Neuenahrer Wasser vermittelt ein Gefühl der Behaglichkeit und aufgeweckter Stimmung
Aus der Gründungszeit des Mineralbades Neuenahr bei Beul
Hans-Jürgen Ritter
Der Glaube versetzt Berge
Im Jahre 1857 wurde der Pfarrer der Gemeinde Wadenheim - heute Bad Neuenahr - nach Ramersbach versetzt. Der Pfarrer hatte seinen Sitz im alten Pfarrhaus, heute Stadtbibliothek, zu Füßen der Willibrorduskirche über Beul. Zivilgemeinde und Pfarrgemeinde waren damals noch identisch, und es gab noch keine protestantische Kirchengemeinde. Auch Juden waren hier nicht ansässig, sie kamen nur als Viehhändler in diese armselige Gemeinde.
Das Bischöfliche Generalvikariat zu Trier stellt eine Neubesetzung der Pfarrstelle in Aussicht, wenn die Gemeinde bereit wäre, einen Zuschuss von 150 Talern im Jahre zum Gehalte beizusteuern.
Hierauf schrieb die Gemeinde dem Ahrweiler Dechanten Merten, der Zwischeninstanz im Verkehr mit Trier: „Der dürftige Zustand unserer Gemeinde ist Euer Hochwürden gewiß sattsam bekannt, indem wir in unseren Erwerbsquellen besonders auf Wein Production angewiesen sind; welche durch so viele Fehljahre bedingt ganz versiegt,...“
Unter weiterem Hinweis auf die hohen Kosten der laufenden Ahrregulierungsarbeiten erklärt man sich zu dem geforderten Zuschuss bereit, wenn Trier gestatten möge, „ ... einen Theil unseres Pfarrgutes zu außergewöhnlichem hohen Preise zur Benutzung der in Aussicht stehenden Bade Anstalt dahier zu veräußern...“ Aus diesem Erlös wolle man dann den Zuschuss finanzieren.
Dieses Schreiben ist nur eines von vielen, das vorgesetzte Behörden und Dienststellen von der Armut der Bevölkerung und der daraus resultierenden ständigen Geldknappheit der Gemeinde zu überzeugen sucht. Es ist aber auch deshalb interessant, weil es in voraus eilender Euphorie schon mit einem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung nach der erst geplanten Badgründung rechnet. Dieser Glaube sollte tatsächlich Berge versetzen, denn im Verlaufe der nächsten Dekaden entstand auf den unfruchtbaren Kieswüsten rechts und links der Ahr, auf dem „Stein und Grind“, ein Weltbad allerersten Ranges. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt - Mai 1857 - waren lediglich die Heilquellen erbohrt. Noch standen keinerlei Bauten zur Aufnahme oder badeärztlichen Betreuung der erhofften Gästescharen.
Aber auch Trier glaubt fest an das zukünftige Heilbad und erwartet ebenfalls eine kräftige Wertsteigerung der pfarreigenen Immobilien. Deshalb lehnt man im Generalvikariat eine frühzeitige Veräußerung ab: „Wird Beul ein besuchter Badeort, so wird nicht bloß das Pfarrwittum von Beul, sondern es werden alsdann auch die Grundstücke der Pfarrgemeinde im Preis steigen, und es wird sich letzterer manch neue Erwerbsquelle öffnen, durch deren Benutzung schon die Beschaffung des Zusatz Gehaltes erleichtert wird, dagegen hat der Pfarrer eines Badeortes mehr standesmäßige Ausgaben wie der eines einfachen Dorfes, und es muß deshalb dem Pfarrer zu Beul der aus dem dortigen Pfarrwittum zu ziehende größere Vortheil im Falle dortiges Bad ins Leben tritt, zur Deckung der von Ihm alsdann zu machenden mehr Ausgabe verbleiben." Es versetzt den heutigen Leser in Erstaunen, dass man auch im Generalvikariat schon im Geiste anstelle des armseligen, verfallenen Dorfes ein blühendes Kurbad erwartete.
Ansicht von Bad Neuenahr im Ahrtal auf einem Holzstich, Sommer 1859. Der Ausbau zum Kurbad hatte gerade erst begonnen, das Dörfliche dominierte noch völlig.
Gerüchte, Gerüchte...
Zähneknirschend ordnet sich der Gemeinderat unter und bewilligt die drückende Zulage von 150 Talern „in Anbetracht der in mancher Hinsicht zu Tage getretenen sittlichen Gebrechen der Pfarrgemeinde Beul ... Unser Pfarrhaus haben wir mit bedeutenden Kosten renoviert, möge es auch dem H(ochlöblichen) B(ischöflichen) G(eneral) Vikariat gefallen uns mit baldiger Wiederbesetzung unserer Pfarrei zu erfreuen...“ Trier gefiel es, wohl auch in Anbetracht der Gefährdung der sittlichen Stabilität einer Herde ohne Hirten, zum 1. Oktober 1857 den bisherigen Kaplan von Ahrweiler, Franz Maria Albert Prim, zum neuen Pfarrherrn zu ernennen. Den Gemeinderat aber wurmte immer noch die Zulage von 150 Talern, und er erwägt, sollte Trier sich in der Verkaufsangelegenheit, „...wenn einmal, was erwartet werden darf, Beul ein blühender Badeort sein wird...“, nachgiebig zeigen, einen Teil des seiner Meinung nach überflüssigen und übergroßen Pfarrgebäudes zu verkaufen. Dann soll die Gehaltszulage um die Zinsen des Verkaufserlöses vermindert werden.
Die Renovierung des Pfarrhauses allerdings scheint dem Landrat nicht bedeutend genug gewesen zu sein, so dass er eine weitere Renovierung anordnet. Auch hiergegen protestiert, wie nicht anders zu erwarten, der Gemeinderat, da mehr Räume hergerrichtet werden sollen, als der Pfarrer benötige. „Es geht schon jetzt das Gerücht, der Herr Pfarrer beabsichtige, wenn Beul Badeort seie, Räume im (Pfarr-) Haus zu vermiethen.“ Diese auch herzurichten, dazu fühlt die Gemeinde sich nun wirklich nicht verpflichtet.
Sollte gegen Erwarten die Badeanstalt eingehen ...
Hier stellt sich uns die Frage, was die Wadenheimer so zuversichtlich macht, sie zu Hoffnungen und Erwartungen verleitet, für die es bis auf die schon in Beul erbohrten warmen Brunnen noch keine sichtbaren Fundamente gab, auf denen das Bad hätte aufgebaut werden können. Bauten sie Luftschlösser, waren sie trügerischen Halluzinationen verfallen? Nun, bei der drückenden Armut der Gemeinde werden sich die Bürger an jeden Strohhalm geklammert haben, so sie denn einen gehabt hätten, um hoffnungsfroh in die Zukunft schauen zu können. Anzeichen, die zu Träumen berechtigten, gab es allerdings schon. Zum einen war es die starke Persönlichkeit Georg Kreuzbergs, der seit Erbohrung der Apollinarisquelle im Jahre 1852 und deren wirtschaftlichen Nutzung schon bald einen erstaunlichen geschäftlichen Erfolg vorweisen konnte. Warum sollte ihm das nicht auch mit den warmen Quellen Beuls gelingen? Zum anderen waren die Vorbereitungen zur Gründung einer Commandit=Gesellschaft, seit März 1857 betrieben, schon sehr erfolgreich gewesen. Ein großer Teil des geplanten Aktienkapitals von 400 000 Talern war schon gezeichnet. Geschäftliche Aktivitäten waren vor allem auch schon in Verhandlungen mit der Gemeinde zu verzeichnen. Notwendige Grundstücksankäufe sowohl von Privaten als auch der Gemeinde waren getätigt oder geplant, das Recht zur Unterquerung von Gemeindewegen mit Quellwasserleitungen war zu erlangen, ein sogenannter Kauf und Sicherungsvertrag stand vor dem Abschluß. In diesem Vertrag sollte dem Georg Kreuzberg vor allem das alleinige Recht, im Gemeindebanne nach Quellen graben und diese ausnützen zu dürfen, zugestanden werden. Georg Kreuzberg und sein technischer Berater und Mitgesellschafter, der Geologieprofessor Bischof aus Bonn, betrieben die Nutzungsvorbereitungen mit so starker Energie und einer so vitalen Umtriebigkeit, dass die Gemeinde sich als Verhandlungspartner auf der stärkeren Seite fühlen konnte. Und diese Position versuchten die pfiffigen Gemeindevertreter weidlich auszunutzen. Am 22. September 1855 erläuterte ihnen der Königliche Landrat, welche Vorteile die Gemeinde aus der Überlassung von Gemeindeeigentum an Kreuzberg und Bischof ziehen könne. Der Gemeinderat beschloß darauf hin: „Den Gesuchstellern soll das von ihnen gewünschte Land im Falle des Zustandekommens einer Badeanstalt eigenthümlich überlassen werden,...“. Allerdings werden seitens der Gemeinde sehr weitgehende Forderungen gestellt, was die Übernahme von Kosten für schon ausgeführte und noch auszuführende Ahrregulierungsarbeiten betrifft. Der Bau einer Fahrbrücke über die Ahr mußte finanziert werden, ebenso sollten Gesuchsteller „...auch die Herstellung und Unterhaltung sonstiger Wege und Promenaden auszuführen haben, welche dem Badeorte ersprieslich erachtet werden sollten. Auch übernehmen Gesuchsteller Pflasterung oder wenigstens Chaussirung sämtlicher Dorfstraßen. Würde Straßenbeleuchtung künftig nötig erachtet werden, so hat die Badeanstalt die Kosten derselben zu tragen. Überhaupt dürfen der Gemeinde Wadenheim weder jetzt noch künftig Ausgaben entstehen.“ Listig fügen sie noch hinzu: „Sollte gegen erwarten die BadeAnstalt, welche eingerichtet werden soll, eingehen, so wird die Brücke in dem Zustande, wie solche sich eben befindet, Eigenthum der Gemeinde Wadenheim...“.
Aufnahme aus dem Jahre 1889. Das Anwesen des Ackerers und Winzers Peter Joseph Witsch. Im Hintergrund ist bereits das moderne Neuenahr zu sehen. Dennoch kann das Weltbad bis ins 20. Jahrhundert seinen bäuerlichen Ursprung nicht verleugnen.
Im endgültigen Kauf- und Sicherungsvertrag vom November 1857 stellt die Gemeinde moderatere Forderungen an die Gesellschaft. Die Bestimmungen betreffend Ahrregulierungskosten und Ahrbrückenbau bleiben bestehen. Die Gemeindeeinwohner erhielten das Recht auf zeitlich begrenzte Mineralwasserentnahme, wie schon am Apollinarisbrunnen, und auf freie Bäder bei ärztlicher Verordnung, wobei diese auf zehn pro Tag beschränkt bleiben sollten. Dafür „begibt sich (die Gemeinde) des Rechtes, auf ihrem Banne nach Mineralquellen zu suchen, oder die selben, wenn sie zufällig gefunden werden, auszubeuten.“ Dieses alleinige Recht wird dem Georg Kreuzberg oder seinen Rechtsnachfolgern eingeräumt. Dennoch gelang es einem Dr. Praessar aus Ahrweiler unter der Hand Grundstücke im Quellgebiet zu erwerben und nach einer Quelle zu bohren, die er Mariensprudel benennt. Er errichtet ein Hotel an der Oberstraße und verabreicht später ebenfalls Bäder an Kurgäste. Erst nach langen Verhandlungen konnte die Aktien Bade Gesellschaft diese Kuranstalt im Jahre 1865 für 32 000 Täler erwerben und einen lästigen Konkurrenten ausschalten. Beim Studium vorliegender Verträge zwischen Gemeinde und Gesellschaft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Gemeinde sehr hoch reizte und die Lage der Gesellschaft, ihre bis dato getätigten Investitionen nun auch in Gewinn umsetzen zu müssen, bedenkenlos zu ihrem Vorteil auszunützen suchte. Dass die Gesellschaft von einem großen geschäftlichen Erfolg ihrer Unternehmung überzeugt war und sich deswegen auch „erpressen“ ließ, mag folgender Passus aufzeigen: „Sollte die Königl. Regierung die Gemeinde Wadenheim zwingen wollen, einen normalen Fahrweg nach Bachem oder Heimersheim zu bauen, so übernimmt die Actien Gesellschaft diesen Bau auf ihre Kosten.“
Die Gemeinde verpflichtete die Gesellschaft zudem, ihr für 4000 Taler Aktien auszuhändigen. Im Falle die Gesellschaft sich nicht konstituiere, muss Georg Kreuzberg diese bis zum 1. Januar 1860 in bar auszahlen. Die Gesellschaft ging auf alle Forderungen ein, denn sie war von ihrem Erfolg überzeugt, zumal auch die Königliche Regierung mit dem 16. September 1857 genehmigt hatte, „...daß dem bei Beul im Kreise Ahrweiler neu zu gründenden Mineralbade die Benennung „Bad Neuenahr“ beigelegt ist.“ Jetzt wird zum ersten Male nach dem Ende des alten Reiches der sagenumwobene Name Neuenahr, der Name des Grafengeschlechtes und seiner Burg auf dem „Hohen Berge“ südlich von Beul verwendet, allerdings nur für den engbegrenzten Bezirk der zukünftigen Badeanstalt. Im Jahre 1875, nach Trennung der Gemeinde Wadenheim von der Bürgermeisterei Ahrweiler, ging der Name „Neuenahr“, noch ohne den Bad-Titel, auf die neu errichtete politische Gemeinde über.
Ein Heiliger für Brunnenwunder
Wenn auch mit Fug und Recht behauptet werden kann, dass im Jahre 1857 noch keinerlei wesentliche Baumaßnahmen angegangen, geschweige den vollendet waren, so muss doch ein Anfang August 1857 errichtetes provisorisches Badehaus mit vier Kabinetten erwähnt werden. Dieses war zu Kurversuchen an den Quellen aufgestellt worden. Der spätere Badearzt Dr. Weidgen machte hier die ersten Selbstversuche mit dem Wasser der Victoriaquelle, „welches krystallhell hervorsprudelt und einen leicht säuerlichen, etwas prickelnden, angenehmen Geschmack hat. Nach 1, 2 und 3 Gläsern hatte ich bald nach dem Genusse keine wahrnehmbare Empfindung, nach 4 Gläsern aber das Gefühl einer leichten Wärme in der Magengegend, die sich allmählig dem ganzen Körper mittheilte und mit dem Gefühl der Behaglichkeit und aufgeweckter Stimmung verband, der Puls blieb dabei ruhig, keine Aufregung in der Circulation des Blutes fand statt. Die nächste Wirkung war vermehrte Harnabsonderung, welche die genommene Quantität des Wassers ziemlich beträchtlich überstieg .... 7 Gläser aber brachten bald eine Benommenheit des Kopfes unter dem Gefühl eines dumpfen Druckes in der Stirngegend.“ Außerdem machte sich bei unserem mutigen Arzte eine gewaltige Hebung des Appetits bemerkbar. Nach diesen umwerfenden Erkenntnissen - ob auch hier der Glaube ... ? stand dem Aufschwung des zukünftigen Bades nichts mehr im Wege. Der Optimismus der Wadenheimer war ungebrochen, „... daß die Gemeinde sehr bald in die Lage kommen werde, erstens die Mauer um den Kirchhof vergrößern u(nd) zu erneuern - zweitens würde es nicht mehr lange anstehen, daß die G(emein)de Wadenheim ihre Pfarrkirche vergrößern müsse, besonders wenn, wie wir hoffen, daß das Bad Neuenahr viel von Kurgästen besucht werde.“ Ob unsere gottesfürchtigen Wadenheimer schon an eventuelle Misserfolge beim Kurgebrauche gedacht hatten, für die ihr kleiner Gottesacker am Kirchlein über Beul wohl nicht mehr ausreichen würde? Der gütige St.Willibrord jedenfalls, Schutzpatron dieses Kirch-leins, hatte sein Möglichstes getan, er hatte ein weiteres Brunnenwunder vollbracht. Alle Gott- und Gutgläubigen waren nun aufgerufen, sich der heilenden Wirkung des Neuenahrer Wassers nicht zu verschließen.
Dass dieses Wasser nicht nur ein aqua regenerans, sondern mehr noch ein aqua purificans sein könne, das hatte Dr. Weidgen auch in weiterer Hinsicht gefühlt: „Auf den Stuhl wirkte das Wasser in der ersten Woche gar nicht, er war weder vermehrt noch zurückgehalten; in der zweiten aber wurde die Ausleerung etwas weicher und in der dritten auch reichlicher.“ Dieses Ergebnis aber möge der geneigte Leser eher dem vermehrten Essensdrang denn einem Wunder St.Willibrords zuschreiben.
Und so sollte ob dieses durchschlagenden Erfolges kein Zweifel mehr daran bestehen, dass diese provisorische Badeanstalt sich zu einem vielbesuchten Weltbad entwickeln werde.
Über diese rasante Entwicklung hätte man fast unseren Schutzpatron vergessen. Erst die im Jahre 1906 neuerbohrte Quelle wurde Willibrordusquelle benannt. Unser Bischof mit dem Beinamen Clemens, der Milde, wird diese Nachlässigkeit gütig verziehen haben.
Quellen:
Es wurde auf einen ausführlichen Zitatenkatalog verzichtet.
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