Der spätstaufische Altar in der Pfarrkirche St. Peter in Sinzig
Ergebnisse einer wissenschaftlichen Untersuchung des
Sepulcrums
Stephan Pauly M. A.
Nachdem in Jahr 1980 bei Ausschachtungsarbeiten anlässlich des Neubaus einer Heizung in der Sinziger St.-Peter-Pfarrkirche ca. 1,10 m unter dem heutigen Bodenniveau ein aus karmesinroten und schiefergrauen Terrakotta-Platten bestehender Fußbodenbelag aufgefunden wurde, war das Interesse für die Klärung bauhistorischer Fragen in Bezug auf die damals ungeklärte Entstehungszeit der Sinziger Pfarrkirche geweckt1).
Der sensationelle Fund war ein erster archäologischer Hinweis auf die Siedlungskontinuität von Sakralbauten an dieser Stelle. Während bereits im Jahr 855 erstmals urkundlich eine „capellam unam, que est in honore sancti Petri…dicata, sitam in fisco nostro…Sinciacus super Are prope amnem…Rhenum“ erwähnt wurde2), fehlten bis in unsere Zeit jegliche archäologische Belege für einen Vorgängerbau an diesem Platz.
Um Genaueres über die Entstehungszeit der St. Peter Pfarrkirche zu erfahren, wurden mit Genehmigung des bischöflichen Generalvikariats in Trier und des Sinziger Geistlichen, Herrn Pastor Heribert Kraus, weitere Untersuchungen vorgenommen. So wurde im Jahr 1980 unter anderem der Inhalt des im romanischen Blockaltar befindlichen Heiligengrabs, das Sepulcrum (lat. = Grab), näher untersucht.
Die Altarweihe und die Bedeutung der damit verbundenen Reliquienbeigabe
In der Spätantike wurde die Altarweihe ursprünglich als schlichte Indienstnahme verstanden. Im 4. Jahrhundert gehörte in den Rahmen der liturgischen Ausgestaltung der Altarweihe neben der Salbung der Altarmensa auch die Besprengung (Lustration) des Opferplatzes3). Seit dem 8. Jahrhundert kennt die römische Liturgie als eigenen Ritus der Altarweihe die Translation und Beisetzung von Reliquien im Altar selbst4). Nicht nur nach der Vorstellung des Menschen im Mittelalter ging von der Verehrung der Reliquien eine heilende und religiös inspirierende Kraft aus. Bereits im 5. nachchristlichen Jahrhundert schreibt der Kirchenlehrer Theodoret von Cyrus: „Sind auch die Leiber zerteilt, so wohnt ihnen doch ungeteilte Gnade inne, und jene unscheinbare und winzige Reliquie hat gleiche Kraft wie der in keiner Weise und keinem Teile zerstückelte Märtyrerleib.“5) Hierin liegt die Erklärung und Rechtfertigung für die fortwährende Aufteilung der sterblichen Überreste aller Heiligen, die im Spätmittelalter zu dem grotesken Reliquienhandel führte, der nicht zuletzt in Martin Luther einen seiner schärfsten Kritiker fand.
Die Annahme, dass sich auch Reliquien und deren genaue Bezeichnungen mit dem Siegel des den Altar und Kirche weihenden Bischofs im Sepulcrum der Stipes (lat. = Block) befänden, wurde im Rahmen der in Sinzig durchgeführten archäologischen Untersuchung bestätigt.
Der Inhalt des Sepulcrums in der Pfarrkirche St. Peter
In einer bleiernen Pyxis (griech. = Dose, Kästchen) mit der lateinischen Auschrift „ad summu(m) altare“6) (lat. = zum Hochaltar) befanden sich, in Textilfragmente eingehüllt, die Primärreliquie7) „de lapide“, also ein Stück des Steines, auf dem Jesus in der Wüste 40 Tage gefastet haben soll, außerdem Reliquien der Heiligen Philippus, Bartholomäus und Pancratius. Den sehr kleinteiligen sterblichen Überresten (Kleinstknochen) waren drei papierene Schriftbänder beigefügt, die in mittelalterlichen Versalien und Minuskeln die Reliquien bezeichneten. Neben den Reliquienfunden wurde außerdem ein sehr stark verschmutztes Wachssiegel entdeckt8).
Mögliches Datum der Altarweihe von St. Peter
Aufgrund dieses Siegelfundes konnte im Jahr 1981 die zweifelsfreie Klärung herbeigeführt werden, dass der 1234 zum Bischof geweihte Dominikanerpater Heinrich von Ösel den Altar und die St. Peter Kirche geweiht hatte9).
Textilreste Seidengewebe ("Lampas" aus dem Sinziger Altar, Ende des 13./frühres 14. Jahrhundert
Eine im Koblenzer Landeshauptarchiv aufbewahrte Urkunde belegt, dass Heinrich von Ösel eine Klosterkirche auf dem St. Beatusberg (Karthause) in Koblenz konsekrierte10). Die von ihm durchgeführte Handlung ist für den 16. August 1241 belegt. Diesen liturgischen Akt wie auch die Weihe der St. Annen Kapelle in Boppard führte Heinrich von Ösel auf Bitten des schwer erkrankten Trierer Erzbischofes Theoderich von Wied durch. Dabei war er mit Vollmachten für die entsprechende episkopale Tätigkeit von Theoderich ausgestattet worden. Kirchenhistorisch wird hierin die Entstehung der Institution des weihbischöflichen Amtes gesehen11).
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ein Jahrmarkt für die Stadt Sinzig seit dem Jahr 1310 für drei Tage vor und nach Maria Himmelfahrt (15. August) urkundlich nachweisbar ist und die Kirchweihe spätestens seit 1665 ebenfalls am Sonntag nach Maria Himmelfahrt begangen wird12), liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die St. Peter Pfarrkirche und deren Hochaltar an einem 15. August, nämlich dem des Jahres 1241, geweiht wurde. Betrachtet man zusätzlich die mittelalterlichen Verkehrsverhältnisse, so ist eine Tagesreise des Öseler Bischofs von Sinzig in das 35 Kilometer rheinaufwärts gelegene Koblenz im Bereich des Möglichen.
Auffallend in diesem Zusammenhang ist auch, dass für die Stadt Sinzig weder ein Jahrmarkt noch für die Pfarrei ein Kirchweihtermin für das Fest der beiden Apostel Petrus und Paulus (29. Juni) belegt ist. Immerhin hat die Sinziger Stadtpfarrkirche das Patrozinium des Hl. Petrus.
Auswertung und Datierung der Textilienfunde
Die Textilien, in denen die Reliquien eingehüllt waren, wurden im Auftrag von Dr. Peter Pauly, der die Untersuchungen 1980 veranlasste, in der Textilrestaurierungswerkstatt des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg durch Frau Dr. Leonie von Wilckens analysiert. Bei dem größeren Stück der beiden Stoffreste handelt es sich nach ihrer Erkenntnis um ein Seidengewebe, einen sogenannten „Lampas“, „bei dem Hauptkette und Bindekette getrennt den Grund bzw. das Muster binden. Sowohl Grund als Muster sind in Leinenbindung gewebt, wobei beim Grund durch die sehr viel dichtere Stellung der zweifädigen Kette die Schussfäden fast ganz verdeckt sind“13). Frau Dr. von Wilckens kam zu der sensationellen Schlussfolgerung, dass es sich bei dem Gewebe aufgrund des Musters und der sehr feinen Webekante bei diesem Textil um ein chinesisches Erzeugnis aus dem späten 13. oder dem frühen 14. Jahrhundert handelt. Der kleinere Geweberest bestand ebenfalls aus Seide „in Leinenbindung mit zusätzlichem, zur Musterbildung flottierendem Schuß in Goldgelb“14). Das einfachere Muster und die wenig komplizierte Webtechnik ließ nach ihrer Auffassung die Vermutung zu, dass dieses Gewebe an der Wende von 13. zum 14. Jahrhundert in Westeuropa hergestellt worden sei.
Obgleich nach der Auffassung von Frau Dr. von Wilckens die Anwesenheit chinesischer Seide in Europa am Ende des 13. bzw. Beginn des 14. Jahrhunderts zunächst nichts Ungewöhnliches darstellt15), muss angenommen werden, dass es sich bei diesen beiden Stoffresten zumindest um die ältesten im Kreis Ahrweiler bekannten Textilien handelt. Dennoch bleibt leider festzustellen, dass die vorgenommene Datierung der Stoffe keine weiteren Erkenntnisse in Bezug auf die Konsekration des Altars erbrachte.
Reliquien und Schriftband des hl. Pankratius, Beschriftung zwischen 1230 und 1260
Die zeitliche Einordnung der Textilien bleibt vor dem Hintergrund der Schriftuntersuchung durch den Archivrat des Historischen Archivs der Stadt Köln, Dr. Huiskes dennoch sehr bemerkenswert. Neben der Pyxis untersuchte Dr. Huiskes nämlich im März 1980 auch die papierenen Schriftbänder, welche die Reliquien näher bezeichneten. Er kam zu dem Schluss, dass nach einem Vergleich der Authentiken mit denen der Kölner Schreinsbücher 7, 13, 16 und 22 die verwendeten Buchstaben und Schriften wohl in die „letzten 3 Jahrzehnte vor 1260“ gehörten16).
Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass das Sepulcrum ca. 50 bis 100 Jahre nach der ersten Altarweihe im Jahr 1241 nochmals geöffnet wurde. Möglicherweise wurden aus diesem Anlass die Reliquien in die neueren, jüngeren Textilien eingewickelt. Ob diese Öffnung im Zusammenhang mit einer neuerlichen Translation, Reliquienbeigabe oder Weihe, z. B. wegen einer Verlegung des spätstaufischen Blockaltars stattfand, wird sich wahrscheinlich niemals mehr aufklären lassen.
Textilfragment mit der Primärreliquie "de lapide", ein Stück des Stienes, auf dem Jesus in der Wüste 40 Tage gefastet haben soll, außerdem Reliquie des hl. Bartholomäus
Bedeutung der Untersuchung
Wenngleich aus den Untersuchungen des Jahres 1980 neben dem Siegelfund nur die papierenen Schriftbänder weitere Erkenntnisse in Bezug auf die Entstehungsgeschichte der spätromanischen Pfarrkirche St. Peter in Sinzig zulassen, so stellt die Analyse des Sepulcrums an sich als auch der damit verbundene Textilfund ein bemerkenswertes Ereignis aus Sicht der Kunstgeschichte bzw. der Christlichen Archäologie dar. Zum einen wird die mit der Altarbeigabe verbundene Heiltumserwartung des Menschen im Mittelalter bestätigt, zum anderen gewährt die Dokumentation der Untersuchung dem Menschen unserer Zeit einen besonderen Einblick in den gewöhnlich nicht sichtbaren Bereich eines Altars: das Sepulcrum.
Anmerkungen: