Im Westen entstand Neues
Die Internationale Film-Union GmbH Remagen seit 1947
Christoph Schnitker
Zwei Kilometer nördlich von Remagen zweigt von der B9 eine schmale Fahrstraße in ein kleines Seitental, das sogenannte Calmuth-Tal, ab: Schilder weisen den Weg zur Internationalen Film-Union (kurz: IFU), auch wenn man einen derartigen Filmproduktionsbetrieb nicht so abgelegen vermuten sollte. Aber nomen est omen: Cal bedeutet Berg, Mod gleich Hof, also Berghof. Erst ganz am Ende erweitert sich das Calmuthtal kesselförmig, und dort findet man inmitten der reizvollen Wald- und Hügellandschaft dann endlich die Anlagen der IFU.
Der heutige Zustand der Gebäude lässt kaum noch erahnen, welch ehrgeizige Pläne hier einmal verwirklicht werden sollten: Eine „Filmstadt im Westen", welche in der Tradition zu den Filmstädten München oder Berlin einzuordnen gewesen wäre.
Ursprünge
Die Ursprünge der Film-Union reichen über 50 Jahre zurück, in die Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Gegensatz zu den britischen und amerikanischen Besatzungszonen befanden sich in der französischen Zone keine nennenswerten Filmproduktionsanlagen.
Man war aber auf französischer Seite der festen Überzeugung, dass das Medium Kino ein sehr gut geeignetes Werkzeug bei der Neuerziehung der deutschen Bevölkerung sei. So beauftragte man bereits kurz nach Einrichtung der Besatzungszone den französischen Filmoffizier Marcel Colin Reval damit, ein Gesamtkonzept zu erstellen. Dieses sollte nicht nur die Synchronisation französischer Filme berücksichtigen, sondern auch die Errichtung bzw. Wiederinstandsetzung von Großkinos einschließlich der Schulung von Filmvorführern, die gesamte Betreuung, Förderung und Realisierung eigener Filmproduktionen sowie den Bau und Vertrieb kinematographischer Apparate und Artikel (Filmbearbeitungsgeräte, Schneidetische, Umroller etc.).
Als Kenner der deutschen Film- und Kinowirtschaft und auf der Grundlage seines fachlichen Wissens in den maßgeblichen Filmsparten erstellte Colin-Reval ein umfassendes Modell. Der für die damalige Zeit als geradezu visionär einzustufende Charakter des Modells lässt sich treffend mit dem neudeutschen Begriff „Kompetenz-Zentrum" bezeichnen, sah es doch die Errichtung einer Produktionsstätte mit drei Tonfilmhallen, aus der jährlich 3 bis 5 Filme hervorgehen sollten, einer Filmkopieranstalt sowie einem kompletten Atelierkomplex, bestehend aus Synchronisations-Ateliers mit allen nötigen Werkstätten, Magazinen, Nebeneinrichtungen und Hilfsbauten sowie die raumnahe Ansiedlung ergänzender Filmbetriebe vor.
Die Gesamtanlage
der Internationalen Film-Union (IFU) auf
einer Luftaufnahme aus den 1960er Jahren
Dass Remagen letztendlich als Standort dieses Projektes den Zuschlag erhielt, hat u.a. einen politischen Hintergrund. Von französischer Seite aus wollte man bereits mit der Auswahl der Räumlichkeiten ein deutliches Zeichen setzen: Durch ein ehemals von den Nationalsozialisten benutztes Gebäude sollte der sprichwörtliche „frische Wind" wehen. Das Anwesen in der Calmuth (ehemals zum Besitz des 1932 verstorbenen Geheimen Commerzienrates und Kölner Industriellen Max von Guilleaume gehörend) erfüllte diese „Anforderungen", waren doch dort bis zum Kriegsende eine BDM-Landfrauenhaushaltsschule und zuvor die „Hitlerjugend" untergebracht gewesen.
Aber auch rein praktische Erwägungen spielten eine Rolle bei der Entscheidungsfindung. Für die Umsetzung der Planungen war ein großes Areal nötig, gleichzeitig musste das Anwesen jedoch ruhig und abgeschieden genug gelegen sein, um insbesondere dem Ton besondere Sorgfalt bei den Aufnahmen widmen zu können. Für Remagen sprach außerdem die nahe Lage zu den rheinischen Städten Bonn, Köln und Düsseldorf; auf der Grundlage des dortigen regen Theaterlebens erhoffte man sich eine leichtere Verpflichtung von Schauspielern und Bühnenkräften. Die verkehrstechnisch günstige Lage war ein weiterer Aspekt: Geplant war ursprünglich sogar die Anbindung der Eisenbahn mittels eigenem Bahnhof an die Produktionsstätten (tatsächlich wurden später Züge für eilige Filmlieferungen außerplanmäßig in Remagen angehalten).
Das große Filmstudio der IFU7Remagen.
Mit der Gründung der „Film-Union A.-G." in Baden-Baden (8. März 1947) und der Pachtung des Gutes Calmuth im gleichnamigen Tal (11. März 1947) erfolgte die Umsetzung des Gesamtkonzeptes unter Führung der „U.G.C." (Union Général Cinématographique) und der direkten Kontrolle der offiziellen französischen Filmstelle (Centre Nationale de la Cinématographie).
Kernstück – Das Synchronisationsatelier
Mit dem Bau des Synchronisationsstudios in Calmuth (Mai 1946 bis September 1948) gelang es den Arbeitern, Handwerkern, Ingenieuren und Architekten trotz der durch die Zeitverhältnisse schwierigen Materialbeschaffung, ein architektonisches Meisterwerk zu errichten, welches seinerzeit in vielen Bereichen richtungsweisend war.
Herzstück des Studios ist die große Aufnahmehalle, welche hauptsächlich für Musik- und Sprachaufnahmen mit Massenszenen sowie Vorführungen vor größerem Zuschauerkreis und Mischungen benutzt wurde. Konisch zugeschnitten verjüngt sich die Saalbreite an jeder Seite um 1,50 m. Decke und Fußboden liegen nicht parallel zueinander und sind sogar unterschiedlich beschichtet. Der Fußboden „schwimmt", wodurch der gesamte Raum in völliger Isolierung schwebt und somit jedes störende Nebengeräusch ausschaltet (besonders wichtig hinsichtlich der Sprengungen im nahen Steinbruch Unkelbach). Selbst ein 50 Musiker starkes Orchester an einer forte-Stelle in der Musik oder ein direkt über dem Gebäude donnernder Düsenjäger schaffen es nicht, die Akustik kippen zu lassen. Eine 10 x 7 m große, mit einer Leinwand-Wand schließt den Saalbau an der Stirnseite ab. Da sich diese Wand sogar verschieben lässt, kann man den Raum um zwei Fünftel seiner Länge verkleinern. Abgeschirmt von diesem Atelier überwacht der Tonmeister hinter einer dreifachen Glasscheibenwand in absoluter akustischer Abgeschiedenheit die gesprochenen Text- bzw. Geräuschpassagen – selbst ein Gewehrschuss im Atelier wäre ohne entsprechende Übertragungsmittel für den Tonmeister nicht hörbar.
Weitere Ateliers dienen zur Sprach- und Geräuschsynchronisation und für Kommentare bzw. Überspielungen. Darüber hinaus gibt es noch einen akustisch völlig „toten" Raum, den sogenannten Sprecherraum. Hier wurden Texte zu Filmszenen gesprochen, die im Freien spielten und somit die Illusion eines nachhalllosen Sprechens erforderten. Der sogenannte, in ausgeprägter Asymmetrie (alle Wände sind nicht parallel zueinander) angelegte und ausgekachelte, Hallraum stellt das genaue Gegenteil dar und ähnelt klangmäßig einer Kirche.
Bei der Planung und Ausstattung wurde besonders Wert auf Qualität gelegt; so befindet sich in allen Räumen die gleiche hochwertige, film- und tontechnische und für damalige Verhältnisse besonders benutzerfreundliche Ausstattung. Aber auch an das Arbeitsklima wurde gedacht: Ein komfortabler und eleganter Aufenthaltsraum für die Schauspieler der Produktion, vollständige Klimatisierung des Gebäudes, ein ausgeklügeltes System an Ein- und Ausgängen (ohne Störung der Aufnahmen in den Ateliers ist es möglich, alle anderen Räume des Gebäudes zu erreichen) sowie ein Kasino mit Bar ermöglichten ein Arbeiten in angenehmer Atmosphäre.
Änderungen
Die für 1949 geplanten Aufnahmehallen und alle weiteren Bauphasen wurden aus Kostengründen nicht mehr verwirklicht, sodass zu den Gebäuden der IFU fortan neben dem Synchronisations- und Tonstudio als Hauptbereich (hier befanden sich die Ateliers, Schneideräume, Vorführungen und die Verwaltung) noch das sogenannte Schloss (in dessen weitläufigen Räumen und Stockwerken das gesamte Kopierwerk, ein Kasino für die Betriebsangehörigen sowie einige Angestelltenwohnungen untergebracht sind) sowie einige Nebengebäude (u.a. für Werkstätten, Garagen, Filmbunker, Trafostation, eigene Pump- und Wasseranlagen und weitere Angestelltenwohnungen) zu zählen waren.
Von 1947 bis 1950 befand sich das in unmittelbarer Nachbarschaft, direkt über dem Rhein gelegene Schloss Ernich ebenfalls im Besitz der IFU, um den Schauspielern Unterkunft in idyllischer Atmosphäre im eigens dort untergebrachten Hotelbetrieb bieten zu können. 1950 nahm der Hohe Kommisar André François - Poncet schließlich Schloss Ernich in Anspruch und entzog es somit der Film-Union.
Die ebenfalls in Baden-Baden gegründete technische Abteilung der Film-Union (UNITEK) sowie die Filmvorführerschule (in Eich bei Worms) wurden alsbald nach Remagen, zunächst in die sogenannte ehemalige „Maristenschule" (heute im Besitz der Bundeswehr), umgesiedelt.
Später war die UNITEK in den Mechanischen Werkstätten im Ökonomiegebäude in Calmuth untergebracht, die Filmvorführerschule geschlossen.
Synchronisation
Die ersten in Calmuth synchronisierten französischen Prokutionen waren FABIOLA mit Michèle Morgan in der Hauptrolle, DIE KARTHAUSE VON PARMA, BLICK INS DUNKEL, DER FÄCHER, PANIK, ANTOINE UND ANTOINETTE, der Jean-Paul Sar-tre-Film DAS SPIEL IST AUS, SCHWEIGEN IST GOLD und DIE GROSSE LIEBE mit Gisela Uhlen unter der Regie von Hans Bertram.
Durch ständige Erweiterung und Modernisierung der Ausrüstung sowie der Verpflichtung hervorragender Fachkräfte entwickelte sich die IFU zu einem der bekanntesten westdeutschen Filmbetriebe für Synchronisation und Vertonungen aller Art. So wurde das einprägsame Firmenlogo „IFU-Remagen" schnell zu einem Begriff für hohe Qualität, insbesondere in Bezug auf die „Lippensynchronität" (d.h. der neue Text passt exakt zu den Lippenbewegungen der Schauspieler in der Originalfassung).
Seit der Gründung der IFU wurden mehr als 800 Spielfilme synchronisiert, darunter französisch-italienische und amerikanische Produktionen wie z.B LOHN DER ANGST, DON CAMILLO UND PEPPONE sowie DICK UND DOOF, die bis zum heutigen Tag unverminderten Bekanntheitsgrad besitzen.
Die IFU verfügte über modernste Einrichtungen zur Synchronisierung von Filmen.
Blättert man in den umfangreichen Unterlagen der Film-Union, so findet man dort in den Synchronisationslisten viele wohlklingende Namen aus der Welt des Films und Fernsehens: Hans-Jörg Felmy, Hildegard Knef, René Deltgen, Romy Schneider, Lotti Krekel, Fritz Wepper oder Harald Juhnke, um nur einige zu nennen. Es lässt sich mehr als nur erahnen, welche willkommene Bereicherung in den Glanzzeiten der IFU die Schauspieler für das städtische Geschehen in Remagen sowie die Berichterstattung in der Lokalpresse darstellte. Besonders beliebt bei der Remagener Bevölkerung waren darüber hinaus die alljährlich zur Karnevalszeit stattfindenden Filmbälle – hier konnten die Teilnehmer im großen Atelier Filmatmosphäre „live" schnuppern.
Über den Bereich der Synchronisation hinaus produzierte die IFU in den Remagener Anlagen seit Beginn der 50er Jahre die Wochenschau „Blick in die Welt". Diese stellte bis zur flächendeckenden Einführung des Fernsehens für viele Menschen den einzigen Weg dar, um sich im Kino über das Weltgeschehen visuell zu informieren.
Seit Beginn der 70er Jahre wurden bei der IFU zunehmend Kultur- und Dokumentarfilme in diverse Fremdsprachen übersetzt, unter anderem im Auftrag des Auswärtigen Amtes und insbesondere von „Inter Nationes". In französischer, englischer, portugiesischer, spanischer, gelegentlich sogar arabischer Sprache liefen diese ursprünglichen Fernsehproduktionen dann im Ausland, darunter Produktionen wie z.B. 1000 MEISTERWERKE oder SESAMSTRASSE (teils unter anderem Titel).
Kopierung, Lagerung
Die Arbeit in den Tonateliers wurde durch eine leistungsfähige Kopieranstalt für 35- und 16 mm-Filme wirksam ergänzt.
Ursprünglich als eigenständiges Gebäude direkt neben dem Synchronisationsstudio geplant, befand sich die Kopierung seit 1948 im ehemaligen Schloss. Die IFU stellte zu dieser Zeit mit einer Kapazität von 600000 m Film pro Jahr zwar nur das drittgrößte Kopierwerk der westlichen Besatzungszonen dar, war aber als modernstes Werk zu allererst wieder in der Lage, in „vorkriegsmäßiger Qualität" zu arbeiten.
Nach Inkrafttreten des Sicherheitsfilmgesetzes von 1957 durfte Filmmaterial auf Nitrozellulose-Basis wegen erwiesener Brand- und Explosionsgefahr nicht mehr verwendet werden. Nur einige wenige deutsche Filmbetriebe, darunter die IFU, erhielten nach eingehender Prüfung strenger Sicherheitsauflagen die Ausnahmegenehmigung, eigene und fremde Nitrofilm-Bestände (Produktionen aus früheren Jahren im Bereich der Spiel- und Dokumentarfilme bzw. Wochenschauen) einzulagern, um sie dann nach und nach auf feuersicheres, sogenanntes Saftey-Material umzukopieren.
Trotz des Erfüllens der Sicherheitsstandarts kam es aber am 27. September 1965 zu einem einschneidenden Ereignis in der Firmengeschichte: Eine durch Selbstentzündung des Nitrofilms verursachte Explosion vernichtete an diesem Tag einen kompletten Bunkerkomplex sowie einen Teil des dort lagernden wertvollen Filmmaterials – der Sachschaden ging hierbei in die Millionen, Personen kamen aber nicht zu Schaden.
Die Umkopierung von Nitro- auf Safety-Material zur Sicherung wichtigen Filmmaterials (darunter Filmklassiker wie IM WESTEN NICHT NEUES oder CASABLANCA) im Auftrag des Bundesarchivs in Koblenz, der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Wiesbaden sowie anderer Filmgesellschaften wurde bis in die 90er Jahre hinein zur Hauptaufgabe der IFU – eine Arbeit, die im Rückblick als Erhalt wertvollen Kulturgutes einzuschätzen ist.
Gegenwart
Die Internationale Film-Union GmbH besteht auch heute noch, jedoch beschränkt sich ihr Wirkungsbereich nunmehr, nach der Einstellung der Filmsynchronisation und -kopierung, auf das Verwalten von Filmrechten bzw. die Lagerung von Filmmaterial. So gehen regelmäßig Anfragen zu Schwarzweiß-Filmen ein, die auf der Grundlage des umfangreichen Archivs und des Fachwissens zweier auf ehrenamtlicher Basis tätigen Mitarbeiter beantwortet werden können.
Quellen und Literatur:
- Firmenarchiv der IFU
- Odeon-Scala-Capitol: 100 Jahre Kino, Selbstverlag des Landesmuseums Koblenz, 1995
- Gleber, Peter: Zwischen gestern und morgen, Film und Kino im Nachkriegsjahrzehnt. In: Franz-Josef Heyen/Anton M. Keim (Hrsg.):
Auf der Suche nach neuer Identität. Kultur in Rheinland-Pfalz im Nachkriegsjahrzehnt.
Mainz 1996. S. 451 - 520.
Der Verfasser dankt besonders Frau Katharina Hart sowie Herrn Franz-Josef Schneider für wichtige Auskünfte über die faszinierende Welt des Film und die freundliche Einblicknahme in die firmeneigenen Unterlagen.