Ein beschaulicher Rundgang durch das alte Adenau
Karlheinz Korden
Der biedere Landmann hatte sein knarrendes Gefährt, behäbig von zwei Kühen gezogen, am Bahnhof Adenau gewendet, wo er seine Kartoffeln verladen hatte. Jetzt stopfte er sein Tonpfeifchen aus der Schweinsblase mit selbstgeschnittenem Strangtabak und fuhr in Richtung Stadtmitte. Auf Schilder, Autos, Fahrbahnmarkierungen, auf Zebrastreifen und Funkstreife brauchte er noch nicht zu achten.
Vom nahegelegenen Schlachthof in der Mühlenstraße (die damals noch nicht so hieß) drang das Brüllen der Rinder. Entschwunden ist längst der Schlachthof, ausradiert von den Bomben des Zweiten Weltkrieges. An Stenze Eck, nur sehr alte Bürger kennen sie noch, brauchte unser Bäuerchen auch nicht auf Vorfahrt zu achten, und ächzend polterte das Gefährt über holprigem Kopfsteinpflaster weiter. Auf der Straße hatten schon zahlreiche andere große und kleine Vierbeiner ihre Spuren hinterlassen, aber niemand regte sich hierüber auf.
Vom würdigen, und damals noch sehr umfangreichen Amtsgericht her, dem noch unter dem Namen "Marienheim" am Krankenhaus bekannten Gebäude, kam gemessenen Schrittes der Gerichtsschreiber. Er war auf dem Wege zum königlich-preussischen Postamt, dem heutigen Hause Rösch, um ein dringendes Telefongespräch zu führen. Das Amtsgericht hatte damals noch kein eigenes Telefon. Vor dem Gerichtsgefängnis, dem späteren Hause "Senge". wechselte er noch einige Worte mit dem gestrengen Gerichtswachtmeister, der bedächtig seinen Schnurrbart drehte (Modell: es ist erreicht) und sich seiner Verantwortung den Häftlingen gegenüber bewußt war. Die beiden einzigen Insassen seiner Anstalt gruben derweil den Garten des Uniformierten um.
Unbewußt nahm unser Bäuerchen ehrfürchtig Haltung auf seinem Ackerwagen an, als er das Landratsamt passierte, das heutige Postamt, denn dort waltete die gestrenge Behörde, vor der der Landmann gehörigen Respekt hatte. Der Herr Landrat rangierte in seiner Achtung nicht weit von dem "lieben Gott", denn der Kaiser in Berlin war weit. Zu seiner Rechten erhob sich schlank und rank die Marienkapelle, in den Jahren 1893 -1895 von dem Architekten Pickel aus Düsseldorf errichtet. (Sollten hier keine Verbindungen zu finden sein zu dem heute noch gültigen Begriff: Pickelgasse?)
Weiter rollte der Ackerwagen und gegenüber dem Hotel Eifeler Hof. das damals noch nicht die heutige stattliche Höhe hatte, befand sich das Bürgermeisteramt. Während unser Fuhrmann mit seinem verarbeiteten Daumen die Glut in der Pfeife zusammendrückte, schwang er mit der Rechten bedächtig die Peitsche, was auf seine Kühe jedoch keinen Eindruck machte: Zugtiere und Kutscher hatten eben noch Zeit.
Nun passierte er das stattliche Gebäude der Post. der heutigen Drogerie Rösch und näherte sich mit seinem altersschwachen Ackergefährt weiterdem Ortszentrum, vorbei an derApothe-ke und kam zum Marktplatz, dem Herzen der Kreisstadt Adenau.
Hier ließ unser Landmann sein Gefährt halten, eine Parkscheibe war auch noch nicht erfunden und kein gestrenger Ortsgendarm verwehrte ihm das Halten. Während seine mageren Kühe in Zeitlupe wiederkauten und unter ihrem Joch die Fliegen wegzuschütteln versuchten. wollte unser Fuhrmann sich einen Schnaps genehmigen, der bei "Fuhrmanns" oder in der heutigen "Blauen Ecke", die damals noch weiß gestrichen war, in doppelten Gläsern zu haben war. Das Getränk entsprach sicherlich nicht "Hilton-oder Dorintqualität". aber das Eifelbäuerchen kannte eben nur einen Trester oder Hefe. wie er an Ahr oder Mosel gebrannt wurde. In der Kneipe hielt er auch ein Schwätzchen mit ihm bekannten Adenauer Bürgern, die auch ihr Tagewerk mit einem kühlen Trunk unterbrachen. Während der Geschäftsmann, der neben der Uhrkette auch noch eine Krawatte über dem "Vatermörder" trug, fühlte sich der Landmann im "Adenauer Tuch" genauso modern gekleidet. Nicht überliefert sind die Gespräche, Probleme mögen unsere Vorfahren auch gehabt haben, aber sicher hatten sie mehr Muße. Obwohl ihrTage-werk länger und wesentlich mühsamer war, fehlte die Hetze, und der Begriff "Streß und Herzinfarkt-Gefahr" war noch nicht geprägt. Schon damals war die Kirche der Mittelpunkt des Städtchens und an der Stelle, an der sich heute das Rathaus erhebt, hatte in dem alten Bruchsteingebäude die Schule ihre Bleibe gefunden. Amtsgericht und Kulturamt war an der heutigen Stelle noch nicht errichtet, dort betrieb vielmehr eine Gerberei ihr "anrüchiges" Gewerbe. Weiter knarrte das Gefährt und munter plätscherte der noch offene Bach neben der schmalen Straße her. Wenn man alten Aufzeichnungen folgen darf, entströmten nicht gerade angenehme Gerüche dem Bachbett, denn die Abflüsse leitete man allenthalben selbstverständlich in den Adenauer Bach. In einer Seilerei, es gab immerhin zwei davon, erstand sich unser Eifelbauer noch eine neue Pflugleine, ein damals sehr wichtiges und notwendiges Requisit, welches heute im Zeitalterder Traktoren auch keine Bedeutung mehr hat.
Wie überall, ist in Adenau auch die Zeit nicht stehengeblieben. Der Bach wurde überbrückt, der Nürburgring wurde errichtet und der Kreis Adenau wurde aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der hier auch seine Wunden schlug. baute man in der alten Johanniterstadt Adenau auf. wenn auch zunächst verhalten. "Unser Dorf soll schöner werden" galt ebenso für die Eifelmetropole.
Doch trotz neuer, farbenprächtiger Fassaden, trotz Springbrunnen, Hocheifel-Halle und Parkhaus, trotz Reithalle und Tennisplätzen, trotz modernem Schwimmbad und "Motorland am Horizont" sollte man die sogenannte gute alte Zeit nicht vergessen (so gut war sie übrigens auch nicht) und einmal schmunzelnd Vergleiche zum längst entschwundenen alten Adenau ziehen und zu einer Zeit, als "Hektik und Streß" noch nicht erfunden waren.