Aus der Geschichte der Auswanderung in die USA
Carl Bertram Hommen
In den vergangenen drei Jahrhunderten sind acht Millionen Deutsche in die USA ausgewandert. Sie folgten den dreizehn Familien aus Krefeld, die 1683 als erste geschlossene Gruppe mit dem Segelschiff »Concord« dem Ruf des Quäkers William Penn gefolgt waren und in Pennsylvanien den Ort Germantown als erste deutsche Siedlung gründeten. Zu den Auswanderern gehörten auch viele hundert Männer und Frauen aus den Kreisen Ahrweiler und Adenau. Allein 92 Familien mit 595 Personen zählten im 19. Jahrhundert zu ihnen aus dem Breisiger Ländchen und dem Brohltal. Sie verließen ihre Heimat nicht aus religiösen Gründen wie die Quäker, sondern vor allem infolge nackter wirtschaftlicher Not, manche auch aus politischen Beweggründen.
Als prominentester Auswanderer gehörte zu denen, die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die rheinische Heimat verließen, der damalige Bürgermeister der Bürgermeisterei Niederbrei-sig, Joseph Conrads. Unter ihnen befanden sich Angehörige fast aller Handwerker-Berufe, vorallem aberkleineAckerer, Bäcker, Steinhauer, Schiffer, Müller und Tagelöhner sowie viele Leineweber aus Niederzissen und Waldort. In der Sprache des einfachen Mannes begründete der BäckerAnton Frisch aus Niederzissen, zwanzig Jahre alt, im Jahre 1852 seinen Wunsch, aus dem Preußischen "Unterthanenverband" entlassen zu werden, um - trotz der amtlich vorgeschriebenen »Verwarnungen« durch den Bürgermeister - nach Amerika auswandern zu können, mit den nüchternen Worten: »Bei der seit Jahren herrschenden Kartoffel-Krankheit, der dazugekommenen Mißernte der übrigen Lebensmittel und bei derTheuerung der letzteren sowie bei dem Mangel an Gelegenheit zu Verdienst bin ich nicht mehr im Stande, mich dauernd ernähren zu können und will nach Amerika auswandern, wo ich mir eine bessere Zukunft verspreche« - obwohl er nur hundert Taler Reisegeld in der Tasche mitnehmen konnte.
New-Braunfels in Texas um 1850. Hierhin wanderte 1853 Bürgermeister Conrads mit Familie aus (Zeitgenössischer Stahlstich).
Diese Haltung ist verständlich angesichts der Not, in der sich weite Teile der Bevölkerung befanden, und bei der wachsenden Kluft, die zwischen Armen und Reichen immer sichtbarer wurde. Medizinalrat Dr. Wegeier, ein sorgfältiger Beobachter der Brohltal-Region Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, verzeichnete damals mit großer Besorgnis, »daß der wohlhabendere Bauer sich immer mehr von dem ärmeren scheidet, zwischen verhältnismäßigem Reichtum und der Armut eine größere Spalte entstanden ist und es nicht lange dauern wird, daß sämtliche kleinen Besitzer ausgekauft sein werden.«
1853 verließ Heinrich Joseph Conrads, seit 1834 Bürgermeister in Niederbreisig und davor in Königsfeld undAltenahr, die deutsche Heimat und zog mit dem Rest der Familie zu seinen drei Söhnen nach Texas. Im Jahr zuvor war auch der 41 Jahre alte Niederbreisiger Distriktsarzt Dr. Dick mit seinem zwölfjährigen Sohn nach Amerika gegangen. Conrads wandte der alten Heimat den Rücken sicherlich nicht aus religiösen, aber auch nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Weshalb sich seine drei Söhne und anschließend auch er selbst mit dem zurückgebliebenen Teil der Familie in die Schar der fast 700 000 Deutschen einreihte, die - damals teilweise aus politischen Gründen - zwischen 1851 und 1854 Deutschland verließen, läßt sich aus den heute noch zugänglichen Akten der Bürgermeisterei Niederbreisig im Landeshauptarchiv Koblenz im einzelnen nicht genau erkennen.
Aktenkundig ist nur dies: Conrads war öffentlich denunciert worden, sich wissentlich an einem angeblichen Wuchergeschäft beim Verkauf von Ackergelände an einen Einwohner von Nickenich beteiligt zu haben. Die Regierung nahm das negative, aber noch nicht rechtskräftige Urteil eines zweiten Verfahrens - im ersten war der Verleumder unterlegen - zum Anlaß, den Bürgermeister 1850 von seinem Amt zu suspendieren, ohne seinem Anwalt den Text des Urteils zur Verfügung zu stellen und dadurch eine Berufung zu ermöglichen. Conrads scheint dadurch in seiner Ehre als Beamter, dem »von seinen Vorgesetzten immer eingeräumt (worden sei), dasAmt tadellos ausgeübt zu haben«, so schwer getroffen worden zu sein, daß er angesichts der Aussichtslosigkeit eines neuen Verfahrens »das Handtuch warf«. Er war fast 30 Jahre lang Bürgermeister im Kreis Ahrweiler, zunächst Altenahr, dann von 1826 bis 1834 in Königsfeld und anschließend in Niederbreisig gewesen.
Unterschrift von Heinrich Joseph Conrads, Bürgermeister von Niederbreisig
Über die letzte amtliche Handlung als Bürgermeister enthält das Protokollbuch der Gemeinde Breisig einen Eintrag vom 7. Juli 1850. Darin wird der Auftrag an Conrads verzeichnet, beim Oberpräsidenten der Rheinprovinz gegen eine Forst-Verfügung Protest einzulegen. Über seine Entlassung nur vier Tage später enthält das Buch weder einen direkten Hinweis noch eine Erklärung oder Begründung. In den Niederschriften findet sich unter dem Datum des 24. Juli 1850 lediglich der Vermerk, daß »Herr Bürgermeister Conrads das Bürgermeisterei-Bü-reau übergeben und den Wunsch geäußert habe, daß die Bürgermeisterei sich nach einem anderen Lokale umsehen möge«. An dieser Sitzung nahm neben den Mitgliedern des Brei-siger Gemeinderates Gemünd, Bündgen, Peter-Josef Schubach, Rühsel, Lesaulnier, M. Zentner und L. Hertew auch ein kommissarischer Bürgermeister mit Namen Buch teil - ein erster Hinweis, daß Conrads nicht mehr amtierte. Buch, bisher Verwalter der Bürgermeisterei Niederheimbach, war am 20. Juli eingesetzt worden. In den Breisiger Bürgermeisterei-Akten findet sich jedoch auch die etwas deutlichere Mitteilung desAhrweiler Landrats von Hoevel - in seinem Auftrag von Kreissekretär Lorenz ausgefertigt - an die Bürgermeisterei Nieder-breisig, daß Conrads »laut Verfügung vom 11. Juli 1850 (A III 2486) vom Dienst suspendiert worden« sei. Da sich das Büro des Bürgermeisters in dessen Privatwohnung befand, mußte sich die Gemeinde nach Übergabe der Dienstakten nach anderen Räumen umsehen. Hierfür nahm sie zwei Zimmer in Anspruch, die schon »beim Schulhaus-Bau als Büreaulocal bestimmt« gewesen seien, aber bisher an die Lehrerin Elven vermietet waren.
Auswanderer benötigten die amtliche Urkunde über den » Verlust der Eigenschaft als preußischer Unterthan". Hier die Urkunde für den Ackerer Anton Weidenbach aus Dedenbach mit seiner Frau Katharina und der 15 Jahre alten Tochter Elisabeth. (LHA Koblenz 655,136)
Der Bürgermeister-Verwalter Buch amtierte nur bis Mitte Dezember. Denn Conrads scheint sich gegen seine Entlassung aus dem Staatsdienst zur Wehr gesetzt und erst am 23. Dezember 1850 »abgedankt« zu haben. Bereits unterm Datum dieses Tages wurde die Stelle des Breisiger Bürgermeisters dem damals 31 Jahre alten Joseph Ehser vorläufig übertragen; er hatte sie dann 44 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1894 inne.
Conrads war von 1821 bis zum 12. Juni 1826 provisorischer Bürgermeister in Altenahr gewesen und am 13. Juni 1826 zum neuen Bürgermeister in Königsfeld befördert worden, das (1818) mit 3 700 Einwohnern 500 weniger als Altenahr zählte. Hier löste er Bürgermeister Zimmermann ab, der um seine Entlassung gebeten hatte.
In Königsfeld blieb Conrads acht Jahre und bat 1834 seinerseits um »Versetzung auf die Bürgermeisterei-Stelle zu Niederbreisig«, die seitens der Koblenzer Regierung am 11. November ausgesprochen wurde. Diese Bürgermeisterei hatte damals nur 2 901 Einwohner, was eine finanzielle Verschlechterung bedeutet haben muß, da die Diensteinkommen in jenen Jahren je Kopf der Bevölkerung bemessen wurden. 1851 war in Breisig sein Sohn Gustav Eduard Gemeinde-Adjunkt; dieser wird auch gemeinsam mit zwei BrohlerAuswanderern nach Neu Braunfels in Texas erwähnt.
Die Gründe für die Suspendierung bleiben aus den alten Bürgermeisterei-Akten nicht erkennbar. Dort erfährt man nur aus Mitteilungen, wie sie etwa sein Nachfolger, Bürgermeister Ehser, am 24. Januar 1854 vor der Bürgermeisterei-Versammlung machte, daß Conrad's Stellung endgültig erst am 26. Februar 1853 von der Regierung »kassiert« worden sei.
Danach habe Conrads - der seine Wiedereinstellung offensichtlich bis dahin mit Nachdruck betrieben zu haben scheint - "alles Eigentum versteigert und sei am 12. Oktober 1853 mit Frau und Kindern zu seinen drei in Amerika lebenden Söhnen ausgewandert.« Durch den Brohler Papierfabrikanten Fuhs sei bestätigt worden, sagte Ehser weiter, daß Conrads nicht mehr nach Deutschland zurückkehren wolle. Erst danach folgte die endgültige Wahl Ehsers in die Stelle des Bürgermeisters, die ihm bis dahin nur provisorisch übertragen war.
Brieflich meldete sich Conrads aus New Braunfels noch zweimal in Breisig. Am 14. Januar 1854 verlangte er nachträglich für die Jahre 1845 bis 1848 als Miete für das Bürgermeistereibüro in seinem Wohnhaus jährlich 75 Taler. Am 28. Januar 1858 stellte er das Gesuch »auf Nachzahlung des ihm zur Hälfte angeblich nicht ausgezahlten Diensteinkommens von jährlich vier Silbergroschen je Kopf der Bevölkerung für die Zeit vom 20. Juli 1850 bis 4. April 1854« -dem Datum der »definitiven Erklärung« seiner Entlassung durch die Regierung. Der Gemeinderat beschloß jedoch, diesen Ansprüchen auf Nachzahlung von 608 Talern nicht zu entsprechen.
Anfang Januar 1858 hatte Bürgermeister Ehser, wie man einem Vermerk von seiner Hand entnehmen kann, dem H. Büntgen in Sinzig »amtlich bezeugt, daß der vormalige Bgm. Conrads aus Niederbreisig mit Paß der K. Regierung zu Coblenz vom 19. Oktober 1853 nach New-Braunfels, Staats Texas in Nordamerika, abgereist (sei) und sich später durch Schreiben d. d. New Braunfels 9. April 1855 auch nachträglich aus der Gde. Niederbreisig abgemeldet« habe. Nach einem Schreiben von Alois Conrads aus Gelsdorf vom 1. Februar 1855, so heißt es in einerweiteren Notiz Ehsers, »geriertdiesersich als Bevollmächtigter des ehem. Bürgermeisters Conrads«.
Nach New Braunfels in Texas, so ergibt sich aus der BreisigerAuswanderer-Liste, war schon am 15. Oktober 1851 auch der 21 Jahre alte Sohn Gustav Eduard des Bürgermeisters gemeinsam mit den beiden Brohlern Johann Anton Nonn und Johann Wintger, 31 bzw. 39 Jahre alt, abgereist. Dort traf der Vater zwei Jahre später außer ihnen auch noch zwei weitere Söhne an sowie den Breisiger Schreiner Johann Morbach und Frau sowie dessen vier Söhnen zwischen zwei und 18 Jahren und einer dreizehnjährigen Pflegetochter. Morbach war am 12. November 1852 in die USA gegangen.
Der " Verein zum Schütze deutscher Auswanderer nach Texas" unterstützte die Auswanderung in die USA: Die Aktie über 5 000 Gulden mit Datum vom 25. März 1844
New Braunfels - unweit von San Antonio, das die Spanier 1718 im Kampf gegen die Indianerstämme der Apatschen und Comanchen gegründet hatten - liegt im Süden von Texas am Guadalupe River, der in den Golf von Mexiko fließt. Dieses Texas war vor 140 Jahren ein weithin noch menschenleeres Land, das hart arbeitenden Männern - damals vor allem als Viehzüchter und Landwirte, aber auch als Cowboys auf den entstehenden großen Viehfarmen - eine sichere Zukunft versprach.
Von 1840 an begann hier entlang der Grenze zu Mexiko eine starke Besiedelung. Unter ihnen waren vonAnfang an zahlreiche deutsche Gruppen, denen der sog. "Mainzer Adelsverein" -eine Vereinigung »zum Schutz deutscher Auswanderer nach Texas« unter dem Vorsitz des Herzogs von Nassau - mit der 1840 erfolgten Gründung von Neu Braunfels und Friedrichsburg mehrheitlich von Deutschen bewohnte Zentralen schaffen wollte. Kein Wunder, daß Menschen vom Mittelrhein und gerade ein Bürgermeister, dersicherlich dienstlich davon Kenntnis hatte, hierhin auswanderten, wenn sie der Heimat »Valet« sagen wollten.
Der Mainzer Versuch, sich in Texas als Deutsche gegen die Amerikanisierung durchzusetzen, scheiterte zwar. Aber noch in unseren Tagen leben auch in New Braunfels, das es 1910, siebzig Jahre nach seiner Gründung, mit Eisenbahnstation, Post und Telegraph bei damals 1610 Einwohnern zum Hauptort des Bezirks gebracht hatte, Nachfahren jener deutschen Familien, die vor gut 150 Jahren in den tiefen Süden der USA gegangen waren. Aber es ist ein kleines Landstädtchen geblieben, in dem an Rande der größten Ölregion der USA heute - wie Besucher feststellen müssen - die deutsche Idylle mit Oktoberfest, Sauerkraut und Liedertafel in nostalgischer Rückschau auf die Vergangenheit noch gepflegt wird.
Anmerkungen:
Heinrich Joseph Conrads.geb.21.1,1798 in Gelsdorf als Sonn der Eheleute Ackersmann Heinrich Conrads und seiner Frau Maria Anna Catharina Fasbender; verheiratet in Königsfeld mit Johanna Maria Katharina Fleischer, geb. 15, September 1805 als Tochter der Eheleute Königlicher Steuereinnehmer Peter Fleischer und seiner Frau Maria Christina Brenk aus Königsfeld. - Bürgermeister Conrads starb am 19. Mai 1876 in New Braunfels.
Die Arbeit entstand anhand der Archivallen des Lanaeshauptar-chivs Koblenz, insbesondere Best. 403 Nr 530, Best. 414 Nr. 11 712. Best. 655, 206, Best. 656, 68