Dr. Peter Neu
1742 - die Zeiten in Mitteleuropa waren unruhig. Im Osten des Reiches war ein erbitterter Kampf um Schlesien zwischen der Kaiserin Maria Theresia und dem jungen Preußenkönig Friedrich II., den man später den Großen nennen sollte, entbrannt. In der Eifel blieb es zunächst ruhig, obwohl der französische König sich auf die Seite der Preußen gestellt hatte. Der Herzog von Arenberg als Parteigänger der Habsburger stellte sich sofort auf die Seite der Kaiserin, für die er mit in den Krieg zog.
Das Leben in der Eifel aber kannte damals auch andere Gefahren, von denen die folgende wahre Begebenheit berichtet.
Dietrich Wirtz berichtet
Am Morgen des 3. Juni 1742 erschien Dietrich Wirtz, der Pächter des Laufenbacher Hofes, auf der Arenburg und bat um ein Gespräch mit Regierungsrat Kisselstein, der als Landschultheiß auch Richter im Herzogtum war. Aufregendes hatte er zu berichten. Am gestrigen Abend sei völlig außer Atem die Magd seiner Schwester auf seinem Hof angekommen. Sie habe berichtet, in Wershofen, wohin die Schwester verheiratet war, seien am Mittag 7 seltsame Burschen aufgekreuzt. Sie hätten schließlich den Weg nach dem Laufenbacher Hof ertragt und seien dann verschwunden gewesen. Die Schwester bitte ihn, sich in acht zu nehmen, denn vielleicht Spitzbuben seyen, welche nichts Gutes im Sinn führeten".
Der Überfall
Dietrich berichtete weiter, er habe daraufhin sofort seine Magd nach Winnerath gesandt und einige Baueren von daselbst rufen lassen, um ihme allenfalls vor Diebstahl schützen helffen". Die Haustüre aber habe er sofort verriegelt, dem Knecht habe er befohlen, sich hinter der Türe zu postieren. Als kaum die Magd auf Winrath fortgewesen, seyen die Kerlen an die Hausthür kommen und umb herberg angehalten. Als hätte er, Hälften, sie auf die Stall verwiesen, da seye Strohe und könnten daselbsten schlaffen." Sie hätten aber parforce" ins Haus hineingewollt, welches er aber abgeschlagen habe. Daraufhin hätten sich die verdächtigen Gestalten geteilt, 5 oder 6 seien zur Mühle hin gegangen. Einer blieb als Wache vor der Haustüre stehen. Inzwischen aber seien die Helfer aus Winnerath gekommen. Als erster bog der Zwanzigjährige Joseph Römer umb die Ecke des Kuhstalles und zum Haus hergehen wollen". Hier stieß er unerwartet auf den Wachposten, der zog eine Pistole und gab, ohne ein Wort zu sprechen, einen Schuß auf Römer ab. Römer wurde in der Brust getroffen und brach zusammen. Zur selben Zeit aber bog der Schäfer von Winnerath, der seine Hunde mit sich führte, auf den Hof ein. Er hetzte sofort die Tiere auf den Schützen, der fliehen wollte. Haben die Hund ihn eingeholt und über Häuften geschmissen und also selbigen festgehalten, anfänglich hätten die ihme gegebenen schlage und stoß nicht ankleben wollen, bis endlich der Kopf blutrauschig worden, worauf er sich endlich ergeben." Die Gesellen, die sich in der Nähe aufhielten, suchten eiligst das Weite und flüchteten in den Wald. Von dort gaben sie noch zwei Schüsse ab, dann aber verschwanden sie im Schütze der Dunkelheit.
Landschultheiß Kisselstein entsandte den Feldscher Sackmann, der für die Garnison der Burg zuständig war, sofort zum Laufenbacher Hof, um den verletzten Römer zu verbinden und zu versorgen. Römer, der in der Stube im Hof lag, berichtete Sackmann eingehend, wie er zu Hilfe eilen wollte, wie er vorausgeeilt sei und dann plötzlich von der Kugel getroffen wurde. Ob die Verletzungen Römers lebensgefährlich waren, wissen wir nicht, die Quellen berichten weiter nicht von ihm.
Verhör eines RäubersDer eingefangene Räuber", von den Schlägen der Bauern und den Hundebissen arg zugerichtet, aber war inzwischen auf die Arenburg gebracht worden; das Verhör begann. Seinen Namen gab er mit Hans Heinrich Pintges an, sein genaues Alter konnte er nicht nennen, er behauptete, 17 oder 1-8 Jahre alt zu sein, er stamme aus Heistern und sei in Langerwehe getauft. Der Landschultheiß wollte nun vor allem wissen, wer seine Mitgesellen gewesen seien und woher sie stammten. Pintges antwortete: Seyn alle Vagabonden gewesen, welche von einem Orth zum anderen vagirt seyn." Er selbst gab an, etwa einen Monat lang bey der Compagnie" zu sein. Auf die Frage, wie er sich seither ernährt habe, gab er zur Antwort: Theils mit Bettelgehen und hätte auch jemand von ihnen viell Gelt gehabt, der hätte sie zum Theill ernähret." Über seinen Lebenslauf konnte er berichten, daß er im Alter von 12 Jahren nach Eupen zu einem Meister Nikolaus Fuchs gebracht wurde, damit er den Beruf eines Wollwebers erlerne, dort sei er 2 und 1/4 Jahr geblieben, danach sei er 9 Monate lang in Burtscheid bei Aachen tätig gewesen, schließlich in Sieglar und Urbach. Auf der Rückreise von Urbach nach Eupen, wo er erneut Arbeit suchen wollte, habe ihn in der Nähe von Linnich ein wohlge-kleydet Mann auf der Landstraß recontriert (= getroffen), welcher ihn anfänglich ausgefragt, wohin er gehen wollte, hernachmals habe er ihn animiert, er solle bey ihme bleyben; er seye ein Spielmann, und seine Frau habe einen schönen Kram, er brauche anders nicht zu thuen, als nur den Kram hin und wieder von Dort zu Dort auf die Märckt zu tragen, und wan er ein Monath lang bey ihme geweßen, so wollte er ihn nicht allein wohl kleyden, sondern wollte ihn auf Monath oder Jahr dingen und guten Lohn geben. Worauff er sich bereden lassen, und seye mit dem Mann gangen, welcher nit weit von der Landstraßen in einem Büschelgen ein Feuer gehabt, wohe dessen Frau auch gewesen, welche den Kram auch gehabt und am feuer gekocht" habe. Es stellte sich heraus, daß dieser Mann Johannes hieß, daß er in der Tat ein Spielmann gewesen sei, der früher einmal als Pferdehändler sein Geld verdient habe. Schließlich lernte der Junge am Feuer einen Peter Steffens kennen, der ein Spielmann auf dem hackbrett geweßen".
Dann seien nach und nach die anderen hinzugekommen, wie und woher, das wußte der Junge nicht zu sagen. Sie hätten sich dann aber in Golzheim, Au (= Niederau, Kreuzau), Buir, Niederbolheim, Blatzheim aufgehalten, hätten auf dem Mausbacher Hof auch ein Schweinchen gestohlen und verzehrt, im Pfarrhaus in Pleißen ( = Bliesheim) seien sie eingebrochen, in Lechenich hätten sie gestohlen. Der Junge konnte auch Namen der Komplizen nennen:
einer heiße Heinrich, ein zweiter Johann aus Jülicher Land", Joseph sei aus Frankfurt und von Beruf ein tabackspinner". Franz Adrian sei blond, habe in der Kinn ein Käuigen" und sei von Beruf Tuchscherer. Anführer aber sei Michel Frings, von Beruf ein Metzger. Schließlich gehörte zu der Gruppe Peltzer Steffens, ein Leineweber, der im Luxemburger Land zu Hause sei.
Schließlich mußte der junge Gefangene Einzelheiten über seine letzte Arbeitsstelle berichten. Er sagte aus, daß er noch vor drei Monaten bei einem Meister Jean in Sieglar gearbeitet habe. Die Bande von sieben Mann habe sich schließlich zu Buirbei Geroltsheim (= Golzheim) getroffen, von dort seien sie nach Michelsberg (?) gelangt, vor dort dann über Wershofen zur Laufenbacher Mühle gegangen. Der Anführer Heinrich mit den roten Haaren habe den Plan gefaßt, in der Laufenbacher Mühle ein stück geld bei dasigem Halffen zu fordern, wann er selbiges nit gutwillig wurde geben, wurden sie ihn darzu gezwungen haben".
Der Überfall aus der Sicht des Räubers"
Der Inhaftierte berichtete, wie er den Vorgang an der Haustüre erlebt hatte. Der Halfen habe ihnen die Türe nicht aufmachen wollen, sondern vorgeschützt, er thäte bey nächtlicher Weill die Thür nit öffnen. Als der Halffen die Thuer nit öffnen wollen, hat einer von ihnen, nemlichsein Meister, gesagt, die Sach seye verrathen, und haben sich darauf insgesambt vom Hoff abbegeben. Auff der Brücke aber, welche über die Ahr gehet, haben sie stillegestanden und abgeredet, daß 2 in der Gegend des Haus sollen stehen bleiben und acht geben, damit niemand aus dem Haus gehen, succurs (= Hilfe) zu suchen, worauf der rothköpfige Heinrich, welcher daselbst und dieses Landts bekannt, sich freywillig erbotten, stehen zu bleiben, und er hatte gesagt: 'Lasset den Jungen bey mir.' Die übrige 5 haben aber zur Müllen gehen wollen, ein Stücks Essens daselbst zu fordern. Worauf der Heinrich zu ihme gesagt: 'Gehe du hinstehen und gebe acht, ob jemand auß dem Haus gehet.' Welches er anfänglich verweigert, worauf der Heinrich eine Sackpistolle aus der Taschen genommen und ihme auf die Brust gehalten, sagend: 'Wann du nicht wills hingehen, so will ich dich es lehren, ich will dich solchenfalls übern Häuften schießen und in das Wasser werften!' Worauf er sich dahin bequemen müssen. Und hätte der Heinrich ihme eine Sackpi-stol geben und sagen: 'Der erste, so aus dem Haus kommet, solstu überhäuften schießen und hüte dich, daß du nicht lauften gehst, dann ich hab dich in meiner band und wird dir solchenfalls übell gehen.' Welche Reden der Halffen, so in der Fenster gelegen, zweiffeisohn gehört hätte." Schließlich habe man sich geeinigt, erst Essen zu beschaffen, sich zu stärken, dann aber dem Pächter Wirtz des Laufenbacher Hofes auf den Pelz zu rücken und ihn zu zwingen, sein Geld herauszugeben, das er im Keller in einem Duppen" hatte, wie einer der Räuber, der aus Niederbolheim stammte, genau wußte. Aus diesen Angaben muß man schließen, daß einer der Räuber sich im Laufenbacher Hof auskannte, daß er vielleicht als Knecht eine Zeitlang dort gearbeitet hatte. Der Laufenbacherhof auf der Tranchot-Karte (Ausschnitt).Inzwischen begannen die Arenberger Beamten nachzuforschen,inwieweit die Angaben des Inhaftierten stimmten. Der Einbruch in das Pfarrhaus wurde bestätigt; ein Wollweber Johannes Straßburg aus Sieglar bei Bonn bestätigte, daß bis vor kurzem ein Knecht bei ihm gewesen sei, der aber den Namen Jakob getragen habe. - Auf der Arenburg bekannte der Junge daraufhin, daß er sich in Sieglar unter dem Namen Jakob ausgegeben habe.
Flucht des Inhaftierten
Am 6. August 1742 gelang Johann Heinrich - alias Jakob - Pintges die Flucht von der Arenburg, als er auff den Abtritt geführt wurde". In Schuld an der Ahr konnte man ihn wieder einfangen. Aber ausgeliefert wurde der Räuber" nicht. Wahrscheinlich wurde er in Schuld erneut angeklagt.
Die Wache der Arenburg, die den Übeltäter hatte entkommen lassen, aber machte man am 7. September 1742 für die Flucht verantwortlich. Die Mannschaft mußte alle Kosten für Haft und die wiederbeybringung" tragen. Man machte es ihnen zum Vorwurf, daß sie den Jungen nicht ins ordentliche gefängnis, sondern auff die bloße wachtstub hingesetzet, wo nicht allein weltliche, sondern auch geistliche Ordensleuth ihren freyen Ein- und Ausgang gehabt". Dabei habe Landschultheiß Kisselstein doch ausdrücklich den Befehl gegeben, den jungen Räuber unter der Brücken ins Gefängnis zu werften". Die Wächter wandten sich mit einer Bittschrift an den Herzog, ihnen die Strafe zu erlassen. Wie der Herzog entschied, wissen wir nicht. Der junge Räuber blieb für die Arenberger Justiz unerreichbar. Der gerechten Strafe wurde er im Herzogtum Arenberg nicht zugeführt. Ob er noch zu einem normalen Leben zurückfinden konnte oder welches Urteil ihn in Schuld erwartete, berichten die Arenberger Quellen nicht.
Quelle:
Herzoglich Arenbergisches Archiv Enghien D 2777