Ein idealer Lebensraum für Tier- und Pflanzenwelt
Franz-Josef Fuchs / Willi Tempel
Es gibt eine Vielzahl von Lebensräumen, die mit mehr oder weniger Erfolg von Menschenhand geschaffen wurden, zum Beispiel die Anlage von Feuchtgebieten durch Kommunen und Naturschutzverbände oder durch Privatpersonen in ihrem eigenen Garten. Nach einer gewissen Zeit werden diese Biotope oftmals von einer Vielzahl von Tieren und Pflanzen besiedelt.
Am Beispiel der Vischeler Kirche mit ihrem kleinen Friedhof wollen wir zeigen, daß auch eine Kirchengemeinde in der Lage ist, einen Lebensraum für die Tier- und Pflanzenwelt zu schaffen, die den Betrachter ob all seiner Artenvielfalt begeistert und die zur Nachahmung nur empfohlen werden kann. Für den einzelnen heißt dies, die Gräber nur im gewissen Maße zu pflegen und auch einmal einige Wildkräuter anstelle gepflanzter Stiefmütterchen zur Entfaltung kommen zu lassen. Für die Bediensteten der Kommunen, welche die Wege zwischen den Gräbern und entlang der Kirche pflegen, heißt dies den vollständigen Verzicht auf den Einsatz von Spritzmitteln und die Überlassung freier Flächen ganz der Natur. Auch muß nicht jedes Mauerloch oder jede Nische mit Beton oder sonstigen Materialien verschlossen werden.
Der Erfolg wird nicht ausbleiben. Durch das Aufkommen von Wildkräutern in den unterschiedlichen Bereichen wird sich eine Fülle von Insekten - Bienen, Käfer, Spinnen und andere -einstellen, die wiederum ihrerseits einer artenreichen Volgelwelt als Nahrungsgrundlage ein Aufkommen ermöglicht. Die Gebäude selbst dienen als Unterschlupf und Brutstätte für eine Vielzahl von Tieren. In einer Zeit, wo der Umweltschutz zu einer großen Aufgabe für den einzelnen Bürger, aber auch für die Gemeinden geworden ist, ist der Betrachter begeistert von all der Vielfalt, die sich ohne sein Zutun hier entwickelt.
Ein Besuch in Vischel
Die Vischeler Kirche erreicht man vom Ahrtal aus über einen lohnenswerten Wanderweg von Kreuzberg in Richtung Berg durch das Vischeltal, ein noch weitgehend intaktes Seitental der Ahr. Von Berg aus geht man Mitte des Ortes in Richtung Vischel. Ein Besuch empfiehlt sich besonders in den Monaten Mai und Juni, wenn alle Zugvögel aus ihren Winterquartieren zurück sind und sich auch die Pflanzenwelt in ihrer ganzen Pracht und Artenfülle zeigt.
Eigentlich sind im Bereich der Vischeler Kirche zwei Lebensräume entstanden: die Kirche selbst mit ihren unzähligen Winkeln, den bewachsenen Gemäuern sowie den offenen Dachluken, die den Tieren einen freien Zugang gewähren, und der Friedhof mit seiner alten Einfriedung, reich mit Pflanzen bewachsen, am Rand von vielen Hecken und Bäumen gesäumt.
An einem Sonntagmorgen, Mitte Mai, machen wir uns vom Bahnhof Kreuzberg auf, unser Ziel, die Vischeler Kirche, zu erreichen. Das Wetter ist gut, und in uns wächst die Erwartung, einen interessanten Morgen hier oben über dem Ahrtal zu erleben. Schon vor Erreichen der Kirche hören wir in einiger Entfernung einen Schwarzspecht mit seinem sonderbaren Rufen. Er gehört zu den gelegentlichen Besuchern des Friedhofs, um hier in dem Altbaumbestand nach Insekten zu suchen. Auf dem Dach der Kirche sitzen einige Vögel, wie graue Punkte heben sie sich vom Horizont ab.
Ein Blick durchs Fernglas und die Arten können unschwer bestimmt werden. Es handelt sich um einige Hausrotschwänze, die im Bereich der Anlage mit drei Paaren brüten. Einen Grauschnäpper, der auf einem Simsvorsprung an der Kirche brütet und von erhöhter Warte aus nach fliegenden Insekten Ausschau hält, um sie dann in rasantem Flug zu erhaschen. Und schließlich eine Gebirgsstelze, die in den unzähligen Spalten des Gemäuers geradezu ideale Brutbedingungen vorfindet. Bei ansteigender Temperatur und größerer Sonneneinstrahlung beginnt das Leben hier oben erst recht. Überall hört man Vogelstimmen, und es fällt schwer, bei dieser Vielfalt die einzelnen Exemplare zu bestimmen.
In Grün eingebettet die Vischeler Kirche.
Stare sitzen auf den Baumspitzen und krächzen ihren eigenartigen Gesang in den Morgen. Auch sie brüten hier gleich in mehreren Exemplaren. Mauersegler umkreisen den Kirchturm mit lautem Geschrei und verschwinden wiederholt unter Dachlucken, um nach geeigneten Nistplätzen Ausschau zu halten. Ganz zum Leidwesen der hier noch häufigen Haussperlinge, die die gleichen Nistplätze benötigen, und oft genug endet der Kampf mit einem Gelegeverlust der Haussperlinge. Auf einem Wacholderstrauch sitzt ein Rotkehlchen. Sein melancholischer Gesang begeistert immer wieder aufs Neue. Auffallend auch die Vielzahl an Kohl- und Blaumeisen, In einem alten Wacholderstrauch ziehen Grünfink und Dompfaff ihre Jungen groß. Ein recht großer Vogel fällt auf. er macht sich an einem Erdhügel zu schaffen. Grün mit rot im Kopfbereich. ein recht exotischer Vogel: der Grünspecht sucht hier nach den so begehrten Ameisenpuppen.
Kotspuren und Gewölle unter den Bäumen verraten die Anwesenheit von Eulen, die hier des Nachts Ihr Wesen treiben. In der Vischeler Kirche brüten gleich zwei Arten, der Waldkautz und die vielerorts recht selten gewordene Schleiereule. Die offenen Dachluken ermöglichen ihnen den freien Einflug und somit ideale Brutmöglichkeiten.
Neben den bereits erwähnten Arten konnten wir Bachstelze, Buchfink, Stieglitz, Zaunkönig, Hekkenbraunelle, Amsel, Singdrossel, Kleiber, Goldammer sowie Gartenbaumläufer im Bereich der Friedhofsanlage beobachten.
Aber nicht nur die Vogelwelt, sondern auch das reichhaltige Vorkommen an Blütenpflanzen zog die Aufmerksamkeit auf sich. Eine große Anzahl von Insekten besuchen deren Blüten. Auf dem Boden, zwischen den Gräbern,wimmelt es von Spinnen und Käfern. An einer sonnenbeschienenen Wand sitzen Tagfalter und Grabwespen. Sie bauen zwischen den Bruchsteinmauern im alten Mörtel ihre Röhren. Zahlreiche mit Lehm verschlossene Eingänge verraten die Brutstätte.
In dem Komposthaufen unter einem Reisigbündel entdecken wir einen Igel, der hier geschützt den Tag verbringt. Überhaupt bietet dieser Komposthaufen einigen Tieren Versteck und Überwinterungsmöglichkeiten. Hier auf dem Vischeler Friedhof legt alljährlich die Ringelnatter ihre Eier in den Komposthaufen. Geschützt schlüpfen dann dort die Jungen. Die Blindschleiche ist hier oben noch häufig zu finden. Allein auf einem Grab entdecken wir gleich zwei Exemplare. die sich auf einem Pflanzenpolster sonnen.
Auf der Schattenseite, neben einem Wassertrog, entdecken wir einen Feuersalamander, der behäbig die Mauer entlang kriecht, um kurz darauf in einer Nische zwischen den Bruchsteinen zu verschwinden. Hier bleibt er bis zum Abend, geschützt vor Sonne, die Seine Haut zum Austrocknen bringen würde. Auch Säugetiere gibt es hier zu beobachten. Neben dem genannten Igel bewohnen Gartenschläfer, Siebenschläfer, verschiedene Mäusearten und der Steinmarder dieses Refugium. Besonders zu erwähnen sind die Fledermäuse, die den Dachboden als Wochenstube benutzen.
Es gibt hier sicher noch mehr zu entdecken. Dieser erlebnisreiche Morgen wird nicht der letzte Besuch der Vischeler Kirche und ihres Kirchhofs sein.