Die Verfolgung sog. heimtückischer Angriffe auf Partei und Staat im Kreis Ahrweiler während der NS-Zeit
Leonhard Janta
Bereits in den ersten Wochen nationalsozialistischer Gewaltherrschaft wurden im Februar und März 1933 die in der Weimarer Verfassung garantierten Grundrechte durch Notverordnungen außer Kraft gesetzt.
Mit der »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« (»Reichstagsbrandverordnung«) vom 28. Februar 1933 schufen die Nationalsozialisten eines der zentralen Ausnahmegesetze der nationalsozialistischen Diktatur. Die »Reichstagsbrandverordnung« erklärte »Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen (für) zulässig.«1 Ergänzt wurde diese Ausnahmebestimmung, die bis 1945 galt, durch die »Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung« vom 21. März 1933.
Der Rechtsstaat war damit beseitigt, die Grundlage für die Verfolgung politischer Gegner und jede Form von Kritik an der NSDAP, an ihren Gliederungen und Verbänden, an führenden Persönlichkeiten der Partei, am Staat und dessen Einrichtungen geschaffen. Nach der »Heimtücke-Verordnung« konnte jeder bestraft werden, der »vorsätzlich eine unwahre oder gröbliche entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reiches oder eines Landes oder das Ansehen der Reichsregierung oder eine Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbände schwer zu schädigen.«2
Für Äußerungen, die als »staatsabträglich« oder als »heimtückische Angriffe« auf die NSDAP ausgelegt werden konnten, drohten bis zu mehrjährige Gefängnis- oder gar Zuchthausstrafen. Über die Einhaltung der »Reichstagsbrandverordnung« und der »Heimtücke-Verordnung«, die am 20. Dezember 1934 zum Gesetz erhoben wurde,3 wachten Sondergerichte. Bürger aus dem Kreis Ahrweiler mußten sich in Köln und Koblenz vor den nach dem 21. März 1933 eingerichteten Sondergerichten wegen Verstößen gegen die genannten Notverordnungen verantworten. Die Zahl der danach Verfolgten aus dem Kreis Ahrweiler ist aufgrund der lückenhaften Aktenüberlieferung und durch den Umstand, daß aus Gründen des Datenschutzes die Bestände der Staatsanwaltschaft und der Sondergerichte noch gesperrt sind, nicht bekannt. Daß es zu Verfolgungen kam, belegen fragmentarisch überlieferte Fälle im Kreisarchiv Ahrweiler4 und Aussagen von Zeitzeugen.Nachfolgend werden einige als »heimtückische Angriffe« auf Partei und Staat eingestufte Äußerungen von Bürgern aus dem Kreis Ahrweiler vorgestellt, die zur Verfolgung der Betroffenen führten. Sie zeigen, daß trotz Strafandrohungen und Verfolgungen oppositionelle Äußerungen zu keiner Zeit verstummten. Unter den Bedingungen des national-sozialistischen Unrechtsstaates entschied die Geheime Staatspolizei, was als »staatsabträgliche Kritik« ausgelegt und
geahndet werden konnte. Nach der Verhaftungswelle der Kommunisten im Anschluß an den Reichtstagsbrand vom 27. Februar 1933 traf der Terror der Nationalsozialisten anfangs vor allem Vertreter der politischen Linken. Das Kölner Sondergericht verurteilte den Sohn eines ehemaligen SPD-Stadtverordneten aus Sinzig zu 8 Monaten Gefängnis, weil er geäußert hatte, daß Göring selbst und nicht die Kommunisten den Reichstagsbrand gelegt hätte.5 Wegen ähnlicher Behauptungen wurde 1934 ein ehemaliges Mitglied des 1933 verbotenen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, das 1924 zur Verteidigung der Weimarer Republik gegründet worden war, vor dem Kölner Sondergericht zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt. Der achtzehnjährige Rema-gener hatte im Oktober 1934 ebenfalls gesagt, »daß es ihm nicht einfiele, die nationalen Symbole (Hakenkreuzfahnen) zu grüßen.«6 Benachrichtigung über eine Verurteilung nach dem "Heimtückegesetz".Denunziert wurden Bürger wegen zum Teil völlig harmloser Kritik, die sie in der Öffentlichkeit, jedoch auch im Freundes- oder Bekanntenkreis gemacht hatte. Pflichtbewußte »Volksgenossen«, Parteimitglieder der NSDAP, aber auch Nachbarn, Freunde, Bekannte oder sogar Verwandte fühlten sich daraufhin zur Anzeige dieser Äußerung bei der Partei oder einer Parteidienststelle verpflichtet. Unmittelbar nach der Denunuziation setzte die Verfolgung des Bürgers ein. In der Regel folgten polizeiliche Verhöre, »Schutzhaft« und die Einschaltung der Geheimen Staatspolizei. Falls der Beschuldigte keine Entlastungszeugen beibringen, einflußreiche Fürsprecher einschalten oder sich nicht herausreden konnte, drohte ihm ein Verfahren vor einem Sondergericht. Glimpflich kam der Betroffene davon, wenn es nur zu einer staatspolizeilichen Verwarnung kam.
Vereinzelt berichtete die Lokalpresse zur Abschreckung der Bevölkerung über einzelne Fälle, wobei besonders die Bestrafung der als »Volksschädlinge« angeprangerter Bürger hervorgehoben wurde. Nachdem im Oktober 1936 ein Adenauer Kaufmann von der Polizei festgenommen worden war, weil er den nationalsozialistischen Staat und seine Führer wiederholt in der Öffentlichkeit beschimpft hatte, war in der Ahrweiler Zeitung folgende Warnung zu lesen: »Dies möge auch für diejenigen wieder eine Lehre sein, die als die ewig Unzufriedenen glauben, an all dem nörgeln und herumschimpfen zu müssen, was mit Nationalsozialismus zusammenhängt.«7
Im Oktober 1938 sollte in Kripp wegen eines »Vergehens gegen das Heimtückegesetz« ein Exempel statuiert werden, weil »dies für die Erhaltung der Autorität und das Ansehen der Partei als notwendig«8 angesehen wurde. Dem Beschuldigten warf man »böswillige und gehässige Redensarten über Partei und Staat« vor. Nach dem Godesberger Treffen zwischen Hitler und Chamberlain vom 22. - 24. September 1938 hatte der Kripper Bürger gesagt, daß nur noch höchsten 40 % der Bevölkerung bei einer evtl. Abstimmung für die Nationalsozialisten stimmen würden. Auch grüßte dieser Regimegegner mit »Heil Chamberlain!«, um seiner Dankbarkeit gegenüber dem britischen Premierminister, den er als Friedensretter ansah, Ausdruck zu verleihen. Um diesem »Hetzerischen Schwätzer« das Handwerk zu legen, forderte der Kripper Ortsgruppenleiter schärfste Maßnahmen. Diese waren seiner Meinung nach besonders deshalb nötig, weil in Kripp noch zahlreiche »Volksgenossen« lebten, die ebenfalls »eine ablehnende Haltung gegenüber Staat und Partei einnahmen.« Bedauerlich fand der Ortsgruppenleiter, daß diese schwer zu überführen seien. Nähere Angaben über die Verfolgung und Bestrafung des Regimekritikers aus Kripp sind nicht bekannt.
Als »fanatischen Gegner« des Nationasozialismus stufte die Polizei einen Dernauer Winzer ein, der 1938 nicht am Erntedankfest teilgenommen hatte, den Gruß »Heil Hitler« verweigerte, keine nationalsozialistische Zeitung abonniert und seinen Sohn nicht im Jungvolk angemeldet hatte. Ein Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Heimtückegesetz konnte der Betroffene nach seinem polizeilichen Verhör durch folgende Versicherung abwenden, die ins Protokoll aufgenommen wurde: »Ich verspreche freiwillig, niemals wieder etwas zu sagen, was politischen oder sonstigen Inhalt hat und den Anschein erwecken könnte, als sei es gegen Partei oder Staat gerichtet.«
Nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 nahmen die Unmutsäußerungen, abfälligen Bemerkungen, je länger der Krieg dauerte auch die Zweifel am »Endsieg«, Äußerungen von Unzufriedenheit über die Versorgungslage etc. zu.
Im September 1939 schimpfte ein Herschbacher Bürger: »Der Führer ist ein Lump.. . . Der Führer, der Lump, das Arschloch. Was der will, tue ich noch lange nicht, ich tue nur, was ich will!«
Während des polizeilichen Verhörs gab der Bürger, der denunziert worden war, vor, daß er sich an nichts mehr erinnern könne, weil er völlig betrunken gewesen sei. Eine weitere Verfolgung unterblieb in diesem Fall.
Einem Remagener Bürger trugen dagegen staatsfeindliche Äußerungen, die nicht aktenmäßig überliefert sind, die Überführung ins Koblenzer Gerichtsgefängis, drei Tage »Schutzhaft« sowie eine staatspolizeiliche Verwarnung ein.
Im Dezember 1939 führten Unmutsäußerungen eines Bürgers aus Oberholzweiler dazu, daß er als "Volksschädling« eingestuft wurde. Ob der Forderung, ihn in »Schutzhaft« zu nehmen und in ein Konzentrationslager zu überführen, Rechnung getragen wurde, geht aus den vorliegenden Unterlagen nicht hervor. Als sich ein Neuenahrer Bürger 1940 in Beschwerdebriefen an Parteidienststellen und Behörden u. a. als »Märtyrer des Dritten Reiches« bezeichnete, wurde er zeitweise in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen. Auch drohte ihm die Überführung in ein Konzentrationslager. Die Zwangseinweisung in die Nervenklinik wurde damit begründet, daß seine »Gedankengänge ... die Gefahr mit sich (brächten), bei den Volksgenossen, die ihn nicht erkennen, Unzufriedenheit zu erzeugen.«
Die Beflaggung der Straßen mit Hakenkreuzfahnen am 1. Mai 1940 kommentierte ein Ahr-weiler Bürger mit folgender Bemerkung: »Na, morgen kommt der Lappen (Hakenkreuzfahne) ja auch runter!« »Pflichtbewußt« zeigte ihn daraufhin eine Nachbarin wegen dieser Äußerung an. Welche Konsquenzen das hatte, ist nicht überliefert.
Auf die Frage, wer am Krieg schuld sei, gab ein Beamter in Remagen 1942 zur Antwort:
»...das sind die 99 %, die Hitler gewählt haben.« Der Bahnbeamte war zwar schon wiederholt wegen "staatsabträglicher Äußerungen« aufgefallen, jedoch reichten die Beweise und Zeugenaussagen nicht für ein Verfahren vor dem Sondergericht aus.
Mehrfach dagegen wurde ein Schiffer aus Oberwinter wegen Verstößen gegen das Heimtückegesetz verurteilt. 1939 verbüßte er 21 Tage »Schutzhaft« im Koblenzer Gerichtsgefängnis, 1942 verurteilte ihn das Koblenzer Sondergericht zu 5 Monaten, 1943 zu einem Jahr Gefängnis." Im Jahre 1942 legte man dem Angeklagten abfällige Bemerkungen über den Ausgang des Krieges zur Last. Er hatte in einem Gespräch ausgeführt: »Den Krieg hätten wir nicht gebraucht; für was ist der überhaupt gekommen? Bis 1933 ist es uns ja ganz gut gegangen. Ihr wolltet ja einen Mann aus dem Volke und nun habt ihr ihn ja. Wenn es verkehrt geht und es geht verkehrt, dann erlebt ihr noch was.« Diese Äußerung stellte laut Urteilsbegründung vom 28. Juli 1942 einen gehässigen Angriff auf die Politik des Führers dar, "dem er damit den Vorwurf macht, daß er den Krieg ohne Notwendigkeit vom Zaune gebrochen habe und daß er auch nicht die Mittel habe, diesen Krieg siegreich zu Ende zu führen.«
In der Urteilsbegründung des nächsten Verfahrens gegen den Schiffer heißt es am 18. Januar 1943: »Der Angeklagte hat erneut böswillig gehässige und hetzerische Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP gemacht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben ..." Diesmal legte man dem Angeklagten folgende »verbrecherische Äußerung« zur Last: ". . . man sollte doch endlich mit dem Krieg Schluß machen". Außerdem ließ sich der Schiffer mit dem Hinweis auf überzeugte Nationalsozialisten zu der Bemerkung hinreißen: »An jedem Telegrafenmast müßte einer von Euch hängen; Ihr kennt ja keinen Gott und kein Gebot; Ihr wollt ja nichts mehr glauben.«
Während des Krieges blühte trotz rigoroser Verfolgung auch der politische Witz. Eine Vielzahl Flüsterwitze machten hinter vorgehaltener Hand die Runde. Sie ließen sich auch trotz Heimtücke-Gesetz nicht abstellen. Die nationalsozialistischen Machthaber regierten empfindlich auf diese politischen Witze, weil diese pointiert Schwächen des Unrechtregimes aufs Korn nahmen und der Lächerlichkeit preisgaben. Am 21. Juli 1941 erstattete eine Frau nach einem Besuch im Kurhaus von Niederbreisig Anzeige gegen einen Herrn, der ihr dort einen "unanständigen Witz« erzählt hatte. Der Witz lautete: »Früher fingen die Märchen an: »Es war einmal« und jetzt fangen sie an: »Aus dem Führer-Hauptquartier«.10 Die Denunziantin schloß ihre Anzeige mit der Bemerkung: »Ich fühle micht verpflichtet, die Sache anzuzeigen, weil es sich nicht gehört, in der heutigen Zeit derartige Witze zu erzählen.«
AnmerkungenRGBL l, Nr. 17 »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933«.
RGBL l, Nr. 24 "Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 22. März 1933.«
RGBL l, 137 "Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20, Dezember 1934...
Die Ausführungen stützten sich vor allem auf Unterlagen aus dem Kreisarchiv Ahrweiler: 01-714 und 040-02.
Kleemann, Kurt: Geschichte des SPD-Ortsvereins Sinzig 1908-33. Sinzig 1988. 29.
Unterlagen aus Privatbesitz im Kreisarchiv Ahrweiler.
Ahrweiler Zeitung Nr. 129 vom 27. Oktober 1936.
Soweit nicht anders vermerkt stammen die nachfolgenden Zitate aus: Kreisarchiv Ahrweiler 01-714.
Unterlagen aus Privatbesitz im Kreisarchiv Ahrweiler.
Landeshauptarchiv Koblenz Bestand 655, 206 Nr. 857.