Dr. Michael Riemenschneider
Die Kriegsjahre 1940 bis 1945 waren für den Calvarienberg eine leidvolle Zeit. Sie sind gekennzeichnet
durch die Schließung der klösterlichen Schule und ihre Überführung in eine Oberschule für Mädchen im Sinne des nationalsozialistischen Staates unter Ausschluß des Ursulinenordens
durch die gravierende Beschränkung des Mädcheninternats und den massiven Druck des Staates mit dem Ziel der Errichtung eines großen eigenen Internats
durch die Einrichtung eines Reserve- später Kriegslazaretts und die damit verbundenen Belastungen und Umstellungen für das Kloster.
l. Die Ahrbergschule*
Nachdem zu Ostern 1940 die Ursulinenschule geschlossen werden mußte, eröffnete am 3.
April in den gleichen Räumen die staatliche »Kreisoberschule für Mädchen" mit der
Bezeichnung Ahrbergschule ihren Betrieb.
In einer Feuerstunde zur Eröffnung rechtfertigte der Landrat nochmals die Schließung der Privatschule: »Der nationalsozialistische Staat als totaler Staat nimmt das Recht der Jugenderziehung ausschließlich für sich in Anspruch. Die Entwicklung, die zur Umwandlung der unter klösterlicher Leitung stehenden Schule in eine öffentliche geführt hat, ist daher zwangsläufig.«1) Der neue Schulleiter versprach, die der Schule »anvertrauten Schülerinnen so zu erziehen und zu bilden, daß sie später als Mütter und in anderen fraulichen Berufen ihre Pflicht Volk und Führer gegenüber erfüllen« im Geiste Adolf Hitlers, »dem größten Erzieher Deutschlands«.2) Gemäß dieser ideologischen Zielsetzung wurde der sprachliche Zweig der Oberschule gestrichen und nur noch der hauswirtschaftliche fortgeführt.
Schwestern durften nicht mehr unterrichten, jedoch wurden die acht weltlichen Lehrkräfte übernommen und bis zum Ende des Schuljahres 1940/41 auf 16 aufgestockt. Stolz konnte
der neue Direktor Dr. Achenbach nach dem ersten Jahr berichten, daß alle Lehrerinnen der Anstalt auf seine Veranlassung dem Deutschen Frauenwerk und einige auch der NSDAP beigetreten seien.3) Von einer spürbaren, massiven politischen Indoktrination kann jedoch nicht gesprochen werden. Die Gewähr für einen undogmatischen Unterricht boten insbesondere die ehemals klösterlichen Lehrkräfte, die die Hälfte des Kollegiums ausmachten und für einen strammen nationalsozialistischen Kurs nicht in Frage kamen. Von den übrigen neuen Lehrkräften werden zwar einige als im Sinne des politischen Systems überzeugt beschrieben, doch wird niemandem - weder von ehemaligen Kollegen - noch von Schülerinnen - eine radikale, repressive Haltung attestiert. Im Gegenteil gab es auch unter dieser Gruppe Lehrerinnen, die nicht zum Eintritt in die Partei bereit waren. Daß das Engagement des Lehrerkollegiums für die neue Schule sich durchaus in Grenzen hielt ist daran erkenntlich, daß zwar gleich zu Beginn des ersten Schuljahres die Lehrkräfte aufgefordert wurden, Amtsblatt und die Fachzeitschriften nach Neuerscheinungen zur Anschaffung für die Bibliothek durchzusehen, jedoch mußten sie auf mehreren Konferenzen immer wieder daran erinnert werden, dieser Verpflichtung nachzukommen.4) Ebenso scheint es mit dem »Deutschen Gruß« nicht so recht geklappt zu haben, weshalb das Kollegium auf einer Konferenz vom Schulleiter ermahnt werden mußte.5)Auch der Schulleiter, der ja wesentlich den Geist einer Schule prägt, galt nicht als »Schartmacher", was in dieser speziellen Position und Situation - nationalsozialistischer Vorposten in einem katholisch-religiösen Umfeld - durchaus denkbar gewesen wäre. Er wird zwar als linientreu in den Lehrinhalten, insbesondere Geschichte, dargestellt, aber im menschlichen Verhältnis zu Kollegen als korrekt in seiner Haltung, verbindlich im Ton und nicht repressiv, was beispielsweise die Parteimitgliedschart angelangt, charakterisiert. Ehemalige Schülerinnen bezeichnen ihn als anständig, wohlwollend und gutmütig, beschreiben ihn als einen Mann des Ausgleichs und empfinden heute seine Ernennung als eine glückliche Lösung in einer schwierigen Situation. Das Bild des Direktors wird abgerundet durch die mündliche Überlieferung folgender Begebenheit: Vertreter der Partei seien an ihn herangetreten, er solle ihnen einen Schlüssel zum Keller aushändigen, durch den man in die Klosterküche gelangen konnte. Dort wollte man in größeren Mengen Eier deponieren, um dann anschließend gegen das Kloster wegen verbotenen Ham-sterns vorgehen zu können. Dr. Achenbach lehnte das Ansinnen ab. Der Vorfall ist um so glaubwürdiger, als man das Kloster Marienberg in Boppard, eine Filiale des Calvarienbergs, wegen »volks- und staatsfeinlicher« Handlungen in Form verbotenen Hamsterns beschlagnahmte und die Einziehung des Vermögens anordnete.6
) Die Schilderung des Schulleiters aus der Sicht der Schwestern erscheint erheblich distanzierter, was auch verständlich ist, mußten sie doch in ihm den Vertreter eines Staates sehen, der ihnen ihre Schule mit ihrer 100jährigen Tradition geraubt hatte. Insbesondere in der Frage der Gründung eines neuen, großen, staatlichen Internats, in dessen Realisierung Achenbach einen persönlichen Erfolg gesehen hätte, wofür aber die Überlassung von weiteren Gebäuden notwendig gewesen wäre, ist der Direktor offenkundig sehr selbstbewußt, energisch und fordernd aufgetreten: »Die Sprache war deutlich - der Plan eindeutig - und dementsprechend verfuhr Direktor Achenbach."7) Er hatte eine möglichst umfassende Abgrenzung der Schule gegenüber dem kleinen, den Schwestern als Übergangslösung zunächst noch zugestandenen Internat zu gewährleisten; selbst die Erteilung von Nachhilfeunterricht war den Ursulinen verboten.8) Der Direktor mußte dafür sorgen, »daß im Internat nichts geschieht, was dem nationalsozialistischen Geist der öffentlichen Erziehung entgegensteht«.9) Bei der Auswahl von neu aufzunehmenden Schülerinnen in das Internat sollte er hinzugezogen werden. Dem Kloster wurde verboten, für das Internat in Zeitungen und Zeitschriften zu inserieren.10) Für die Einhaltung all dieser die Freiheit der Schwestern beschränkenden Auflagen war der Schulleiter der Aufsichtsbehörde gegenüber verantwortlich. Die letzten Attribute in den Klassenräumen, die an die ehemalige katholische Trägerschaft erinnerten, wurden entfernt und durch »einwandfrei wertvolle Drucke und Originale«11), d. h. durch der nationalsozialistischen Weltanschauung entsprechenden Wandschmuck ersetzt. Der Religionsunterricht wurde gemäß der prinzipiellen Einstellung der Nationalsozialisten zur religiösen Erziehung ganz erheblich eingeschränkt und war nur noch in den drei unteren Klassen zweistündig und in der vierten Klasse einstündig erlaubt. Viele Schülerinnen der oberen Klassen aber besuchten die von den Pfarreien angebotenen Glaubensstunden. Die Fächer des sog. Frauenschaffens nahmen in der hauswirtschaftlichen Form der Oberschule einen breiten Raum ein. In der Oberstufe waren für Hauswirtschaft, Handarbeit, Gesund-heits- und Beschäftigungslehre in jeder Klasse elf Wochenstunden vorgeschrieben. Der Unterricht in diesen Fächern wurde in seiner Intention in den Dienst der Erziehung zur »deutschen Mutter« gestellt und auf die Aktionen zum »Winterhilfswerk« ausgerichtet. Große Mengen von Kleidungsstücken, Puppen und Spielen wurden gefertigt, wobei die Schülerinnen die Stoffe und übrigen Materialien selbst bezahlten. Die an sich soziale Tat stand aber nicht im Zeichen karitativer Hilfe; sie war vielmehr einbezogen in die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen, diente - so der Schulleiter - "der Stärkung der inneren Front«, wodurch die Jugend teilnehme »an der seelischen Widerstandskraft, der der tiefste Sinn wehrgeistiger Erziehung« sei..12)'Dieser und anderer Aktionismus nimmt in den noch erhaltenen Unterlagen breiten Raum ein; so ist in den Konferenzprotokollen die Rede von Heilkräutersammlungen, Altmaterialsammlungen - wofür eigens eine »Altstoffassesso-rin« ernannt wurde13
) -, von Luftschutzkursen und Seidenbau, wofür einige Maulbeersträucher auf dem Schulhof angepflanzt wurden.Ausdrücklich hieß es, die verschiedenen Sammlungen würden in Arbeitsteilung zwischen Schule und Hitler-Jugend durchgeführt, ein Unterrichtsausfall käme hierfür jedoch nicht in Frage.14
) Der Unterricht nahm ansonsten nach Auskunft von Zeitzeugen, Lehrkräfte und Schülerinnen, einen geordneten, ruhigen Verlauf. Immer mehr jeodch wurde auch die Ahrbergschule vom Kriegsgeschehen erfaßt; immer häufiger waren Luftalarme und das dann erforderliche Aufsuchen der Schutzräume ab Mitte 1943 an der Tagesordnung. Dies beeinträchtigte zunehmend das Unterrichtsgeschehen und die Lernfähigkeit der Schülerinnen bis schließlich ein regulärer Schulbetrieb nicht mehr möglich war und der Unterricht am 14. September 1944 eingestellt wurde.II. Das Internat
Die von den Nationalsozialisten verfügte
Schließung der Klosterschule zu Ostern 1940 bezog selbstverständlich auch das Internat
mit ein. Die Kreisbehörde wollte die Schule sofort übernehmen und plante ein großes
staatliches Internat nach entsprechenden Umbaumaßnahmen in den bisherigen Räumen. Doch
die Anmeldungen zur neuen Ahrbergschule blieben im Frühjahr offenkundig hinter den
Erwartungen zurück,15) und so begannen aus praktischer Notwendigkeit, nicht
aus Einsicht, Überlegungen, unter welchen Modalitäten ein Internat über Ostern 1940
hinaus betrieben werden könne.
De facto hatte die nach der verfügten Internatsschließung der Militärverwaltung gegebene Zusage zur Einrichtung eines Reservelazaretts in den Räumen des Internats zum 1. April 1940 die nun im Februar plötzlich offerierte Fortführung eines großen klösterlichen Heimes unmöglich gemacht, aber mehr noch wurde dadurch der zu Recht befürchtete Aufbau eines nationalsozialistischen Mädcheninternats verhindert.
Offenkundig sollte das Kloster zum Rückzug der dem Militär mitgeteilten Zustimmung bewegt werden, denn in einem Schreiben an den Landrat wird versichert, »daß die Abmachung mit der Militärverwaltung bezüglich Einrichtung eines Reserve-Lazaretts zum 1. April 1940 eine bindende ist, daß die Militärverwaltung mit der Gültigkeit unserer Zusage rechnet, daß es aber auch der Wunsch der Klosterleitung ist, das Angebot bez. des Reserve-Lazarettes aufrechtzuerhalten.« Die Generaloberin Mutter Deodata und die noch amtierende Schulleiterin Mutter Leona dachten realistisch genug, um zu wissen, daß ein großes Kloster-Internat nur noch kurz geduldet worden wäre. Daß der Kreis in dieser Situation - auch in Anbetracht des für den NS-Staat sonst typischen kompromißlosen Alles oder Nichts - trotzdem der ersten Variante eines kleinen Internats für ca. 50 Mädchen in bisherigen Klausurräumen zustimmte, spricht für den Mangel an Schülerinnen der Ahrbergschule.
Mit dem letzten Schultag der Ordensschule am 18. März 1940 hatten auch die 160 Internatsschülerinnen den Calvarienberg verlassen müssen. Der Abschied war ihnen sehr schwer gefallen, denn für die meisten war es ein Abschied für immer von Schule und Internat. Nur 50 Mädchen konnten nach den baulichen Veränderungen im vormaligen Noviziat am 2. April zurückkehren. Bei der Auswahl wurden vor allem solche Kinder berücksichtigt, die aus ländlichen Gegenden kamen und sonst eine höhere Schule nicht hätten besuchen können.20) Damit begann die Geschichte des sog. »Kleinen Internats« unter der Leitung von Mutter Leona und sechs weiteren Schwestern. Das klösterliche Internat war für die Kinder eine »Insel des Friedens".21) Große äußerliche Höhepunkte gab es in der Zeit des Bestehens bis zum 14. September 1944 nicht. Doch gerade in der Geborgenheit einer kleinen Gemeinschaft lag in dieser Kriegszeit der Wert des Internats, in dem sich das Leben auf relativ beschränktem Raum abspielte.22) Der Berg bot Raum für Ruhe und Entspannung, Spiel und Sport, Feiern und Feste, Besinnung und Religiosität -alles in schlichtem Rahmen, aber in einer freien Atmosphäre, die sich wohltuend von den gleichgeschalteten Angeboten außerhalb der Klostermauern abhob. Das Glück, "noch auf dem Berg zu sein«,23) war auch den Schülerinnen bewußt.Das kleine Internat wurde vom Staat nur geduldet, da es zur Aufstockung der Schülerinnenzahl gebraucht wurde. Schon im Mai 1941 wurde deutlich, daß es sich nur um eine Übergangslösung handeln sollte und man staatlich-erseits bereits über das weitere Schicksal von Kloster und Internat nachdachte.
Mehrere Varianten wurden dabei durchgespielt. Neben der Fortführung der staatlichen Schule und der Einrichtung eines Internats für 200 Schülerinnen betrieb die Kreisverwaltung zusätzlich den Aufbau eines Krankenhauses. Diese Kombination wurde jedoch von der Schulaufsichtsbehörde in Koblenz abgelehnt, insbesondere weil man dadurch um die Attraktivität des geplanten Internats fürchtete.24
) Von der Gauleitung der NSDAP wurden gar Überlegungen ins Spiel gebracht, das gesamte Kloster- und Schulgebäude für ein Krankenhaus zu verwenden, was eine Verlegung der Schule an einen anderen Ort bedeutet hätte. Die Schulbehörde signalisierte für diesen Fall auch bereits den Verzicht auf das von ihr geplante Schülerinnenheim.25) Der Plan eines Krankenhauses wurde von den zuständigen Medizinern verworfen, worauf er von der Kreisverwaltung nicht mehr weiter verfolgt wurde.Die Ursulinen kamen in dieser Planung offensichtlich nicht mehr vor. Lediglich ganz vage heißt es, einzelne Gebäude "sollen später einem Zweck dienen, der Schule und Internat in keiner Weise stört."26
) Um so fordernder wurde nun aber die Einrichtung eines Internates betrieben, wobei die Verhandlungen, die mit den Ursulinen geführt wurden, das Ziel hatten, »ein Kaufangebot für das ganze Objekt einschließlich der Liegenschaften zu erhalten."27) Daß der Orden seinerseits an einem Verkauf nicht interessiert war, ist selbstverständlich; wohl aber erklärte er sich - die für ihn traurige Realität akzeptierend - zum Abschluß eines Mietvertrages über sein bebautes Eigentum bereit, ausgenommen »die Kirche mit Schwesternchor, das alte Gebäude mit daran anschließendem Klosterbau und die Ökonomie.«28) Der Schulleiter Dr. Achenbach war bei dieser Planung wohl die treibende Kraft und mit der Erstellung eines Raumprogramms beauftragt; er nahm dies auch sehr ernst und trat gegenüber dem Kloster bei den notwendigen Inspektionen entsprechend auf. Die aus den mehrmaligen Besichtigungen resultierenden Bedarfsmeldungen waren jedoch graue Theorie in Anbetracht der Realität des kriegsbedingt Möglichen. Achenbach gab sich offensichtlich euphorisch, obwohl »ihm vorausgesagt wurde, sein Schülerinnenheim würde nie Wirklichkeit werden.«29)Das von ihm um Gestaltungsvorschläge gebe-tene Reichsbauamt in Koblenz fühlte sich nicht zuständig. Das angesprochene Kreisbauamt war wegen Abkommandierungen zum Kriegsdienst unterbesetzt und lehnte ab. Anschließend wurde das staatliche Hochbauamt ohne Erfolg eingeschaltet. Schließlich erging an einen Privatarchitekten der Auftrag zur Erstellung eines Kostenvoranschlags.30
) Die dabei errechnete Summe von einer halben Million Reichsmark ließ die Schulbehörde zu der Erkenntnis kommen, daß infolge dieses enormen Finanzbedarfs das Vorhaben bei den Berliner Ministerien (Erziehung und Finanzen) auf größte Schwierigkeiten stoßen würde.31) Sie lehnte daher die Beauftragung des Architekten ab und verwies zusätzlich darauf, daß wohl kaum die nötigen Baustoffe zu beschaffen seien. Der Schule wurde der Rat erteilt, die zeichnerische Bestandaufnahme und die Vorentwürfe des Architekten aufzubewahren, »um späterhin nötigenfalls auf sie zurückgreifen zu können.«32) Das war - wenn auch im verklausulierten Bürokratendeutsch - das Eingeständnis, daß man sich übernommen hatte und der Plan eines staatlichen Mädcheninternats gescheitert war. Bei der Schulbheörde in Koblenz war jedoch unvergessen, daß das Kloster im Wissen um das geplante Internat einem Lazarett 1940 zugestimmt und somit die entsprechenden Pläne schon im Keim unmöglich gemacht hatte. Sie gab daher - und das ist das letzte Schriftstück über das staatliche Internat - am 7. April 1942 die Weisung an den Schulleiter, nach Abzug des Lazaretts »die genannten Gebäude, soweit sie für das zukünftige Heim benötigt werden, für den erwähnten Zweck sicherzustellen und durch entsprechende Anordnung auf Grund des Reichsleistungsgesetzes eine anderweitige Verfügung zu verhindern.«32) Doch Dazu sollte es nicht mehr kommen.Kloster Calvarienberg mit Schule und Internat um 1940.
III. Das LazarettDie Vorboten des Lazaretts sind aus heutiger Sicht bereits in den Einquartierungen von Soldaten in der Aula ab Kriegsbeginn zu sehen. Schon im September 1939 kamen Ostpreußen, die den Polenfeldzug hinter sich hatten und sich für drei Wochen im Ahrtal erholten, um anschließend nach Westen abzuziehen.34
)Mit großem Interesse verfolgten die Schülerinnen das für sie ungewohnte Geschehen in der Aula, wo Strohlager eingerichtet waren, auf dem Küchenhof, der von einer großen Gulaschkanone beherrscht wurde, und auf dem Schulhof, wo Appelle und Aufmärsche an der Tagesordnung waren. Mit Bewunderung - für den Zeitgeist nicht untypisch - betrachteten sie das Treiben auf dem Klostergelände: "Da wurde man richtig stolz auf unsere Soldaten, wie sie in militärischer Zucht so dastanden, einheitlich und selbstbewußt, voll Willen und Beherrschung. Die Disziplin war Vorbild für uns alle, Beispiel, wie wir aufrecht und stark im Kleinen den Widerwärtigkeiten des Krieges im Alltag begegnen sollen ... So werden wir Tag um Tag durch die grauen Uniformen an die Verantwortung erinnert, die wir tragen, eine jede an ihrem Platz. Wir wollen nicht nur stehen und zusehen, sondern von diesem soldatischen Geist in uns aufnehmen, froh und bereit sein.«35
)Im November 1939 kam eine zweite Gruppe von Soldaten zur Einquartierung in die Aula. Es handelte sich diesmal um - ebenfalls schon in Polen einsgesetzte - bayrische Gebirgsjäger, die im März 1940 wieder abzogen. Schließlich waren die Aula und zwei Schulklassen ein drittes Mal von März bis Mai 1940 von ca. 240 Soldaten belegt. Die Soldaten wurden mit in die schulischen Feiern wie Nikolaus, Adventsoder Weihnachtsfeiern einbezogen; sie spielten im Schulorchester und sangen mit den Schülerinnen im Chor. Der Hauptmann einer abrückenden Kompanie sprach in einem Brief den »Schwestern für ihre Liebenswürdigkeit und ihr Entgegenkommen« seinen herzlichsten Dank aus und versicherte: »Wir haben bei Ihnen schöne Tage und Stunden erlebt und denken mit Freude an unsere Einquartierung zurück.«36
)Das Kriegsgeschehen brachte es mit sich, daß es nicht bei Einquartierungen blieb, vielmehr wurde ab April 1940 in den Räumen des Internats ein Reservelazarett für Leichtverwundete und Kranke von der Westfront eingerichtet. Äußeres Erkennungszeichen des Lazaretts wurde das Rote Kreuz, das zunächst in überdimensionalen Balken auf die Ziegeln gemalt war und später als große Fahne auf dem Dach flatterte. Nach dem Sieg über Frankreich (22. Juni 1940 Waffenstillstand) konnte das Krankenhaus nach der Genesung der letzten Verwundeten wieder geschlossen werden.
Im Winter 1940/41 stand das Lazarett leer. Das Inventar blieb auf dem Calvarienberg, medizinische Apparate und Apotheke wurden abtransportiert, die Gebäude waren aber weiterhin von der Wehrmacht beschlagnahmt, denn der Krieg zur Eroberung »neuen Lebensraumes im Osten« sollte ja erst beginnen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion (22. Juni 1941) wurde folgerichtig das zweite Reservelazarett am 1. Juli eröffnet. Binnen zweier Tage waren seit der Aufnahme der ersten Patienten alle 170 Betten mit Verwundeten aus Rußland belegt. Die Zahl der Kranken schwankte mit dem Kriegsgeschehen und schnellte gar bis auf 260. Auch schwere Eingriffe, insbesondere Amputationen nach den Erfrierungen der Gliedmaßen im Winter, waren notwendig. Neben der Wundversorgung waren während der Sommermonate vor allem Soldaten mit Lungenentzündung, Niererkrankungen, Fleckfieber usw. zu pflegen. Ca. 1 650 Kranke und Verletzte wurden in diesem zweiten Reservelazarett bis zum Sommer 1943 versorgt. Die Pflege der Kranken und Verwundeten stand unter der Leitung der Ursulinen, wobei jeweils eine Schwester einer der drei Stationen vorstand, unterstützt von einigen weiteren Ordensfrauen als Krankenpflegerinnen und Helferinnen.37
) Die meisten von ihnen hatten zuvor in Schule und Internat gewirkt und waren in entsprechenden Kursen umgeschult worden. Auch in Küche und Speisesaal, Waschküche und Bügelzimmer wirkten weiterhin die Schwestern. Hinzu kamen Sanitäter, die von der Militärverwaltung geschickt worden waren. Die pflegerische Leitung lag zunächst in den Händen von Mutter Petra Canisia, ab Mai 1943 von Muter Hedwig und in den letzten Monaten von Mutter Isentrud. Die nicht mehr bettlägrigen Patienten halfen bereitwillig zur Ablenkung von Krankenhausalltag und Kriegserinnerungen in allen Bereichen des Klosters mit, so in Bügelzimmer, Speisesaal, Spülküche, Garten, Schreinerei usw. Sie betätigten sich als Ministranten und sangen im Kirchenchor, bis dies durch das Oberkommando der Wehrmacht verboten wurde. Mehrmals erfreuten Schülerinnen des kleinen Internats die Soldaten mit Konzerten, Theateraufführungen und Spielen; auch übten die Schwestern mit den Soldaten Theaterstücke ein, die diese dann den übrigen vorspielten. Gemeinsam mit den Patienten wurden die hohen Festtage des Kirchenjahres und des Ordens begangen. Wie zur Zeit der Einquartierung zu Beginn des Krieges hatten die Schwestern zu den Soldaten ein sehr persönliches, ja herzliches Verhältnis. Davon zeugen Dutzende von Dankschreiben, die Soldaten von zuhause oder auch von der Front nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus an den Calvarienberg schickten. Nur stellvertretend sei hier aus drei Briefen zitiert: »Wenn nur jeder deutsche Soldat die Pflege und Betreuung hätte, wie sie uns auf dem Calvarienberg zuteil wurde ... Ein jeder der dort war, hat Kameradschaft in überreichem Maße genossen ohne Unterschied von Stand und Konfession.38) Ein anderer Soldat dankt "für alles Liebe und Gute, was ich die 15 Monate im Lazarett habe erleben dürfen. Gott möge es Ihnen allen tausendmal vergelten und Seine Hand über sie halten.« 39) Ein dritter schließlich wähnte sich nach den Erlebnissen an der Front auf »Urlaub im Paradies.«40) Bis heute besteht zwischen einigen Soldaten und Schwestern ein Briefwechsel, besuchen ehemalige Patienten den Calvarienberg.Im Sommer 1943 war das Haus nur noch mit 30 Soldaten belegt; die Front lag weit im Osten (2. Februar 1943 Niederlage von Stalingrad), was den Rücktransport Verletzter erheblich erschwerte. Im Herbst wurde es daher in ein Malaria-Lazarett für den ganzen westdeutschen Raum umgewandelt, in dem insgesamt wiederum ca. 1 500 Patienten versorgt wurden. Am 14. September 1944, zum gleichen Zeitpunkt als Schule und Internat schlössen, stellte auch das Lazarett seinen Betrieb ein und wurde nach Linz verlegt. Der Grund dafür lag in der Landung der Alliierten in der Normandie (6. Juni 1944) und dem Vorrücken der Front aus Richtung Westen auf den Rhein zu. Das erwartete Kampfgeschehen machte die Einrichtung eines Kriegslazaretts erforderlich.
In der kurzen Zwischenzeit war das Lazarettgebäude belegt mit 50 Obdachlosen, die nach Fliegerangriffen auf Bachern und Walporzheim ihre Wohnungen verloren hatten; hinzu kamen 40 »Arbeitsmaiden«, die in Walporzheim arbeiteten. In der Aula wurden 70 Pioniere einquartiert zur Reparatur der strategisch wichtigen Eisenbahnbrücken, und schließlich zogen 120 Mann einer SS-Einheit in das Schulhaus ein. Sie alle mußten am 15. Dezember dem Kriegslazarett weichen, das am 3. Januar 1945 der SS unterstellt wurde.
Der ganze Berg galt als beschlagnahmt. Im ehemaligen Internat, d. h. jetzigen Lazarettgebäude, Schulhaus und Teilen des Klosters wurde ein Kriegslazarett für 1 000 Mann geschaffen. 40 Ärzte, 35 Rot-Kreuz-Schwestern und Begleitpersonal rückten an. 20 - 30 Ursulinen kamen hinzu, die aber jetzt nicht mehr zur Pflege zugelassen, sondern nur noch zu Nachtwachen, Essensausteilung, Putzen und Ordnen eingesetzt wurden. Insgesamt fanden ca. 2 000 Soldaten in dem Lazarett Aufnahme. Schwere Operationen wurden ausgeführt, oft bei Kerzenschein (70 Kerzen pro Nacht), wenn der Strom ausgefallen war; täglich starben ungezählte Schwerverwundete, die in der Nacht in schwarzen Totenkisten auf den Hof getragen wurden; später waren es nur noch Papiersäcke.
Qualvolle Enge herrschte in den dem Kloster verbliebenen Räumen; 340 Bewohner, davon ca. 270 Schwestern, die im Mutterhaus aus den geräumten oder bereits besetzten Gebieten bzw. zerstörten Niederlassungen eingetroffen waren, teilten sich nur wenige Räume und Säle. »Flieger, Frost und Finsternis«, so kennzeichnet eine Schwester das Weihnachtsfest 1944. Die Versorgung der bald 1 500 Bergbewohner wurde immer schwieriger. Die schweren Angriffe auf Ahrweiler an Weihnachten 1944 hatte der Calvarienberg heil überstanden. Am 3. Februar 1945 gingen ca. 3 000 Scheiben zu Bruch durch die Detonation einer Bombe in der Nähe von Schul- und Musikhaus, und einen Tag später brannten Dachstuhl und Obergeschoß des Musikhauses wahrscheinlich durch den Abwurf von Phosphorbomben; ein Übergreifen auf die übrigen Gebäude konnte durch Eimerketten von Lazarett-Soldaten und Schwestern verhindert werden. Wegen der näher rückenden Front begann die Militärverwaltung Mitte Februar 1945, das Lazarett abzutransportieren. Am 7. März zogen die Amerikaner in Ahrweiler ein und überzeugten sich durch eine Inspektion, daß vom Kloster keine militärische Gefahr ausging.
Bittere Not herrschte auf dem Calvarienberg. Es fehlte an allem, und trotzdem notierte eine Schwester im Kloster am letzten Tag des Jahres 1944: Aber »am meisten fehlen dem Calvarienberg die Kinder. Gebe Gott, daß wir im Jahre 1945 unsere liebe Berg-Jugend wieder hier begrüßen dürfen in einer friedlicheren Zeit.«42
) Ihr Wunsch sollte in Erfüllung gehen: Schon am 1. Oktober 1945 begann mit 340 Schülerinnen wieder der Unterricht! AnmerkungenProtokollbuch der Ahrbergschule; in ihm sind alle Konferenzprotokolle der Schule vom 3. April 1940 bis zur letzten Konferenz des Kollegiums am 18. September 1944 festgehalten; hier S. 1.
ebenda. S. 2
Bericht über das Schuljahr 11940/41 vom Leiter der Ahrbergschule Oberstudiendirektor Dr. Achenbach. S, 17 (Berichte über die weiteren Schuljahre liegen nicht vor). In einer Konferenz am 21. Februar 1941 sprach der Schulleiter "die Erwartung aus, daß die Mitglieder des Kollegiums, die noch nicht Parteimitglied sind, den entsprechenden Antrag stellen«. Prokollbuch S. 31
Konferenz vom 10. April 1940 Protokollbuch S- 6; 3. Dezember 1941, S. 58; 6. Februar 1942. S, 63: 10. März 1942, S. 67
Konferenz vom 29. September 1943, Protokollbuch S. 100
Schreiben der Geheimen Polizei Koblenz an die Generaloberin der Ursulinen, 10, September 1940. Abschrift In: Berichte aus den Filialen 1940-45 Marienberg, Boppard.
Aufzeichnungen Mutter Leona
Entsprechende Verfügung des Oberpräsidenten, Konferenz vom 19. Juni 1941, Protokollbuch S. 43
Bekanntgabe einer Besprechung zwischen dem Schulleiter und der Schulbehörde in der Konferenz vom 7. Januar 1941, Prolokollbuch S. 28
ebenda
Bericht über das Schuljahr 1940/41. S. 21
Konferenz vom 16. April 1942, Protokollbuch S. 70
Konferenz vom 30. Juli 1943, Protokollbuch S. 97
Noch im Oktober 1941 bat die Ahrbergschule die Schule der Franziskanerinnen auf Nonnenwerth. die zu Weihnachten 1941 schließen mußte, um Auskunft über den dadurch erwarteten Zuwachs. Dr. Achenbach begehrte vorsorgliche Auskunft, da »damit gerechnet werden müsse, daß eine erhebliche Zahl von Schülerinnen . . , auf die hiesige Ahrbergschule" übergehen würde. Doch in ihrem Antwortschreiben sprach die noch amtierende Schulleiterin Schwester Vinciana von »drei Fahrschülerinnen, die vielleicht für den Übergang auf die Ahrbergschule in Frage kommen," (Entsprechender Briefwechsel in Akte: Geschichte der Anstalt)
Aufzeichnungen Mutter Leona
Schreiben an den Landrat des Kreises Ahrweiler. 18. Februar 1940
ebenda
ebenda
Quellen
Kloster- und Schularchiv des Calvarienbergs:
Akte Schließung der Schule 1939/40 Akte Die Geschichte der Anstalt Aufzeichnungen von
Mutter Leona (maschinenschriftlich) Bericht über das Schuljahr 1940/41 von
Oberstudiendirektor Dr. Achenbach (maschinenschriftlich) Echo vom Berge, Dez. 1939, Juni
1940 Monatsberichte vom Calvarienberg 1940-1951 (maschinenschriftlich)
Protokollbuch der Konferenzen der Ahrbergschule (handschriftlich) Mündliche Auskünfte
von Schwestern des ehemaligen Lazaretts und Internats und von ehemaligen Lehrkräften und
Schülerinnen der Ahrbergschule