Agnes Gillig
Situation der weiblichen Jugend in früherer Zeit
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Leben auf dem Lande und somit auch das der Frauen und Mädchen grundlegend gewandelt.
Noch zu Beginn unseres Jahrhunderts, etwa bis in die dreißiger und vierziger Jahre, war es für die meisten Mädchen nicht üblich und auch nicht möglich, einen außerhäuslichen Beruf zu erlernen. Der Kinderreichtum - Familien mit 5 und mehr Kindern waren keine Seltenheit -brachte es mit sich, daß Mädchen schon in jungen Jahren zu vielen Arbeiten im Haushalt herangezogen wurden. Hierzu gehörten u. a. Spülen, Abtrocknen, Putzen, Mithilfe bei der großen Wäsche.
Auch in der Landwirtschaft mußten sie nach Maßgabe ihrer Kräfte mithelfen, denn in den bäuerlichen Kleinbetrieben benötigte man jede Arbeitskraft. Ob im Stall, bei der Feldbestellung, in der Kartoffel-, Heu- oder Getreideernte, überall wurden auch Frauen und Mädchen eingesetzt. Der ältesten Tochter im Hause wurden häufig die jüngeren Geschwister anvertraut. Einen Kindergarten oder gar den Anspruch auf einen Kindergartenplatz gab es nicht. Wenn die Eltern ihre Feldarbeit verrichteten, bürdete man den Mädchen oft die ganze Versorgung des Haushalts einschließlich der Kinderbetreuung auf. Aus heutiger Sicht war dies für die oft noch schulpflichtigen Mädchen viel zu anstrengend und verantwortungsvoll.
Mädchen wurden von klein an zum Dienen erzogen. Sie hatten stets für andere dazusein. Die strenge Rollenverteilung der Geschlechter sah vor, daß nur Frauen und Mädchen für die Verrichtung aller anfallenden Hausarbeiten zuständig waren. Das Dienstmädchen war daher auch die häufigste Berufsart. Ab einem gewissen Alter, meist nach' der Schulentlassung, wurden die 14- bis 15jährigen Mädchen in einen Stadthaushalt "in Stellung" geschickt. Mädchen aus der Eifel fanden vielfach in der Kreisstadt Ahrweiler, in Bad Neuenahr, in den Rheinorten Niederbreisig, Sinzig, Remagen und Rolandseck oder in Bonn und Köln eine Stellung. In vielen Fällen verdingten die Eltern ihre Töchter nur den Winter über in der Stadt. Während der Erntezeit mußten sie nach Hause zurückkehren, um auf dem elterlichen Hof und im Haushalt auszuhelfen.
Anzeigen aus der Ahrweiler Zeitung, 1928.
Der Lohn eines Dienstmädchens war oft gering. In den 30er Jahren betrug er zwischen 20 und 50 Reichsmark. Oft mußten die Mädchen ihr sauer verdientes Geld zu Hause abliefern.Die Arbeit der Dienstmädchen begann in aller Frühe und endete manchmal erst am späten Abend. Es gab noch keinen 8-Stunden-Tag. Der Dienstherrin oder der "Herrschaft" mußte man immer zur Verfügung stehen. Trotz mancher Mißstände im Hinblick auf geringe Entlohnung und karge Unterkunft, vielfach wurden Dienstmädchen Kammern auf dem Speicher zugewiesen, waren viele Mädchen dennoch zufrieden in den fremden Haushaltungen. Diese Art von Tätigkeit bot nämlich oft die einzige Möglichkeit aus dem Dorf herauszukommen und Geld zu verdienen.
Der positive Nebeneffekt dieser hauswirtschaftlichen Arbeit bestand darin, etwas Neues hinzuzulernen, besonders auf dem Gebiet der Nahrungszubereitung. Im Kochen, Backen, in der Gestaltung der Wohnung und in anderen Bereichen konnte man in fremden Haushaltungen viele Anregungen erhalten. So brachte eine mehrjährige Tätigkeit als Dienstmädchen - oder wie wir heute sagen als Hausgehilfin - manche Vorteile für die spätere Aufgabe als Hausfrau und Mutter.
Nur wenige Familien auf dem" Land konnten es sich damals leisten, ihre Töchter zum Erlernen der Hauswirtschaft in Pensionate oder Klosterschulen zu schicken. Im Kreis Ahrweiler gab es eine Reihe solcher Einrichtungen in den Niederlassungen der Schwestern von Waldbreitbach, bei den Ursulinen auf dem Kalvarienberg, bei den Franziskanerinnen in Remagen und auf der Insel Nonnenwerth.
Der Volksschulabschluß - wichtiger EinschnittDer Volksschulabschluß mit 14 Jahren bildete im Leben der Mädchen einen bedeutenden Einschnitt. Die Kindheit war endgültig vorbei und eine wichtige Stufe auf dem Weg zum Erwachsenwerden erreicht.
Unbeschwerte Kinderjahre gab es für die meisten sowieso nicht. Für viele war die Schule neben der Haus- und Feldarbeit eine willkommene Abwechslung. Vorzeitige Schulentlassungen von Mädchen zur ganztägigen Mithilfe im Haushalt und bei der Kinderbetreuung kamen häufig vor.
Auch äußerlich wurde der Weg in das Erwachsenenalter gekennzeichnet. Bis zur Schulentlassung trugen die meisten Mädchen Zöpfe. Danach wurden diese zu einem Nackenknoten oder zu "Schnecken" gesteckt. In den zwanziger Jahren kam der "Bubikopf" in Mode, zuerst in den Städten; später setzte er sich auch auf dem Lande durch. Ebenso richtete man sich in der sonntäglichen Kleidung nach der Schulzeit immer mehr nach dem Erscheinungsbild der erwachsenen Frau.
Bis zum Ersten Weltkrieg trugen die Mädchen in manchen Gegenden der Eifel bestimmte Kopfhauben oder Mützen, die je nach Ausführung mit Perlen und Stickereien verziert waren. Die verheirateten Frauen besaßen meist Hauben in dunkler Farbe. Der Ausdruck "Unter-die-Hau-be-kommen" stammt daher, als diese Art von Kopfbedeckung die verheiratete Frau kennzeichnete. Es war erstrebenswert, unter die Haube zu kommen, denn unverheiratete Frauen ohne Beruf hatten es in der Regel noch schwerer und genossen wenig Ansehen. Auf dem elterlichen Bauernhof oder dem der verheirateten Geschwister lebten und arbeiteten sie vielfach ohne jeden Lohn und führten ein Schattendasein. Sie konnten froh sein, wenn sie mit der eingeheirateten Schwägerin oder dem Schwager einigermaßen gut auskamen und man sie akzeptierte. Vielfach waren sie nur geduldet.
Gründe für den beruflichen WandelDie Lebensverhältnisse haben sich geändert. Bäuerliche Betriebe sind weiter auf dem Rückzug. Gegenüber 7127 landwirtschaftlichen Betrieben im Jahre 1949 gab es im Jahre 1992 nur noch 1516 im Kreis Ahrweiler, wobei diese Zahl wohl noch weiter abnehmen wird. Die bäuerliche Großfamilie, die ihren Mitgliedern im Alter und im Krankheitsfall umfassende Pflege und Schutz gewähren kann, gibt es kaum mehr.
Auch im Arbeitsplatzangebot hat sich ein deutlicher Wandel vollzogen. In ausgewiesenen Gewerbegebieten auf dem Land haben sich Industrie- und Gewerbebetriebe angesiedelt, in denen auch Frauen Arbeit in unterschiedlichsten Tätigkeiten und Berufen finden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich vielfach eine Abkehr von früheren Vorstellungen ab. Hierzu trug die Arbeitsmarktsituation während des Krieges bei. Frauen und Mädchen mußten damals sogenannte "Männerberufe" ausüben und überall dort einspringen, wo vorher Männer eingesetzt waren, die nunmehr an der Front standen.
Blick in eine alte Küche. Nach dem früheren Rollenverständnis "das Reich der Frau".
Klassenfoto aus Antweiler, 30er Jahre: Die Mädchen präsentieren Handarbeiten
Als Postangestellte, Bürogehilfin, Bahn- oder Straßenbahnschaffnerin leisteten Frauen u. a. Dienst. Die Rüstungsindustrie und andere Industriezweige beschäftigten verstärkt Frauen.
So übte die Frau - und das nicht zum erstenmal in der Geschichte - auf breiter Basis außerhäusliche Berufsarbeit aus. Die Arbeit der Frau beschränkte sich nun nicht mehr vorwiegend auf die 3 K's: Kinder, Küche, Kirche.
Auch die schwierigen familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse nach 1945 förderten den Einstieg von Frauen ins Berufsleben. Manche Kriegerwitwe mußte sich um eine Arbeit bemühen, wenn sie nicht innerhalb ihrer Familie unterstützt wurde, denn die Hinterbliebenenrenten ließen zunächst noch auf sich warten.
Diese Umstände, aber auch die Einsicht vieler Eltern, daß Mädchen ebenso wie Jungen eine Berufsausbildung brauchen, führten zu einem Umdenken im Hinblick auf die berufliche Bildung der Frau. Zunächst nur vereinzelt, später häufiger und gezielter, machten die Mädchen von der Weiterbildung Gebrauch. Die Möglichkeiten waren vor allem in den Höhengebieten der Eifel wegen der ungünstigen Verkehrsverhältnisse begrenzt. In den Dörfern ohne Bahnanschluß konnte die Weiterbildung meistens nicht oder nur mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten realisiert werden. Zu lange Fußmärsche waren unzumutbar und für die Aufnahme in ein Internat oder eine Pension fehlte oft das Geld. Es gab außerdem zunächst noch keine staatlichen Hilfen. Die Ansicht, Mädchen heiraten ja doch und die Investition in Bildung und Ausbildung lohne sich nicht, war bis in die fünfziger Jahre weit verbreitet. Viele glaubten sogar, sie sei ganz umsonst gewesen. Trotzdem setzte sich allmählich eine andere Einsicht durch. Begabte junge Mädchen besuchten verstärkt Gymnasien, die Handelsschule oder die damaligen Aufbauschulen. Viele Volksschullehrer leisteten auf dem Weg dahin Überzeugungsarbeit bei den Eltern.
Bedeutung der Berufsbildenden Schule für die Weiterbildung der weiblichen JugendAuf breiter Basis bot die Berufsschule, vor allem der hauswirtschaftliche und landwirtschaftliche Zweig, den Mädchen auf dem Lande die Möglichkeit, zusätzliche Bildung zu erhalten.
Die dreijährige Berufsschulpflicht erfaßte alle Mädchen von 14-17 Jahren. Zunächst gab es mehrere Schulstandorte, die den ungünstigen Verkehrsverbindungen auf dem Lande Rechnung tragen sollten.
Solche Schulen waren u. a. in Adenau, Altenahr und Sinzig eingerichtet worden. Später konnte nach der Einrichtung der entsprechenden Bus-
und Zugverbindung die Berufsschule in der Kreisstadt Ahrweiler besucht werden und ab 1981 in Bad Neuenahr. Die Chancen auf eine Berufsausbildung verbesserten sich für Mädchen erheblich. In den sechziger Jahren erhielten die hauswirtschaftlichen Lehrlingsklassen der Berufsschule eine fundierte Ausbildung. Voraussetzung für die Aufnahme war die praktische Tätigkeit in einem anerkannten hauswirtschaftlichen Lehrbetrieb.
Leider wird der Beruf der Hausfrau, der besondere Fähigkeiten erfordert und viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet, auch heute immer noch nicht genügend anerkannt und entsprechend entlohnt.
Seit Ende der sechziger Jahre besteht die hauswirtschaftliche Berufsfachschule. Diese Einrichtung ist aus der beruflichen Bildung der Frau nicht mehr wegzudenken. Nach dem Hauptschulabschluß mit 15 Jahren besuchen viele Mädchen die Berufsfachschule Hauswirtschaft, die nach zwei erfolgreichen Jahren als Abschluß die Mittlere Reife vermittelt und den Zugang zu vielen Berufen ermöglicht.
Auch die kaufmännische und die gewerbliche Berufsfachschule bieten schon seit langem vielseitige Ausbildungsmöglichkeiten. Ebenso stehen selbstverständlich die Berufsaufbauschulen und Fachoberschulen seit vielen Jahren Frauen offen.
Es gibt heute eine Vielzahl an Möglichkeiten der Weiterbildung. Auch sogenannte "Spätentwickler" haben Chancen, ihre beruflichen Wünsche zu verwirklichen. Die große Mobilität und staatliche Unterstützung tragen dazu bei, daß auf dem Lande auch bei großer Entfernung zum Schulstandort die Bildung und Ausbildung nicht zu kurz kommen. Frauen und Mädchen auf dem Lande stellten sich auf den grundlegenden Wandel der Lebensverhältnisse ein. Sie haben daraus Konsequenzen gezogen und geben in ihrem jeweiligen Wirkungskreis das Beste, ob als Hausfrau, Bäuerin, Arbeiterin, Handwerksmeisterin, Kauffrau oder Akademikerin, um nureinige Berufsfelder zu nennen.