Möhnen in Schalkenbach

Zur Geschichte des 1949 gegründeten Vereins

Dr. Stephanie Steppat

Als ich mit meiner Familie in die Eifel zog, wusste ich zwar um das Treiben von Möhnen, kannte aber den Hintergrund ihrer Ausgelassenheit am „Wievertag“ nicht. Da wir die ehemalige Schalkenbacher Dorfkneipe „em Höttche“ mit dem dazugehörigen Tanzsaal gekauft hatten, stellte ich bald fest, dass unser Tanzsaal und die Möhnen eine gemeinsame Geschichte hatten: den alljährlichen Möhnenball. Dies und das 50jährige Bestehen des Schalkenbacher Möhnenvereins im Jahre 1999 nahm ich zum Anlass, ein wenig über die „jecken Weiber“ zu recherchieren.

Zum Begriff „Möhne“

Das Wort „Möhne“ kommt von „Muhme“ und bezeichnete im westmitteldeutschen Sprachraum bis etwa 1880 eine weibliche Verwandte von Mutterseite.1) „Möhn“ oder „Möhnchen“ war des weiteren vor gut 300 Jahren die Anrede des Gesindes für die Dienstherrin, sowohl bei bessergestellten Bauernfamilien als auch in Bürgerfamilien im Rheinland.2)

Vielfach verstand man aber auch unter einer Möhne eine ältere verheiratete Frau in dunkler Kleidung mit Kopfbedeckung.3) Erst später bezeichnete dieser Begriff die Frauen, die an Weiberfastnacht (hier vielfach Weiberfastelovend genannt) das Regiment in den Städten und Dörfern übernahmen.

Tradition des „fetten Donnerstags“

Es hat eine lange Tradition in der Eifel, dass Frauen am Donnerstag vor Karneval besonders ausgelassen und selbstbestimmt ohne ihre Männer feiern. J. H. Schmitz schrieb hierzu in seinem Buch über Sitten und Bräuche des Eifler Volkes: „An diesem Tag hatten die Weiber nach uraltem Brauch unumschränkte Herrschaft und das Recht, in den Gemeindewald zu gehen, den schönsten Baum zu fällen, denselben zu verkaufen und von dem Erlös desselben ein gemeinschaftliches Gelage zu halten. Dieses Recht übten die Weiber an allen Orten bis in die jüngste Zeit, wo die Forstbehörden ihnen die Ausübung desselben untersagte.“4) Bei Hubert Meyer ist weiter nachzulesen, dass ein solcher Baumstamm“ mindestens soviel Kubik-Inhalt haben sollte, als sich aus dem Taillenmaß der breitrandigsten (fettesten) der Weiber aus der Dorfschar abmessen ließ.“5) Die Schalkenbacher Möhnen kennen nichts von Taillenmaß und Baumstammumfang, auch wenn sich hiermit der Begriff „fetter Donnerstag“ gut erklären ließe.6) Eine andere Erläuterung für die Bezeichnung „fetter Donnerstag“ oder „Fettdonnerstag“ ergibt sich übrigens aus der Überlieferung, dass an diesem Tag besonders fett gegessen wurde, vor allem Schmalzgebäck.7)

Die Schalkenbacher Möhnen, um 1950

Vereinsgründung 1949

Die Beweggründe der Frauen, sich vor 50 Jahren zusammenzuschließen und an „Weiberfastelovend“ ausgelassen zu sein, ebenso wie die Frage nach der Entwicklung des Vereins in den vergangenen fünf Jahrzehnten ermittelte ich anhand eines standardisierten Fragebogens und in vielen Einzel- und Gruppengesprächen. Für den geschichtlichen Rückblick auf das Vereinsleben konnten mir einige ehemalige Möhnen die wichtigsten Informationen liefern. Die Frauen waren sehr an ihrer eigenen Vereinsgeschichte interessiert.

Als eine Handvoll Möhnen sich im Jahre 1949 zusammentat, um einen Möhnenverein zu gründen, wollten sie ein wenig Spaß in ihr tristes Nachkriegsdasein bringen. Mit einem geschmückten Handwägelchen, auf dem sich eine kleine Menge Wurfmaterial und Getränke befanden, zogen die Frauen - freundlich, aber auch skeptisch beäugt - am Donnerstag vor Rosenmontag durchs Dorf. Auch ein Besuch in der Schalkenbacher Fabrik gehörte zu ihrer Tour. Sie backten zudem gemeinsam einige Kuchen, setzen sich am Nachmittag in einer der beiden Dorfgaststätten zusammen und feierten ausgelassen, so wie es schon vor ihnen Frauen im nahegelegenen Niederzissen und in Wehr getan hatten.

In Niederzissen gab es schon seit 1938 einen Möhnenverein, der nach der Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg 1947 weitergeführt wurde. Auch der Verein in Wehr wurde 1947 gegründet.

Mehrere Generationen von Obermöhnen in Schalkenbach

Um beiden ortsansässigen Wirten gerecht zu werden, einigte man sich in Schalkenbach darauf, die Feste abwechselnd in den Wirtshäusern zu feiern und zwar: in den Jahren mit geraden Zahlen traf man sich „em Höttche“ (Familie Gasper/Breuer) und in denen mit ungeraden Zahlen „bei Porze“ (Familie Porz):

„Vereinsregeln“

Es gab von Anbeginn feste Vereinsregeln. Möhne konnte nur werden, wer verheiratet war. Unverheiratete wurden grundsätzlich nicht aufgenommen. Ebenso war es Vorschrift, sich möhnengerecht zu kleiden: dunkle Altfrauenkleidung mit Hut galten als passendes Möhnenkostüm. Jede suchte sich hierzu irgendwelche alten Kleider von Oma oder Uroma zusammen. Je älter das Kleid oder Kostüm war, um so schöner fanden es die Frauen. Was zu neu erschien, wurde auf alt getrimmt.8)

Seit dem Gründungsjahr gab es bereits eine „Obermöhn“, die dem Verein vorstand.

„Fastelovendfeier“

Als der Zuspruch in den folgenden Jahren reger wurde, zog der Möhnenverein in die Tanzsäle der beiden Wirtschaften um. Die Frauen sangen, erzählten sich Witze und forderten abends die Männer, die in der Wirtschaft an der Theke ihr Bier tranken, zum Tanze auf. Das Fest der Möhnen wurde schnell immer beliebter. Bald engagierten sich die Frauen Männer aus dem Dorf, die mit Ziehharmonika, Geige und Akkordeon für musikalische Unterhaltung sorgten.

Anfang der 1960er Jahre wurden die ersten Späße, Vorträge und Sketche ausgearbeitet, Musikgruppen verpflichtet, und es entstand neben dem nachmittäglichen Kaffeeklatsch ein abendlicher Möhnenball, der sich im Dorf, aber auch in den Nachbargemeinden bald großer Beliebtheit erfreut. Als es Schwierigkeiten gab, eine Musikkapelle zu verpflichten, wurde der Möhnenball auf den Karnevalsfreitag verschoben. Als traditionelle Bewirtung erlaubte der Pfarrer auch für den ansonsten fleischlosen Freitag ausnahmsweise die Würstchen mit Kartoffelsalat. Die Verlegung auf den Freitag hatte den Vorteil, dass seither das Nachbardorf Königsfeld, wo ebenfalls ein Möhneball stattfindet, freitags zu Gast bei den Schalkenbacher Möhnen sein kann und umgekehrt.

Einladungen zum Fest der Möhnen erfolgten durch Aushänge beim Bäcker und im Gemischtwarenladen, später durch Ankündigungen in der „Olbrück-Rundschau“. In den letzten Jahren wurden zusätzlich Handzettel an alle Haushalte verteilt, um die Dorfbewohner direkt anzusprechen.

1988 schloss die Gastwirtschaft „bei Porze“ und die Möhnen feierten in den folgenden Jahren ausschließlich im Saal „em Höttche“. Seit 1992 die Dorfgemeinschaftshalle fertiggestellt wurde, findet der Ball in der „Jägersberghalle“ statt. Hier gibt es ausreichend Platz für alle. Aber, so sagen viele im Dorf, die Gemütlichkeit der übervollen Dorfsäle ist heute nicht mehr vorhanden.

Tanzgruppen

Seit 1975 sind vier Tanzgruppen, davon zwei von Jugendlichen entstanden. Außerdem noch eine Männertanzgruppe, die allerdings bisher erst zweimal aufgetreten ist. 

Die vier Tanzgruppen fertigen sich jedes Jahr sehr aufwendige Kostüme und treten mit diesen auch zu anderen Anlässen im Brohltal auf, wegen ihrer hohen Qualität sowohl bei privaten als auch öffentlichen Veranstaltungen. Die beiden Möhnentanzgruppen heißen heute „Scharfe Hüpfer“ und „Sektbomben“. Die beiden Jugendtanzgruppen nennen sich „Flash“ und „Perplex“. Ihre Mitglieder sind sicherlich zum großen Teil die Möhnen von morgen.

Dorfklatsch

Wichtiger Bestandteil des Abendprogramms war und ist neben den Tanzvorführungen, Sketchen und Witzen schon immer die „Dorfzeitung“.

Darin kommen alle wichtigen Ereignisse des Schalkenbacher Dorflebens sowie der Nachbargemeinden Königsfeld und Dedenbach zur Sprache, spaßig verulkt und natürlich auf Platt. So kam 1995 die allenthalben bedauerte Schliessung der letzten Dorfgaststätte in mehreren Vorträgen zur Sprache. Im folgenden Jahr war das Thema beispielsweise die Kanalisierung des Dorfes, die nicht nur sehr kostspielig für alle war, sondern auch die Ortsdurchfahrt für über ein Jahr zur Schlammpartie machte. Neben der Dorfzeitung gehören auch zwei Klatschtanten häufig zum Programm. Sie nehmen gerne Dorfbewohner aufs Korn, ganz gleich ob es der Bürgermeister, die Postfrau oder die Nachbarin ist. Die Klatschgeschichten sind in der Regel so verfasst, dass auch Nicht-Schalkenbacher die Späße verstehen können.

Oft sind die Beiträge leicht zweideutig, aber nie wirklich schlüpfrig. Beim Studium der Sketche und Büttenreden fiel auf, dass jede Frau den Schalkenbacher Dialekt anders schreibt als ihre Vereinsfreundinnen. Für ein Wort kann es deshalb drei bis vier Schreibweisen geben. Jede macht auf ihre Weise einen Versuch einer Annäherung an die gesprochene Sprache. So schreibt die eine Möhne zum Beispiel das Wort „erst“ als „irsch“, die andere „iersch“ und die dritte „iesch“. Das Wort „einmal“ erscheint als „emol“, „ämol“ oder „enmol“.

Zusammengehörigkeit

Jedes Vereinsmitglied besitzt heute das sogenannte Möhnenvereinskleid. Es wurde erst 1995 für alle Möhnen einheitlich von einer Schneiderin angefertigt. Das sehr aufwendig gearbeitete lange Kleid ist dunkelgrün und mit Spitze verziert. Dazu tragen die Frauen einen Hut mit einer großen Feder. Dieses Kleid tragen alle Möhnen bei ihrem Kaffeeklatsch, bei offiziellen Anlässen, z. B. beim Besuch des Verbandsbürgermeisters, bei gemeinsamen Ausflügen, so bei der Fahrt zu einer Kölner Karnevalssitzung, oder bei dem jährlichen Treffen der Möhnen aus dem gesamten Brohltal. Dadurch entsteht der äußerliche Rahmen zu der Gruppenzusammengehörigkeit, die die Möhnen sehr stark empfinden. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wird im gesamten Jahreslauf bei zahlreichen Feiern und Festen im Dorf gepflegt.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Feier des „Möhnefastelovend“ von einem reinen Frauenkaffeeklatsch zu einem bis ins Detail geplanten und vorbereiteten Dorfereignis gemausert.

Der Verein wuchs kontinuierlich und umfasst heute (1999) 70 Mitglieder, eine beachtliche Zahl bei 737 Einwohnern, von denen etwa 21% Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind und die Zahl von Männern und Frauen sich die Waage hält.

Beliebtheit des Vereins

Es stellt sich die Frage, warum sich der Möhnenverein trotz zeitraubender Vorbereitungsarbeit solcher Beliebtheit erfreut.

Da das zu erstellende Ballprogramm inzwischen so umfassend geworden ist, sind die Frauen spätestens ab Oktober voll im Einsatz. Sie benötigen viele Nachmittage und Abende zum Nähen der Kostüme, ebenso zum Erarbeiten der Texte ihrer Vorträge und der Tänze. Am Schluss stehen noch eine Vielzahl von Probenabenden. Da viele Möhnen berufstätig sind, entsteht aufgrund der vielen Termine oft ein Konflikt mit der Familie. Warum trotz allem diese Begeisterung?

Die wichtigsten Argumente für einen so intensiven Freizeiteinsatz im Verein waren stichwortartig zusammengefasst folgende:

Spaß dazu zugehören, vielfach in der Nachfolge der Mutter und Großmutter; Aufgabe im Dorf, Freude am Auftreten im Karneval vor Publikum; gerade im Herbst und Winter Abwechslung durch Vorbereitungen und Feste; ganzjähriger Kontakt, lustiges, kollegiales Miteinander aller zugehörigen Frauen, keine Altersbegrenzung und soziale Schranken; Vorteile des reinen Frauenvereins gegenüber sonstigen Vereinen, die von Männern dominiert werden, bei allen Aktivitäten.

Offensichtlich finden die Frauen in ihrem Möhnenverein gerade auf dem Lande mit dem gegenüber der Stadt oft geringeren Freizeitangebot eine Möglichkeit, ihre Freizeit dennoch selbstbestimmt und aktiv zu gestalten. Dies war sicher schon 1949 ein unausgesprochener Gedanke der Möhnen in Schalkenbach und den umliegenden Dörfern.

Alle Vereine haben stabilisierende Wirkung für das soziale Geflecht des Dorfes und es kommt ihnen eine besondere Bedeutung bei der Integration von Neubürgern und Jugendlichen zu.

Unter den Dorfvereinen in Schalkenbach nimmt der Möhnenverein eine exponierte Stellung ein. Da die Frauen in ihrem Zusammenschluss besonders ideenreich und gestaltungskräftig sind, geht von ihnen ein starkes positives Wir-Gefühl aus, das im gesamten Dorfgefüge zu spüren ist. Die Möhnen haben ein hohes Ansehen, unter anderem, weil ihr Möhnenball im ganzen Brohltal seit Jahren große Anerkennung findet. Selbstverständlich lebt ein Verein immer von einzelnen besonders enthusiastischen Personen, die erkannt haben, wie wichtig selbstgestaltete Freizeit ist. Und so sind „diese Aktivitäten eben das, was das Leben in ihrem Dorf lebenswert macht, was für sie Heimat bedeutet und ein Stück Selbstverwirklichung… Mit einem Wort, sie machen Kultur selbst.“9)

Anmerkungen

  1. Möhn - neuhochdeutsch Muhme (mhd. muome, ahd. muoma). Etymologie der Deutschen Sprache, Duden Band 7, Mannheim 1963, S. 454.. Vgl: Wrede Adam: Rheinische Volkskunde Zweite verbesserte und vermehrte Auflage, Heidelberg 1922, S. 199.
    Vergl.: Rheinisches Wörterbuch. Bonn 1941, Bd. 5, Spalte 1367/68.
  2. Vgl. Wrede Adam: Rheinische Volkskunde; S. 199.
  3. Vgl. Rheinisches Wörterbuch, Bd. 5, Spalte 1367/68.
  4. Schmitz, J.H.: Sitten und Bräuche, Lieder, Sprichwörter und Räthsel des Eifler Volkes, nebst einem Idiotikon. Trier 1856, S. 13.
  5. Meyer, Hubert: Dörfliche Fastnacht in der Eifel. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde. 23. Jg. Bonn 1978, S. 143.
  6. Schmitz, J.H.: Sitten und Bräuche. S. 13 f.
  7. Vgl. auch Meyers, H.: Der fette Donnerstag. In: Eifelvereinsblatt, 23. Jahrgang Bonn 1922, S. 18.
  8. Vgl. Wrede, Adam: Rheinische Volkskunde, S. 78. Ein Hinweis darauf, warum ein Möhnenkostüm altfraulich sein mußte findet sich bei Wrede. Er schrieb in einem Kapitel über Trachtenwesen im Rheinland, daß alte ehrbare Jungfern in der Eifel noch bis in die zwanziger Jahre diesen Jahrhunderts schwarze Kapuzenmäntel über ihren Trachten trugen. Der Mantel war schlicht, hatte aber eine mit Rüschen besetzte Kapuze und diente zum Schutz vor Witterung. Scherzhaft nannte man ihn auch Möhnemantel.
  9. Schwedt, Herbert: Probleme Ländlicher Kultur (Studien zur Volkskultur in Rheinland-Pfalz). Mainz 1994, S. 125 f.