Ottmar Prothmann
Während die Rheinreisebeschreibungen schon im 17. Jahrhundert ziemlich zahlreich sind und im 18. Jahrhundert zu einer unübersehbaren Flut anschwellen, findet das Ahrgebiet erst in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts das Interesse der Reisenden. Aus jener Zeit liegen uns die noch heute bekannten Ahrbeschreibungen von Ernst Weyden (1835), Philipp Wirtgen (1839), Ernst Moritz Arndt (1844) und schließlich Gottfried Kinkel (1846) vor, um nur die frühesten zu nennen. Zugleich beginnt eine Reihe von Zeichnern, die reizvollsten Partien dieser Gegend für die zunehmende Schar der Ahrwanderer in Bildern festzuhalten. Dem Landschaftsmaler Jean-Nicolas Ponsart aus Malmedy, der 1831 seine ersten Ansichten veröffentlicht, gelingt es sogar, im Jahre 1838 eine ganze Serie unter dem Titel »Valleede l'Ahr« als Buch herauszugeben.
Für einheimische wie auswärtige Ahrliebhaber und erst rechtfür Forscher der verschiedensten Bereiche bieten diese Ahrbeschreibungen auch heute noch eine wertvolle Lektüre, zumal sich Landschaft, Städte und Dörfer sowie Tier- und Pflanzenwelt durch mancherlei Eingriffe inzwischen gründlich gewandelt haben. Daher dürfte es die angesprochenen Personengruppen interessieren, daß neben den oben genannten Ahrführern eine weitere, allerdings unveröffentlichte Ahrbeschreibung aufgetaucht ist. Das 187 Seiten (Folio) umfassende Manuskript mit dem Titel »Die schönsten und reizendsten Ahrgegenden am unteren Rheinstrom« wurde von dem Zeichner, Kunsthistoriker und Baumeister Bernhard Hundeshagen aus Bonn geschrieben. Es liegt in seinem bislang unverzeichneten Nachlaß im Stadtarchiv Bonn, eine Kopie befindet sich im Kreisarchiv Ahrweiler.'' Eine Veröffentlichung ist geplant.
"Die Ahrgegend mit der Stadt Ahrweiler und deren nahen Umgebung« (Stahlstich, vermutlich nach Hundeshagen)
Die Handschrift ist undatiert, läßt sich aber zeitlich aufgrund einer Textpassage ziemlich genau festlegen, denn Hundeshagen erwähnt, daß im April die Arbeiten für den Straßentunnel bei Altenahr begonnen hätten und gegen Ende des Jahres beendet würden. Wie wir wissen, fand die feierliche Einweihung dieses Tunnels am 25. November 1834 statt. Also muß Hundeshagen seine Wanderung in der Zeit zwischen Frühjahr und Herbst 1834 durchgeführt haben. Zur selben Zeit muß aber auch Ernst Weyden während seiner Wanderung durch das Ahrtal Aufzeichnungen für sein Buch gemacht haben, denn er schreibt, daß an der Burg Are senkrecht aufragende Felsen den Weg nach Altenahr versperren (S.71), an anderer Stelle erwähnt er aber schon die feierliche Eröffnung des Tunnels (S.75). Dies muß er nachgetragen haben, als er das Manuskript ausarbeitete. Warum aber konnte Weyden seinen Ahrführer drucken lassen, während die Arbeit von Hundeshagen unveröffentlicht blieb? Sein krauser Stil mit vielen verschachtelten Sätzen, dem man die Schulung am klassischen Latein anmerkt, kann nicht die alleinige Ursache gewesen sein, da seine übrigen Veröffentlichungen sich auch in dieser Form darbieten. Es scheint vielmehr, als sei ihm Weyden zuvorgekommen. Als Hundeshagen seinen Verleger Habicht aufsuchte, erfuhr er, daß sich das Manuskript von Weyden bereits im Druck befand. Resigniert mußte er feststellen, daß nun sein Manuskript nicht mehr zu veröffentlichen war. Er zeigte es Ernst Weyden, der es aber für seine Arbeit auch nicht mehr verwerten konnte, da der Druck fast abgeschlossen war. Der Verleger Habicht bot Hundeshagen an, einige seiner Ahransichten in Weydens Buch zu drucken und außerdem eine Serie seiner Zeichnungen als Einzelblätter zu veröffentlichen.
Daß es sich in etwa so zugetragen hat, ergibt sich aus mehreren Hinweisen: Am Ende seines Manuskriptes erwähnt Hundeshagen, daß er seine Ahr-Ansichten demnächst als Stahlstiche veröffentlichen werde. Von den einzeln aufgeführten acht Motiven finden sich sechs in dem Buch von Weyden. Zwar tragen sie weder den Namen des Zeichners noch des Stechers, es müssen aber die Hundeshagen-Zeichnungen sein. Die beiden dort fehlenden Motive von Linz und Sinzig liegen als Einzeldrucke im Stadtarchiv Bonn vor, und zwar ebenfalls im Verlag Habicht erschienen und in genau derselben Ausführung, sogar mit derselben Schrifttype in der Bildlegende gedruckt. Als Zeichner sind Bernhard Hundeshagen und Christian von der Emden angegeben, wobei unklar bleibt, was letzterer hierzu beigetragen hat. Als der Verleger Habicht am 3. September 1835 im Bonner Wochenblatt das soeben erschienene Buch von Weyden ankündigte, bot ergleichzeitig die Bonner Stadtgeschichte von Hundeshagen, die drei Jahre vorher erschienen war, erneut an und ebenso 24 Stahlstiche aus Bonn mit seiner nahen und fernen Umgebung, gezeichnet von Hundeshagen.
"Die Ahrgegend aufwärts der Burgruine und dem Flecken Altenahr" (Stahlstich, vermutlich nach Hundeshagen)
"Die Ahrgegend unterhalb der Lochmühle mit der Hildesheimer Ley« (Stahlstich, vermutlich nach Hundeshagen)
Ein weiteres Indiz für obige These findet sich im Vorwort von Weydens Ahrführer. Der Autor erwähnt dort, daß er sein Buch noch weiter auszuarbeiten gedenke, da ihm kurz vor Beendigung des Druckes »noch kostbare handschriftliche Quellen zu Theil wurden«. Damit dürfte das Manuskript von Hundeshagen gemeint sein. Bernhard Hundeshagen ist für uns kein Unbekannter. Als Sohn eines geheimen Regierungsrates 1784 in Hanau geboren, studierte er Rechtswissenschaften und arbeitete als Hofgerichtsadvokat in seiner Heimatstadt Hanau. Doch den ebenso vielseitig begabten wie interessierten jungen Mann konnte dieser Beruf nicht befriedigen. Neben seinen juristischen Studien hatte er auch philologische, philosophische und naturwissenschaftliche Studien betrieben.
Schon als Student dichtete und zeichnete er. Während er als Advokat arbeitete, erforschteer zeichnend und sammelnd seine hessische Heimat und veröffentlichte seine Ergebnisse. Im Jahre 1813 beauftragte ihn die Nassauische Regierung zur Herstellung einer topographischen Karte, und im selben Jahr wurde er zum Bibliothekar der nassauischen Landesbibliothek berufen. Während dieser Tätigkeit lernte er auch Goethe kennen, der seine Bemühungen um die Kaiserpfalz in Geinhausen und seinen Plan der Stadt Mainz rühmte. 1817 wurde Hundeshagen als Bilbliothekar entlassen, drei Jahre später jedoch als Privatdozent an die neugegründete Bonner Universität berufen, um über theoretische und praktische Baukunstzu lesen. In einer Enzyklopädie des Bauwesens, die er 1829 in zweiter Ausgabe in Bonn herausgab, bezeichnetersich als Baumeister, und tatsächlich hater in Bonn als Architekt durch eine Reihe von Gebäuden am Stadtbild mitgewirkt. Seine für Bonn bedeutungsvollste Leistung war allerdings die Rettung der Doppelkirche Schwarzrheindorf, die er vor dem Abbruch bewahrte. 1819 schuf er auch von Bonn eine topographische Karte, die als erste dieser Art noch heute geschätzt wird. Es folgten 1832 eine Stadtgeschichte von Bonn und ein Jahr darauf eine Schrift über den Badeort Godesberg. Hiernach muß er sich die Arbeit über die Ahr vorgenommen haben.
Schon 1823 wurde Hundeshagen wegen seiner katastrophalen Finanzlage von der Universität entlassen. Da ihm nach der Entlassung regelmäßige Einkünfte fehlten, verarmte er immer mehr und lebte als stadtbekanntes Original in seinem Haus, wo er neben seinem handschriftlichen und zeichnerischen Apparat zwei kostbare Handschriften des 15. Jahrhunderts bewahrte, »Alpharts Tod« und das Nibelungenlied. Mit den Jahren wurde er immer sonderbarer, so daß er 1846 in die Nervenheilanstalt zu Endenich eingeliefert und seit 1848 endgültig dort festgehalten wurde. Hier starb er am 9. Oktober 1858. Einer seiner Mitpatienten war der Komponist Robert Schumann.
Hundeshagen begann seine gemeinsam mit Freunden unternommene Ahr-Wanderung wie üblich im Mündungsbereich, bezog aber noch Linz und seine Umgebung auf der anderen Rheinseite mit ein. Über Sinzig, Ehlingerkopf. Heimersheim und Heppingen führte ihrWeg die Ahr hinauf bis in die Gegend um Brück. Auf dem Rückweg endete die Wanderung in Remagen.
Unterwegs wurde fleißig gezeichnet, "um das Andenken besser zu erhalten", wie Hundeshagen schreibt, aber wohl auch schon im Hinblick auf eine Illustrierung des geplanten Buches. dem auch eine topographische Karte beigegeben werden sollte.
Wie die anderen Ahrführer bietet auch der von Hundeshagen eine Mischung von Informationen und Wegebeschreibung. Berichte über Naturschönheiten und -merkwürdigkeiten wechseln ab mit persönlich Erlebtem, mit Rückblicken auf die Lokalgeschichte und kurzen Beschreibungen der geologischen Verhältnisse sowie gelegentlich der Besonderheiten von Flora und Fauna. Sein besonderes Interesse gilt aber den Bau- und Kunstdenkmälern, wobei er manche Einzelheit beschreibt, die von den anderen Ahrreisenden außer acht gelassen wird.