Eine Wanderung durchs Brohltal zum Laacher See aus dem Jahre 1833

Heino Möhring

Im Jahre 1833 besuchte die Engländerin Mrs. Frances Trollope in Begleitung einer ihrer Söhne das Rheinland. Sie hatte zuvor drei Jahre in Amerika verbracht und das Buch „Domestic Manners of the Americans" veröffentlicht, in dem sie sich sehr kritisch über die amerikanische Lebensweise äußerte.

Durch das berufliche Mißgeschick ihres Mannes, einem Rechtsanwalt, war die Familie in große finanzielle Schwierigkeiten geraten, so daß Mrs. Trollope als Mutter gezwungen war, durch das Schreiben von Büchern den Lebensunterhalt zu finanzieren. So kam es, daß sie im Verlauf ihres Lebens viele Romane und Reisebücher verfaßte. Auch ihre Söhne Anthony und Thomas Adolphus konnten sich als Romanciers einen Namen machen.

Nachdem das Ausmaß der Schulden schließlich unerträglich geworden war, mußte die Familie zeitweilig in Belgien Zuflucht vor ihren Gläubigern suchen. Von hier aus unternahm Mrs. Trollope ihre Rheinlandreise, über die sie in ihrem zweibändigen Werk „Belgium and Western Germany in 1833" schreibt. Dabei ergänzt sie ihre eigenen Berichte durch die Tagebuchaufzeichnungen ihres Sohnes Henry, der auch eine Wanderung an den Laacher See unternommen hatte.

Mrs. Trollope und ihr Sohn befanden sich in einer kleinen Reisegruppe, die im Hotel „Belle-vue" in Godesberg abgestiegen war. Hier machte Henry die Bekanntschaft eines preußischen Offiziers, deren angenehme Folgen die Autorin im Kapitel VII des ersten Bandes ihres Werks schildert:

„Mein Sohn fand auch Zeit zu einer ausgedehnten Wanderung in die Eifelberge, bei deren Verlauf er ein ihm willkommenes Abenteuer erlebte. Während er nach dem Weg zu einem Ort fragte, den er besuchen wollte, wurde er von einem Herrn angesprochen, der in der Nachbarschaft wohnte, und nach einer kurzen Unterhaltung nahm er eine Einladung in dessen Wohnung an.

Dieser Herr, ein Offizier der preußischen Ulanen, lebt jetzt bei halbem Sold und ist mit einer äußerst reizenden Engländerin verheiratet, Nichts konnte die Höflichkeit und Gastfreundschaft übertreffen, mit der Henry in deren Haus aufgenommen wurde, und obendrein besaß der Hauptmann die Freundlichkeit, ihn zum Laacher See zu begleiten, einem großen und sehr bemerkenswerten See in der Umgebung. Da dieser eigenartige Ort ziemlich außerhalb der Route unserer Touristen liegt, möchte ich den Bericht übernehmen, den ich darüber im Tagebuch meines Sohnes finde, und auch über den Weg, der vom Rhein aus zu ihm führt, als Führer für jeden, der den Willen und die Kraft besitzt, ihn zu besuchen. Der Ort, von dem aus er und sein netter Begleiter ihre Wanderung begannen, war Unkel, ein schönes Dort am östlichen Ufer des Rheins, und obwohl dies ein entfernterer Ort ist, von dem aus ein Rheinreisender, dessen Ziel es ist, den Laacher See zu besuchen. seinen Ausgangspunkt nehmen muß, möchte ich alles von dieser langen Tagestour berichten, da sie durch eine sehr interessante Gegend führt."

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Tuffsteinbruch im Brohltal, lithographiert von A. Henry.

„Wir verließen Unkel und gingen weiter am östlichen Ufer des Rheins entlang. Nach einem Fußweg von einer Stunde erreichten wir Erpel, ein ausgedehntes Dorf von armen Winzern. Ein kleines Stück dahinter befindet sich der berühmte Basaltfelsen, den man Erpeler Ley nennt. Er besteht aus einem in Säulen gewachsenen Basalt und ist als ein ganz besonderes Exemplar anzusehen, was seine Größe betreffend auch sicher so ist; was aber die Schönheit von Säulenformen anbelangt, so ziehe ich die Steinbrüche gegenüber von Unkel oder Rolandseck vor, wo es eine prächtige Ansammlung nüchternerSäulen gibt, die in konfusen Massen zusammengehäuft sind. Von Erpel aus setzten wir unseren Weg durch die alte Stadt Linz fort, unterhalb des interessanten Schlosses Argenfels, und kamen dann durch einige kleine Dörfer, deren Namen mir entfallen sind. Nachdem wir Rheinbrohl erreicht hatten, überquerten wir den Rhein und kamen in das schöne Brohltal, das fast im rechten Winkel zum Rhein hin verläuft und zu den Bergen der Eifel führt. Wir wanden uns entlang dieses tiefen, engen Tales, bis wir die Quelle von Tönnisstein erreichten, deren Name, wie ich glaube, eine Kurzform von Antoniusstein ist. Die Quelle enthält viel Kohlensäure und schmeckt ganz ähnlich wie Sodawasser. Wir gingen in ein kleines Gasthaus in der Nähe der Quelle und mischten Wein und Zucker mit dem Wasser. Es sprudelte stark und war ein sehr erfrischender Trunk. Eine große Menge dieses Wassers wird exportiert, denn in der Nähe des Brunnens befindet sich zu diesem Zweck ein Handwerksbetrieb, der Steingutflaschen herstellt. Hier begannen wir, die steilen Berge auf der linken Seite des Tales zu besteigen. Mein Begleiter war äußerst nett und unterhaltsam; und wenn das Interesse an der Umgebung nachließ, verkürzte er den Weg mit unterhaltsamen Anekdoten aus seiner Militärzeit, wobei er mir viele wertvolle Informationen gab, die das Land betrafen. Er sprach sehr hochschätzend vom preußischen System, wonach jeder Mann im Königreich ganz gleich welchen Standes für drei Jahre zu den Waffen mußte. Sogar die Söhne des Königs sind von diesem allgemeingültigen Gesetz nicht ausgeschlossen. Sie tragen die Uniform und tun den Dienst eines einfachen Soldaten, und mit einer Muskete über der Schulter stehen sie Wache vor dem Berliner Schloß. Wenn sie in der Gesellschaft verkehren, tragen sie diegleiche Uniform, was Schnitt und Farbe angeht, außer daß ihnen dann Kleidung aus besser hergestelltem Material erlaubt ist. Der Hauptmann erzählte mir, daß die Söhne von Prinzen in seiner Truppe gewesen waren, die alle ihren Dienst als Gefreite taten, ihre eigenen Pferde und Waffen versorgten und die übliche Zeit Wache schoben.

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Ruine Olbrück. Lithographie von A. Henry Mitte des 19. Jahrhunderts.

Als wir den Berg bestiegen, sahen wir überall große Mengen Lava umherliegen. Die Wegkreuze und Kruzifixe, die in dichter Folge am Wegesrand standen, sind alle aus demselben Material gehauen. Der Boden hier ist nicht besonders gut, denn die Bauernhöfe sind klein und arm. Nach einer weiteren Stunde Fußwegs stieg der Pfad auf der gesamten Strecke vor uns steil an und führte uns nach Wassenach, einem Dorf nicht weit von dem See, den wir zu sehen gekommen waren. Hier bestellten wir unser Essen in einem Gasthaus, das früher die Burg eines Ritters war, von dem man sagt, daß er viele dunkle und grausame Verbrechen begangen und danach in der schönen Abtei Zuflucht genommen haben soll, die man noch in einem bewundernswerten Erhaltungszustand an der Südwestecke des Sees sehen kann - und dort, so sagt man, beschloß er seine Tage.

Wir ließen Wassenach hinter uns und stiegen durch Wälder und Kornfelder wieder mühsam zu einer großen Höhe auf. Die Wälder, die den LaacherSee umgeben, sind königliches Forstland und haben eine sehr große Ausdehnung. Sie enthalten viel Wild; Rotwild und Wildschweine gibt es dort im Überfluß. Als wir den Rand des Waldes erreichten, drehten wir uns um und erfreuten uns beim Ausruhen auf unseren Wanderstöcken an der großartigen Aussicht, die dieser erhöhte Punkt bot. In der Ferne lag die hohe Bergkette des Westerwaldes, zu der wir über das reizende Rheintal blickten. Gen Norden befanden sich die hochragenden Gipfel des Siebengebirges mit den einzigartigen, basaltbedeckten Bergen des Hochwaldes, die ihre gewaltige und feurige Entstehung bekundeten. Hinter uns lagen die Eifelberge, auf einem ihrer kleinen Ausläufer standen wir. Zu unseren Füßen schlängelte sich ein kleines Tal, tief eingesunken zwischen die reich bewaldeten und steilen Berge, die wir heraufgestiegen waren.

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Maria Laach. Lith. A. Henry.

Nachdem wir für ein paar Minuten auf diese Landschaft geblickt hatten, betraten wir den Wald und kamen nach einem kurzen Abstieg zum Laacher See. Es wäre mir unmöglich, die Verwunderung zu beschreiben, die ich verspürte, obwohl ich sogar auf dieses Bild, das sich mir bot, vorbereitet war. Gerade noch war ich auf eine große Anhöhe gestiegen und hatte nur einige Augenblicke vorher auf entfernte Täler weit unter mir geblickt, jetzt stand ich hier neben der blauen Fläche eines Binnensees. Es erschien mir wie die Wirkung eines Zaubers, und ich fühlte mich zutiefst verwirrt.

Der See ist eineinhalb Meilen lang und eine Meile breit. Er ist von allen Seiten mit Bergen umgeben, ohne irgendeinen sichtbaren Abfluß. Nach Norden und Osten sind diese bergigen Ufer sehr steil, wunderschön zum Wasser hin bewaldet, und die Spitzen der hängenden Äste tauchen in das Wasser des Sees. Nach Westen steigt das Ufer sachter an; Wiesen grenzen ans Wasser und reichen hinauf zu dem stattlichen Wald, der auch hier die Höhen mit einem sehr üppigen Wuchs krönt. Nach Süden hin befinden sich kahle, nicht bewachsene Gipfel, die einen vulkanischen Ursprung verraten. Ihre unfruchtbare Blöße bildet einen schönen Gegensatz zu dem reichhaltigen Laubwerk und den einladenden Wiesen, die den See auf der anderen Seite umgeben. Große Mengen Lava liegen verstreut umher, und ich habe keinen Zweifel, daß diejenigen Recht haben, die in diesem Gebirgssee den Krater eines erloschenen Vulkans zu entdecken glauben.

Die Beschreibungen bezüglich seines Wassers sind jeweils unterschiedlich; während einige behaupten, daß weder die heftigsten Regenfälle noch die längsten Dürrezeiten das Wasser auch nur einen Zoll steigen oder fallen lassen, berichten andere, daß die Bewohner der Abtei an seinem Ufer einst von einem plötzlichen Anstieg überschwemmt wurden. Dieser See hat eine große Tiefe, - manche sagen, er sei nie ausgelotet worden - und die Bauern versichern alle, daß er keinen Grund habe. Das Wasser ist ziemlich klar und so blau wie mitten auf dem Atlantik."

Nachdem Henry nach Godesberg zurückge-kehrtwar, beschloß die kleine Reisegesellschaft der Trollopes, ihren Weg in Richtung Koblenz fortzusetzen. Sie waren begeistert von der Schönheit und Erhabenheit der Landschaft, und so bekundet denn auch Mrs. Trollope ihr Anliegen, daß ihre beiden Bücher, die sie über diese Reise verfaßt hat, jedem Rheinreisenden als nützlicher Führer und Begleiter dienen mögen.

Literatur:
Frances Trollope: Belgium and Western Germany in 1833: including visits to Baden-Baden Wiesbaden, Cassel, Manöver, The Harz Mountains, etc... Two Volumes, London 1834. Heiko Möhring: Reiseimpressionen vom Mittelrhein zwischen Ander-nach und Remagen Berlin 1987.