Hans Peter Kürten
Brücken verbinden, bringen Menschen zusammen und deshalb haben die Menschen schon sehr früh begonnen, die beiden Seiten von Flüssen und Schluchten durch technische Bauwerke zu verbinden.
Die Römer bauten zum schnelleren Vormarsch ihrer Truppen viele Viadukte und aus ihrer Zeit kennen wir auch Aquädukte zur Versorgung menschlicher Ansiedlungen mit Wasser. Noch heute gibt es einige steinerne Zeugen jener Zeit, die den hohen technischen Stand ihrer Baumeister dokumentieren. Es gibtweltbekannte Brücken. Wer kennt sie nicht, die Golden Gate Bridge von San Francisco, die Brücke nach Fehmarn im Verlauf der Vogelfluglinie, die Müngstener Brücke bei Remscheid als besonderes Beispiel für gelungene Eisenkonstruktionen und eine Brücke besonderer Art, die Schwebebahn von Wuppertal.
Einmalig in der Welt dürfte aber die Tatsache sein, daß eine Brücke - nämlich die Brücke von Remagen, die seit fünfzig Jahren nicht mehr steht, weltweit bekannt ist und an Strahlkraft eher in den letzten Jahren gewonnen statt verloren hat. Sie ist geradezu zu einer völkerverbindenden Institution geworden. Woher kann das kommen? Versuchen wir dem Phänomen auf die Spur zu kommen.
Für den Krieg gebautDazu müssen wir zum Ursprung dieser Brücke zurückgehen. Auf Drängen der kaiserlichen Generalität wurde 1916-also mitten im Ersten Weltkrieg - in konsequenter Befolgung des Schlieffenplanes beschlossen, eine weitere Brücke über den Rhein zu bauen. General Schlieffen hatte den geheimen Plan entwickelt, Frankreich sei nur in großen Zangenbewegungen militärisch zu bezwingen.
Der Brückenübergang wurde bei Remagen gewählt, weil erstens der Rhein hier nicht so breit ist und zweitens die vorhandene Eisenbahnlinie durch das Ahrtal als zusätzliche Material- und Menschentransportlinie eine weitere Zange für den Frankreichfeldzug ergeben sollte.
Die Brücke wurde umgehend in Angriff genommen und trotz der widrigen Umstände - zu wenige Facharbeiter, Probleme bei der rechtzeitigen Materialbeschaffung und nicht genügend Lebensmittel, um die Arbeiter gut versorgen zu können, zügig gebaut. Dennoch, sie wurde erst 1918 fertig und diente nicht mehr dem kaiserlichen Heer zur Eroberung Frankreichs, sondern vielmehr gingen die damaligen Alliierten in der Gegenrichtung, also von Westen nach Osten, über die Brücke, um das Rheinland zu besetzen.
Von da an spielt die Brücke von Remagen keine Rolle mehr. Sie hatte verkehrspolitisch keine Bedeutung. Es gingen nur ganz wenige Züge über die Brücke. Sie war eine totale Fehlinvestition. Der einzige wirkliche Gewinn war der Fußgängersteg an der Nordseite der Brücke, den die Bürger von Remagen und Erpel reichlich nutzten. Zu dieser Zeit bestanden viele menschliche Kontakte von hüben nach drüben, es gab Liebschaften über den Rhein hinweg, und es wurde sogar in dieser Zeit mehrfach zwischen Erpelern und Remagenern geheiratet.
Im Krieg zerstörtDann kam der Zweite Weltkrieg. Die Brücke von Remagen wurde eines der immer wieder angegriffenen Ziele der alliierten Luftwaffe. Im Dezember 1944 wurde Remagen bei einem solchen Angriff stark zerstört. Die Luftangriffe setzten sich bis zur Eroberung durch amerikanische Truppen fort. Danach versuchten die Deutschen durch Fliegerangriffe die intakte Brücke zum Einsturz zu bringen, ja sie beschossen sogar Remagen mit V1-Raketen als einziges innerdeutsche Ziel, allerdings ohne den erhofften
Erfolg. Was militärisch nicht gelang, geschah dann ungewollt und unverhofft. Zehn Tage nach der Eroberung am 17.3.1945, während Instandsetzungsarbeiten an der Brücke im Gange waren, brach "diese plötzlich zusammen und riß dabei 28 Amerikaner in den Tod.
Die Eroberung dieser Brücke ging als das "Wunder von Remagen" in die Geschichte ein. Andererseits spiegelt sie den Terror des Naziregimes wider. Durch ein sogenanntes Schnellgericht wurden fünf unschuldige deutsche Offiziere zum Tode verurteilt und vier davon hingerichtet, weil sie angeblich bei der Sprengung versagthatten. Der fünfte entging dem Schicksal, weil er in amerikanische Gefangenschaft geraten war. Fest steht, daß die nicht geplante Eroberung der Brücke von Remagen den Zweiten Weltkrieg um einige Zeit verkürzt hat. Und wenn man bedenkt, wieviel Menschen am Ende des Krieges täglich starben, wieviel Werte sinnlos zerstört wurden, erkennt man die immense geschichtliche Bedeutung dieser Eroberung.
Ort der VölkerverständigungEs war mein Wunsch, diesen Ort, an dem Geschichte so handgreiflich geschehen war, zu einem Ort der Völkerverständigung und des Friedens zu machen. Nach vieljährigen Bemühungen, konnte ich dann endlich mit Hilfe der Stadt Remagen am 7.März 1978 der staunenden Weltöffentlichkeit in Gießharz eingegossene kleine Brückensteine präsentieren. Außerdem versprach ich damals, ein Friedensmuseum aufzubauen und eine Begegnungsstättefür Freunde des Friedens zu errichten. Am 7. März 1978 kam es in Remagen zur ersten organisierten Begegnung zwischen amerikanischen Soldaten und der deutschen Zivilbevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die deutschen und vor allem die amerikanischen Medien berichteten so wohlwollend über diese Veranstaltung, daß wir bei der Stadtverwaltung von Briefen aus den Vereinigten Staaten förmlich überschüttet wurden. Das kleine Friedenssymbol, der Brückenstein, entwickelte sich zu einem Verkaufshit und es kam sogar zu Lieferengpässen. Aber mit der Post kamen soviel Dokumente, daß es auch möglich war, nun wirklich ein interessantes und aussagekräftiges Friedensmuseum in den Remagener Brückentürmen einzurichten. Bereits am 7. März 1980 konnte ich das gegebene Versprechen einlösen und das Friedensmuseum seiner Bestimmung übergeben. Hierzu kamen Veteranen aus den USA, Belgien, England und Deutschland. Und wieder waren die Medien zur Stelle und berichteten von unserem Tun. Von nun an rissen die Begegnungen nie mehr ab.
Die Anfänge: Bürgermeister Hans Peter Kürten präsentiert die Brückensteine (1978).
Viele der in Deutschland stationierten US-Einheiten statteten der Brücke einen Besuch ab. Große Brückenquader wurden in die Staaten transportiert und mit ihnen dort in vielen Kasernen Gedenkstätten mit einem solchen Stein der Remagener Brücke errichtet.
Der Brückenverein, der 1983 gegründet worden war und dessen Vorsitzender ich wurde, veranstaltete drei Friedens-work-camps mit jungen Leuten aus aller Welt. An dem dritten nahmen sogar junge Russen teil, obwohl zu dieser Zeit die Welt noch durch den Eisernen Vorhang geteilt war.
Am 7. März 1985 begingen wir mit viel Prominenz den 40. Jahrestag der Eroberung. An diesem denkwürdigen Tage wurden zwischen ehemaligen Gegnern viele persönliche Freundscharten geknüpft. Es kam danach zu zahlreichen privaten Begegnungen. Das immer ausliegende Gästebuch im Friedensmuseum könnte viele Geschichten erzählen. Das bisher letzte spektakuläre Ereignis, war das Treffen der Veteranen am 7. März 1995 aus Anlaß der 50. Wiederkehr der Eroberung.
In das Friedensmuseum Brücke von Remagen kommen wöchentlich rund tausend Menschen aus aller Welt. Es ist mein Wunsch, daß dies so bleibt, und viele das Leitwort dieser Einrichtung beherzigen:
"Laßt uns jeden Tag mit Geist und Verstand für den Frieden arbeiten. Beginne jeder bei sich selbst!"
Ein Monument der Völkerverständigung hat der Linzer Bildhauer Günther Oellers jüngst aus Basaltsteinen der Remagener Brücke geschaffen. Es trägt den Titel "Harmonie, Versöhnung, Gespräch von Menschen über alle Grenzen" und wurde am 6. September 1995 in der Stadt Neutraubling bei Regensburg offiziell seiner Bestimmung übergeben. In der Einweihungsrede sagte Dr. Gerhard Leister u.a.: "Oellers vermag ausgehend von einem anderen geschichts-trächtigen Denkmal durch die Wahl des Materials eine unglaublich bedeutungsvolle Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen, er entscheidet sich nämlich für einen harten und dunkelgrauen Basalt-Lava-stein, deren Blöcke er auf der Seite des Rheinufers zu Remagen findet. Es sind jene dokumentarischen Überreste der Fundamente der ehemals schönsten Stahlbrücke über den Rhein, die einst die Ortschaften Remagen und Erpel verband und vor 50 Jahren von amerikanischen Truppen dazu benutzt wurde, das deutsche Volk von der Nazi-Barbarei zu befreien, bevor die Brücke einstürzte. Welch geistvoller symbolischer Akt des Künstlers, diese Steine der heutigen Gedenkstätte des Friedens in Remagen zu verwenden für das Denkmal der Völkerversöhnung in Neutraublingen!"