Räuber auf dem Laufenbacher Hof anno 1742

Dr. Peter Neu

1742 - die Zeiten in Mitteleuropa waren unruhig. Im Osten des Reiches war ein erbitterter Kampf um Schlesien zwischen der Kaiserin Maria Theresia und dem jungen Preußenkönig Friedrich II., den man später den Großen nennen sollte, entbrannt. In der Eifel blieb es zunächst ruhig, obwohl der französische König sich auf die Seite der Preußen gestellt hatte. Der Herzog von Arenberg als Parteigänger der Habsburger stellte sich sofort auf die Seite der Kaiserin, für die er mit in den Krieg zog.

Das Leben in der Eifel aber kannte damals auch andere Gefahren, von denen die folgende wahre Begebenheit berichtet.

Dietrich Wirtz berichtet

Am Morgen des 3. Juni 1742 erschien Dietrich Wirtz, der Pächter des Laufenbacher Hofes, auf der Arenburg und bat um ein Gespräch mit Regierungsrat Kisselstein, der als Landschultheiß auch Richter im Herzogtum war. Aufregendes hatte er zu berichten. Am gestrigen Abend sei völlig außer Atem die Magd seiner Schwester auf seinem Hof angekommen. Sie habe berichtet, in Wershofen, wohin die Schwester verheiratet war, seien am Mittag 7 seltsame Burschen aufgekreuzt. Sie hätten schließlich den Weg nach dem Laufenbacher Hof ertragt und seien dann verschwunden gewesen. Die Schwester bitte ihn, sich in acht zu nehmen, „denn vielleicht Spitzbuben seyen, welche nichts Gutes im Sinn führeten".

Der Überfall

Dietrich berichtete weiter, er habe daraufhin sofort seine Magd nach Winnerath gesandt „und einige Baueren von daselbst rufen lassen, um ihme allenfalls vor Diebstahl schützen helffen". Die Haustüre aber habe er sofort verriegelt, dem Knecht habe er befohlen, sich hinter der Türe zu postieren. „Als kaum die Magd auf Winrath fortgewesen, seyen die Kerlen an die Hausthür kommen und umb herberg angehalten. Als hätte er, Hälften, sie auf die Stall verwiesen, da seye Strohe und könnten daselbsten schlaffen." Sie hätten aber „parforce" ins Haus hineingewollt, welches er aber abgeschlagen habe. Daraufhin hätten sich die verdächtigen Gestalten geteilt, 5 oder 6 seien zur Mühle hin gegangen. Einer blieb als Wache vor der Haustüre stehen. Inzwischen aber seien die Helfer aus Winnerath gekommen. Als erster bog der Zwanzigjährige „Joseph Römer umb die Ecke des Kuhstalles und zum Haus hergehen wollen". Hier stieß er unerwartet auf den Wachposten, der zog eine Pistole und gab, ohne ein Wort zu sprechen, einen Schuß auf Römer ab. Römer wurde in der Brust getroffen und brach zusammen. Zur selben Zeit aber bog der Schäfer von Winnerath, der seine Hunde mit sich führte, auf den Hof ein. Er hetzte sofort die Tiere auf den Schützen, der fliehen wollte. „Haben die Hund ihn eingeholt und über Häuften geschmissen und also selbigen festgehalten, anfänglich hätten die ihme gegebenen schlage und stoß nicht ankleben wollen, bis endlich der Kopf blutrauschig worden, worauf er sich endlich ergeben." Die Gesellen, die sich in der Nähe aufhielten, suchten eiligst das Weite und flüchteten in den Wald. Von dort gaben sie noch zwei Schüsse ab, dann aber verschwanden sie im Schütze der Dunkelheit.

Landschultheiß Kisselstein entsandte den Feldscher Sackmann, der für die Garnison der Burg zuständig war, sofort zum Laufenbacher Hof, um den verletzten Römer zu verbinden und zu versorgen. Römer, der in der Stube im Hof lag, berichtete Sackmann eingehend, wie er zu Hilfe eilen wollte, wie er vorausgeeilt sei und dann plötzlich von der Kugel getroffen wurde. Ob die Verletzungen Römers lebensgefährlich waren, wissen wir nicht, die Quellen berichten weiter nicht von ihm.

Verhör eines Räubers

Der eingefangene „Räuber", von den Schlägen der Bauern und den Hundebissen arg zugerichtet, aber war inzwischen auf die Arenburg gebracht worden; das Verhör begann. Seinen Namen gab er mit Hans Heinrich Pintges an, sein genaues Alter konnte er nicht nennen, er behauptete, 17 oder 1-8 Jahre alt zu sein, er stamme aus Heistern und sei in Langerwehe getauft. Der Landschultheiß wollte nun vor allem wissen, wer seine Mitgesellen gewesen seien und woher sie stammten. Pintges antwortete: „Seyn alle Vagabonden gewesen, welche von einem Orth zum anderen vagirt seyn." Er selbst gab an, etwa einen Monat lang „bey der Compagnie" zu sein. Auf die Frage, wie er sich seither ernährt habe, gab er zur Antwort: „Theils mit Bettelgehen und hätte auch jemand von ihnen viell Gelt gehabt, der hätte sie zum Theill ernähret." Über seinen Lebenslauf konnte er berichten, daß er im Alter von 12 Jahren nach Eupen zu einem Meister Nikolaus Fuchs gebracht wurde, damit er den Beruf eines Wollwebers erlerne, dort sei er 2 und 1/4 Jahr geblieben, danach sei er 9 Monate lang in Burtscheid bei Aachen tätig gewesen, schließlich in Sieglar und Urbach. Auf der Rückreise von Urbach nach Eupen, wo er erneut Arbeit suchen wollte, habe ihn in der Nähe von Linnich „ein wohlge-kleydet Mann auf der Landstraß recontriert (= getroffen), welcher ihn anfänglich ausgefragt, wohin er gehen wollte, hernachmals habe er ihn animiert, er solle bey ihme bleyben; er seye ein Spielmann, und seine Frau habe einen schönen Kram, er brauche anders nicht zu thuen, als nur den Kram hin und wieder von Dort zu Dort auf die Märckt zu tragen, und wan er ein Monath lang bey ihme geweßen, so wollte er ihn nicht allein wohl kleyden, sondern wollte ihn auf Monath oder Jahr dingen und guten Lohn geben. Worauff er sich bereden lassen, und seye mit dem Mann gangen, welcher nit weit von der Landstraßen in einem Büschelgen ein Feuer gehabt, wohe dessen Frau auch gewesen, welche den Kram auch gehabt und am feuer gekocht" habe. Es stellte sich heraus, daß dieser Mann Johannes hieß, daß er in der Tat ein Spielmann gewesen sei, der früher einmal als Pferdehändler sein Geld verdient habe. Schließlich lernte der Junge am Feuer einen Peter Steffens kennen, „der ein Spielmann auf dem hackbrett geweßen".

Dann seien nach und nach die anderen hinzugekommen, wie und woher, das wußte der Junge nicht zu sagen. Sie hätten sich dann aber in Golzheim, Au (= Niederau, Kreuzau), Buir, Niederbolheim, Blatzheim aufgehalten, hätten auf dem Mausbacher Hof auch ein Schweinchen gestohlen und verzehrt, im Pfarrhaus in Pleißen ( = Bliesheim) seien sie eingebrochen, in Lechenich hätten sie gestohlen. Der Junge konnte auch Namen der Komplizen nennen:

einer heiße Heinrich, ein zweiter „Johann aus Jülicher Land", Joseph sei aus Frankfurt und von Beruf ein „tabackspinner". Franz Adrian sei blond, habe in der Kinn „ein Käuigen" und sei von Beruf Tuchscherer. Anführer aber sei Michel Frings, von Beruf ein Metzger. Schließlich gehörte zu der Gruppe Peltzer Steffens, ein Leineweber, der im Luxemburger Land zu Hause sei.

Schließlich mußte der junge Gefangene Einzelheiten über seine letzte Arbeitsstelle berichten. Er sagte aus, daß er noch vor drei Monaten bei einem Meister Jean in Sieglar gearbeitet habe. Die Bande von sieben Mann habe sich schließlich zu Buirbei Geroltsheim (= Golzheim) getroffen, von dort seien sie nach Michelsberg (?) gelangt, vor dort dann über Wershofen zur Laufenbacher Mühle gegangen. Der Anführer Heinrich mit den roten Haaren habe den Plan gefaßt, in der Laufenbacher Mühle „ein stück geld bei dasigem Halffen zu fordern, wann er selbiges nit gutwillig wurde geben, wurden sie ihn darzu gezwungen haben".

Der Überfall aus der Sicht des „Räubers"

Der Inhaftierte berichtete, wie er den Vorgang an der Haustüre erlebt hatte. Der Halfen habe ihnen die Türe nicht aufmachen wollen, sondern vorgeschützt, „er thäte bey nächtlicher Weill die Thür nit öffnen. Als der Halffen die Thuer nit öffnen wollen, hat einer von ihnen, nemlichsein Meister, gesagt, die Sach seye verrathen, und haben sich darauf insgesambt vom Hoff abbegeben. Auff der Brücke aber, welche über die Ahr gehet, haben sie stillegestanden und abgeredet, daß 2 in der Gegend des Haus sollen stehen bleiben und acht geben, damit niemand aus dem Haus gehen, succurs (= Hilfe) zu suchen, worauf der rothköpfige Heinrich, welcher daselbst und dieses Landts bekannt, sich freywillig erbotten, stehen zu bleiben, und er hatte gesagt: 'Lasset den Jungen bey mir.' Die übrige 5 haben aber zur Müllen gehen wollen, ein Stücks Essens daselbst zu fordern. Worauf der Heinrich zu ihme gesagt: 'Gehe du hinstehen und gebe acht, ob jemand auß dem Haus gehet.' Welches er anfänglich verweigert, worauf der Heinrich eine Sackpistolle aus der Taschen genommen und ihme auf die Brust gehalten, sagend: 'Wann du nicht wills hingehen, so will ich dich es lehren, ich will dich solchenfalls übern Häuften schießen und in das Wasser werften!' Worauf er sich dahin bequemen müssen. Und hätte der Heinrich ihme eine Sackpi-stol geben und sagen: 'Der erste, so aus dem Haus kommet, solstu überhäuften schießen und hüte dich, daß du nicht lauften gehst, dann ich hab dich in meiner band und wird dir solchenfalls übell gehen.' Welche Reden der Halffen, so in der Fenster gelegen, zweiffeisohn gehört hätte." Schließlich habe man sich geeinigt, erst Essen zu beschaffen, sich zu stärken, dann aber dem Pächter Wirtz des Laufenbacher Hofes auf den Pelz zu rücken und ihn zu zwingen, sein Geld herauszugeben, das er im Keller „in einem Duppen" hatte, wie einer der Räuber, der aus Niederbolheim stammte, genau wußte. Aus diesen Angaben muß man schließen, daß einer der Räuber sich im Laufenbacher Hof auskannte, daß er vielleicht als Knecht eine Zeitlang dort gearbeitet hatte.

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Der Laufenbacherhof auf der Tranchot-Karte (Ausschnitt).

Inzwischen begannen die Arenberger Beamten nachzuforschen,inwieweit die Angaben des Inhaftierten stimmten. Der Einbruch in das Pfarrhaus wurde bestätigt; ein Wollweber Johannes Straßburg aus Sieglar bei Bonn bestätigte, daß bis vor kurzem ein Knecht bei ihm gewesen sei, der aber den Namen Jakob getragen habe. - Auf der Arenburg bekannte der Junge daraufhin, daß er sich in Sieglar unter dem Namen Jakob ausgegeben habe.

Flucht des Inhaftierten

Am 6. August 1742 gelang Johann Heinrich - alias Jakob - Pintges die Flucht von der Arenburg, „als er auff den Abtritt geführt wurde". In Schuld an der Ahr konnte man ihn wieder einfangen. Aber ausgeliefert wurde der „Räuber" nicht. Wahrscheinlich wurde er in Schuld erneut angeklagt.

Die Wache der Arenburg, die den Übeltäter hatte entkommen lassen, aber machte man am 7. September 1742 für die Flucht verantwortlich. Die Mannschaft mußte alle Kosten für Haft und „die wiederbeybringung" tragen. Man machte es ihnen zum Vorwurf, daß sie den Jungen „nicht ins ordentliche gefängnis, sondern auff die bloße wachtstub hingesetzet, wo nicht allein weltliche, sondern auch geistliche Ordensleuth ihren freyen Ein- und Ausgang gehabt". Dabei habe Landschultheiß Kisselstein doch ausdrücklich den Befehl gegeben, den jungen Räuber „unter der Brücken ins Gefängnis zu werften". Die Wächter wandten sich mit einer Bittschrift an den Herzog, ihnen die Strafe zu erlassen. Wie der Herzog entschied, wissen wir nicht. Der junge Räuber blieb für die Arenberger Justiz unerreichbar. Der gerechten Strafe wurde er im Herzogtum Arenberg nicht zugeführt. Ob er noch zu einem normalen Leben zurückfinden konnte oder welches Urteil ihn in Schuld erwartete, berichten die Arenberger Quellen nicht.

Quelle:

Herzoglich Arenbergisches Archiv Enghien D 2777

Content-Disposition: form-data; name="hjb1996.20.htm"; filename="C:\gabriele\Heimatjahrbücher\Heimatjahrbuch1996\hjb1996.20.htm" Content-Type: text/html An der Ahr

An der Ahr, „wo schon alles drunter und drüber seht".

Aus den Papieren des kurkölnischen Marsch- und Verpflegungskommissars Wurzer im Jahre 1794

Dr. Ulrich Heibach

Die französische Eroberung des linksrheinischen Rheinlands im Jahre 1794 brachte sozusagen mit einem Schlag das Ende der jahrhundertealten politischen, rechtlichen und sozialen Ordnung am Rhein. Auch die Ahrgegend wurde eingenommen, und zwar ohne außergewöhnliche Vorkommnisse oder nennenswerte Kämpfe.1) Und doch stand diese Region, wie im folgenden zu berichten ist, damals für etwa zwei Monate im Bann des Krieges, ja waren sogar die Blicke der hohen Politik für kurze Zeit unmittelbar dorthin gerichtet.

Schon zwei Jahre vorher waren die französischen Armeen ins Reich eingedrungen2), jedoch durch Erfolge vor allem der mit den rheinischen Mächten verbündeten Preußen und Österreicher bald wieder über Belgien hinaus zurückgedrängt worden. Im Juni 1794 aber hatten die Österreicher bei Fleurus eine schwere Niederlage erlitten. Die französischen Truppen eroberten nun Belgien und drangen bis an die Maas vor. Wieder geriet das Rheinland in Gefahr, doch noch schien der Krieg für die Bewohner an der Ahr relativ weit entfernt. Erst als Anfang August Trier überrannt wurde, drohte unmittelbar ein Vorstoß durch die trierische und kölnische Eitel auf Bonn und Köln und damit die Einnahme des gesamten Landes bis zum Rhein. Mit aller Macht versuchte der in Bonn residierende letzer Kölner Kurfürst Max Franz nun, das drohende Unheil noch zu verhindern. „Das Schwert der Vernichtung hängt an einem Seidenfaden über unser aller Haupt", äußerte er in diesen Tagen. Die Landstände hatten Abwehrmaßnahmen ergriffen und sich unter anderem auf den Ankauf von Korn, Hafer und Früchten geeinigt; dafür wurde jeder Morgen erzstiftischen Landes mit einer geringen Abgabe (15 Stüber3)) belegt. Die Gefahr drohte jetzt von Eifel und Ahr. Während die Aachen-Monschauer Gegend durch Truppen geschützt war, beorderte der Kurfürst eiligst münstersche Soldaten und kölnische Landhusaren zur Sicherung der Eifelpässe. Wie nah der Gegner war, zeigen unwahre Gerüchte, die Mitte August in Altenahr auftauchten; danach seien die Reichstruppen bei Wittlich geschlagen worden und die Franzosen auf der Poststraße nach Koblenz auf dem Vormarsch bei Lutzerath, nur noch 6 Stunden von Adenau entfernt. Die Ahr drohte zum Kriegsschauplatz zu werden.

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Das Amtshaus in Altenahr unterhalb der Burg auf einer Lithographie von N. Ponsart.

Ein Hauptproblem stellte damals die Versorgung der Truppen und ihrer Pferde dar. Wie konnte die Eifel verteidigt werden? Woher sollten angesichts solcher plötzlicher Truppenkonzentrationen in derAhreifel die dringend nötigen Lebens- und Futtermittel genommen werden? Es herrschten spürbare Versorgungsmängel. Neben den Militärfachleuten ließ Max Franz daher am 14. August den 23jährigen Referendar Joseph Wurzer4) „sich in die Eifel unverzüglich hin...verfügen", dort sollte er „die Marsch- und Verpflegungsvorfälle... besorgen, die nötigen Vorspann- und Fuhren als Adjunckt unseres Marschkomissariates in den angränzenden Ämter[n] und Unterherrschaften auf...bieten, desfalls an die auf ihren Posten anwesenden Oberamtleute [sich]... wenden, kurz in jedem Betrachte alles... verfügen, was in bezug auf die [ihm]... erteilten Aufträge zum Bedürfniß und Vorschübe der Truppen nur immer erforderlich seyn kann."

Diesem Auftrag verdanken wir für die folgenden 6 Wochen eine überaus dichte Überlieferung zu Wurzers Arbeit an der Ahr. Sein Nachlaß im Historischen Archiv des Erzbistums Köln birgt nicht nur die umfangreichen Memoiren des in Bonn aufgewachsenen späteren kurkölnischen Hofrats, hessen-darmstädtischen Regierungsbzw. Hofgerichtsrats zu Arnsberg und preußischen Landgerichtspräsidenten in Koblenz, sondern auch eine Akte mit der vollständigen Korrespondenz seines Einsatzes beim kurkölnischen Marsch- und Verpflegungskomissariat. Nach einer Unterredung mit dem Kurfürsten mußte Wurzer unverzüglich, um 20 Uhr, von Bonn aus nach Altenahr aufbrechen, wo nach den Worten von Max Franz „schon alles drunter

und drüber" ging. Überden bescheidenen, „nicht einmal... überall fahrbare[n]" Weg via Meckenheim, „durch die Forsten" erreichte er spät in der Nacht das Dienstgebäude des Altenahrer Amtsverwalters Delhees, wo schon die Oberamtleute der in der Nähe des Kriegsschauplatzes liegenden Ämter zusammengekommen waren. Das Amtshaus war bis unters Dach belegt, so daß der Referendar „in weiterer Entfernung" im Haus der Schwester des Amtmannes übernachten mußte, wohin der Knecht ihn mit einer Laterne „mühsam geleitete"5). Am nächsten Morgen, dem 15. August, begann die Arbeit. Auf Wurzers Vorschlag hin sollte ein Fruchtspeicher als Landesmagazin angelegt werden, aus dem der größte Teil der Versorgung der kaiserlichen Armee zu bestreiten war. Zu diesem Zweck erkundete er „Plätze zum Aufschütten der Magazinsfrüchten in und um Altenahr"; es kamen dafür in Betracht:

„Auf der Kirche zu Kreutzberg: 200 Malter Korn; ein Speicher auf dem Hause, der aber sehr beschwerlich zum Transport: 400; eben daselbst oben einem Stall oder Remise: 40; auf dem kurfürstlichen Kelterhaus: 800; auf dem Kellnerey-Speicher: 150; bey Greiffer: 100; im Vikariehaus: 200; bey Scherten Leg[oder: Ley]: 60; bei Bernard Fuhrmann: 40; auf dem kurfürstlichen Kelterhaus, wenn die 2. Etage ebenfalls mit einem Boden versehen würde: 800 [Malter]; bei Greiften: 4000 Centner Heu"6). Der erwähnte Kelterhausboden wurde dann auf Kameralbefehl hin tatsächlich unter der Regie des Amtmannes gebaut. 10 Tage später war die Arbeit in vollem Gange, und am 13. September konnte Delhees die Fertigstellung vermelden. Alle Auslagen für die Magazinierung mußte das Land tragen. Aus dem Magazin waren die Oberamtleute und ihre Pferde sowie die an den Magazinen arbeitenden Leute zu beköstigen. Wenige Tage später begannen die Lieferungen. In Bonn trafen z. B. am 19. August 675 Sack kölnischer Hafer ein. Sie wurden in einem Bonner Kloster zwischengelagert, und Wurzer sollte sie nach Belieben abholen und in Altenahr einlagern lassen, die leeren Säcke aber zurückschicken.

Altenahr war das einzige derartige Magazin in der Ahr-Eifel-Gegend7). Auch die Umgebung -einschließlich der nichtkölnischen Territorien - mußte dorthin liefern. Da in Rheinbach keine Vorräte vorhanden waren - das alte Korn war verbraucht, das neue noch nicht gedroschen -, sollten die Bewohner ihre gepachteten Zehnterträge leihweise zur Verfügung stellen. Man wollte sofort mit dem Dreschen anfangen; aufgrund einer geplanten Arbeitsleistung von 3 Maltern pro Werktag erwartete man von dort 18 Malter pro Woche; insgesamt könne Rheinbach so nach Aussage des dortigen Oberamtmanns von Schall 110 Malter liefern, werde jedoch viele Wochen benötigen. Auch Meckenheim sollte aus den Erträgen des Zehntinhabers 30 Malter liefern. Anders als Korn und Hafer sollten Heu und Stroh aber erst bei akutem Bedarf eingefordert werden.

Von Altenahr aus mußte der Amtmann sog. „Magazintransporte"8) nach Adenau schicken, z. B. am 17. August unverzüglich 100 Malter Korn und 100 Malter Hafer. Dabei entstand die Frage, ob er dieselben Wagen, die aus Bonn kamen, gleich weiterschicken oder ob und von wo er neue Fuhrwerke aufbieten sollte. Am selben Tag benötigte die Regierung zu Bonn aus dem Ahr-Raum Fuhrkapazitäten (Wagen mit Fuhrmann) für 50-60 Fuhren über Blankenheim nach Prüm; die Ämter Altenahr und Adenau mußten täglich ca. 25 Fuhren aufbieten.

Adenau war seit dem 16. August Wohnort und „Hauptquartier" Wurzers. Dort befanden sich an jenem Tag alle Oberamtleute der nahe des Kriegsschauplatzes liegenden Ämter. Wurzer berichte, daß er kein Wirtshaus fand und sich deshalb förmlich einquartieren lassen mußte; verpflegt worden sei er täglich mittags und abends beim wohlhabenden und unverheirateten Landschultheiß Koller gegen Zahlung eines kurkölnischen Reichstalers pro Tag.

Wurzer entfaltete hier eine rege Organisationsund Koordinierungstätigkeit. Häufig berichtete er bzw. fragte bei seinem Vorgesetzten, dem Hofratspräsidenten Graf Nesselrode-Reichen-stein, in Bonn an oder nahm dessen Weisungen entgegen. Er stand in Kontakt zu den Militärlagern bei Wittlich, Hillesheim und Kaisersesch sowie mit den Amtsverwaltern und Oberamtleuten der Umgebung. Wurzer war befugt, für seine Zwecke Gelder von der Altenahrer und Adenauer Kellnerei zu erheben. Wie sich aber herausstellte, waren keine vorhanden. Ende August hatte Wurzer von den Landständen noch immer keine Kostenerstattung erhalten, sondern hatte aus seinem „eigenen Beutel" leben müssen. Am 20. August erhielt er vom Kurfürsten 600 Reichstaler zur Finanzierung seiner Aufgaben; davon benötigte er in den folgenden vier Wochen 10% für die „Miete" und Verpflegung eines Pferdes9). Die Lieferungen nach Altenahr gingen inzwischen nicht so ein wie geplant. Aus dem Rheinbacher Zehnt war Mitte September, nach fast 4 Wochen, immer noch kein Korn eingetroffen. Nur aus dem Vischeler Zehnten des Stifts Mün-stereifel hatte man gut 10 Malter10) eingelagert. Da führte die drohende Auflösung der Front und damit die Möglichkeit einer Räumung des gesamten Landes diesseits des Rheines die Bonner Regierung zum Stop aller Maßnahmen. Wurzer wurde angewiesen, vorerst kein Korn mehr in Altenahr einzulagern. Zu dieser Zeit verwahrte die kurfürstliche Kellnerei in Adenau immerhin 226 Malter Hafer köln. Maß.

Wurzer mißtraute den verbündeten, aber landfremden Militärs: „Ich befürchte..., daß [vom Land Kurköln] leicht mehr gefordert werden könnte, als zum Unterhalt des an unsren Gränzen stehenden Corps nöthig wäre." Ihn störte es, daß auswärtige Militärs - teils unter Androhung von „Stockprügel" - von der kurkölnischen Bevölkerung drückende Lasten abverlangten. Auf Befehl des Generals von Blankenstein sollte das Amt Nürburg erhebliche Naturalienmengen nach Kaisersesch, an das kaiserlich-königliche Verpflegungsamt liefern11). Ferner sollte es mehrmals kurzfristig Arbeitskräfte und Karren für Schanzarbeiten an strategisch wichtigen Orten wie dem Hohenpochtener Kopf nahe Ulmen, bei Eppenberg und Kalenborg sowie bei Müllenbach abstellen, so z. B. am 21. August immerhin 600 Mann und 50 Karren12) und an 5 Tagen ab dem 29. August insgesamt 2.050 Mann mit Schaufeln, Hacken und Proviant für mehrere Tage. Wurzer meldete nach Bonn, daß so die Kapazitäten des rechts dünn bevölkerten Amtes Nürburg überstrapaziert würden. Zum Teil versuchte er die Frondienste auf das Amt Altenahr umzulegen. Darüber hinaus fragte er in Bonn an, ob man der Aufforderung eines „angeblich trierischen" bzw. „auswärtigen" Marschkommissars in einem „diesseitgen Amt" grundsätzlich Folge leisten müsse13). Er klagte z. B. über seitens der Militärs im Dorf Hoffeld erpreßte Heu- und Haferlieferungen und monierte, daß den Belasteten über erfolgte Teillieferungen nur dürftige Quittungen „auf ein kleines Zettelgen mit Bleystifft" ausgestellt wurden, mit denen sie ihre Rechte später ggf. kaum würden beweisen können. Die Art und Weise vieler Requirierungen hielt er für „Betrügerei" und grobe Hintergehung von kurkölnischen Untertanen und Rechten, fast so „als ob dieselben das Amt Nürburg für ein trierisches Amt halten". Er könne die Übergriffe leider nicht verhindern; Adenau habe aber das Glück, ein kurkölnisches Amt zu sein. „Nur ärgert mich dabey am meisten, daß durch den unseren Unterthanen zugefügter] Nachtheil die für uns streitende[n] Truppen nicht erleichtert werden, sondern nur einige Schlechtdenkende bereichert werden." Ferner seien nach Aussagen des Adenauer Bürgermeisters bei Schanzarbeiten auf Aremberg die kurkölnischen Untertanen gegenüber den Arembergischen benachteiligt worden. Der junge Wurzer berücksichtigte - offenbar anders als seine Vorgesetzten in Bonn - weniger die Gesamtlage der verbündeten Truppen; vielmehr sah er sich ganz als Wahrer der kurkölnischen Landesinteressen. Vielleicht hat der enge Kontakt zum Landschultheißen Koller und anderen Adenauer Honoratioren diese Sicht der Dinge verstärkt. Daß man aber in Bonn seine Arbeit durchaus schätzte, beweist die rasche Beförderung zum „Wirklichen Hof- und Regierungsrat" am 5. September.

Im potentiellen Kampfgebiet fehlten auch Gebrauchsgegenstände, sogenannte „Viktualien", die die durchs Land ziehenden Marketender den Soldaten feilboten. Zur Verpflegung der Truppen benötigte man einer Auflistung zufolge bestimmte Mengen an Salz, Rauch- und Schnupftabak, Kartoffeln (Erdäpfel), Rüben, Bohnen, Erbsen, Mehl, Branntwein oder Genever, rotem Ahrwein und weißem Rheinwein (beides für die Offiziere), einer anderen „wohlfeilen" Sorte Rotwein („für den gemeinen Mann"), ferner an Speck, Schinken und Rauchfleisch aus Westfalen, Essig, Käse, Salzbutter, Bier sowie Haarpuder und Kreide (für die Uniformen). Wurzer war für die Koordinierung dieser Versorgung zuständig und regelte und überwachte die Verteilung auf die Eifeler Region. Die vielfach aus Bonn kommenden Händler behielt er zeitweilig in Adenau und wies ihnen als Lagerraum das „Kloster" zu. Bei Bedarf sandte er sie dann z. B. ins Hauptquartier nach Kaisersesch. Vermehrten Konzessionserteilungen für Bonner Marketender stand er skeptisch gegenüber, da sie dem Land angeblich Lasten verursachten und er Mißstände befürchtete („Einer derselben soll schon 4-5 liederliche Weibsbilder mitgeschleppt haben"14). Dem Landkommissar legte er nahe, mit weiteren Genehmigungen für Marketender sparsam umzugehen. Die Ämter an der Ahr benötigten seiner Meinung nach keine weiteren Viktualienhändler. Als Nachteil führte er an: Marketender, die wie die Bonner nicht über eigene Fuhrwerke verfügten, könnten schon bei geringfügigen Truppenbewegungen nicht mehr folgen. Sie seien der Truppe daher keine verläßliche Hilfe und selbst wirtschaftlich in ihrer Existenz gefährdet, ja sogar in Gefahr, zu Bettlern zu werden. Es werde zudem Schaden entstehen, weil die Marketender von den Ämtern Waren zu einem wesentlich niedrigeren Einkaufspreis forderten, als diese für die Waren bezahlen müßten.

Anmerkungen:

  1. Vgl. z. B. die Heimatjahrbücher des Kreises für 1994 und 1995. in denen sich kein Beitrag anläßtich des 200, Jahrestages der französischen Eroberung speziell mit dem Jahr 1794 beschäftigt.

  2. Sie hatten dabei sogar Mainz und Aachen erobert Dazu und zum Folgenden u. a. M. Braubach. Maria Theresiasjüngster Sohn, Max Franz, Wien-München 1961, S. 302-308 (das folgende Zitat des Kurfürsten nach S. 306), und Ders. Vom Westfälischen Frieden bis zum Wiener Kongreß |1648-1815). in; Rheinische Geschichte, hg v. F. Petn/G, Droege. Bd. 2 Düsseldorf 1976. S. 219-365. hier S. 326-328.

  3. Vgl. dazu Anm 9.

  4. Joseph Wurzer (1770-1860), dazu und zum Folgenden: Histor, Archiv des Erzbistums Köln. Nachlaß Wurzer. Nr. 4 (Dienstakte mit umfangreicher Korrespondenz, u. a. 29 Schreiben aus den Tagen vom 14.08. bis zum 23.09.1794 zwischen ihm und seinem Vorgesetzten, dem Hofralspräsidenten Graf Nesselrode-Reichen-stein) und Nr. 20 (Memoiren, daraus hier S. 143-148); zur Person Wurzers jetzt auch G. Cronau, Hofgerichtsdirektor Joseph Wurzer (1770-1860), in dem Ausstellungskatalog: Zuflucht zwischen Zeiten 1794-1803. Kölner Domschätze in Arnsberg. Arnsberg 1994. S 236-239. Ergänzende Überlieferung in anderen Archiven wurden an dieser Stelle nicht einbezogen.

  5. Nachlaß Wurzer. Nr. 20. S, 144 f.

  6. Die Getreidemaße mußten in kölnische Maße umgerechnet werden. u. a, weil hier auch auswärtiges Getreide gelagert werden sollte. Es findet sich in ebd., Nr. 4, folgender Vermerk:.,! Adenauer Malter ist 1,5 Kölner. Das Verhältnis des Altenahrer zum kölnischen [Malter] ist in Korn = 4 zu 5. in Haber: 3 Altenahrer = 4 kölnische, 1 Altenahrer Malter hat 6 Sester, 1 Sester = 4 Mühlfaß. 1 Mühlfaß ist etwas weniger als 1 Viertel kölnisch, kann also statt einer Portion dienen".

  7. Ebd., Nr. 4, 19.8.94.

  8. Eine in diesem Zusammenhang erstellte Liste erfaßt die Pferde und Ochsen u. a, in den Ämtern Altenahr (182 Pferde/18 Ochsen). Hardt (280 /91) und Nürburg (402 / 417), ferner in den kurköln. Unterherrschaften Vischel (25 /4), Kirchsahr (8 /1). Lind (18 /18). und Wensberg (10 11) sowie der Herrschaft Kaltenborn (19 ' 8) (ebd.). Dabei der Vermerk: 2 Ochsen wurden als 1 Pferd gerechnet (ebd., o. D.).

  9. Täglich 1 Rtlr. für die Miete sowie 28 Stüber in Adenau (bzw. 29 in Altenahr) für Futter und Pflege (1 Rtlr, = 62 Stüber, vgl. ebd.. Rechnung v, 29.9,94), Zum Vergleich: einmal Beschlagen = 32 Stüber, Geschirr-Reparatur = 28 Stüber. 60-70 Stüber kostete an der Ahr um diese Zeit ein Zentner Heu, 15 Stüber eine preiswerte Flasche Wein (ebd. 11.9.94 u, o. D.).

  10. Nach Dürener Maß. das entsprach 8 Malter 1 Sester 1,4 Viertel köln. Maß (dazu und zum Folg. ebd. 16,9, und 21,9,94; kurz vor der Abberufung Wurzers, am 21.9.. enthielt das Magazin 18 Malter 2 Sestsr 3 Finten Kölner Maß.

  11. Am 21.8, 200 Zentner Heu. und zwar (aufgeteilt nach Schulthei-ßenämlern): Adenau 54.5. Barweiler 38,5, Üß und Uersfeld 35, Schuld 30, Welcherath 22, Reifferscheid 18, ferner Nürburg 2 (ebd. 19,8.94).

  12. In der Aufteilung: Barweiler 193 Mann (10 Karren), Honschaft Schuld 150 (8), Adenau 106 (13). Üß und Uersfeld 69 (9), Welcherath 43 (4). Reifferscheid 35 (5) und Nürburg 411) (Ebd.). Bis 29.8, hatte das Amt alles in allem schon 1400 Mann stellen müssen

  13. Ebd.. 28.8.-2.9.94: „...daß das Amt Nürburg Glück hat. ein kurköll-nisches Amt zu seyn. mithin mit dem tnerischen Landeskommissariat und seinen ailenfallsigen Bevollmächtigten nichts zu schaffen habe". Die Trierer Beamten hatten in Anbetracht der Notlage offenbar keine Rücksicht auf die Landesgrenzen genommen und auch von den Adenauern bei Strafandrohung Abgaben verlangt.

  14. Ebd., 19.8.94. Zeitweilig befanden sich 16 Marketender in der Gegend von Adenau.