26. Oktober 1808: Namensdeklaration der Remagener Juden 

Kurt Kleemann

Seit der Deportation 1942 gibt es keine jüdischen Gemeinden mehr im Kreis Ahrweiler. Im November 1999 wurde auf dem Römerplatz in Remagen ein Mahnmal eingeweiht, das an die „deutsche jüdische Gemeinde von Remagen und ihre Synagoge 1869-1938” erinnert. Die Einweihung der neuen Synagoge im Jahre 1869 ist dank einiger ausführlicher Zeitungsberichte gut dokumentiert1). Einen Einblick in das Zusammenleben zwischen Juden und Christen in jener Zeit bietet der Bericht, den Salomon Cahn (1856-1936) um 1933 über seine Kindheit und Jugend in Remagen verfasst hat2). Die Zeugnisse über das jüdische Leben und die Verfolgung unter den Nationalsozialisten haben Michael Schmitz und Leonhard Janta zusammengestellt3). Über die jüdische Gemeinde in Remagen vor 1869 ist jedoch kaum etwas bekannt. Hier wird ein Dokument vorgestellt, das den Zugang zu personengeschichtlichen Forschungen erleichtert. Es handelt sich um die Namensdeklaration der Remagener Juden, die dem Personenstandsregister des Jahres 1808 nachgeheftet ist. Solche Deklarationen dürften in allen Städten und Gemeinden der Rheinlande zu finden sein, in denen damals Juden lebten. Der unmittelbare Anlass zur Entstehung war das Dekret Kaiser Napoleons I. vom 20. Juli 1808 über die Verpflichtung jüdischer Untertanen zur Annahme von festen Familien- und Vornamen innerhalb von drei Monaten4). Der historische Hintergrund kann hier nur skizziert werden. Ausführlichere Darstellungen zu diesem Thema sind leicht zugänglich5).

Bekanntermaßen führten jüdische Gemeinden in den mittelalterlichen Städten ein eigenes Leben am Rande der christlich geprägten Gesellschaft, oftmals unter dem Schutz des Königs, Bischofs oder Stadtherrn. Mit Aufkommen der Kreuzzugsidee kam es immer wieder zu Verfolgungen, die die Juden zur Flucht aus den größeren Städten zwangen. Ab 1250 wurden Juden in Remagen erwähnt. In einer Landesbeschreibung von 1724 wurden unter 142 Familien vier jüdische Familien in Remagen verzeichnet. In dem zahlenmäßig kleinen Umfeld fiel die Namensgebung nicht weiter auf: Kinder erhielten als Rufnamen den Namen eines Vorfahren oder einer Vorfahrin und als Sippennamen den Rufnamen des Vaters mit der Bestimmung „ben” (hebräisch: „Sohn von”) oder „bad” (hebräisch: „Tochter von”). In offiziellen Schriftstücken wurde der Zusatz „Jud” verwendet. So führte eine Liste der für die Erhaltung der Remagener Stadtmauer zuständigen Einwohner von 1713/14 „Seelig Judt”, „Seeligmann und „Isak Judt” auf6).

Zahlreiche rechtliche und wirtschaftliche Bestimmungen und Reglementierungen prägten das Leben der kleinen jüdischen Gemeinden und ihrer Mitglieder. Mit dem Einmarsch der französischen Revolutionstruppen im Herbst 1794 änderten sich die Verhältnisse im Rheinland grundlegend. Die Französische Nationalversammlung hatte 1791 die Juden zu französischen Bürgern erklärt. Die Prinzipien der Französischen Revolution galten nun auch in den Gebieten links des Rheins, die mit dem Frieden von Lune-ville 1801 Teil Frankreichs wurden. Die Realität war jedoch viel komplizierter7)

Durch Verordnung wurde am 12. Floreal VI (= 1. Mai 1798) das französische Personenstandsgesetz von 1792 in den linksrheinischen Departements eingeführt. Dies ist der Beginn der zivilen Personenstandsregister in unserer Region. An der Praxis der jüdischen Namensgebung änderte dies zunächst noch nichts. Ab 1803 konnten Juden, die ja über keinen Taufschein verfügten, durch eine von sieben Zeugen vor dem Friedensrichter abzugebende Erklärung einen festen Vor- und Zunamen erlangen.

Mit dem Dekret vom 17. März 1808, das bald als das „infame” oder „schändliche” Dekret bezeichnet wurde, schränkte Napoleon die Rechte der jüdischen Bürger in Bezug auf Handels- und Gewerbefreiheit sowie auf den Militärdienst ein. Bis heute sind die Absichten des Kaisers und die tatsächlichen Auswirkungen dieses Dekrets auf die Judenemanzipation umstritten8). Am gleichen Tage schuf Napoleon mit einem Reglement über die Organisation und Aufgaben der Synagogen eine Struktur, die sich in Frankreich bis heute erhalten hat.

Ein weiteres Dekret, das am 20. Juli 1808 erlassen wurde, bestimmte: „Diejenigen Untertanen unseres Reichs, die den hebräischen Gottesdienst befolgen, und die bisher keine fixen Geschlechts- und Vornamen hatten, sollten verpflichtet sein, solche binnen drei Monaten nach Publicirung unseres gegenwärtigen Dekrets anzunehmen, und sie vor dem Beamten des Civilstands der Gemeinde, wo sie ansässig, zu erklären”9). Mit der endgültigen Regelung der Namensgebung von 1808 bezweckte Napoleon wohl hauptsächlich, dass jüdische Bürger sich nicht mehr dem Militärdienst entziehen konnten.

Das Remagener Verzeichnis wird eingeleitet von einer in der Amtssprache Französisch abgefassten Erklärung des Bürgermeisters als Zivilstandsbeamten, der den Zweck und die gesetzliche Grundlage für das vierseitige Register ankündigt. Es folgen die 35 Erklärungen, die jeweils vom Zivilstandsbeamten paraphiert und oft auch von den Erklärenden, meist in Hebräisch10), unterschrieben sind. Das Formular der Erklärungen lautet in Französisch: „Pardevant Nous Maire de Remagen, Canton de Remagen, arrondissement de Bonn, Departement de Rhin et Moselle, s’est presenté (bisheriger Name) qui à declaré (vouloir) prendre/conserver le Nom de (neuer Familienname) pour Nom de famille et de prendre/conserver pour Prénom Celui de (neuer Vorname) et à signé avant le vingt six octobre mil huit cent huit”.

Blick in die Flaschenabteilung von Apollinaris, Holzstich von 1877. Stündlich wurden dort 4000 Flaschen gespült.

Geschlossen und unterzeichnet wurde das gesamte Regis-ter am 30. Oktober 1808 von Bürgermeister Nicholas Adam. 35 Personen erschienen vor dem Bürgermeister. In neun Fällen erklärten die Väter für ihre noch minderjährigen Kinder die neuen Namen. Offensichtlich sollte auch das Geburtstagsdatum der Kinder angegeben werden, was bei Jacques Levy (Nr. 25) nicht, und bei Macarie Cahn (Nr. 6) nicht vollständig erfolgte. Im Falle von Gelsgen Leib (Nr. 34) vergaß der Schreiber offensichtlich, den neuen Namen zu notieren, der Zivilstandsbeamte hat den Akt trotzdem paraphiert, was eine gewisse Nachlässigkeit aufzeigt. Folgende Namensliste lässt sich aus dem Dokument vom 26.10.1808 aufstellen. Angegeben wird nach dem bisherigen Namen der neue, amtlich erfasste Name:

1. Leib Cahn: Marc Cahn / 2. Jonas Abraham: Jonas Faßbender / 3. Sibelle Israel: Sibelle Simon / 4. Moyses Israel: Adam Faßbender / 5. Sibelle Gottschalk: Sibelle Marc / 6. (Mark Cahn für Sohn) *10.02.178. Abraham: Macarie Cahn / 7. (Marc Cahn für Tochter) *06.04.1795 Gudule: Gudule Cahn / 8. (Mark Cahn für Tochter) *28.02.1798 Helene: Helene Cahn / 9. Israel Abraham: Jacques Fasbender / 10. Helene Salomon: Helene Schäffer / 11. (Jacques Fasbender für Tochter) *01.05.1790 Sibelle Israel: Sibelle Fasbender / 12. Girsels Abraham: Gabriel Fasbender / 13. Rachel Leib: Catharine Müller / 14. Gottschalk Cahn: Geofroy Cahn / 15. Eve Heiman: Eve Wolff / 16. Gabriel Levy: Gabriel Levy / 17. Tobias Levy: David Levy / 18. Heiman Minckel: Charles Napoleon Wolff / 19. Seeligman Koppel: Jacques Schäffer / 20. Leib Moyses: Jacques Müller / 21. Veronique Barauch: Veronique Schoen / 22. Taube Isaac: Claire Wolff / 23. Salomon Levy: Salomon Levy / 24. Marie Anne Isaak: Marie Anne Hoffman / 25. (Salomon Levy für Sohn) *(offen gelassen) Jacques Levy: Jacques Levy / 26. Abraham Levy: Germain Levy: / 27. Teubgen Levy: Josephine Levy / 28. Scheidgen Levy. Francoise Levy / 29. Veronique Levy: Veronique Levi / 30. Leib Moyses: Jacques Fridsam / 31. Eve Levy: Eve Levy / 32. (Jacques Fridsam für Sohn) *12.11.1798 Moises Leib: Clement Fridsam / 33. (Jacques Fridsam für Tochter) *06.04.1800 Hendel Leib: Jeanne Fridsam / 34. (Jacques Fridsam für Tochter) *18.12.1802: Gelsgen Leib: (nicht verzeichnet / 35. (Jacques Fridsam für Tochter) 12.03.1806 Keltgen Leib: Caroline Fridsam

Anmerkungen:

  1. Hans Kleinpass: Die Einweihung der Synagoge in Remagen anno 1869. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1991, S. 111-115

  2. Lebensbericht von Salomon Cahn. In: Remagener Nachrichten 1986, Nr. 30-38

  3. Michael Schmitz: Remagen. In: Zeugnisse jüdischen Lebens im Kreis Ahrweiler. Hg. von Hans Warnecke, Ahrweiler 1998, S. 129-145. Leonhard Janta: Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz. In: Studien zur Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 2, Bad Neuenahr-Ahrweiler 1989. Weitere Details bei: Rudolf Menacher u. Hans-Ulrich Reiffen: „Knoblauch und Weihrauch”. Juden und Christen in Sinzig 1914 bis 1992. Bonn 1993.

  4. Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1800 bis 1945. Hg. von der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz in Verbindung mit dem Landesarchiv Saarbrücken. Bd. 1, Koblenz 1982, Dokument 53, S. 193 ff.

  5. Vgl. die Einleitung von Helmut Mathy zur unter 4 zitierten Dokumentation. Den Anstoß zu diesem Aufsatz verdanke ich dem Beitrag von Claudia-Martina Wolff: Die Juden in Bornheim vom Beginn der Franzosenherrschaft (1794) bis in die Zeit des Nationalsozialismus. In: Heimatblätter des Rhein-Sieg-Kreises 66/67 (1998/1999), S. 93-156.

  6. Vgl. Schmitz (wie Anm. 3), S. 129

  7. Vgl. Mathy (wie Anm. 5), S. 72-77

  8. Ebd. S. 85-89.

  9. Vgl. Dokumentation (wie Anm. 4), Dokument 53, S. 194.

  10. Nr. 23 der Liste Salomon Levy unterzeichnete mit „Sal. Levy”, Nr. 26 Germain Levy mit „Hermann Levy“. Dies zeigt eine weitere Schwierigkeit für die Familienforschung auf. In preußischer Zeit wurden die französischen Vornamen durch deutsche ersetzt oder auf die ursprünglichen Namen zurückgegriffen. So ist z.B. Nr. 14 Geofroy Cahn später sowohl als Gottfried als auch als Gottschalk Cahn verzeichnet. In seinem Hause an der Bachstraße wurde die ältere Synagoge eingerichtet, vgl. Schmitz (wie Anm. 3), S. 130.