Hof liegt, leicht erhöht gegenüber dem Dorf, auf dem letzten Ausläufer eines Gesteinsstromes vom Tiefenstein-Vulkan. Einstens umschloss eine (teils erhaltene) Mauer den ganzen Hofbezirk, der Wohnhaus, Scheune und Stallungen, Schuppen, zwei Mühlen, Schmiede, Back- und Brauhaus, riesige Gärten und vermutlich einen Teil des Wingerts umfasste. Natürlich lagen auch die Hofkapelle (spätere Pfarrkirche) und der zugehörige Friedhof in dem Hofbering. Insgesamt wurde eine Fläche von rund 4 Hektar von dieser Mauer umschlossen!
In Wehr drehte sich weit über 1300 Jahre alles um diese Steinfelder Kellnerey, von der auch der größte Teil der Ackerflur bewirtschaftet wurde. Hier wohnte der Kellner als Stellvertreter des Abtes, hier tagte viermal im Jahr das Gericht, von hier kamen alle Anordnungen für die Untertanen.
Durch ihre Geräumigkeit und ihre wehrhaften Mauern diente die Kellnerey in Kriegs- und Unruhezeiten, und wenn marodierende Banden oder Truppenteile das Dorf bedrohten, als Flucht- und Schutzburg. Immerhin verfügte die Schützenrotte von Wehr, das zu der Zeit aus etwa 40 Häusern bestand, im Jahre 1615 bereits über 23 ,Rohre’ (Musketen, Gewehre), und die übrigen Nachbarn hatten sich ebenfalls mit ihren Spießen und Hellebarden im Verteidigungsfalle auf der Kellnerey einzufinden.
Historisches Foto von 1920. Von links: Kirche, Wohngebäude und die damals noch vollständig erhaltene Scheune der Kellerei
Bedingt durch Baufälligkeit und durch eine Brandkatastrophe 1667 wurde im 17. und 18. Jahrhundert eine Erneuerung aller Gebäude der Kellerei notwendig. Große Teile dieser vor gut 300 Jahren erneuerten Bausubstanz sind heute noch erhalten und werden noch genutzt.
Nach der Aufhebung des Klosters Steinfeld durch die Franzosen im Juli 1802 wurde im Rahmen der Säkularisation auch die Kellerei in Wehr Eigentum des französischen Staates. In den Jahren 1816-1830 wurden alle Gebäude und 400 Morgen Ackerland an die Bürger von Wehr verkauft.
Das Wohngebäude des Klosterhofes diente nach dem Einmarsch der Franzosen 1794 zunächst als Verwaltungssitz des neu geschaffenen ,Canton de Wehr’, zu dem 41 Dörfer gehörten. Später ersteigerten die Zivil- und Pfarrgemeinde das stattliche Haus je zur Hälfte und richteten Schule und Pfarrhaus dort ein. Die übrigen Wirtschaftsgebäude wurden von verschiedenen Ansteigerern erworben. Übrigens waren im Herbst 1944/45 das Landratsamt, das Finanzamt und weitere Behörden des Kreises Mayen dort untergebracht, weil Mayen durch Luftangriffe überwiegend zerstört worden war.
Das imposante Wohngebäude der Steinfelder Kellerei, später französische Cantons-Verwaltung, Pfarrhaus, Schule, 1944/45 vorübergehend auch Sitz des Landratsamtes Mayen
Es sei noch darauf hingewiesen, dass die Kirche auf dem beigefügten Stich nicht abgebildet ist. Sie lag ebenfalls im Mauerbering der Kellerei. Die ursprünglich im Garten gelegene Hofkapelle des früh-fränkischen Gutshofes wurde erst später zur Pfarrkirche des Dorfes. Sie war nie „Mittelpunkt des Dorfes", sondern lag immer außerhalb des Ortes.
Eine solche Hofanlage wie die Kellerei in Wehr sie darstellt, mit einem bemerkenswerten Grad der Erhaltung einer z.T. über 300-jährigen Bausubstanz, stellt schon eine Seltenheit in unseren Landen dar.
Den absoluten Höhepunkt in der Gesamtanlage aber bildet zweifellos die Pfarrkirche St. Potentinus, welche zu ihrem romanischen Turm aus der Zeit um 1230 dann einen barocken Kirchenneubau in den Jahren 1700-1702 erhielt. Ihre im Original erhaltene frühbarocke Innenausstattung ist von hohem künstlerischen Wert und stellt eine Besonderheit in den rheinischen Landen dar.
Wie die Kellerei kurz nach 1800 ausgesehen hat, zeigt uns ein Stich aus dieser Zeit – mit einem Blick aus nördlicher Richtung:
Es bedeuten:
Das Wohngebäude der Kellerei. Erbaut von 1725-1730. Doppelter Speicher; Dreieck-Giebel; 17:5 Fensterachsen; große Freitreppe; drei Kellereingänge. (Heute Schule und Pfarrhaus)
Der Kellereihof, ca. 2500 m2 groß. (Heute z.T. in Privatbesitz. Die Linden wurden 1888 gepflanzt.)
Ein Springbrunnen stand bis 1932 in der Mitte des Hofes.
Getreide- oder Mehlmühle
Ställe für das Großvieh: Pferde und Rindvieh; darüber wohl Heuboden und Scheune. Bei der Versteigerung kauften die Bürger sich jeweils Teile der Wirtschaftsgebäude. So ersteigerte sich z.B. eine Familie die Scheune „…vom 4. bis 7. Balken!" Man baute an der Frontseite eine Zimmertiefe Wohnräume hinein und benutzte den größten Teil des Gebäudes weiterhin als Stall und Scheune.
Die große Scheune. Fenster und Luken in der Wand und auf dem hohen Dach sind wohl authentisch wiedergegeben.
Der östliche Teil der vorgenannten Scheune war unterkellert und dieses Untergeschoss diente als Schafstall mit einem Tor an der Giebelseite. Dieser Schafstall war vor ca. 80 Jahren noch zu sehen.
Die „Schafspforte" – ein Tor zum Einlass der Schafe in den geschlossenen Klosterhof. Die Stelle wird heute noch so genannt.
Das Back- und Brauhaus = Schmiede genannt.
Die Ölmühle der Kellerei (heutiges Gasthaus ,Zur Mühle’)
Die Ställe für Kälber, Schweine und Hühner, sowie der Kutschenschopp (-schuppen). Keines dieser Wirtschaftsgebäude existiert mehr.
Ausgedehnte Gartenanlagen auf der West-, Nord- und Ostseite, bestehend aus Baumgärten und Gemüsegärten.
Zier- und Lustgarten in typischer barocker Anlage. Heute noch als der „Pfarrgarten" erhalten, einschließlich der interessanten Nischen für die Bienenkörbe in den Gartenmauern.
Der Mühlenteich, heute Fischweiher genannt. Sicher wurde der fränkische Hof zuerst mit Wasser aus den Quellen von Tiefental und Poppelsbur (=Potentinus-Born) versorgt. Später führten die Mönche in kunstvoller Nivellierung auch noch die ergiebigen Quellen aus der Weiherwiese hinzu. Mit dem angestauten Wasser aus dem hochgelegenen Mühlenteich betrieb man zuerst die Mehlmühle.
Ein weiterer Mühlenteich: Nachdem das Wasser die Mehlmühle angetrieben hatte, wurde es zwischen Lindenbaum und Probsteigebäude ein zweites Mal gestaut, wurde dann hinter den unter 11 genannten Ställen weitergeleitet und trieb dann noch die etwas tiefer gelegene Ölmühle an.
Der ganze Hofbezirk war von einer mächtigen Schutzmauer umgeben, die an dieser Stelle noch erhalten und zu sehen ist. Die Größe dieses von einer Mauer umschlossenen Hofberings lag bei 4 Hektar!
Das Weibelshäuschen, erbaut um 1820, nach der Säkularisation.
Scheune des Pastors, erbaut um 1827, nach der Säkularisation.