Erinnerungen an den Beginn der NS-Zeit in Altenahr

Bernd Raussen

Es fällt nicht leicht, Erinnerungen loszuwerden, die einen seit der Kindheit von Zeit zu Zeit bedrücken. So sehr ich Altenahr vieler schöner Jugenderlebnisse wegen schätze, so ungern denke ich an eine Reihe von unangenehmen Ereignissen in diesem Ort ab 1933 zurück, die sich mir einprägten. Über einige möchte ich kurz berichten.

Altenahr ist mein Geburtsort, wo mein Vater von 1923 bis 1937 als Zahnarzt tätig war. Ich selbst wurde dort 1926 im Hause Altenburgerstraße 5 geboren. Meine Mutter war die Schwester der Ehefrau des damaligen Altenahrer Amtsbürgermeisters Christian Schmidt.

Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass die beiden Schwestern 1932, als ich gerade Schüler der Altenahrer Volksschule (damals am Friedhof gelegen) geworden war, viele Gespräche politischen Inhalts miteinander führten. Noch heute ist mir der Begriff „Kommunismus“ im Ohr, den ich natürlich damals nicht verstand. Ich erahnte aber aus den Gesprächen, dass er die beiden Frauen mit Angst erfüllte.

Erste Auswirkungen in der Schule

An die Machtübernahme durch Hitler am 30.1.1933 kann ich mich nicht erinnern. Die Schwestern erwähnten in einem Gespräch allerdings die Durchfahrt eines Altenahrer SS-Mannes in schwarzer Uniform durch das Dorf in jenen Tagen, was auf dieses Ereignis hindeuten könnte. Bald aber gab es erste andere Hinweise auf eine politische Veränderung. Unser damaliger von meinen Mitschülern und mir geschätzte Klassenlehrer im ersten und zweiten Schuljahr (1932 bis 1934) namens Rössel, verteilte runde Abzeichen, auf denen neben einer aufgehenden Sonne auch das Hakenkreuz zu sehen war. Wir wußten nicht viel oder nichts von der Bedeutung dieser Symbole, trugen aber das Abzeichen stolz an unseren Hemden oder Pullovern. In der Schule selbst gab es weitere Veränderungen: Parallel zur Friedhofsmauer wurde auf dem damaligen Schulhof ein langer zylindrischer Balken waagerecht angebracht, der dann Schwebebalken genannt wurde. Auf ihm gab es zum ersten Male überhaupt Turnversuche von uns Jungen. Meistens aber bestand das neue „Turnen“ der Jungen im Kolonnen-Exerzieren auf dem Schulhof, bei dem wir die beim Militär üblichen Exerzierkommandos durch die Lehrer kennenlernten. Nach einiger Zeit mußten wir jeden Morgen vor dem Unterricht zusammen mit den Lehrern Freiübungen auf dem Schulhof durchführen, damit anscheinend einen weiteren Teil der Forderungen der neuen Reichsführung zur körperlichen Ertüchtigung der Jugend absolvierend. Wir hielten die früher üblichen Schulbücher der damaligen katholischen Volksschule bei, lernten aber eine Reihe neuer Lieder mit nationalsozialistischem Inhalt. „Als die goldne Abendsonne sandte ihren letzten Schein,...“ und „Siehst du im Osten das Morgenrot?...“ waren die ersten für uns neuen Lieder dieser Art. (Das erste der beiden war aus einer Moritat entwickelt worden.1))

Amtsenthebung des Amtsbürgermeisters

Mehr von den in Gang gesetzten Veränderungen erlebte ich dann im Frühjahr 1933 bei dem schließlich von Erfolg gekrönten Versuch Altenahrer Nationalsozialisten, meinen Onkel Christian Schmidt als Amtsbürgermeister seines Amtes zu entheben. Deren Altenahrer N.S.D.A.P.-Fraktionbestehend aus drei Personen unter Leitung des seit Mitte Februar 1933 ihr angehörenden Karl Reuter, bemühte sich in der ersten Sitzung des neugewählten Gemeinderats am 5. April sehr um Zustimmung für ein eingebrachtes Misstrauensvotum gegen Christian Schmidt. In dieser Sitzung war der mit ihm verfeindete Karl Reuter auch von den 9 Zentrumsvertretern zum neuen Gemeindevorsteher gewählt worden. Man warf Schmidt eine nichtnationale Gesinnung und ein Verhalten vor, durch das die Gemeinde geschädigt worden sei. An einer Erwiderung vor der Abstimmung über das Mißstrauensvotum wurde der Bürgermeister auf Antrag der N.S.D.A.P. gehindert, da es ein Recht zur Verteidigung jetzt nicht mehr gäbe. (Die später erfolgte schriftliche Erwiderung2) des Bürgermeisters auf die vorgebrachten haltlosen Vorwürfe jener Fraktion ist erhalten geblieben. Eine Kopie befindet sich im Kreisarchiv Ahrweiler). Die Bemühungen Reuters um ein gemeindliches Misstrauensvotum gegen den Bürgermeister hatten Erfolg, weil auch die gesamte aus 9 Personen bestehende Zentrumsfraktion mit dem örtlichen Zentrumsvorsitzenden Prior es unterzeichnete. Auf Anraten des Landrates beantragte Christian Schmidt einen vierzehntätigen Urlaub, da der Landrat für dessen persönliche Sicherheit in der Nacht vom 7. auf den 8. April nicht garantieren könne. Nach dem Urlaub durfte er in sein Amt nicht mehr zurückkehren. Er verließ Altenahr und trat am 20.7.1933 seinen Dienst als Bürgermeister von Brodenbach (Mosel) an, wo er noch zwei Jahre als solcher fungieren durfte. Die Familie folgte im Laufe des Jahres 1933.

Christian Schmidt, von 1920 - 1933 Amtsbürgermeister in Altenahr.

Der neue NS-Amtsbürgermeister

Recht bald nach dem Miss- trauensvotum gegen Schmidt erhielt das Amt Altenahr einen neuen Bürgermeister namens Wilhelm Eiden, der „alter Kämpfer“ war. Er gehörte also der N.S.D.A.P. schon vor der machtübernahme Hitlers an. Ich sehe ihn heute noch vor mir, wie er mit schwarzen Reitstiefeln durch den Ort ging, in der Hand eine Reitgerte. Bald bemerkte man in Altenahr auch durch ihn veranlasste äußere Veränderungen. Auf der Wiese neben dem Bürgermeisteramt, das damals in einem Haus in der Altenburgerstraße neben dem Bahn-Hotel Hübel innerhalb des späteren Cafés Lang untergebracht war, wurde im Frühjahr 1933 ein großes Rundbeet geschaffen. Dieses Beet enthielt in der Mitte das Symbol der N.S.D.A.P., das Hakenkreuz, das durch Blumen mit dunklen Blüten dargestellt wurde. Die Flächen zwischen den Balkenen des Hakenkreuzes waren mit weißem Kies ausgefüllt. Rundherum waren Blumen mit roten Blüten gepflanzt. Damit war das schwarzweißrote Emblem der N.S.D.A.P. fast genau nachgeahmt. Kurz darauf fiel den Teilnehmern der Fronleichnamsprozession des Jahres 1933 auf, dass hinter dem Beet ein Fronleichnamsaltar aufgebaut worden war, Zeichen eines Protestes des Bürgermeisterehepaars Schmidt? Vom Bürgermeisteramtsgebäude wehte jetzt regelmäßig die Hakenkreuzfahne. Sie wurde nach und nach auch die Fahne, die die Altenahrer bei besonderen Ereignissen flaggten, nachdem früher oft die schwarzweißrote Trikolore, seltener die durch die Weimarer Verfassung von 1919 eingeführte schwarzrotgoldene Reichsfahne an den Häusern geweht hatte.

Der neue Bürgermeister führte eine Reihe von Umbenennungen besonderer Ortslokalitäten durch, von denen mir noch zwei in Erinnerung sind. So hieß der Straßentunnel am Ortsausgang nach Mayschoß jetzt Porta-Nigra-Tunnel, ein kleines Wäldchen am Anfang des Langfigtals wurde Nibelungen-Hain genannt, dies wohl wegen der immer stärker propagierten deutschen Heldenmythen. Eine von Eidens Maßnahmen ärgerte allerdings viele Altenahrer ganz besonders. Er ließ auf dem Bahnhofsvorplatz die vielen herrlichen Kastanienbäume so stark beschneiden, dass sie das Aussehen von geschnittenen Platanen erhielten. Mehr Zustimmung aber erhielt er (oder sein Nachfolger Erich Kobs?) dafür, dass das Teufelsloch wiederhergestellt wurde, nachdem eines seiner begrenzenden Felsenteile während einer Nacht in das Langfigtal abgestürzt war. Eiden selbstwurde 1934 Bürgermeister von Ahrweiler.

Fronleichnam 1933 in Altenahr: „Hakenkreuzbeet“ am Bürgermeisteramt Altenahr mit Fronleichnamsaltar dahinter.

Gründung der NS-Jugendorganisationen

Nach und nach wurde auch uns Kindern die neue „Bewegung“ nähergebracht. Unser Klassenlehrer der ersten beiden Schuljahrgänge bemühte sich darum, einige der 15 Schüler unserer Klasse und andere Altenahrer Jugendliche für das „Jungvolk“ und die „Hitlerjugend“ zu gewinnen. Wir Jüngeren gehörten den beiden Jugendverbänden nicht offiziell an, erhielten auch keine Ausweise, nahmen aber an vielen ihrer Veranstaltungen teil. Manchmal mussten wir auch durch den Ort marschieren, wobei ich als Kleinster mit meinen kurzen Beinen Schwierigkeiten hatte, den Größeren zu folgen.

Wir waren damals keine sehr große Einheit von Jugendlichen. Viele Altenahrer Jungen waren nämlich schon einige Zeit vorher Mitglieder katholischer Jugendverbände geworden, der „Jungschar“, die die jüngeren Schüler umfasste und der „Sturmschar“ für ältere Jungen. (Sie wurden 1935 verboten). Mir imponierte deren blaues Uniformhemd, und ich ließ den Eltern natürlich keine Ruhe, bis auch ich eine Uniform bekam, allerdings eine braune für das Jungvolk.

Unsere erste große „Aktion“ fand dann am 17. September 1933 statt3). Wir fuhren morgens auf einem Lastwagen nach Adenau zur Einweihung des Separatistenabwehr-Denkmals. 1923 war beim Sturm auf ein von Separatisten besetztes Gebäude der Adenauer Karl Nett getötet worden4). Ihm zu Ehren wurde damals hinter dem Hotel „Halber Mond“, das heute abgerissen ist, ein Denkmal enthüllt. Wir marschierten durch Adenau und erhielten eine bronzefarbene Erinnerungsplakette mit aufgedrucktem Denkmal, die wir noch wochenlang trugen.

Örtliche Veranstaltungen

Natürlich nahmen wir auch an neueren örtlichen Veranstaltungen teil. So gab es bereits 1934 eine große NS-Kundgebung am 1. Mai vor dem damaligen Hotel Caspary. Hier mussten auf Veranlassung der Schule mehrere Schüler (darunter auch ich), und Schülerinnen anlässlich des Tages der „Arbeiter der Faust und der Stirn“ Gedichte aufsagen. Eine Schülerin blieb vor Aufregung beim Vortrag stecken. Keiner half ihr weiter, und so beendete sie ihr Gedicht „Deutschland, Deutschland, ewiges Land“ mit den Worten „Ich kann nicht mehr!“ Außer am Heldengedenktag, an dem Gliederungen der NSDAP und des Altenahrer „Kriegervereins“ vor dem Kriegerdenkmal unterhalb der katholischen Kirche in Aktion traten, blieben die üblichen Feste im Laufe des Jahres zunächst von stärkeren NS-Einfluss unbehelligt. Lediglich am Winzerfest gab es bald einige Festwagen historischen Inhalts, die die kulturelle Beeinflussung durch die neue „Bewegung“ verrieten.

Tätigkeit der SA

In Erscheinung traten 1933 und 1934 auch Angehörige der SA in ihren braunen Uniformen. Man sah sie meistens sonntags beim Exerzierdienst auf der „Gemeindewies“ (mit dem Feuerwehrturm) hinter dem Sägewerk Monreal. Manchmal entdeckte man sie in der Umgebung von Altenahr an Lagerfeuern, an denen sie Würstchen brieten.

In besonders unangenehmer Erinnerung ist mir die Altenahrer SA durch ein Ereignis im Jahre 1934. Bei einer Sammlung mit Verkauf von WHW-(Winterhilfswerk) Abzeichen hatte der auf der linken Seite jenseits des Straßentunnels nach Mayschoß wohnende Straßenmeister Karl Kirchhoff nach der Auswahl von Abzeichen vor dem Bezahlen gesagt: „Und was macht der Dreck zusammen?“ Am Abend des gleichen Tages erschienen SA-Leute vor seinem Hause und machten durch laute Proteste auf sich aufmerksam. Anlass war dessen Bezeichnung „Dreck“ vor dem Bezahlen, die dazu führte, dass er „in Schutzhaft“ genommen wurde. Er wurde in Ahrweiler inhaftiert. Meine Mutter, die mit der Familie Kirchhoff befreundet war, hörte von der Festnahme und wandte sich zur Auflärung der Angelegenheit klopfenden Herzen an den Bürgermeister Eiden. Dieser verwies sie an die N.S.D.A.P.-Kreisleitung in Ahrweiler. Dort klärte meine Mutter die vernehmenden Parteigenossen auf, Herr Kirchhoff verwende seit Jahren das Wort „Dreck“ an Stelle von Geld. Er wurde daraufhin aus der Haft entlassen. (Anscheinend wurde er aber später weiterhin beobachtet. Am 31. Januar 1941 erschienen Gestapoangehörige bei ihm, um ihn (wegen missliebiger politischer Äußerungen?) festzunehmen. Er bat darum, seine Waschutensilien im Schlafzimmer holen zu dürfen und erschoss sich dort. Er wurde in einem Reihengrab des öffentlichen Friedhofs der Gemeinde Altenahr beigesetzt. Leider hat die Ortsgemeinde Altenahr nach dem Kriege weder sein Grab auf dem Altenahrer Friedhof erhalten, noch eine Gedenktafel für ihn als Opfer des NS-Regimes errichtet.)

Dass die SA nicht wenige Angehörige in Altenahr und Umgebung hatte, geht aus der Tatsache hervor, dass etwa in den Jahren 1934 und 1935 in einem frei gewordenen oberen Stockwerk unseres gemieteten Hauses das Büro des SA-Sturms untergebracht war. Dort mußte ein SA-Mann und zugleich Angestellter des Amtes Altenahr aus Marienthal zeitweise Dienst tun. Er erhielt dabei immer wieder Besuch ratsuchender SA-Männer.

Nicht wenige der SA-Männer des SA-Sturms waren vorher Angehörige des „Stahlhelm“ gewesen, einer Vereinigung, der besonders Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges angehörten. Sie wurden schließlich in die SA überführt. Man hatte sie vor der Überführung manchmal in feldgrauen, fast grünen Uniformen und auch mit Tornister und Marschausrüstung gesehen, wenn sie vor Fahrten zu ihren Veranstaltungen antraten.

Die Altenahrer SA wurde zunächst nicht tätig gegen die einzige jüdische Familie des Ortes, das Metzgerehepaar Schweitzer im Roßberg und seine Kinder. Noch bis Anfang 1936 kaufte ich bei ihm Wurst und Fleisch ein, bis Frau Schweitzer meine Mutter bat, davon Abstand zu nehmen, da sie Konsequenzen für unsere (!) Familie befürchtete. (Die Familie Schweitzer emigrierte dann aber bald ins Ausland. (England?)

Kirchliche Situation

Bis etwa 1935 gab es außer den genannten damals verbotenen kirchlichen Jugendverbänden, andere kirchliche Vereinigungen, in denen jüngere Männer Aktivitäten entwickelten. Das galt besonders für den katholischen Kolping-Verein, der immer wieder durch Theateraufführungen mit historischem Inhalt im „Jugendheim“ hinter dem Schulhof der damaligen Volksschule auf sich aufmerksam machte. Er wurde damals erfolgreich betreut vom Kaplan Paul Müller (in Altenahr von 1932 bis 1938), der später als Pfarrer in Densborn tätig war.

Im übrigen war damals der Einfluss der katholischen Kirche in Altenahr weiterhin nicht gering. Der Kirchenbesuch, an den ich mich als ehemaliger Messdiener genau erinnere, war sicher so gut, daß der Pfarrer Karl Wies (in Altenahr von 1930 bis 1939) keine Klagen erheben konnte. Die Fronleichnamsprozessionen unter der Mitwirkung des Kirchenchores waren stets erhabene Ereignisse für den ganzen Ort. Auch wurde das katholische Paulinusblatt in vielen Familien gelesen.

Weitere Einflussnahme der „NS-Bewegung“

Neben der Ahrweiler - Bad Neuenahrer Zeitung tauchte aber immer mehr das Koblenzer Nationalblatt auf, die Zeitung der Nationalsozialisten. Für sie war mein damaliger Lehrer des dritten und vierten Schuljahres (1934 bis 1936), namens Soltysiak bezahlter Berichterstatter. Er schrieb so manchen Artikel, den ich während der Schulstunden in einem roten Briefumschlag zur Post bringen musste.

Dieser Volksschullehrer dürfte seine Situation vermutlich auf eine weitere Weise durch seine Tätigkeit innerhalb der NS-Bewegung verbessert haben. Er war nämlich im Rahmen der NS-Gemeinschaft KdF oder „Kraft durch Freude“ (in der „Deutschen Arbeitsfront“) tätig. Meistens an Wochenenden kamen in Eisenbahnzügen Arbeiter aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands mit sog. KdF-Reisen nach Altenahr, um dort in den Hotels für eine Woche Erholung zu suchen. Wir Schüler standen im Auftrag des Lehrers bei deren Empfang am Bahnhof, verschämt ein mit Efeu geschmücktes Schild vor uns haltend, auf dem das jeweilszugedachte Hotel verzeichnet war. Wir mussten dann die Gäste zu den einzelnen Hotels führen. Wahrscheinlich wurden auch die Ausflüge von Eisanbahnern an Wochenenden nach Altenahr staatlicherseits gefördert. Sie widmeten sich dort in den Gaststätten in so ausgiebigem Maße dem Weingenuß, daß ihre Rückkehr zum Zug uns Kindern ein besonderes Vergnügen bereitete.

Beginnende Enttäuschung bei den Jugendlichen

Etwa 1935 und 1936 beteiligten wir jüngeren Jugendlichen uns immer weniger an Veranstaltungen der Hitlerjugend. Das mag eine Folge der Versetzung des Lehrers Rössel gewesen sein. Von da an gab es für uns in einem Raum des Klosters eine Betreuung durch Frauen der NS-Frauenschaft, bei denen wir manche Nachmittage bei Spiel und Gesang, nicht selten auch Geschichten hörend, verbrachten. In diesem sog. „Jugendhort“ wurden uns ab und zu Suppen oder Kakao gereicht. Zum allgemeinen Zufriedensein fehlte uns aber ein jungenhaftes Miteinander.

Das sollte uns dann aber im Rahmen des „Deutschen Jungvolks“ in der Hitler-Jugend geboten werden, dem wir als einzigem Jugendverband für die 10- bis 14jährigen nach dem Staatsjugendgesetz vom 1.12.1936 angehören sollten. Der neue zuständige Jungvolkführer war allerdings grob in seiner Art und unflätig in seinen Reden. Er ließ uns immer wieder durch Altenahr marschieren, ohne dass er andere Ideen der Dienstgestaltung gehabt hätte. So verloren wir schnell das Interesse am Jungvolkdienst.

Die einzige Freude brachten gelegentliche Fußballspiele, die wir aber mehr unter uns als im Rahmen des Dienstes pflegten. Leider trainierten wir im Dienst nie für die Leichtathletik, so dass wir bei den alljährlichen Reichsjugendwettkämpfen, die wir Altenahrer „Pimpfe“ im Frühjahr auf dem Fußballplatz mit Sprunggrube in Kreuzberg absolvieren mussten, nicht gut abschnitten. Mangelndes Training war auch die Ursache für schlechte Ergebnisse im Jahre 1936 beim turnerischen Teil meiner Aufnahmeprüfung im Realgymnasium Ahrweiler-Bad Neuenahr in Ahrweiler. Dort hatte man im Rahmen der nunmehr höheren Bedeutung des Sports die früher übliche Aufnahmeprüfung um einen sportlichen Teil erweitern müssen.

Daß die Verhältnisse in der Jugendbewegung und in sportlicher Hinsicht nicht so negativ hätten sein müssen, bewiesen die besseren Umstände in Adenau, wohin wir 1937 umzogen. Dort wirkten Jungvolkführer, die schon vor der NS-Zeit erfahrene Jugendführer in den früheren kirchlichen Jugendverbänden und den Adenauer Sportvereinen gewesen waren. Sie verstanden es besser, den Wünschen der Jugendlichen entgegenzukommen5).

Quellen:

  1. Georg Walther Heyer: Die Fahne ist mehr als der Tod. Lieder der Nazizeit, München 1980, S. 35 und S. 36, S. 21 und S. 22.
  2. Christian Schmidt: Erwiderung des Bürgermeisters Christian Schmidt zu Altenahr auf die gegen ihn in der ersten Sitzung des neugewählten Gemeinderats von Altenahr zur Begründung des von der 3 Mann starken Fraktion der N.S.D.A.P eingerbachten Mißtrauensvotums (erhobene Vorwürfe).
  3. Bernd Raussen: Das NS-Regime. In: Jugend im Eifeldorf, Adenau 1995, S. 44.
  4. Manfred Korden: Denkmal zur Erinnerung an den Separatistenabwehrkampf. In: Jahrbuch 1998 Stadt Adenau, S. 99-S. 105.
  5. Bernd Raussen: Jungvolkdienst. In: s, Anm. 3, S. 54 und 55.