Hans Wamecke
Zu Recht fragen immer wieder heute Besucher des Ahrtals nach der Geschichte der Burgruinen auf der Landskrone, in Neuenahr, der Saffenburg, der Burgruine in Altenahr und erst recht nach der Geschichte der weltbekannten Nürburg. Immer wieder wird bei diesen Antworten auf das Geschlecht des Grafen von Neuenahr verwiesen werden müssen. Aber gerade der geschichtlich interessierte und auch gebildete Besucher wird sich um so mehr fragen, warum eigentlich dieses Geschlecht der Grafen von Neuenahr im Ahrtal nur spärliche Zeugnisse seines Lebens und Wirkens zurückgelassen hat. Denn wer als Kurgast oder Wanderer vom Niederrhein ins Ahrtal fährt wird sich daran erinnern, welch große Wirkungen im 16. Jahrhundert die Grafen von Neuenahr in ihrer Heimat hatten. Ja. wer sich eingehender mit der Reformationsgeschichte des Rheinlandes beschäftigt. der erfährt, daß 1535 Graf Wilhelm von Neuenahr Luther in Wittenberg besuchte und Kurfürst Johann Friederich dazu an Luther empfehlend schreibt, Wilhelm sei ein Mann. "der göttliches Wort vor ändern höchlich liebt". (Luthers Briefwechsel Band 7, Seite 167)
Adolf von Neuenahr |
Hermann von Neuenahr |
Von diesem Grafen wissen wir, daß er in seiner Grafschaft Moers evangelischen Predigern Zufluchtgewährte und ihnen auch die Möglichkeit zur evangelischen Predigt gestattete. Sein Sohn Graf Hermann von Neuenahr hat dann offiziell in seiner Grafschaft Moers die lutherische Reformation eingeführt und der Vetter von Graf Hermann, nämlich Graf Adolf von Neuenahr, vollzog die Wendung zum Calvinismus in der Moerser Grafschaft. Von daher ist es verständlich, daß bis heute die Auswirkungen dieser durch das Geschlecht der Grafen von Neuenahr am Niederrhein bewirkten religionspolitischen Ausrichtung in der konfessionellen Zusammensetzung der dort lebenden Bevölkerung zu erkennen ist.
Warum aber, so fragen sich viele bis heute, hat das Ahrtal eine völlig andere Entwicklung gehabt. Denn die evangelischen Kirchen in Adenau, Bad Neuenahr, Bad Breisig und Remagen sind alle erst im vorigen Jahrhundert gebaut worden. Und die evangelischen Gotteshäuser in Sinzig, Ahrweiler, Ahrbrück und Kelberg sind erst in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts im Hinblick auf die hier angesiedelten evangelischen Heimatvertriebenen des letzten Weltkrieges errichtet worden.
Erst die Geschichte des Geschlechts der Grafen von Neuenahr läßt uns erkennen, warum das Ahrtal in seiner konfessionellen Entwicklung einen völlig anderen Weg hat gehen können als das niederrheinische Gebiet. Am 30. April 1246 wird in Köln folgendes Dokument verfaßt und besiegelt: "Graf Friedrich von Hochstaden schenkt dem Erzstift Köln feierlich über dem Petrusaltar im Dom zu Köln zu Händen des Erzbischofs Konrad von Hochstaden, seines Bruders, und dem Domdechanten in Anwesenheit vieler genannter kirchlicher und weltlicher Personen, unter anderem des Grafen Gerhard von Neuenahr, seine Grafschaft Hochstaden und die Burgen Are, Hart und Hochstaden nebst allen anderen Burgen und Befestigungen, allen Hörigen, Dienstleuten, Eigengütern und Lehen. Erbehält sich lediglich 60 M. Jahreseinkünfte vor, die nach seinem Tode an das Domkapitel fallen sollen." (Frick: Quellen zur Geschichte von Bad Neuenahr. 1933, Seite 76)
Zu dieser Urkunde ist zu bemerken, daß Erzbischof Konrad von Hochstaden ebenso wie Graf Friedrich von Hochstaden aus dem Geschlecht der Grafen von Ahr stammte. Hans Frick bemerkt lapidar dazu: "Auf diese Weise kamen also Ahrweiler, wo der Abt von Prüm Lehnsherr war, und das um die Burg Altenahr liegende Gebiet an das Erzbistum Köln, das diesen Teil des Ahrgaues bis zur Französischen Revolution behalten hat." (a. a. 0. Seite X)
Dieses Dokument aus dem Jahre 1246 kann in der Tat nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zeigt es uns doch in aller Deutlichkeit, wie weit wir in unserem Denken und Fühlen von dieser Zeit des Mittelalters entfernt sind, in der durch den Entschluß eines Adligen ein ganzes Gebiet den "Besitzer" wechselte und alle Untertanen dadurch einem neuen Landesherrn zugeordnet wurden. In der damaligen Zeit der Mitte des 13. Jahrhunderts war dagegen eine solche Entscheidung nichts außergewöhnliches, weil bei Erbschaften und nach Kriegen die Landesherren wechselten und damit die in einem Gebiet lebenden Menschen sich bis in ihren Glauben hinein nach ihrem Landesherrn zu richten hatten.
Das wird besonders deutlich zur Reformationszeit, als die "Landeskinder" den möglichen Konfessionswechsel ihres "Landesvaters" mitmachen müssen - ob sie wollen oder nicht. Ein Beispiel dafür ist. daß bei den Reformationsversuchen im Erzbistum Köln neben vielen anderen auch Graf Wilhelm von Neuenahr beteiligt war. So wird verständlich, daß nach dem Scheitern Erzbischof Hermann von Wied .1547 abzudanken hatte, und damit das Erzbistum Köln katholisch blieb.
In der von der Stadtverwaltung Bad Neuenahr 1964 herausgegebenen Zusammenstellung der Geschichte dieser Stadt heißt es deshalb zu Recht: "So gab es bis 1852 keine Evangelischen in Neuenahr." In der dort aufgeführten Konfessionsstatistik werden für das Jahr 1867 zwölf Evangelische, 1905 dreihundertsieben, 1950 eintausenddreihundertsiebenundzwanzig evangelische Bürger genannt. Diese Zahlen sprechen für sich. Sie unterstreichen, daß sowohl die Auswirkungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 als auch der Westfälische Frieden von 1648 seine Folgen in der konfessionellen Zusammensetzung im Erzbistum Köln, besonders im Ahrtal, bis in das vorige Jahrhundert gehabt hat.
In diesen genannten kirchengeschichtlichen Ereignissen wurde auf höchster politischer Ebene entschieden, daß die dem Luthertum angehörenden Landesherren und ihre Territorien reichsrechtlich anerkannt wurden. Damit war der entscheidende Schritt zur Neuordnung der Konfessionsverhältnisse getan. Aber erst der Westfälische Friede von 1648 regelte auch die Anerkennung der Gebiete, in denen calvinistische Landesherren - wie etwa in der Grafschaft Moers - regierten. Die Regel, daß die Untertanen der Konfession anzugehören hatten, der auch ihr Landesherr sich verpflichtet hatte, war für das Erzbistum Köln entschieden: Wer hier lebte, war katholisch!
Von daher ist es nicht verwunderlich, daß bei der Einweihung der evangelischen Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenahr am 14. August 1872 die Bilder der Grafen Hermann und Adolf von Neuenahr in der Kirche angebracht wurden. Die evangelische Diaspora des Ahrtals wollte sich damit daran erinnern, daß dieses Geschlecht für das evangelische Rheinland in einer bestimmten Epoche von großer Bedeutung gewesen ist. allerdings nicht hier im Raum von Bad Neuenahr und seiner Umgebung. sondern am Niederrhein.
Inzwischen haben sich die damals das politische und gesellschaftliche Leben beherrschenden konfessionellen Gegensätze zu einem neuen Verständnis gewandelt, das unter dem Begriff der Ökumene in beiden Kirchen zu gegenseitiger Annäherung geführt hat. Was die Grafen von Neuenahr in der Reformationszeit nicht für möglich gehalten hätten, wird heute von Christen beider Konfessionen dankbar erlebt, nämlich die Gemeinsamkeit des Glaubens und auch der tätigen Nächstenliebe.