Udo Bürger
Die Rivalität zwischen Königsfeld und Deden-bach auf der einen sowie Vinxt und Schalkenbach auf der anderen Seite hat eine gewisse Tradition. Vorfälle zwischen beiden Parteien sind bis ins 16. Jahrhundert zurück nachweisbar.
Auseinandersetzungen in Sachen Landfriedensbruch lagen um so näher, als die Dörfer unterschiedlichen Herrschaftsgebieten angehörten:
Königsfeld und Dedenbach gehörten zur Herrschart Königsfeld, Vinxt und Schalkenbach zur Herrschart Landskron (Kurpfalz). Der Landskroner Richter Schlemmerwußte 1784 von einem "besonderen Vorfall" in Vinxt zu berichten, der dort im März des gleichen Jahres gerichtlich verhandelt wurde.
Holzfrevler gefaßt
Im Januar 1784 wurden einige Königsfelder bzw. Dedenbacher von Vinxtern und Schalkenbachern dabei ertappt, wie sie sich in einem verbotenen oder zumindest umstrittenen Waldbezirk mit "schädlichem Holzhauen" zu schaffen machten. Die erwischten "Frevler" waren Peter Michels, Johann und Sebastian Schmilz, Mattheis Weingarten, Johannes Hausmann sowie der Dedenbacher Kuhhirte.
Der Vinxter Schützenbürgermeister Mattheis Schick nahm sie kurzerhand mit einigen seiner Schützen gefangen und führte sie nach Vinxt ab, wo sie bis zur Festsetzung einer Strafe im Hause Schicks festgehalten werden sollten.
Befreiungsaktion
Hierüber aber war in Königsfeld und Dedenbach die Entrüstung groß. In Königsfeld rottete sich die Bevölkerung zusammen und setzte sich zur Königsfelder Burg in Bewegung, von wo man sich weitere Verhaltensmaßregeln erwartete. Der auf der Burg wohnende Rentmeister Hubert Fleischer stachelte die aufgebrachte Menge noch weiter auf und ermutigte sie, "mit stürmender Hand der arrestirten sich zu bemächtigen", die Gefangenen also zu befreien. So machte sich ein beachtlicher Trupp von Königsfeldern und Dedenbachern - Zeugen sprachen von 150 bis 200 Mann - auf nach Vinxt, um die Dortgenossen loszueisen.
Es war auf Maria Lichtmeß (2. Februar), und da die Vinxter und Schalkenbacher nach Königsfeld in die Kirche gingen, bestand die Gefahr, daß sie dem "Befreiungstrupp" begegnen und in Vinxt Alarm schlagen könnten. Also nahm der Trupp "ganz ohngewöhnliche Weege", um nach Vinxt zu gelangen. Ein Zeuge gab auch an, daß die Königsfelder die Kirchenuhr zurückstellten,
um die Messe später beginnen zu lassen und somit mehr Zeit für ihr Vorhaben zu gewinnen. Mit Flinten, Hirschfängern, Heugabeln und Knüppeln bewaffnet fiel der Trupp in Vinxt ein. Nachdem die Gefangenen schnell befreit waren, gaben sich die Königsfelder und Dedenbacher aber noch nicht zufrieden, sondern legten es nun darauf an, Rache zu üben.
Bei der Demolierung des Hauses von Bürgermeister Schick tat sich besonders der befreite Dedenbacher Kuhhirte hervor. Alles Hausgeschirr wurde zerschlagen "und sogar das mit Fleisch auf dem Feuer gehenckte Düppen ins Haus und das Fleisch in den Hof geworfen". Bürgermeister Schick versuchte, sich in seiner Stube einzuschließen, mußte aber wieder öffnen, als der Königsfelder Schreiner Philipp Zipp drohte, die Tür einzuschlagen. Hierauf wurde Schick "mit einem Holz gleich darnieder geschlagen". Wer dies tat, konnte Schick nicht angeben, weil er, wie er es formulierte, nach dem ersten Schlag ganz "Verdollet" gewesen sei.
Versteck im Backofen
Um weiteren Schlägen zu entgehen, flüchtete der Bürgermeister in den Stall, wo sich ein Drama abspielte. Er kroch hier in einen großen Backofen, der ihm ein gutes Versteck zu sein schien. In dem Stall hatten aber auch bereits Nicias Gross und Wilhelm Hardt aus Schalkenbach Zuflucht gesucht. Als sie sahen, daß Schick in den Backofen verschwand, ließen sie sich diese Gelegenheit zur Solidaritätsbezeigung nicht nehmen und krochen ihm hinterher. Nicias Gross gab später an, er sei in das "Loch" gekrochen "in Meinung, Er würde dadurch auf die Gasse kommen, als Er aber darin gewesen, hätte gefunden, das Er im backofen gestochen". Das Versteck erwies sich dann auch nicht als besonders gut. Einige Königsfelder und Dedenbacher entdeckten es und versuchten nun, die drei wieder herauszubekommen. Dabei nicht gerade sehr viel Feingefühl demonstrierend stießen sie mit langen Stangen in den Backofen. Nicias Gross und Wilhelm Hardt gaben daraufhin auf und kamen heraus, Bürgermeister Schick aber hielt aus, obwohl auch er "verschiedene Stöße mit der Picken" abbekam.
Eine besonders heimtückische aber wirkungsvolle Strategie legte Henrich Zipp aus Königsfeld an den Tag, indem er dem Bürgermeister drohte, mittels eines Feuers den Backofen in Betrieb zu nehmen. Um dieser Drohung Nachdruck zu verleihen, trug man einiges Stroh zusammen, welches dem Feuer als Nahrung dienen sollte. Nun wurde es auch dem hartgesottenen Bürgermeister Schick zu brenzlig. Die Aussicht, mit einem Feuer unter dem Hintern als "Backgut" zu enden, war auch für ihn zu viel. Als er aber seinen Zufluchtsort verließ, bezog er fürchterliche Prügel.
Vinxt - Der Schauplatz des Überfalls heute
Schläge und "Verheerungen"Schick äußerte später, er wäre wohl zu Tode geschlagen worden, wenn zwei Königsfelder Sendschöffen, einer davon war Anton Quirin, ihn nicht vorweiteren Schlägen bewahrt hätten. Noch drei Wochen nach dem Überfall war Schick unfähig, sich in seinem Bett zu bewegen. Ohne Hilfe konnte er sich "nicht mehr drehen, noch wenden". Sein Vieh war im übrigen "durch die Excessen so scheu geworden, daß sich weder Er, noch jemand anderes selbigem nähern dör-fen".
Auch der "Ackersmann" Matheis Gross aus Schalkenbach war während des Überfalls in Vinxt. In einem Kuhstall wurde er mit einem Säbel "in den Kopf kreutzweise gehauen", dann an den Haaren in den Hof gezogen und dort weiter geschlagen. Matheis Hausmann aus Schalkenbach trug "drei Löcher" im Kopf davon und konnte zwei Sonntage nicht in die Kirche gehen.
Der Vinxter "Faßbender und Ackersmann" Peter Harst hatte sich anfangs "in den Stall bei das Viehe geflüchtet, und eine Wasserbütte ober den Kopf genommen, um Von den Schlägen bewahret zu werden". Aber auch er wurde entdeckt und geschlagen.
Weitere Opfer der Gewalttätigkeiten waren Johann Peter Güsseier und Laurenz Gasper aus Schalkenbach. HenrichJuncker aus Königsfeld äußerte dem Schalkenbacher Schuster Peter Schmitz gegenüber, die Königsfelder hätten Peter Zipp und zwei Schöffen aus Schalkenbach tot schlagen wollen, wenn sie diese in Vinxt angetroffen hätten.
Nachdem die Königsfelder und Dedenbacher viele "Verheerungen" in Vinxt angerichtet hatten, zogen sie mit ihren befreiten Dorfgenossen im Triumphzug in Königsfeld ein.
Das Nachspiel des Überfalls
Bei der Verhandlung in Vinxt im März 1784 interessierte das Gericht auch, welche Äußerungen die Königsfelder bei ihrem Überfall auf Vinxt von sich gegeben hätten, ob hier nicht etwa die kurpfälzische "höchste Person" und deren Sinziger Beamte verbal "geschändet" worden wären, auch ob den Vinxter und Schalkenbacher Kindern in der Schule in Königsfeld nichts Anstößiges beigebracht würde.
Bürgermeister Schick gab hierzu an, er wäre bei dem Überfall so "stark betäubt" gewesen, daß er auf die Reden der Königsfelder nicht achtzugeben vermocht hätte, er wüsste nur, dass die Kinder aus Vinxt und Schalkenbach in der Schule in Königsfeld folgendes wirklich nicht sehr schöne "Sprichwort" gelernt hätten: "Der Kurpfalz scheißt man in den Hals". Der schon erwähnte Peter Harst aus Vinxt gab an, die Königsfelder hätten ihn und seine Kinder "Maucherdiebe" gescholten.
Man kann sich aber vorstellen, daß der Überfall auf Vinxt und die damit verbundene "Verletzung des Territory" nicht ohne Folgen blieb. Bereits einen Tag vor der Verhandlung in Vinxt wurde die rund 400 Schafe zählende gesamte Königsfelder Schafherde zwischen Sinzig und Königsfeld von kurpfälzischen Dragonern als "Unterpfand" in Beschlag genommen. Den gefangen genommenen und am 18. März 1784 in Sinzig abgeurteilten Königsfelder Schafhirten Johann Löbbeler überführten die Dragonerzur Festungsarbeit nach Jülich, nachdem er zugegeben hatte, in Vinxt mit dabei gewesen zu sein.
Noch Ende März 1784 warteten die kurpfälzischen Dragoner eine Gelegenheit ab, weitere an dem Überfall beteiligte Königsfelder außerhalb des Gebietes der Herrschaft Königsfeld zu erwischen. Philipp Zipp, Peter und Johann Henrich Brohl, Johannes Ockenfels und Johann Schweiberich waren auf dem Weg zum Ahrweiler Markt bzw. zum Calvarienberg - wo sie eventuell einiges zu beichten hatten? -, als sie von den Dragonern abgefangen und verhaftet wurden.
Nach einem Verhör in Sinzig brachte man auch sie nach Jülich, wo es wegen ihrer Aburteilung einige Schwierigkeiten gab. Die Zeit bis zu ihrer Verhandlung war für die Angeklagten offensichtlich sehr unangenehm in einem der bekanntermaßen schlimmen Gefängnisse. Richter Schlemmer schrieb im Mai 1784 zu der Situation der Königsfelder in Jülich: sie "sitzen in einem sehr bösen Gefängniß geschlossen, und bey der gewöhnlich Nahrung aller Delinquenten; und wann ihnen am Schluß auch eine jährige Schanzen arbeit zur strafe aufgelegt würde, so war doch diese leydentlicher als ihr jetziger zustand". Wie die Bestrafung letztendlich ausfiel, ist nicht überliefert.
Quelle:
Landeshauptarchiv Koblenz
Der Text erscheint auch in: Bürger, Udo: Henker, Schinder und Ganoven. Unbekannte
Kriminalfälle aus der Eifel des 18. Jahrhunderts. Aachen 1997.