Eduard Profittlich, ein Bekennerbischof aus Birresdorf

Ottmar Prothmann

Im September 1990 feierte man in der Pfarrei Leimersdorf den 100. Geburtstag des in Birresdorf geborenen Jesuiten Eduard Profittlich. Er war zuletzt Erzbischof in Estland und wurde nach der Okkupation dieses Landes durch die Sowjetunion im Jahre 1941 verhaftet. Seither galt er als verschollen. Trotz jahrzehntelanger intensiver Nachforschungen konnte sein Schicksal nicht geklärt werden. Als die Vorbereitungen für eine Festschrift1) zu seinem 100. Geburtstag begannen, hatte in den baltischen Staaten bereits die Auflösung des kommunistischen Regimes eingesetzt. Nun begann man dort, den Spuren von hunderttausenden verschwundener Menschen nachzugehen. Damit war jetzt endlich auch der Zeitpunkt gekommen, das Schicksal von Eduard Profittlich klären zu können. Auf eine entsprechende Anfrage in Tallinn, der Hauptstadt von Estland, kam die Antwort, daß gerade erst freigegebene Unterlagen die gewünschten Informationen enthielten. Erstarb vor genau 50 Jahren, am 22. Februar 1942.

Herkunft, Familie und Jugendzeit

Eduard Profittlich wurde als achtes von zehn Kindern des Ehepaares Markus Profittlich und Dorothea Seiwert am 9. September 1890 in Birresdorf geboren. Dorothea Seiwert stammte aus Andernach, während Markus Profittlich einer alteingesessenen Birresdorfer Bauernfamilie angehörte. Nach der Familienüberlieferung soll der älteste Vorfahre ein Zöllner gewesen sein, der aus Österreich nach Birresdort zuwanderte. Aus den Quellen läßt sich allerdings nur nachweisen, daß der älteste Vertreter dieses Namens, ein direkter Vorfahre von Eduard Profittlich, in der Zeit zwischen 1661 und1670nach Birresdorf kam. Etwa in diesen Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg tauchen auch drei weitere Namensvertreter in Unkel, Mehlem und Muffendorf auf, die alle miteinander verwandt gewesen sein dürften. Von ihnen stammen, soweit bisher feststellbar, alle Angehörigen des im Rheinland verbreiteten Geschlechts Profittlich bzw. Profitlich ab.2)

In Birresdorf leben heute noch zwei Stämme dieser Familie, die zwar bisher annahmen, nicht miteinander verwandt zu sein - auch Eduard Profittlich glaubte dies -, tatsächlich aber auf einen gemeinsamen Vorfahren Anton, geboren 1739, zurückgehen. Das Elternhaus von Eduard Profittlich lag an der Ecke Talstraße/Ahornweg. Das Wohnhaus wurde 1988 abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt, die ehemalige Scheune ist jetzt zum Wohnhaus umgebaut. Die Eltern von Eduard führten eine kleine Acker-Wirtschaft. Über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse sind wir nur insoweit informiert, als sie nach Ausweis der Klassensteuerrolle vom Jahre 1897 zu den weniger gut gestellten Familien des Dorfes gehörten, denn sie bezahlten nur 2,40 Mark jährlich an Klassensteuer, genau so viel wie der als Tagelöhner arbeitende Nachbar, während der Nachbar zur anderen Seite, Schuster Wirz, sogar vier Mark zu entrichten hatte und der Bentgerhof sogar 60 Mark.3) Wie schwer muß es den Eltern unter diesen Verhältnissen gefallen sein, neun Kinder (das zehnte war kurz nach der Geburt gestorben) zu ernähren und zwei Söhnen ein Studium zu ermöglichen. Ohne fremde Hilfe - vielleicht aus der Verwandtschaft -war das sicher nicht zu verwirklichen gewesen.

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Eduard Profittlich im Kreis seiner Geschwister, 1922

Eduards ältester Bruder Peter (*1878) war bereits 1899 in den Jesuitenorden eingetreten und starb schon im Alter von 37 Jahren als Professor in Brasilien.4)

Nachdem Eduard im Jahre 1904 sein achtes Schuljahr in der Volksschule zu Leimersdorf beendet hatte, waren Pastor Buhr und Lehrer Watzig sich einig, daß der begabte Junge studieren sollte. Pastor Buhr sprach mit den Eltern und erklärte sich bereit, dem Jungen Privatunterricht zu geben und ihn auf das Gymnasium vorzubereiten. So ging denn Eduard ein Jahr lang ins Pfarrhaus nach Leimersdorf, um Latein zu lernen.

Vor Ostern 1905 bestand er im Progymnasium Ahrweiler die Aufnahmeprüfung für die Quarta. Während der folgenden vier Jahre, in denen er diese Schule besuchte, ging er den rund ein-dreiviertelstündigen Weg von Birresdorf nach Ahrweiler täglich zu Fuß. Für die drei Tage in der Woche, an denen er auch nachmittags Unterricht erhielt, hatten seine Eltern ihm ein Kosthaus in Ahrweiler besorgt. Nachdem er die letzte Klasse dieses Progymnasiums durchlaufen hatte, wechselte er zu Ostern 1909 in die Obersekunda des Gymnasiums in Linz über, wo er im Jahre 1912 seine Reifeprüfung ablegte.5)

Studium, Priesterweihe, Weiterbildung

Nach Abschluß der Höheren Schule stand der Berufswunsch, Priester zu werden, für Eduard fest. Bei seiner religiösen Erziehung und den Vorbildern in der Familie, in der Verwandtschaft und im Dorf verwundert dieser Entschluß keineswegs, im Gegenteil, jede andere Wahl wäre ungewöhnlich gewesen, denn in diesem kleinen Umkreis gab es eine erstaunliche Zahl von Geistlichen. Ein Bruder des Vaters war Priester, auch ein Bruder der Mutter soll Geistlicher gewesen sein, sein eigener Bruder Peter war, wie bereits erwähnt, Jesuit. Aus der Verwandtschaft haben sicher der Vetter des Vaters, Dr. Aloys Neukirchen, und der Franziskanerpater Dahl dem jungen Mann als Vorbild gedient. Aus Bir-resdorf war Lorenz Schneider (*1876) Jesuit geworden, der Sohn von Eduards Volksschullehrer in Leimersdorf, Joseph Busch (*1875) war Priester und schließlich strebten die Brüder Konrad Esch (*1885) und Josef Esch (*1896) aus Birresdorf etwa zur selben Zeit wie Eduard diesem Beruf entgegen. Auch in der anderen Birresdorfer Linie Profittlich gab es zu jener Zeit zwei Priester.6) Daß die begabten jungen Männer des Dorfes ausschließlich den Priesterberuf anstrebten, war sicher nicht nur dem religiös geprägten Umfeld zuzuschreiben, sondern mag auch daran gelegen haben, daß ein Studium teuer war und für ein Theologiestudium noch am ehesten Unterstützung von verschiedenster Seite zu erhalten war.

Eduards Wunsch war es, wie sein Bruder Peter in den Jesuitenorden einzutreten. Auf Drängen seiner Eltern, die neben einem Ordensgeistlichen gerne einen Weltpriester in der Familie gehabt hätten, trat er nach Ostern 1912 zunächst insTrierer Priesterseminar ein. Während der beiden ersten Semester wurde aber sein Verlangen nach dem Ordensstand immer stärker und seine Bitten an die Eltern um ihre Einwilligung immer drängender. Nachdem er bereits die ersten Aufnahmeprüfungen für den Jesuitenorden bestanden hatte, legte er seine Motive zu diesem Schritt in einem ausführlichen Brief vom 4. Februar 1913 an seine Mutter noch einmal dar. Die Eltern waren bitter enttäuscht über diesen Entschluß, glaubten sie doch, von ihm aisweitgeistlichen in ihrenfinanziellen Nöten ein wenig unterstützt werden zu können, was bei einem Ordensgeistlichen nicht zu erwarten stand. Sie waren aber schließlich klug genug, dem Wunsch ihres Sohnes zuzustimmen.7) So trat denn der junge Theologiestudent am 11. April 1913 in das Noviziat der Jesuiten in 's Heerenberg (Holland), nahe der Grenzstadt Emmerich, ein.8) Etwa zwei Wochen später, am 29. April, starb seine Mutter nach langer Krankheit im Alter von 62 Jahren.

Schneller als gewöhnlich wurde er von seinen Oberen von 's Heerenberg weg zur Hochschule der Jesuiten nach Valkenburg (Holland) geschickt. Eduard schreibt dazu in einem Brief vom 13. Oktober 1914 an seinen Vater: "Als der Krieg ausbrach und man eine Unterbrechung der gewöhnlichen Ordnung befürchtete, wünschten die Oberen, daß ein anderer Novize und ich, weil wir schon theologische Studien gemacht hatten und etwas älter waren, daß wir gleich in die Studien gingen, und so bin ich denn, wie ich Euch mitgeteilt, seit dem 20. September hier.«9) Am 4. Januar 1916 empfing er in Trier Tonsur und mindere Weihen durch Bischof Doering.10) Dann aber veränderte der Krieg auch sein Leben. Erst mußte er eine militärische Grundausbildung absolvieren und anschließend wurde er als Militärkrankenwärter ins Kriegslazarett Verziers abkommandiert, wo er als Operationsgehilfe arbeitete.11) Nach Kriegsende nahm er seine unterbrochenen philosophischen Studien in Valkenburg wieder auf und studierte dort ab 1920 zwei Jahre lang. Aus dieser Zeit liegt folgende Charakteristik Eduards durch einen Kommilitonen vor: »Profittlich war ein lieber, hilfreicher Kamerad. Er lachte gern, war nie ein Spielverderber, wenn er sich auch ziemlich für sich hielt, weil er so gerne Probleme wälzte. Auf den Spaziergängen war er aufgeräumt und heiter. Er war sonst sehr regeltreu.«12)

Das ist die einzige bekannte Quelle, die uns den Menschen Eduard Profittlich etwas näher bringt. Zwar sind alle seine Lebensstationen bekannt, aber darüber hinaus liegen augenfällig wenige Quellen vor. Die Personalakte im Archiv des Vatikans ist nicht zugänglich. Seine noch vorhandenen Briefe und Postkarten an Familienangehörige, die ihm nicht selten zu kleinen Predigten gerieten, enthalten außer beruflichen Angelegenheiten, Familienereignissen und Anmerkungen über seine schwache Gesundheit kaum etwas Nennenswertes über ihn selbst. Er scheint von seiner großen priesterlichen Aufgabe so erfüllt gewesen zu sein, daß er ganz in ihr aufging.

Am 26. März 1922 empfing er die Diakonweihe, und knapp ein halbes Jahr später, am 27. August, wurde er in Valkenburg durch Bischof L. Schrynen zum Priester geweiht.13) Drei Tage später feierte der Neupriester in seiner Heimatpfarrkirche Leimersdort sein erstes feierliches Meßopfer.14) Sein Vater Markus konnte diesen großen Tag seines Sohnes nicht mehr miterleben, da er knapp zwei Jahre zuvor gestorben war.

Eduards Berufsleben begann damit, daß man ihn einer Gruppe junger Jesuiten zuteilte, die mit besonderen Aufgaben nach Polen geschickt wurde. Wie aus den Erinnerungen seines aus Godesberg stammenden Mitbruders Dietz hervorgeht, folgten sie damit einer Aufforderung des Jesuitengenerals Ledochowski, der die jüngeren Mitbrüder zur freiwilligen Arbeit für Rußland aufgerufen hatte.15) Um die slawische Welt kennenzulernen, begannen sie ihre Studien in Krakau, der berühmten Stadt der polnischen Könige. Während dieser Zeit erlangte Pater Profittlich den doppelten Doktorgrad in Philosophie und Theologie. Da die Erwartungen, in Rußland arbeiten zu können, sich wegen der politischen Verhältnisse zu dieser Zeit nicht erfüllten, wurde der junge Jesuit 1925 für die Volksmissionen in Oberschlesien bestimmt. Ab 1928 arbeitete er in der Polenseelsorge zu Hamburg.16)

Pfarrer und Erzbischof in Estland

Von dort aus berief man ihn im Jahre 1930 zum Pfarrer der Peter-und Paulskirche in Tallinn, der Hauptstadt von Estland. Tallinn ist das alte deutsche Reval, eine Gründung der deutschen Ordensritter. In der Reformationszeit wurde das Land protestantisch, und die katholische Kirche hörte auf zu existieren. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte entstand aber wieder eine kleine katholische Gruppe. Zur Zeit, als Profittlich Pfarrer in Tallinn war, lebten dort unter 900 000 Evangelischen (Lutheranern) und 200 000 Orthodoxen nur 20 000 Katholiken.17)

Vonn Tallinn aus sollte nun eine Neubelebung der katholischen Kirche Estlands erfolgen. Im Jahre 1931 wurde Eduard Profittlich zum Apostolischen Administrator und fünf Jahre später, am 27. November 1936, zum Erzbischof ernannt. Weil Tallinn keine Diözese war, erhielt er den Titel »Titularerzbischof von Adrianopel«, einer untergegangenen Erzdiözese in der Türkei. Die Bischofsweihe fand am 27. Dezember 1936 in Tallinn statt.18) Mit Stolz und Freude erfuhr man in der Heimat von derAuszeichnung, die einem der ihrigen zuteil geworden war. Groß war der Zustrom, als ein halbes Jahr später Eduard Profittlich am Pfingstsonntag (16. Mai) in der Pfarrkirche Leimersdorf ein feierliches Pon-tifikalamt zelebrierte.19) Noch einmal am 31. Juli und 1. August 1938 weilte er für zwei Tage in seinem Elternhaus in Birresdorf.20) Es sollte das letzte Mal sein.

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Erzbischof Eduard Profittlich

Der neue Erzbischof war in Estland auch bei der nichtkatholischen Bevölkerung bald sehr beliebt, und mit dem Bischof der lutherischen Kirche verkehrte er freundschaftlich. In seinen Briefen an die Verwandten und den Pfarrer seiner Heimatpfarrei berichtete er immer wieder über seine ertolgreicheAufbauarbeit in Estland, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann.21)

Eine schwere Entscheidung

Da Profittlichs weiteres Schicksal eng verbunden ist mit der großen Politik, sei hier kurz auf die Situation zu Anfang des Zweiten Weltkrieges hingewiesen: Um freie Hand beim Angriff auf Polen zu erhalten, hatte Hitler mit Stalin einen Nichtangriffspakt geschlossen, der einige Tage vor dem Angriff am 1. September 1939 unterzeichnet wurde. In einem geheimen Zusatzprotokoll wurden unter anderem die baltischen Länder zum Interessengebiet der Sowjetunion erklärt. Daraufhin stationierte Stalin noch im September sowjetische Truppen in Estland, Litauen und Lettland, und Mitte Juni 1940 ließ er diese Länder besetzen. Anfang August wurden sie vollständig in die Sowjetunion eingegliedert. Hitler ordnete die Rücksiedlung der Balten-Deutschen an, zu denen auch Eduard Profittlich gehörte.

Monatelang ringt nun der 50jährige mit sich, ob er in Estland bleiben oder nach Deutschland zurückkehren soll.22) Am 25. Oktober 1940 bittet er den Papst schriftlich um eine schnelle Entscheidung bis zum 15. November. "Es dürfte bekannt sein, daß ich außer der estnischen Staatsbürgerschaft die deutsche beibehalten habe. Jetzt wird von allen Reichsdeutschen verlangt, nach Deutschland zurückzukehren. Wenn ich das nicht tun würde, wäre ich gezwungen, auf die Deutsche Reichsangehörigkeit und damit auch auf eventuellen deutschen Schutz zu verzichten und das sowjetische Staatsbürgerrecht anzunehmen.« Sechs Tage später richtet er einen weiteren Brief nach Rom, in dem er seine Situation noch näher erläutert. Nach Abzug der deutschen Katholiken blieben in ganz Estland nur etwa 3 000 Katholiken, für deren Betreuung nach allgemeinerAnsicht nicht mehr als drei Priester zugelassen würden. Die übrigen müßten damit rechnen, zur Zwangsarbeit nach Sibirien abtransportiert zu werden. Er möchte nicht nach eigenem Gutdünken entscheiden, sondern warte auf eine Entscheidung des Papstes, weil er dann auch das Bewußtsein haben könne, den Segen dieses Gehorsams zu haben. Im übrigen werde er sich »mit innerlich vollständig ruhigem und bereitem Herzen« gerne für das Reich Gottes hier im Lande opfern. Der Papst läßt ihm die ausweichende Antwort zukommen, er stelle ihm frei, was er »in Domino« (im Herrn) für besser halte. Profittlich genügte diese Auskunft aber nicht, weshalb er in einem weiteren Brief vom 14. Januar 1941 erneut nach Rom schreibt, um eine eindeutige Anweisung zu erhalten. Die Seelsorgsarbeit werde immer unmöglicher und der KGB werde wohl auch den Bischof nicht lange in Freiheit lassen. Da kein ausdrücklicher Wunsch seiner Oberen oder eine innere Weisung Gottes vorlägen, würde er gerne nach Deutschland zurückkehren und zu einer günstigeren Zeit seine Arbeit in Estland fortsetzen. Dem fügt er hinzu:

»Wenn ich nicht die Wahl hätte, würde ich darüber sehr froh sein und würde gern mein Leben zum Opfer bringen. Ebenso gern würde ich einem Wunsch oder Befehl meiner Vorgesetzten nach dieser Richtung folgen.« Die Antwort müsse bis zum 7. Februar, dem letztmöglichen Tag zur Ausreiseanmeldung eingegangen sein. Erreiche ihn keine Antwort, werde er sich für die Rücksiedlung anmelden.

Einige Tage vorAblauf der Frist, am 1. Februar, läßt der Vatikan ihm ein Telegramm in verschlüsseltem Klartext übermitteln: »Der Heilige Vater ließ Ihnen die Freiheit zu tun, was Sie im Herrn für das Beste hielten. Der Heilige Vater vertraut darauf, daß Sie die Entscheidung vor allem unter der Berücksichtigung des Wohls der Ihnen anvertrauten Seelen treffen.« Eduard Profittlich hat verstanden: Der gute Hirte bleibt bei seiner Herde. Am 10. Februar 1941 antwortet er: "Da ich aus dem Telegramm den Wunsch des Heiligen Vaters erkannte, daß ich hier bleiben solle, habe ich mich nun endgültig entschlossen, nicht nach Deutschland zurückzukehren. Ich tue das mit großer Bereitwilligkeit, ja ich kann wohl sagen, mit großer Freude.«

Aufgrund dieses päpstlichen Schreibens war für ihn keine andere Entscheidung möglich, wenn er sich selbst treu bleiben wollte. Was aber mag den Papst bewogen haben, dem Wunsch Profittlichs auf Ausreise nicht stattzugeben und ihn stattdessen seinem Schicksal zu überlassen, an dessen Ende das Martyrium stehen mußte? Hat er vielleicht auf das baldige Eingreifen Hitlers gesetzt, dessen Unternehmen »Barbarossa« kurz bevorstand? Die umfangreichen Vorbereitungen der geplanten Eroberung Rußlands dürften jedenfalls auch dem Vatikan nicht unbekannt geblieben sein.

Zwei Tage, bevor Eduard Profittlich dem Papst antwortet, schreibt er einen ergreifenden Abschiedsbrief23) an seine Geschwister und Verwandten- »Es gab verschiedene Gründe, die mir den Gedanken der Umsiedlung nahelegten. Ich kann diese Gründe nicht im einzelnen darlegen. Jedenfalls waren die Gründe so stark, daß ich mich ernstlich mit dem Gedanken der Umsiedlung befaßte und schon nahe daran war, mich auch bei der Kommission zur Umsiedlung zu melden. Da aber fügten sich verschiedene Umstände in meinem Leben so ganz eigenartig, daß ich erkannte, daß es Gottes Wille sei, daß ich hier bleibe. Den Ausschlag gab dann ein Telegramm aus Rom, aus dem ich erkannte, daß dieser Entschluß auch dem Wunsche des Heiligen Vaters entspreche . . . Und ich muß sagen, daß der Entschluß zwar einige Wochen Vorbereitung kostete, ihn dann aber nicht etwa mit Furcht und Angst gefaßt habe, sondern sogar mit großer Freude. Und als es dann endlich klar war, daß ich bleiben solle, war meine Freude so groß, daß ich vor Freude und Dank ein Te Deum gebetet habe. Überhaupt habe ich dabei so sehr das Gnadenwirken Gottes an meiner Seele gespürt, daß ich wohl selten in meinem Leben mich so glücklich gefühlt habe, wie am Donnerstag Abend nach der Entscheidung und daß ich noch nie so andächtig die heilige Messe gefeiert, wie am vergangenen Freitag, dem Tag der Entscheidung.«

In diesem Brief, der auf Umwegen erst nach Jahren in Deutschland eintrifft24), beschönigt er seine Lage, um seineAngehörigen nicht zu sehr in Sorge zu versetzen, und beruhigt vielleicht sich selbst auch ein wenig, indem er schreibt:

»Eine direkte Lebensgefahr wird wohl kaum bestehen, wenn nicht eine Krankheit bei größeren Strapazen sich einstellen würde, da, wie ihr wißt, ja meine Gesundheit nicht gerade die beste und mein Körper wohl nicht mehr so widerstandsfähig ist. Doch fürchte ich nicht, daß man besonders streng sein wird. Vielleicht wird man sogar vor einem katholischen Bischof doch eine gewisse Rücksicht zeigen, weil man doch in der Welt nicht in einem schlechten Lichte dastehen möchte. Direkte Lebensgefahr könnte eventuell im Falle eines Krieges eintreten."

Verhaftung und Tod

Mit dem letzten Satz sollte er leider Recht behalten, denn nur fünf Tage später, nachdem am 22. Juni 1941 deutsche Truppen die sowjetische Grenze überschritten und damit den Krieg gegen die Sowjetunion begonnen hatten, erfüllte sich sein Schicksal. Mit der Anschuldigung, für Deutschland spioniert, antisowjetische Agitation betrieben und Haß gegen die Sowjetunion geschürt zu haben, wurde er verhaftet und verschleppt.25) Damit teilte er das Schicksal von rund 10000 Esten, die 1941 im unersättlichen Magen des GULag verschwanden.

Durch einen Brief vom 24. September26) erfuhr seine Familie von seiner Verhaftung: »Ihr verehrter Bruder war eben im Begriff, zu einer guten Familie aufs Land zu fliehen und sich vor den Russen in Sicherheit zu bringen, da kamen am Tage vor der Abreise acht G.P.U.-Beamte, nachts um 2 Uhr, hielten eine mehrstündige Haussuchung und führten ihn dann mit einem Auto ab. Er wurde gut behandelt, ein Mann mußte ihm den Koffer nachtragen. Dies geschah am 27. Juni früh. Seitdem keine sichere Nachricht mehr von ihm. Die Leute wußten zu erzählen, daß er mit ändern angesehenen Personen zuerst auf ein estnisches Landgut gebracht wurde und dort gehalten wurde. Jetzt soll er mit ändern hinein nach Rußland gebracht worden sein, in das Gebiet zwischen Ural und Wolga: Kasan oder Wjatka. Doch Sicheres weiß niemand.«

Das Gerücht bestätigt sich nun heute. In Kirow, einer Stadt an der Wjatka, die schon zu Zeiten der Zaren ein berüchtigter Verbannungsort war, endete das Leben von Erzbischof Eduard Pro-fittlich. Nach monatelangen Verhören verurteilte ihn das dortige Gericht am 21. November 1941 zum Tod durch Erschießen. Am 22. Februar des folgenden Jahres starb er, wenn man den sowjetischen Quellen glauben darf, vor der Hinrichtung.:25)

Anmerkungen:

  1. Die Festschrift ist nicht erschienen

  2. Eine Veröffentlichung über die Familien Profit(t)lich im Rheinland wird zur Zeit vom Verfasser erstellt. Dort finden sich entsprechende Quellenangaben

  3. Pfarrarchiv Leimersdort. Umlagerolle der Kirche Leimersdor-f für 1896/97 mit Angabe der Klassensteuersätze

  4. Totenzettel im Besitz des Verfassers

  5. Mitteilungsblatt des "Vereins ehemaliger Schüler und Lehrer« Gymnasium Linz, Nr. 12, Dezember 1961, S. 1

  6. Peter Schug, Geschichte der Dekanate Adenau, Ahrv/eiler und Remagen, Trier 1952. S, 279-281. Ferner mündl Auskunft aus der Familie.

  7. Brief von Eduard Profittlich an seine Mutter. 4.2.1912 (richtig wäre 1913. da er erst am 9,3,1912 aus der Schule entlassen wurde) im Besitz von Matthias Profittlich. Birresdorf • Mittbl. Linz S. 1 -Paulinus. Trierer Bistumsblatt Nr. 12 vom 24,3,1963. S, 18.

  8. Mittbl, Linz S. 1 - Schug S. 280-Paulinus Nr 12 vom 24.3.1963, S. 18 (hier abweichend 14. statt 11, April).

  9. Brief im Besitz von Matthias Profittlich, Birresdorf.

  10. Archiv der Norddeutschen Provinz der Jesuiten in Köln, Catalogus ordinatonum Societas Jesu. S. 263

  11. Paulinus Nr. 12/1963, S. 18- Mitibl. Linz S. l.

  12. Paulinus Nr 12/1963. S. 18.

  13. Catal. ord. S.J (s Anm 10.) - Schug S. 280

  14. Schulchronik Leimersdorf

  15. Mittbl. Linz S. 8

  16. Paulinus Nr 33 vom 13.08.1967. S. 10 - Mittbl Linz S. 8.

  17. Paulinus Nr 12/1963. S. 18.

  18. Paulinus Nr 33/1967, S. 10.

  19. Pfarrarchiv Leimersdorf. Kirchenbl f d Pfarrei Leimersdorf Jg. 3 Nr.   35,  23.-30.Mai 1937

  20. Pfarrarchiv Leimersdorf. Lagerbuch 3 der Kirche zu Nierendorf. S. 95,

  21. Mittbl. Linz S. 3- Briefe im Besitz der Verwandtschaft. Kopien beim Verfasser.

  22. Als Quellen für dieses Kapitel dienten. Pol Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn. Best Botschaft Rom (Vat.) Bd. 805 und Gesandtschaft Reval Bd 69/3 - Acta Apostolicae sedis. Actes et Documents du Samt Siege relatifs ä la Seconde Guerre Mondiale.
    3,1(1967), S 317-321, 334, 361-371 - HansjakoG Stehle, Die Ostpolitik des Vatikans 1917-1975, München 1975. S. 225f, - Gerd Hamburger. Verfolgte Christen. Berichte aus unserer Zeit. Graz-Wien-Kötn 1977, S. 164-168- Dieter Albrecht, Der Notenwechsel zwischen dem Heiligen Stuhl und der Deutschen Reichsregierung. Bd. III Mainz 1982, S. 490. Nicht herangezogen wurde: Edzard Schaper, Der Aufruhr des Gerechten. Köln 1963 (Roman!).

  23. Original bei Richard Profittlich. Bad Breisig. Sein Vater Stephan ließ damals den Brief für alle Geschwister und Verwandte drucken. Veröffentlicht wurde er u.a. in: Mittbl. Linz S. 5f. und in den Mitteilungen aus den deut. Provinzen der Gesellschaft Jesu, Bd, 17. Nr 113-116. 1953-1956. S. 188-190.

  24. Hamburger S. 166.

  25. Rudolf Grulich, Katholische Kirche im Estland: Das Rätsel um den Tod des Revaler Erzbischofs Profittlich, in: Ost-West-lnfomationsdienst des Kath.   Arbeitskreises für zeitgesch. Fragen. 169, 1991. S. 69-71.

  26. Brief von N. Thamm, Berlin 24.9.41. an Stephan Profittlich in Niederbreisig. Weitere Einzelheiten der Verhaftung meinem zweiten Brief vom 3.5.42. Originale bei Richard Profittlich in Bad Breisig.