Für die ehem. Synagogengemeinde erfüllte sich ein langjähriger Wunsch
Hans Kleinpass
Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die Juden in Sinzig gezwungen, ihre Gottesdienste in gemieteten Räumen abzuhalten, weil der langjährig gehegte Wunsch nach einer eigenen Synagoge sich bis dahin nicht hatte verwirklichen lassen. Zwangsläufig war damit auch ein gelegentlicher Wechsel der Räumlichkeiten für den Gottesdienst verbunden. Bereits im 13. Jahrhundert werden in den alten Urkunden Sinziger Juden erwähnt, und schon damals ist von einer Synagoge in Sinzig die Rede. Leider sind jedoch die Quellen nicht so reichhaltig, daß wir uns über die Jahrhunderte hinweg ein lückenloses Bild der ehemaligen Synagogengemeinde Sinzig machen könnten. Erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erfahren wir aus den überlieferten Akten die genaueren Standorte der Sinziger Synagogen, und die zeitgenössischen Berichte lassen in etwa erkennen, mit welchen Sorgen und Problemen die jüdischen Mitbürger in Sinzig bei der Beschaffung geeigneter Räumlichkeiten für den jüdischen Gottesdienst zu kämpfen hatten1).
Am 27. September 1842 vermerkte der Sinziger Bürgermeister Peter Joseph Giersberg in den Akten 2), die israelitische Gemeinde wünsche u. a. die Verlegung der Synagoge in ein anderes Lokal, weil das jetzige ». . . . sehr mangelhaft und der Würde einer kirchlichen Versammlung nicht entsprechend« sei. Das vorgeschlagene neue Lokal lasse zwar auch noch ein wenig zu wünschen übrig, sei aber jedenfalls das beste, was in einem israelitischen Hause dafür zu haben sei. Nach einem Bericht, den Bürgermeister Giersberg am 19. Juli 1843 an die Regierung in Koblenz schickte, wohnten 1843 in der Bürgermeisterei Sinzig insgesamt 71 Juden, davon 55 in der Stadt Sinzig selbst, vier in Löhndorf und zwölf in Westum. Für die gottesdienstlichen Versammlungen in Sinzig benutzten die Juden damals ein gemietetes Lokal, die sogenannte Judenschule.
Im Januar 1847 wurde der Jude Leo Hartmann auf das Bürgermeisteramt in Sinzig vorgeladen und dort am 18. Januar 1847 vernommen, weil er » ... seit einiger Zeit Privat-Andachts-Übungen« in seinem Hause abgehalten und außer seiner Familie wohl auch noch andere Juden daran hatte teilnehmen lassen.
Er sei ein alter Mann von 74 Jahren, so erklärte der Befragte, und könne "... den gewöhnlichen religiösen Versammlungsort der hiesigen Juden nicht mehr besuchen«. Die Regierung in Koblenz verfügte jedoch am 1. April 1847, "... das Privat-Bethaus des Juden Leo Hartmann zu Sinzig betreffend . . . , dem Hartmann die fernere Veranstaltung von Religionsübungen unter Zuziehung fremder Juden bei Vermeidung einer Strafe von 10 Rthl. untersagen zu lassen«. Hartmann starb 1847, aber die von ihm ohne staatliche Genehmigung eingerichtete Privatsynagoge scheint trotzdem weiterhin bestanden zu haben. Erst auf nochmaligen Antrag des Oberrabbiners in Bonn wurde dieses Privatbethaus 1856 durch den Sinziger Bürgermeister geschlossen. Sein Alter hatte Hartmann nur vorgeschoben, denn in Wirklichkeit hatte es Differenzen innerhalb der jüdischen Gemeinde gegeben, die Hartmann zur Trennung von der Gemeinde veranlaßt hatten. Seine Witwe Zebora Feist und deren Söhne verweigerten später einen Beitrag zu den jüdischen Kultuskosten.
Anzeige in der Bonner Zeitung vom 7. September 1867.
Der seit 1850 amtierende Vorsteher der Synagogengemeinde Sinzig, Joseph Hirsch, teilte am 14. März 1855 dem Sinziger Bürgermeister Johann Heinrich Reiff mit, der öffentliche Gottesdienst der israelitischen Gemeinde in Sinzig werde ab Freitag, 16. März 1855, in dem von sei aber auch bereit, zu mäßigem Preis zu Herrn Stang an der Ausdorfer Straße Nr. 56 1/2 vermieten oder zu verkaufen. In dem Gebäude neu erbauten Hause abgehalten. Die gemieteten Räume im Hause des Herrn Stang an der Ausdorfer Straße waren wohl nur kurze Zeite dem jüdischen Gottesdienst gewidmet. In einem Bericht des Sinziger Bürgermeisters Reiff vom 28. Juli 1856 heißt es ein gutes Jahr später, der Synagogenverband Sinzig besitze keine eigene Synagoge. Der Kaufmann Leo Hirsch habe jedoch ein ihm gehörendes Haus, die "Burg" genannt, zu einer Synagoge einrichten lassen, die allen Anforderungen entspreche. Diesselbe fasse 40 Personen, habe für die Frauen eine Empore, und der bauliche Zustand sei ganz befriedigend. Leo Hirsch habe die Räume bisher unentgeltlich bereitgestellt, sei aber auch bereit, zu mäßigem Preis zu vermieten oder zu verkaufen. In dem Gebäude sei auch ein Schullokal für etwa 30 Kinder eingerichtet. Die alte "Burg", um 1825 von der Stadt Sinzig erworben, hatte etwa ein Jahrzehnt auch das Bürgermeisteramt und die Volksschule beherbergt, bis 1835-36 am Kirchplatz ein neues "Stadt- und Schulhaus" errichtet wurde. Im Dezember 1834 hatte die Stadt sich für den teilweisen Verkauf der alten "Burg" entschieden. In der recht aufschlußreichen Begründung hieß es seinerzeit, der bauliche Zustand der "Burg" sei sehr schlecht, die Zimmer seien teilweise sehr feucht und ungesund, im früheren Bürgermeisterei-Dienstlokal sei der Aufenthalt wegen Feuchtigkeit und üblichen Geruchs fast ganz unmöglich, die gesamte Einrichtung sei schlecht und das Dachwerk nicht in Ordnung, zudem liege das Haus ganz am südlichen Ende der Stadt, in der Tiefe, an der Stadtmauer3). Im Mittelteil der alten »Burg« hatten demnach die Sinziger Juden ab 1856 ihren wohl mehr notdürftig hergerichteten Synagogenraum und zahlten nach wie vor Miete für ihr Gotteshaus. Auch die staatlichen Behörden sahen alsbald ein, daß die Juden in Sinzig bessere Räumlichkeiten für den Gottesdienst brauchten. 1862 wurde vom Oberpräsidenten der Rheinprovinz "... für den Bau einer Synagoge zu Sinzig eine Hauskollekte bei den jüdischen Glaubensgenossen der Rheinprovinz bewilligt, welche bis zum 1. April 1863 durch Deputirte abgehalten werden« sollte. Die zuständigen Behörden waren angewiesen, "den sich meldenden gehörig legitimirten Deputirten die etwa nöthige Beihilfe zu leisten«4)Der israelitische Gemeindevorsteher Hermann Hirsch schrieb am 7. März 1865 an den Sinziger Bürgermeister Theodor Wenner, die israelitische Gemeinde habe durch ihn ein Gebäude zur Herrichtung einer Synagoge ankaufen lassen, wozu sie bisher». , . ein ihr nicht zugehöriges Local miethweise benutzt« habe. Außerdem solle ein Schullokal mit Lehrerwohnung hergerichtet werden. Reparaturen und Einrichtung würden einschließlich des Kaufpreises etwa 1 500 Taler kosten, und man stelle "die ganz ergebene Bitte, . . . aus Communal-Mitteln einen Zuschuß« zu erwirken. Der Vorsteher Hermann Hirsch legte 1865 sein Amt wegen Übersiedlung nach Linz nieder. Sein Nachfolger, Isaac Hirsch, wandte sich erneut mit der Bitte um finanzielle Hilfe an die Stadt Sinzig und schrieb am 13. November 1866 an Bürgermeister Wenner: »Euer Wohlgeboren ist es hinreichend bekannt, in welchem traurigen und verfallenen Zustand unser hiesiges Synagogen-Gebäude sich befindet. Durch Verfügung vom 10ten September c. haben Euer Wohlgeboren in der Eigenschaft als Polizey-Behörde die dringend vorzunehmende Reparatur dieses Gebäudes unter der Verwarnung mit Frist von 14 Tagen anbefohlen, als sonst dasselbe auf polizeylichem Wege geschlossen werden soll«. Es handelte sich hierbei um den 1865 von der Synagogengemeinde Sinzig erworbenen Mittelteil der alten »Burg«, der bis in die 30er Jahre als Synagoge gedient hat.
Die seinerzeit erforderlichen Bauarbeiten waren im Oktober 1866 von der jüdischen Gemeinde nach öffentlicher "Vergantung« für insgesamt 974 Taler in Auftrag gegeben worden. Man wollte ein verzinsliches Kapital aufnehmen und bat deshalb erneut um eine Beihilfe des Stadtrates, der dann schließlich wohl 50 Taler bewilligte. Am 14. Mai 1867 schrieb Isaac Hirsch an Bürgermeister Wenner, der Neubau der Synagoge sei bereits seit vier Wochen in Angriff genommen und die »Baukasse fast ganz erschöpft«. Vorsteher Hirsch bat, die von Sinzig, Westum und Löhndorf bewilligten Beiträge von 50, 15 und 10 Talern an den israelitischen Gemeindeempfänger Joseph Hirsch auszuzahlen. Außerdem bat er um eine Bescheinigung, daß der Bau begonnen sei, weil die Gemeinde Bodendorf gegen Vorlage dieser Bescheinigung 12 Taler zum Synagogenbau in Sinzig bewilligt habe. Während der verschiedenen Bauarbeiten war die Synagoge im Mittelteil der alten »Burg« demnach ab April 1867 für rund fünf Monate nicht benutzbar. Weder aus den Akten noch aus anderen zeitgenössischen Berichten geht hervor, wo die Sinziger Juden während dieser Monate ihren Gottesdienst abgehalten haben.
Im September 1867 waren die Bauarbeiten in der Sinziger Synagoge dann endlich beendet. Bereits am 7. September 1867 wurde im Anzeigenteil der Bonner Zeitung auf die bevorstehende Synagogen-Einweihung in Sinzig hingewiesen, und am Donnerstag, 12. September 1867, hieß es in der Ahrweiler Zeitung (Nr. 84):
»Sinzig. Zur Feier der Einweihung der neuen Synagoge hierselbst findet am 13., Nachmittags 4 Uhr Festzug zu derselben durch die festlich geschmückte Stadt, Samstag Abend 8 Uhr Ball, Sonntag Nachmittag Concert und Abends 8 Uhr Festball statt«.
Einige Tage später war dann am Dienstag, 17. September 1867 in der Ahrweiler Zeitung (Nr. 86) zu lesen: »Sinzig, 13. Sept. Die heutige israelit. Festfeier der Weihe der neuen Synagoge und Uebertragung der Gesetzesrollen war sehr zahlreich selbst von weit entfernten Israel. Glaubensgenossen besucht. Nicht nur, daß die christlichen Mitbürger das Fest verherrlichten, auch die katholische Geistlichkeit von hier und Niederbreisig und Westum nahm am Festzuge Theil«.
Wie sehr aber die ganze Stadt Sinzig seinerzeit an diesen Ereignissen Anteil nahm, das geht schließlich aus dem ausführlichen Bericht hervor, der am Samstag, 21. September 1867, wie folgt in der Ahrweiler Zeitung (Nr. 88) veröffentlicht wurde:
»Sinzig. Die Einweihung der jüdischen Synagoge zu Sinzig, welche am 13. d. M. durch den Rabbiner Dr. Ben Israel von Koblenz in der erhabensten und würdigsten Weise vollzogen wurde, war in Verbindung mit den weltlichen Festivitäten eine Feier, wie eine solche noch nie in den Mauern Sinzig's begangen worden ist. - Um 4 Uhr Nachmittags versammelte sich die Gemeinde in der alten Synagoge, und nachdem der eigends zu dieser Feier berufene ausgezeichnete Cantor Herr Wallenstein von Crefeld mit der Gemeinde einen Psalm recitirt hatte, hielt der Herr Rabbiner eine ergreifende Abschiedsrede, welche die Anwesenden zu Thränen rührte, öffnete dann die h. Lade und übergab die Tora-Rollen den zu deren Empfang designirten Personen. Die Gemeinde verließ nun die alte Synagoge und es ordnete sich folgender Zug: Voran Knaben und Mädchen mit Fahnen, das Musik-Corps, die Mitglieder des Comite's, die Trägerin des Schlüssels, von zwei Mädchen begleitet, die Träger der Tora-Rollen und der Herr Rabbiner nebst Herrn Cantor unter einem schönen blauen Traghimmel, dann der Herr Bürgermeister Wenner mit dem Gemeindevorstande nebst einer unübersehbaren Menge jüdischer und christlicher Festtheil-nehmer. Der Zug bewegte sich nun durch das mit Maien, Guirlanden und Fahnen festlich geschmückte Sinzig zur neuen Synagoge. An der neuen Synagoge angekommen, überreichte die Schlüsselträgerin unter passenden Worten den Schlüssel derselben dem Herrn Bürgermeister, welcher dann in schöner Ansprache der jüdischen Gemeinde Glück zu dem neuen Gotteshause wünschte und zur fortdauernden Friedlichkeit und gegenseitiger Toleranz, welche heute sich so glänzend bewiesen, ermahnte und die Synagoge dann öffnete. Die Versammlung trat ein, und nachdem der Herr Rabbiner die Feier mit einem Gebet eröffnet, begann der Gesang abwechselnd zwischen dem Cantor und dem eigens zu dieser Feier eingeübten israelitischen Chore, in hebräischen und deutschen Liedern unter der Direktion des Lehrers Herrn Zimmermann von Sinzig mit Musikbegleitung der berühmten Bach'sehen Capelle aus Bonn. Der Herr Rabbiner hielt nun eine meisterhafte, mit fließender Diktion gesprochene Einweihungsrede, welchen Worten die Anwesenden mit großer Ruhe und Erbauung lauschten, und trotzdem die Hitze in dem überfüllten Räume drückend war und die Feier bis nach sieben Uhr währte, wich keiner der Anwesenden von der Stelle. Am Abende desselben Tages war Sinzig wieder sehr belebt durch die Serenaden, welche die Bach'sche Capelle dem Herrn Rabbiner, dem Herrn Bürgermeister Wenner und dem Herrn Pastor Stumpf brachten. -
Mittag des folgenden Tages gab der Vorsteher HerrJ. Hirsch dem Herrn Rabbiner, Bürgermeister und sonstigen Honoratioren ein Festessen bei Gastwirth Herrn Büntgen. Ein Conzert und zwei starkbesuchte Bälle in dem neuerbauten großen Zelte, worin Herr Gastwirth Deutsch eine ausgezeichnete Restauration unterhielt, beschloß diese Feierlichkeiten, welche noch lange im Gedächtniß der Festgenossen fortleben werden und Zeugniß unserer fortgeschrittenen Bildung und Toleranz in so glänzender Weise gegeben hat".
Gut einen Monat später wurde Bürgermeister Wenner am 20. Oktober 1867 um einen weiteren Zuschuß gebeten, da die Synagogengemeinde Sinzig« . . . wegen Zahlung der Handwerksleute in Verlegenheit« war. Die Stadt Sinzig zahlte jedoch damals keinen weiteren Baukostenzuschuß. Im darauffolgenden Jahr lud ein »Comite« anläßlich des Jahrestages der Sinziger Synagogen-Einweihung für Sonntag, den 30. August 1868, zu einem Großen Festball in den damals neuerbauten Saal des Herrn P. J. Clasen ein.
Bericht im General-Anzeiger (Bonn) vom 20. 11. 1951. Bericht im General-Anzeiger (Bonn) vom 21. 12. 1951. Nach der sogenannten »Reichskristallnacht" am 9. November 1938 wurden auch in Sinzig jüdische Geschäfte zerstört. Die Sinziger Synagoge in der alten »Burg« entging seinerzeit nur deswegen der Brandstiftung, weil sie an einem städtischen Gebäude lag. Die gesamte Einrichtung der Synagoge wurde jedoch im Zuge der damals von Berlin aus zentral gesteuerten Maßnahmen am 10. November 1938 zerstört. Der Hauptteil der alten »Burg« - später in städtischem Besitz - wurde leider mitsamt der ehemaligen Sinziger Synagoge 1965 abgerissen, das Gelände als Parkplatz hergerichtet.Anmerkungen: