„…halwe Kroom…“ - 

Neuenahrer Originale

Hubert Rieck

Da sitzt er nun. In der linken Hand genüsslich eine Zigarre haltend, während seine andere Hand die rechte Ohrmuschel weit nach vorne drückt. Hendrech lauscht gespannt den Worten seines Gegenüber. Aufrecht stehend, mit Frack und Zylinder, die Zeitung in der Rechten, den Schirm in der Linken, die „Neuigkeiten des Tages“ süffisant verbreiten wollend, so tritt er seinem Zuhörer mit der Frage gegenüber: „Saach, Hendrech, häss´de at jehüürt…?“ - Und der Angesprochene antwortet gespannt: „Watt jitt´et dann Neues em Dörep, Jösef?“

Die Neuenahrer Originale Hendrech und Jösef haben seit Mai 1999 eine feste Adresse in Bad Neuenahr, wo sie zu allen Tages- und Nachtzeiten anzutreffen sind: An der Gabelung der Jesuitenstraße, hinter der neugotischen Kapelle mit der Kreuzigungsgruppe von 1536. Dort steht ihr Denkmal, kraftvoll in Basalt gemeißelt, und fürwahr, die Bildhauer Johannes Netz und Gerd Hardy aus Brohl-Lützing haben eine vortreffliche Arbeit geleistet.

Plastisch erscheinen sie uns, die bekannten „Grielächler“, „Schelme“, „Philosophen“, „Beobachter“, „Kommentatoren“ und „Kritiker“ des Ortsgeschehens und des Lebens schlechthin. Ermöglicht wurde der Bau des Denkmals durch eine weitere Initiative der Bürgergesellschaft Wadenheim unter ihrem Vorsitzenden Horst Felten. Nach der Errichtung der Brunnenanlage „Goldener Pflug“ im Jahre 1995 finanzierte die Bürgergesellschaft in der Jesuitenstraße ein weiteres Denkmal (!), das Aufforderungscharakter besitzt und seine Betrachter zum Nachdenken anregt.

Das Charisma von „Hendrech on Jösef“ 

Hendrech und Jösef, in Basalt gehauen, sind im doppelten Sinne des Wortes „Kunst-Figuren“. Obgleich sie, durch das, was sie „verkörpern“, lebendig sind. Deutlich wurde dies während der Einweihungsfeier, als plötzlich die beiden Neuenahrer Urgesteine neben ihren Basaltfiguren auftauchten, auf das Podest stiegen und in einem schelmischen Zwiegespräch die verschiedensten Themen kommentierten. Im breitesten Wodemer Platt schnuddelten sie über: Die Entwicklung des Heilbades; den Abriss der alten Hotels mit den klangvollen Namen „et Palass“, „de Kaisehoff“, „de Jermania“; das neue „Neuenahrer Jymnasium“ neven em Krankehuss; dem Verkehrslärm im „Veedel“; den „niedrigen“ Altersschnitt im Ort und die zunehmende Zahl von Seniorenwohnheimen.

Eine besonders beliebte Reibfläche von Hendrech und Jösef, deren Figuren im Spiel gekonnt von Willi Pollig und Otto Beißel verkörpert wurden, waren und sind die kommunalen Autoritäten und Mandatsträger. Insbesondere „de Stadt“ und ihre „Spitze“ erfreuten und erfreuen sich größter Aufmerksamkeit und kritischer Würdigung. „Do hät de Stadt et ens widde jood jemeint, äwe nur halwe Kroom jemach…” mit diesen Worten, denen sodann ausführliche Erläuterungen folgten, geißelten sie oftmals die „kommunalen Würdenträger“. Schon 1913 „jeuschelten“ die Beiden in der Neuenahrer Bürgerzeitung über die örtliche Verwaltung. So entwickelte sich folgendes Zwiegespräch: Jösef: „Mett ohse Wasseleidung stemb ett emme noch nett.“ - Hendrech: „Wie meinste datt?“ - Jösef: „Ech meinen datt schlähchte Funkzioniere mett dä Hydrante…“ 1999 im Einweihungsspiel kommentierten sie süffisant, dass sich ihr Denkmal inmitten von „Strüngk on Kraud“ befände und dass es den Oberen der Stadt gut zu Gesicht stünde, hier „vor Ort“ einen ansprechenden Platz des Verweilens zu gestalten: „Äwe mett demm Gestalten von Plätzen üben die ja noch. Dat seht ma ja am ‘Platz an der Linde’.“

Die geistigen Väter

Schon vor dem Ersten Weltkrieg ließen Peter Josef Dahr, „de ruud Dahr“ und Franz Michel Witsch die Figuren von „Hendrech on Jösef“ in der Neuenahrer Bürgerzeitung lebendig werden. Die Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften dieser Originale lassen sich nicht auf zwei bestimmte Personen konzentrieren. Aber es gab für diese Phantasiegestalten „Vorbilder“, z.B.: Hannes Mechels, Jeupe Hendrech und Kirchs Josef. In den 1930er Jahren sowie Ende der 1940er Jahre traten Franz Kohlhaas und Toni Linden als Hendrech on Jösef in der Bütt der Neuenahrer Karnevalsgesellschaft auf, 1953 Hermann Marner. Jedoch „Hendrech on Jösef“ sind untrennbar mit einem Namen verbunden: Philipp Bichler. Dieses Neuenahrer Urgestein verstand es meisterhaft, die Kunstfiguren wieder aufleben zu lassen. Er setzte ihnen seit 1970 in seinen Beiträgen in der „Neuenahrer Chronik“ und der „Stadtzeitung“ sowie in seinen Lesungen in der Volkshochschule ein literarisches Denkmal. Seine Fähigkeit, spannend und unterhaltsam zu erzählen und seine Beherrschung des alten Neuenahrer Dialekts, gepaart mit vielfältigen Informationen über die interessante Geschichte Neuenahrs, trugen zur großen Popularität Philipp Bichlers bei. Er vermochte es, in seinen Beiträgen das Charakteristische von Hendrech on Jösef herauszuarbeiten: Die Verwurzelung in der Heimat, die Liebe zum Ort und den Mitmenschen, die unverwechselbare Sprache in Form des „Neuenahrer Platt“ sowie die kritische Haltung gegenüber sogenannten Autoritäten.

In Stein verewigt: "Hendrech on Jösef

Originale, Originale…

In seinen Geschichten von „Hendrech on Jösef“ verstand es Philipp Bichler vorzüglich, die Leser und Hörer aber auch mit weiteren Neuenahrer Originalen vertraut zu machen. In ihrem „Verzellche“ gaben sie wahre Geschichten und Anekdoten, z.B. über „de Dokte Weißenfeld“ zum besten. Dr. Weißenfeld praktizierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in dem aufstrebenden Heilbad Neuenahr. Seine Praxis hatte er zunächst im Haus Minerva, in der Poststraße, sodann in der Villa Maria in der Lindenstraße. Er hob sich von seinen Standeskollegen deutlich ab: Dr. Weißenfeld war volkstümlich, beherrschte den hiesigen Dialekt perfekt und war zudem Vorsitzender des Marinevereins. Er gab sich rustikal, aber stets menschlich, war engagiert und fachlich kompetent. Er traf den Lebensnerv seiner Neuenahrer und kannte ihre Eigenarten. „Frau Schlimmbach! Ihr wollt doch secher noh Neuenahr“, so sprach er eine hochbetagte Neuenahrerin an, die ihre „Deukar“ Richtung Heimatort schob. In dieser Karre lag ein Ferkel, das sie auf der Grafschaft von einem Bauern gekauft hatte. Die alte Frau zierte sich, in das Auto des Arztes einzusteigen, da es ihr unangenehm war, dem „lewen Herrn Dokte“ Ungemach zu bereiten. „Nu steich doch endlich inn“, sprach Weißenfeld energisch und transportierte Ferkel, „Deukar“ und Frau Schlimmbach in seinem feinen offenen Auto der Marke „Adler“ bis „an de Dühr“.

Die Geschichten vom „Neuenahrer Lügenbaron“, mit Namen „Pläät Schneide“ aus dem „Jüddejäßje“ wußten Hendrech on Jösef ebenfalls zu berichten. Jener Heinrich Schneider aus Wodom war so etwas wie ein Universalgenie: „Anstreichemeister“, „Jlasermeister“, „Landwiet“, „Winze“, „Waidmann“, „Vehdockte“ und Imker. 1890 erlegte er nach eigenem Bekunden am „Karweile Hellejehöusje“ den letzten Bär im Ahrtal. Mit seinem Gewehr, das einen „läädenen Lauf“ hatte, schoss er sogar um die Ecke, und einer seiner Söhne „weißte de Stuff beim Kaise Willem in Berlin“. So die Phantasiegeschichten. Das wahre Leben der „Pläät“ zeigte sich doch auch von der harten Seite. Seine Söhne fielen im Ersten Weltkrieg. 1931 verstarb dieses Neuenahrer Orginal, 80jährig. Sein schönes Fachwerkhaus mit typischem Vorgarten in der Wadenheimerstraße verfiel. Schließlich wurde es 1998 abgerissen. Jetzt steht an dieser Stelle, für Neuenahr nicht untypisch, ein „seelenloser“ Zweckbau für Eigentumswohnungen.

„Was die Welt Originalität nennt“, so der irische Dichter George Bernard Shaw, „ist nur eine ungewöhnliche Art, sie zu kitzeln.“ In der Tat: Die Neuenahrer Orginale kitzelten ihre Mitmenschen, brachten sie zum Schmunzeln, Lachen und Staunen, machten das Leben lebenswerter und heller, „schnuddelten“ über die Autoritäten….

Die Hoffnung, dass solche Orginale - wenn überhaupt - nachwachsen, ist nicht sehr groß. Aber… wäre dies nicht gerade heute äußerst wünschenswert.

Neuenahrer Originale 1922, u. a. der legendäre "Pläät Schneide" (stehend 3. v. l.)

Anmerkungen:

Ich danke Hans-Jürgen Ritter für den Einblick in seine umfangreiche heimatgeschichtli- che Sammlung. Des weiteren gebührt Herrn Otto Beißel Dank für eine Aussprache zu „Hendrech on Jösef“. In Memoriam: Ein aufrichtiges Wort des Dankes an Philipp Bichler und Klaus Rieck, die mir viele Details über Alt-Neuenahr in Form von Tonbandaufzeichnungen zugänglich machten.