Das Ländchen Kalenborn im 18. Jahrhundert

Einblicke in das dörfliche Leben vor über 200 Jahren Ottmar Prothmann

 Bevölkerung, Dorf und Gemarkung

Der auf den Ahrhöhen oberhalb von Altenahr gelegene Ort Kalenborn hat sich in den letzten dreißig Jahren von einer armen Landgemeinde zu einem bevorzugten Wohnort in landschaftlich reizvoller Lage gemausert. Von den ärmlichen Lebensverhältnissen, wie sie nachfolgend für das 18. Jahrhundert beschrieben werden und wie sie noch bis in unser Jahrhhundert für diesen Ort bezeichnend waren,1) ist nichts mehr zu sehen.

Bis zum Jahre 1794 bildete der Ort mit seiner Gemarkung eines jener kleinen Staatsgebilde, von denen es viele im Deutschen Reich gab. Der Inhaber dieser reichsunmittelbaren Herrschaft konnte in seinem Territorium uneingeschränkt schalten und walten, denn er unterstand niemandem, außer dem Kaiser. Bis zum Jahre 1617 gehörte dieses Ländchen den Herren von Metternich, vererbte sich dann an die Gertzen von Sommersberg und anschließend an die Freiherren von Palant. Diese Familien lebten auf dem Rittersitz Sommersberg zwischen Fritzdorf und Adendorf, von dem heute nur noch der Bauernhof übriggeblieben ist, während die Burg im vorigen Jahrhundert niedergelegt wurde.2) Im Jahre 1737 kaufte Franz Caspar Wilhelm Graf von Hillesheim sowohl das Rittergut Sommersberg wie die Herrschaft Kaienborn mit allen hohen und niederen Territorialgerechtigkeiten, Untertanen, Jagden, Waldungen, Weihern und Fischereien, Frondiensten, Wiesen, Zinsen und dergleichen Zubehör. Sie kostete 2.500 Reichstaler, während der Rittersitz Sommersberg für 27.500 Reichstaler, also zum elffachen Wert von Kaienborn, den Besitzer wechselte. Gegen Ende des Jahrhunderts gelangte über Auguste, die älteste Tochter des Grafen von Hillesheim, verheiratet mit Ambrosius Graf von Spee zu Heitorf die Herrschaft Kalenborn in die Hand dieser Familie.3)

Im Jahre 1752 bestand die kleine Waldsiedlung Kalenborn aus 25 Häusern.4) Bis 1789 wuchs sie auf 49 Häuser an,5) und im Jahre 1825 lebten in 57 Häusern 276 Einwohner. Sie waren alle katholisch,6) während im 18. Jahrhundert auch zwei jüdische Familien hier ständig gewohnt hatten.7)

Die im Jahre 1752 vorhandenen 25 Häuser waren in den vorangegangenen Jahrzehnten aus ehemals acht Gehöften entstanden. Bei jeder Erbteilung waren nicht nur die Ländereien, sondern auch die Gebäude geteilt worden, so daß ein Kind das Wohnhaus, das andere die Scheune, das dritte den Stall oder Backofen erhielt. Wenn ein Nachkomme eine neue Familie gründete, baute er mit seinem Ehepartner diesen Platz zu einer Wohnung aus, so daß an den achten Wohnhäusern in enger Gemenglage 17 Anbauten oder kleine Kotten entstanden waren. Alle Dächerwaren mit Stroh gedeckt, die Gebäude aus Fachwerk errichtet, vielleicht zum Teil auch nur aus Brettern, denn in der Beschreibung heißt es lediglich, daß die Gebäude so aussahen, wie dies bei armen Bauern zu sein pflegte.

Hatten die wenigen schlechten Ländereien schon in der Vergangenheit die Bevölkerung kaum ernähren können, so war dies bei gestiegener Bevölkerungszahl erst recht nicht mehr der Fall. Innerhalb der Gemarkung besaßen die Kalenborner Einwohner insgesamt nur 33 Morgen Ackerland und 5 Morgen Wiesen als Eigentum. Der größte Teil des Landes gehörte dem Inhaber der Herrschaft und war an die Bauern verpachtet. Darüberhinaus hatten diese in den angrenzenden Gemarkungen im Laufe der Zeit etliche Ländereien hinzugepachtet. Die eigenen Äcker reichten angeblich kaum dazu aus, das Brotgetreide für die Hälfte des Jahres zu liefern. Mehr als üblich bauten die Bauern zudem Klee und andere Futterpflanzen an, da sie mehr Zugvieh als gewöhnlich besaßen, um mit ihren Fuhrwerken Holz aus den anliegenden Waldungen nach Bonn, Köln und anderen Orten zu fahren.8) Im Jahre 1737 werden 20 Pferde genannt,9) die wohl für das Fuhrwesen eingesetzt wurden, denn bei solch geringem Landbesitz würde man Ochsen und Fahrkühe als Zugvieh erwarten.

Im Jahre 1734 gab es in Kaienborn als einzige Handwerker nur einen Schmied und einen Schuhmacher, die beide überwiegend für Kunden außerhalb des Dorfes arbeiteten.10) 1752 waren mehrere Handwerker im Dorf, die sich durch das Herstellen von Faßdauben ihren Lebensunterhalt verdienten.

Einen guten Einblick in die Bodennutzung verdanken wir einer Karte der Gemarkung Kaienborn (siehe Seite 62), die F. Martinengo Cassier im Jahre 1752 im Auftrag des Direktoriums der Niederrheinischen Reichsritterschaft anfertigte. Sie diente zur Erläuterung seines Gutachtens über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Einwohner Kaienborns. Diese hatten sich nämlich wegen zu hoher Abgaben an diese Reichsritterschaft beschwert. Aus den Erläuterungen zu dieser Karte ergibt sich, daß die fruchtbarsten Ackerböden südlich der Straße, die von Kaienborn über Weißerath zur Ahr führte, lagen (Nr. 1). Sie waren jedoch so steinig, daß die Feldbearbeitung schwer fiel. Die beste Lage nahmen die sogenannten Latzischen oder Pützfelder Güter in einer Größe von 50 Morgen ein. An diesen Bereich grenzte sogenanntes Schiffelland an (Nr. 2), das 20 Jahre lang unbenutzt blieb, um dann mühevoll wieder urbar gemacht zu werden, damit es im ersten Jahr mit Korn, im zweiten mit Gerste und im dritten mit Hafer besät werden konnte. Danach ließ man es wieder 20 Jahre lang brach liegen. Die mit den Ziffern 3 und 4 bezeichnete Lage bestand in einem abhängigen, steinigen, von Busch und Strauch überwachsenen Distrikt, von dem kaum vier Morgen zum Ackerbau zu gebrauchen waren. Der "Viehtrieb" (Nr. 5) am Altendorfer Wald in einer Größe von zwei Morgen war reine Heide, die dem dort aufgetriebenen Vieh des Dorfes kaum für drei Tage Nahrung bot. Auf dem ebenen Bereich in unmittelbarer Umgebung des Dorfes (Nr. 6 und 7) lagen rund zehn Morgen Ackerland, von denen jedoch vier Morgen zu den Latzischen Gütern zählten. Der dortige Boden war schlecht, so daß bei kalten und rauhen Zeiten der Samen vom Wind verzehrt wurde. Im Juni 1752, als der Kommissar sein Gutachten anfertigte, war das Korn auf diesen Feldern so spärlich gewachsen, daß man die Ähren fast zählen konnte. Auch Hafer und Erbsen hatten sich nur mager entwickelt. Im abschüssigen Bereich unterhalb des Dorfes am Roßbach lagen die Gemüsegärten (Nr. 8). Daran schloß sich ein Sumpf an, in dem nichts anderes als saures Gras wuchs. An der Gemarkungsgrenze nach Holzweiler und Altenahr zu befand sich ein sehr steiniger, acht Morgen großer Bereich (Nr. 9), wo nichts mehr wuchs als eine schlechte Heide.11)

Trotz dieser aufschlußreichen Beschreibung bleiben dennoch eine Reihe von Unklarheiten. So werden etwa die ausgedehnten Waldgebiete im Westen und Norden des Dorfes nicht genannt und kommen auf der groben Skizze nicht zur Geltung. Ebenso finden die herrschaftlichen Liegenschaften nur insofern eine Erwähnung, daß die verlehnten Latzischen oder Pützfelder Güter, die sich bezeichnenderweise in den besten Lagen befanden, genannt werden. Nach einer Aufstellung vom Jahre 1734 besaß der Inhaber der Herrschaftfolgende Güter, Renten und Gefällen: Ungefähr 31 Morgen Ackerland, 2V2 Morgen Schiffelland und 13 Morgen Wiesen. Die Bewohner von fünf Höfen mußten eine Kurmut bezahlen, das heißt eine Abgabe, die beim Besitzwechsel fällig wurde. Alle Untertanen zahlten jährlich an "Schatz" (eine Grundsteuer) zusammen vier Reichstaler, eine geringe Abgabe, da die Wiesenpacht in guten Jahren schon zwei Reichstaler pro Morgen einbrachte.121 Leider ist auch diese Liste unvollständig, wie sich aus einem drei Jahre später im Zusammenhang mit dem Verkauf der Herrschaft Kaienborn erstellten Gutachten ergibt. Dort heißt es unter anderem: Es besteht eine schöne Jagd, eine schöne Fischerei und ein großer Wald, der zwar zum Gemeindewald gezählt wird, aber der Herr ist "Haupt davon" und kann soviel Holz schlagen, wie er will. Die Bauern müssen alle dienen und geben keinem anderen irgendwelche Abgaben.

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Plan der Gemarkung Kalenborn von 1752 (LHAKo 53 B Nr. 1391).

Außer dem Inhaber der Herrschart scheinen keine sonstigen Adeligen oder Klöster im 18. Jahrhundert in Kalenborn Zehnteinnahmen oder andere Rechte besessen zu haben, so daß die dortigen Bauern, wie es in einer Beschreibung von 1737 heißt, tatsächlich keinem anderen als dem Inhaber der Herrschaft Abgaben entrichten mußten.13)

Im Dorf bestand ein einziger adeliger Hof, dessen Lehnsherr über alle Besitzerwechsel hinweg der Inhaber der Herrschaft Kalenborn blieb. Nach dem Tod des Bertram Thederich von Frymersdorff zu Pützfeld wurde er am 9. April 1718 an den Gelsdorfer Amtsverwalter Johann Heinrich Hauptmann verkauft. Die damals an vier Kalenborner Bauern verpachteten Ländereien müssen recht umfangreich gewesen sein, da die im Hofweistum festgelegte an den Inhaber der Herrschaft zu zahlende Kurmut in den drei besten Pferden bestand.14) Nach dem späteren Lehnsinhaber Latz wurden diese Besitzungen auch Latzische Güter genannt.

Zu den herrschaftlichen Besitztümern in Kaienborn gehörten auch zwei Fischteiche, die 1737 als sehr ertragreich bezeichnet werden.15) Im Laufe der Jahrzehnte verlandete jedoch der größere von ihnen. Deshalb wurde 1776 der Schultheiß aufgefordert, ihn wiederherzustellen, was jedoch nicht geschah, denn 1789 heißt es, der Schultheiß mache jährlich drei bis vier Karren Heu im herrschaftlichen Weiher. Dieser durch einen Damm aufgestaute Weiher befand sich nicht weit von der Altendorfer Gemarkung entfernt.16) Dort sind die eindrucksvollen Reste eines Dammes heute noch zu erkennen. Oberhalb davon liegt, versteckt im Wald, sogar noch ein großer Teich, der wahrscheinlich der frühere obere Weiher war.

 Verwaltung und Gerichtswesen

Die Verwaltung der Herrschaft Kalenborn, des Dorfes Franken, des Rittersitzes Sommersberg sowie der anderen Güter und Einkünfte des Reichsgrafen von Hillesheim in Berkum, Koisdorf, Oedingen usw. erfolgte von Schloß Ahrental aus, das seit 1641 im Besitz der Familie von Hillesheim war und heute noch als Wohnsitz der Nachfolger, den Grafen von Spee, dient.17) Auf Ahrental wohnte damals der Richter und Rentmeister, dem zur Bewirtschaftung und Beaufsichtigung der ausgedehnten Waldungen ein Revierförster unterstand. Alles, was über die Routinegeschäfte hinausging, wurde von einem sogenannten Oberbeamten entschieden. Bis zum Jahre 1789 war es für längere Zeit Hofrat von Lasaulx in Koblenz. Er beriet den Grafen in allen Verwaltungsangelegenheiten und rechtlichen Fragen. Oft entschied Graf von Hillesheim jedoch selbst, sogar in den geringfügigsten Sachen. Als Vertreter der Herrschaft waren in Kaienborn einer der Bauern zum Schultheißen und Waldaufseher und mehrere Männer zu Schöffen ernannt worden. Für alle Angelegenheiten des Dorfes, sofern nicht herrschaftliche Belange berührt wurden, war der "Gemeindsmann" oder "Vorsteher" zuständig. Er wurde wahrscheinlich von der Dortbevölkerung selbst gewählt.

Die Rechte und Pflichten der Kalenborner Untertanen waren in einem sogenannten Weistum festgelegt, das durch weitere Verordnungen ergänzt wurde. Ohne herrschaftliche Zustimmung durfte beispielsweise niemand sich in Kalenborn niederlassen, und wer fortzog, mußte ein Abzugsgeld bezahlen.181 Wer ein Haus oder Grundstück verkaufte, hatte von dem Erlös den zehnten Teil, den sogenannten zehnten Pfennig, abzugeben. Wollte jemand bauen, durfte er das nur auf den bereits als Bauplatz vorgesehenen Stellen tun und mußte drei Monate vor Beginn der Bauarbeiten die Erlaubnis einholen. Weitere Vorschriften, auf die unten noch eingegangen wird, bezogen sich auf den Schutz des Waldes. Insgesamt waren es jedoch nur wenige Verordnungen und Regelungen, die das einfach strukturierte Leben der Kalenborner Untertanen bestimmten.

Vierteljährlich fand in Kalenborn das sogenannte Herrengeding statt, zu dem die männlichen Bewohner, wahrscheinlich aber nur die Haushaltsvorstände, erscheinen mußten. Hier wurden alle Angelegenheiten der Herrschaft vorgetragen, neue Verordnungen bekanntgegeben und Beschwerden der Untertanen entgegengenommen. Dieses Dorfgericht unter dem Vorsitz des auf Schloß Ahrenthal wohnenden Richters war auch zuständig für die Schlichtung von Streitigkeiten, Bestrafung von Vergehen und Verbrechen sowie Beurkundung von Kaufverträgen, Testamenten und Schuldverschreibungen. Wer nicht mit dem Urteil des Gerichts zufrieden war, konnte bei der Niederrheinischen Reichsritterschaft in Koblenz Berufung einlegen. Da die Gemeinde dem Richter für jeden Gerichtstag vier Reichstaler zahlen mußte, der Gemeindevorsteher aber immer größere Mühe hatte, dieses Geld im Dorf einzusammeln, bat er im Jahre 1789 darum, die Zahl der Gerichtstage auf zwei zu verringern. Graf von Spee war damit einverstanden und legte aus praktischen Erwägungen die beiden Termine auf die Markttage, an denen der Richter ohnehin nach Kaienborn kam.19)

Die einflußreichste Persönlichkeit im Dorf war der Schultheiß, der als Vertreter der Herrschaft alle Pachten, Kurmuten, Strafgelder und sonstigen Abgaben der Dorfbewohner einzutreiben hatte und mit Polizeibefugnissen ausgestattet war. Seine Aufgaben werden in der Bestallung für den letzten Kalenborner Schultheiß Johann Schäfer im Jahre 1790 wie folgt beschrieben: Er soll sein Amt getreulich und ohne alle Nebenabsichten erfüllen, die Interessen der Untertanen nach Möglichkeit beachten, aber auch alle Eingriffe in die Rechte der Herrschaft an den Richter in Ahrenthal melden. In der Eigenschaft als Buschaufseher hat er Wiesen und Waldungen fleißig zu begehen, auf die Holzfrevler zu achten und sie bei ihrer Ertappung beim Richter ebenso anzuzeigen wie jedes andere entdeckte Verbrechen. Ferner muß er dafür sorgen, daß kein Vieh in die Wälder getrieben wird und das Laub, die einzige Düngung der Wälder, nicht gesammelt und herausgetragen wird. Er muß die Bäume aussuchen, die gefällt werden können und diese Plätze wieder bepflanzen.

Als Gehalt erhielt er jährlich zwölf Reichstaler. Außerdem durfte er sämtliche herrschaftlichen Äcker und Weiden in Kaienborn bearbeiten bzw. nutzen. Von den gerodeten Waldstücken, die den Bauern zur kurzzeitigen Bearbeitung überlassen worden waren, erhielt er die Pacht in Form der siebenten Garbe. Während seiner Waldbegehungen durfte er ein Gewehr tragen, das zur Abschreckung der Holzdiebe und zu seiner eigenen Sicherheit diente. Er hatte das Recht, die Jagd auszuüben, mußte aber darauf achten, daß sie nicht ruiniert wurde. Auf Plätzen im Wald, wo kein Unterholz wuchs, sondern nur aufgehende Bäume, durfte er für den eigenen Bedarf Heide hauen.

Liest man die zahlreich erhaltenen Schriftstücke über die Verwaltung der Herrschaft Kalenborn, so gewinnt man den Eindruck, daß die Grafen von Hillesheim und später der Graf von Spee zu jenen aufgeklärten Machthabern gehörten, die ihre Untertanen gerecht und fürsorglich behandelten. Berechtigte Wünsche der Gemeinde fanden immer Berücksichtigung. Nur bei Verordnungen zum Schutz des Waldes bestanden sie auf deren unbedingte Einhaltung. Erstaunlich nachgiebig waren sie hingegen beim Eintreiben aller Abgaben, Pachten, Kurmuten und Gebühren. Das mag daran gelegen haben, daß diese in ihren Augen nur geringe Einkünfte waren und eine Überwachung zu viel Aufwand erforderte.

Als Nachweis für die landesväterliche Fürsorge seien zwei Beispiele aus dem Ende des Jahrhunderts genannt. Am 28. Dezember 1784 versprach Graf von Hillesheim einem einzustellenden Vikar ein Jahresgehalt zu bezahlen, so daß ab Anfang 1785 ein Vikar eingestellt werden konnte, der den Gottesdienst hielt und zum ersten Mal in Kalenborn Schulunterricht an die Kinder erteilte. Als in der Nacht vom 17. auf den 18. November 1792 ein Feuer in Dorf ausbrach, das die Kapelle und drei Nachbarhäuser einäscherte, unterstützte Graf von Spee den Wiederaufbau der Kapelle mit einem Darlehen von 300 Reichstaler.20) Im Jahre 1826, als Graf von Spee schon drei Jahrzehnte nicht mehr Inhaber der Herrschaft Kalenborn war und diese ebensolange nicht mehr bestand, hatten die Kalenborner das Geld noch nicht zurückgezahlt. Statt einen Prozeß zu beginnen, schenkte er ihnen weitere 600 Reichstaler, die sie zur Aufstockung des Kapellenfonds verwendeten.21)

Der Markt

Am Festtag des heiligen Bartholomäus (24. August) fand schon 1706 in Kalenborn, genau wie heute, die Kirmes statt, Am selben Tag wurde vielleicht schon damals ein Markt abgehalten, auch wenn dies ausdrücklich erst 1789 erwähnt wird, während in den Unterlagen aus den Jahrzehnten vorher immer nur die Berechtigung zum Ausschank von Getränken an diesem Tag behandelt wird.22) Der Kram- und Viehmarkt hielt sich noch bis Ende des vorigen Jahrhunderts und wurde erst 1893 gänzlich eingestellt.23)

Auf dem Marktplatz stand ein "Markthäuschen", das Graf von Spee im Jahre 1792 gründlich renovieren ließ, da es durch seine freie Lage Wind und Wetter besonders stark ausgesetzt war und sehr gelitten hatte24) In diesem kleinen Fachwerkhaus wurden an den Markttagen Getränke (Wein, Bier, Branntwein und Apfelsart) ausgeschenkt. Die Konzession erteilte der Inhaber der Herrschaft, der dafür eine Gebühr einzog, so wie auch das Standgeld für die Marktstände an ihn bezahlt werden mußte. Im Jahre 1706 hatte der Kalenborner Kirchenmeister das Recht, am Bartholomäustag Getränke auszuschenken. Daerdieses Recht nicht in Anspruch nehmen wollte, erhielt ausnahmsweise der Schultheiß diese Genehmigung.25) In späteren Jahrzehnten durfte jeder an den Markttagen und während des ganzen Jahres zapfen, wenn er dafür einen halben Reichstaler bezahlte. Dann wurde dem Schultheiß dieses Recht übertragen. Als im Oktober 1789 Graf von Spee wieder einmal persönlich in Kalenborn anwesend war, trug ihm der Gemeindevorsteher vor, daß der Schultheiß schlechte Getränke ausschenke und diese sich noch teuer bezahlen ließe. Zuletzt habe er noch nicht einmal Bier, sondern nur Wein verzapft. Fremde, die gerne etwas trinken würden, passierten jetzt "nüchtern" den Ort. Er wünschte, daß mehrere Personen die Schankerlaubnis erhalten sollten. Der Graf entschied, dem Wunsch der Gemeinde nachzugeben und, sobald die Pachtzeit der Witwe des Schultheißen Höfer ausgelaufen sei, das Zapfen auf zwölf Jahre an die Gemeinde zu verpachten. Monopolistische Einrichtungen seien in großen wie in kleinen Ländern schädlich und drückend. Eine Akzise (Verbrauchssteuer) einzuführen, wie sie in den benachbarten Herzogtümern üblich sei, hielt er bei einer so kleinen Herrschaft für ungeeignet, weil der Aufwand die ganze Sache nicht lohne. Außerdem müßten dann die Wirte überwacht werden und die Leute haßten solche Visitationen. Sein Grundsatz sei aber, die Leute so wenig wie möglich zu plagen.26)

Bewirtschaftung des Waldes

Eine Statistik vom Jahre 1885 weist für die 430 Hektar große Gemarkung zwei Drittel, nämlich 277 Hektar, als Wald aus. Das Ackerland hatte eine Größe von 81 Hektar, Wiesen und Weiden bedeckten 43 Hektar.27) Hundert Jahre vorher scheint der Anteil des Waldes genauso groß, wenn nicht sogar noch größergewesen zu sein. Die Bauern nutzten den Wald zur Gewinnung von Brand- und Bauholz sowie zur Herstellung all der Gegenstände, die aus Holz gefertigt wurden, denn fast alles, was an Haus und Hof vorhanden war, bestand entweder aus Eisen oder Holz. Der Wald diente auch als Weide für das Vieh, Eicheln und Bucheckern wurden zur Schweinemast gesammelt, das Heidekraut ersetzte das fehlende Stroh als Einstreu für die Stallungen, und die Rinde von jungen Eichenstämmen wurde als Gerbmittel an Gerberein verkauft.

Für den nach forstwirtschaftlichen Gesichtspunkten bewirtschafteten herrschaftlichen Wald war es von großem Nachteil, daß die Bauern ihn als Weide für ihre Schweine, Schafe, Ziegen, Kühe und Pferde benutzten, da das Vieh jeden Aufwuchs abfraß. Besonders schädigend wirkten sich die Ziegen aus. Aus diesem Grund sollten die Kalenborner im Jahre 1719 ihre Ziegen abschaffen. Die Einwohner kamen diesem Befehl jedoch nicht nach und baten flehentlich, die Ziegen wie seit alters herbehalten zu dürfen. Sie richteten zwar Schaden an, seien aber für die armen Leute unter ihnen lebensnotwendig, denn ihnen sei es nicht möglich, eine Kuh zu halten, aber eine Ziege könnten sie mit geringerem Futter durchbringen. Ohne sie würden sie an den Bettelstab geraten. Sie hätten dann keine Milch mehr für ihre kleinen Kinder, ohne die sie diese unmöglich aufziehen könnten. Ihrer Bitte wurde entsprochen, jedoch sollten fortan die Ziegen im Stall gehalten werden.28' Während des ganzen 18. Jahrhunderts prallten die Interessen der Bauern mit denen der gräflichen Familie immer wieder wegen der Nutzung des Waldes aufeinander, denn diese sah den wirtschaftlichen Nutzen der Herrschaft Kalenborn fast ausschließlich im Wald. Ihre Einnahmen daraus beliefen sich beispielsweise im Herbst und Winter 1783/84 durch den Verkauf von Holz und Lohe auf 878 Reichstaler.29) Demgegenüberwaren die sonstigen Einnahmen aus Kalenborn kaum nennenswert. Daher ist es verständlich, daß der Erhaltung und Pflege des Waldes das Hauptaugenmerk der gräflichen Familie galt. Zu Anfang des Jahrhunderts (1719) war jeder Untertan, ohne Unterschied der Person, verpflichtet, jährlich im Herbst oder Frühling sechs junge Bäume im Wald zu pflanzen.30} Ein etwa 200 Morgen großer Teil des Waldes war der sogenannte Kurmutsbusch, ein Gemeinschaftswald, dessen Nutzung den Bewohnern von neun Häusern zustand. Sie konnten sich dort das benötigte Brandholz holen und erhielten aus dem Erlös von verkauftem Holz ihren Anteil. Dieses Anrecht haftete an bestimmten Häusern. Die Bewohner der später errichteten Häuser hatten keinen Anteil daran. Zwei Anteile besaß auch der Inhaber der Herrschaft. Jährlich lagen dessen Einkünfte aus verkauftem Holz und Heu von den Waldweiden bei 15 bis 16 Reichstaler. Die übrigen Nutzungsberechtigten mußten zusätzlich jährlich an den InhaberderHerrschaftden sogenannten "Christbrand" geben, und beim Tod eines Lehnsempfängers hatte der neue Lehnsträger 24 Reichstaler courant abzuführen.

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Kalenborner Kapelle vor 1938.        Kalenborner Straßenbild, 1956.

Im Jahre 1786 kaufte Graf von Spee seine zwei Anteile von den übrigen Nutzungsberechtigten, da es immer schwerer fiel, seine Rechte zu wahren und er die dauernden Streitigkeiten leid war. Einige Anteile waren schon zersplittert, andere an Auswärtige verkauft worden, so daß der Überblick verlorenging. 1783 hatten die übrigen Anteilseigner ihm sogar die Auszahlung seines Anteils aus dem Erlös des verkauften Holzes verweigert, obwohl im Weistum sein Anrecht klar festgelegt war. Erst die Androhung eines Prozesses ließ sie einlenken. Außerdem ärgerte es ihn, daß die Bauern in diesem Gemeinschaftswald nach Willkür Holz schlugen und gegen alle Forstregeln verstießen. Der angekaufte Anteil des Kurmutsbusches lag "auf dem Hertgen", nahe den Gemarkungen von Altendorf und Gelsdorf, und umfaßte 33 Morgen, war also um drei Morgen kleiner als die zwei Anteile, die ihm zustanden. Allerdings waren die Böden in diesem Distrikt besser als in den übrigen Teilen des Kurmutsbusches.31)'

 Das Ende der Herrschaft Kalenborn

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts hatte das Gedankengut der Aufklärung auch auf dem Land Eingang gefunden. Die Bewohner von Kaienborn begannen die althergebrachte Rolle von Herr und Untertan in Frage zu stellen, doch ging es nicht so weit. daß eine revolutionäre Stimmung entstand, während in dem Dorf Franken, das ebenfalls dem Grafen von Spee gehörte, ein stärkerer Widerspruchsgeist zu spüren war. Am 10. Oktober 1789, als in Frankreich die Revolution bereits begonnen hatte, erkundigte sich Graf von Spee, wie sich in den jetzigen unruhigen Zeiten die Frankener Untertanen verhielten, "die mir ein wenig unruhige Köpfe zu seyn scheinen". Er empfahl, sie zwar zu ihren Pflichten anzuhalten, aber im übrigen "mit allem Glimpf und Schonung zu behandeln".32)

Nachdem in Frankreich durch die Revolution des Volkes der Absolutismus beseitigt und die Feudalrechte abgeschafft waren, begann ein Eroberungskrieg, mit dem die neue Ordnung gewaltsam über die Grenzen hinaus verbreitet wurde. Damit schlug auch für die Herrschaft Kaienborn die letzte Stunde. Im August 1794 hatten die Franzosen am südwestlichen Rand der Eifel Trier eingenommen und machten durch vereinzelte Vorstöße die Eifel unsicher. Die Landesherren der größeren und kleineren Territorien wußten, daß sie sich nur vereint gegen den anrückenden Feind wehren konnten. Das größere Territorium Kurköln mit dem Sitz der Landesregierung in Bonn übernahm die Führung. Von dort wurde Graf von Spee gebeten, sich am gemeinsamen Abwehrkampf zu beteiligen. Nun galt es, die Untertanen davon zu überzeugen, daß nicht nur der Besitz der Adeligen, sondern auch das Eigentum des "kleinen Mannes" gefährdet sei. Am 25. August berichtete Rentmeister Johann Härtung, daß er in Kaienborn gewesen sei und die Leute überzeugt habe, die Heimat zu verteidigen. Die Gemeinde benannte 17 "loßledige Purschen" als dienstfähige Männer, die nun mithelfen sollten, die Eifelpässe zu verteidigen. Die Kalenborner wollten ihre Männer aber nur zur Verfügung stellen, wenn sie nicht auf entfernten Schlachtfeldern eingesetzt würden. Das versprach ihnen Graf von Spee. Doch dann trat eine weitere Schwierigkeit auf. Die Fouragelieferungen für diese 17 Männer sollten die zum Kurfürstentum Köln gehörenden Bürger von Altenahr übernehmen, doch mit diesen wollten die Kalenborner nichts zu tun haben. Sie seien noch ärmer als sie selbst und hätten kaum ausreichend Gespanne. Deshalb wollten sie lieber zusammen mit den zum Herzogtum Jülich gehörenden Grafschafter Bauern eingesetzt und verpflegt werden. Obwohl Graf von Spee dem Staatsminister von Belderbusch in Bonn bereits versprochen hatte, daß seine Leute mit Altenahr eingesetzt würden und obwohl der Amtsverwalter von Altenahr zutiefst beleidigt war, daß seine Leute als arme Schlukker dargestellt wurden, schafften es die Kalenborner, ihren Willen durchzusetzen und dem Truppenkontingent der Grafschart zugeteilt zu werden.33' Der Vorfall zeigt, wie schwach inzwischen die Macht der Adeligen geworden war und wie vorsichtig man die Untertanen behandelte. Doch Kaienborn war kein Einzelfall. Die Bürger von Remagen weigerten sich sogar erfolgreich, gegen die anrückenden Franzosen eine bewaffnete Bürgermiliz aufzustellen.34)

Hier enden die Verwajtungsakten der Herrschart Kaienborn. Ob die Männer noch in die Abwehrkämpfe verwickelt wurden, bleibt unklar. Bekannt ist nur, daß am 21. Oktober 1794 eine Abteilung der von General Marceau befehligten Sambre- und Maas-Armee die Stadt Sinzig einnahm. Sie hatte ihre Weg über die Grafschaft genommen und.dabei wohl auch Kaienborn besetzt. Die eroberten Orte wurden kräftig geplündert.35' Damit verschwand das Ländchen Kaienborn, wie alle die anderen linksrheinischen Territorien, von der Landkarte, und es begann eine neue Epoche.

Anmerkungen:

  1. Hauptschule Altenahr, Schulchronik von Kalenborn, 1945-1973. S 98 C.
  2. Ottmar Prothmann, 1200 Jahre Fritzdorf Festschrift zur 1200-Jahrfeier. Wachtberg-Berkum 1974. S, 56 f.
  3. Wilhelm Fabricius, Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde XII). Bd. 2, Bonn 1898. S 540. 561 -Joseph Strange. Beiträge zur Genealogie der adligen Geschlechter, 10 Heft, Cöln 1871. S. 23-30 - Gräflich von Spee'sches Archiv auf Schloß Heitort. A 10,1 Nr. 10.
  4. Landeshauptarchiv Koblenz. Best 53 B, Nr. 1391.
  5. Gräflich von Spee'sches Archiv auf Schloß Heitort, A 10.2.
  6. Gemeindearchiv Grafschaft. Akte 27/2.
  7. Wie Anm. 5. A 10.1. Nr. 17- Stadtarchiv Bad Neuenahr.Ahrweiler, A 653 und 800.
  8. Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 53 B. Nr. 1391
  9. Wie Anm. 5, A 10,6. Bd. 2.
  10. Landeshauptarchiv Koblenz. Best. 53 B, Nr, 1390.
  11. Ebd., Nr. 1391.
  12. Ebd.. Nr. 1390.
  13. Wie Anm. 5, A 10.6. Bd. 2.
  14. Wie Anm. 5. A 10,1. Nr 17.
  15. Wie Anm. 5. A 10.6. Bd. 1.
  16. Wie Anm. 5, A 10,2
  17. Roderich Graf von Spee, Schloß Ahrental von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, in: Jürgen Haffke und Bernhard Koll, Sinzig und seihe Stadtteile - gestern und heute. Sinzig 1983. S. 127-136.
  18. Wie Anm. 5. A 10,2.
  19. Wie Anm. 5. A 10, 1. Nr. 17 und A 10,2.
  20. Wie Anm, 5. A 10,2.
  21. Franzjosef Habitz, Kaienborn, in: Heimat-Jahrbuch für den Kreis Ahrweiler1974. S. 106
  22. Wie Anm. 5, A 10.2
  23. Gemeindearchiv Grafschaft. Akte 101/1
  24. Wie Anm. 5. A 10,2.
  25. Wie Anm. 5, A 10,1. Nr 17.
  26. Wie Anm 5, A 10.2
  27. Gemeindelexikon für die Provinz Rheinland, bearbeitet vom Kgl statistischen Bureau, Berlin 1888. S. 36f.
  28. Wie Anm. 5, A 10.1 Nr. 17.
  29. Wie Anm. 5. A 10,2.
  30. Wie Anm 5. A 10,1. Nr. 17
  31. Wie Anm 5. A 10.2.
  32. Wie Anm 5, A 10.2.
  33. Wie Anm. 5, A 10.1. Nr. 19.
  34. Ignaz Görtz, Vom Ende des Alten Reiches bis zum Erslen Weltkrieg (1794-1914), in: Landkreis Ahrweiler (Hrsg.). Der Kreis Ahrweiler im Wandel der Zeit. Bad Neuenahr-Ahrweiler 1993. S. 127
  35. Görtz, a.a.O.. S. 128.