Zum 50. Todestag des Baumeisters und Architekten
Michael Schmitz
»Ein Denkmal habe ich errichtet, dauerhafter als Erz«, wie wenig dieses Zitat des römischen Dichters Horaz auf die steinernen Zeugen vorangegangener Epochen zutrifft, dürfte jedem klar sein, der sich mit Architektur beschäftigt. Wenn wir uns dennoch ihrer Baumeister erinnern. dann deshalb, weil deren Bauten wirklich die Zeiten überdauert haben oder weil ihre baulichen Prinzipien auch uns Heutigen noch etwas zu sagen haben. Beides trifft auf den Baumeister und Architekten Caspar Clemens Pickel zu, dessen Todestag sich am 7. November d. J. zum 50. Mal jährt.
Pickel wurde am 8. 4. 1847 als Sohn eines Kottenheimer Basaltgrubenbesitzers geboren und trat nach Schulbesuch und Studium in Koblenz und Berlin 1867 in das Düsseldorfer Architektenbüro von August Rincklage ein, das er 1883/84 übernahm. Pickels Hauptschaffensphase erstreckt sich auf die Jahre 1874 bis 1914/15, also die Zeit der Gründerjahre und des wilhelminischen Historismus zwischen der Reichsgründung 1870/71 und dem 1. Weltkrieg. In diesen Jahren schuf er ein 103 Objekte umfassendes Werk, dessen Schwerpunkt neben öffentlichen, besonders im Bereich der sozialen Fürsorge angesiedelten, Bauten vor allem auf dem Gebiet des Sakralbaus lag, der allein ca. 60 Kirchen und Klöster ausmacht. Pickel erfreute sich des Rufs als eines der fähigsten Baumeister seiner Zeit, dessen Bekanntheit weit über die Rheinlande und Westfalen hinaus bis nach Berlin reichte. Für sein Werk wurden ihm zahlreiche Ehrungen zuteil; so erhielt er 1898 vom Papst den Orden des Hl. Silvester, 1903 den Preußischen Kronenorden und wenige Jahre später den Roten Adlerorden. Seine Heimatgemeinde Kottenheim verlieh ihm die Ehrenbürgerwürde und in Adenau, wo er die Marienkapelle erbaut hatte, wurde eine Straße nach ihm benannt.
Mit dem Untergang der alten Gesellschaftsordnung nach dem 1. Weltkrieg endet auch Pikkels eigentliches Schaffen. Zu den allgemeinen Umwälzungen kamen persönliche Rückschläge und ein körperliches Leiden, die aus dem einst gefeierten Baumeister einen zurückgezogenen alten Mann machten. Auch war der Historismus in seiner Spätphase, der auch Pickel angehört, nicht mehr fähig, Grundlage für ein neues Stilempfinden zu sein: Bauhaus und neue Sachlichkeit bedeuteten eine radikale Abwendung vom bisher Gültigen. Bis zu seinem Tod am 7. 11. 1939 lebte Pickel im Hause seines Sohnes in Düsseldorf: seine geistige Regsamkeit hatte sich der 92jährige bis zum Schluß bewahrt.
Pickels Formenrepertoire lehnt sich an Vorbilder der Romanik, vor allem des sog. Rheinischen Übergangsstiles, und der Gotik, besonders der Backsteingotik niederländischer Prägung, an. Bei allen seinen Bauten fällt der sorgsame Umgang mit dem Material Stein auf; sei es in der Mischung unterschiedlicher Gesteinsarten an einem Bauwerk, sei es in der sorgfältigen Ausgestaltung der plastischen Bauzier; alles Merkmale, die den Eifeler Grubenbesitzerssohn durchscheinen lassen.
Für Remagen, Kripp eingeschlossen, verwirklichte Pickel 4 Projekte, die zeigen, daß er es nicht nur verstand, Neues zu produzieren, sondern auch Alt und Neu harmonisch zu verbinden: den Um- und Erweiterungsbau der Pfarrkirche St. Peter und Paul (1900-04), den Neubau der Pfarrkirche in Kripp (1900-03), die Erweiterung des 1865 von J. H. Gossert begonnenen St. Anna-Klosters (1904-06) und den Bau des Krankenhauses »Maria Stern« (1904-06). Von diesen Bauten sind die Kirchen fast vollständig, vom Anna-Kloster ein Seitenflügel und die Kapelle erhalten. Im Gebiet des Kreises Ahrweiler befinden bzw. befanden sich eine ganze Reihe Pickelscher Bauten: neben den genannten in Remagen und Kripp sind es die Marienkapelle in Adenau (1895), die Pfarrkirche in Brohl (Rhein) (1890), die Kapelle in Dedenbach (1885), die Pfarrkirche in Kirch-daun (1909) und die Pfarrkirche in Ringen (1896).
Das zeitlich erste Remagener Bauwerk Pickels war die Erweiterung der Pfarrkirche St. Peter und Paul, deren Planung bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zurückreicht, als sich die alte Kirche für die wachsende Bevölkerung als zu klein erwies. Den Forderungen der Provin-zialdenkmalbehörde unter P. Clemen gemäß. mußte die alte Kirche mit ihrem spätromanischen Chor und dem barocken Westturm erhalten bleiben. Pläne im Pfarrarchiv zeigen, wie viele verschiedene Lösungen Pickel erarbeitete.
Die Grundsteinlegung erfolgte am 30. 9. 1900 durch den Trierer Bischof M. F. Korum, der sich persönlich für die Errichtung der Kirche im neuromanischen Stil ausgesprochen hatte, und schon ab 1902 konnte Gottesdienst im Neubau gehalten werden. Die feierliche Konsekration erfolgte am 6, 7. 1903, doch wurde noch mehrere Jahre an Bau und Ausstattung gearbeitet. Der ausgeführte Bau. der das Mittelschiff der alten Kirche als Vorhalle mit einbezieht, stellt sich dem Betrachter als mächtige, dreischiffige Säulenbasilika mit Querhaus, polygonal geschlossenem Chor und Nebenchören dar, die durch den mächtigen Vierungsturm und die Chorflankentürme kraftvoll akzentuiert wird. In die Bausubstanz der alten Kirche griff Pickel durch den Abbruch der Seitenschiffe (anstelle des nördlichen der Erweiterungsbau) ein, fügte aber den Treppenturm am südlichen Choraufleger an und erneuerte das Mittelschiffgewölbe. Ebenfalls von Pickel stammt die Gestaltung der Kirchenumgebung mit ihren stimmungsvollen Plätzen, der erneuerten Ummauerung und dem neu aufgestellten romanischen Pfarrhoftor.
Pfarrkirche St. Peter und Paul. Remagen.
Die Kirche wurde im 2. Weltkrieg beschädigt, was zum Verlust der Wandmalereien und Fenster führte: weitere Teile der von bedeutenden Künstlern und Werkstätten geschaffenen Ausstattung wurden bei der liturgischen Umgestaltung nach dem 2. Vatikanum Ende der 60iger Jahre entfernt. Im Innenraum sei vor allem auf die sog. »hängenden Schlußsteine« in den Querhäusern bzw. dem Vorchorjoch und die 4 monolithen Granitsäulen mit ihren reich gearbeiteten. manchmal auf der Grenze zum Jugendstil stehenden. Kapitellen hingewiesen. Die erhaltenen Teile der Ausstattung, Seitenaltäre, die von Pickel entworfene Kreuzigungsgruppe, Beichtstühle, vor allem aber der ebenfalls von Pickels Hand stammende Hochaltar aus Carraramarmor mit Mosaiken der Venediger Salviatti Werkstatt, zeigen, daß der Historismus durchaus qualität- wie gehaltvolle Leistungen hervorzubringen vermochte.
Die Kripper Pfarrkirche St. Johannes Nepomuk kann man mit Recht zu Pickels "Remagener Bauten« zählen, gehörte der Ort doch schon damals zur Stadt und die Kirche war bis 1918 Filiale von St. Peter und Paul. Wie in Remagen war auch in Kripp die wachsende Seelenzahl Grund für den Neubau, den man dem an der »Mutterpfarrkirche« arbeitenden Pickel antrug. Am 16. 9. 1900 wurde der Grundstein für die Kirche gelegt, die in zwei Abschnitten errichtet werden sollte. Die Weihe des ersten Bauabschnitts erfolgte am 6. 2. 1902, die feierliche Konsekration am 7. 7. 1903. Zur Ausführung des 2. Bauabschnittes kam es nicht, so daß St. Johannes ein Torso blieb.
Die Kirche ist ein zweischiffiger Hallenraum mit eingezogenem Chor in den Formen der späten Gotik, der die Grundrißform der gotischen Eife-ler Einstützenräume aufgreift und bei verhältnismäßig kleinem Grundriß optimale Platzausnutzung und somit vielen Gläubigen Raum bietet. Akzentuiert wird die Kirche durch den Glockenturm an der Chornordseite mit seinem steilen Dach; es ist anzunehmen, daß Pickel an eine repräsentative Fassadengestaltung gedacht hatte, doch haben sich diesbezüglich keinerlei Pläne erhalten. Durch die nicht ausgeführte Erweiterung hätte die Kirche bis zur Straße gereicht. Im Innern bietet der Raum mit seinen reichen Gewölbeformen und der in weiten Teilen erhaltenen Ausstattung, vor allem dem ebenfalls auf einen Entwurf Pickels zurückgehenden, leider verstümmelten. Hochaltar, ein gutes Beispiel für einen dörflichen Kirchenbau des Historismus.
Die Kripper Pfarrkirche St. Johannes Nepomuk.
Am 19. 3. 1865 erfolgte auf dem Gelände des alten Deutzer Fronhofs an der heutigen Marktstraße die Grundsteinlegung für das »St. Anna-Kloster«, das in den folgenden Jahren als Haushaltungsschule und Pensionat nach Plänen von J. H. Gossert entstand. In den Jahren 1904 - 06 erweiterte Pickel den Bau entlang der Marktstraße und fügte vor allem die noch erhaltene Kapelle an, die an dem Platz steht, der auch schon in der Gossertschen Planung für ein Gotteshaus vorgesehen war. 1977 wurde der größte Teil der Gebäude, mit Ausnahme der Kapelle und des Flügels Marktstraße/Ecke Fährgasse, paradoxerweise also der Pickeischen Bauteile, abgebrochen.Der Bau war ein beredtes Beispiel dafür, wie selbstverständlich es der Historismus verstand, Anstalten, die aus dem Geist seiner Zeit, vor allem dem veränderten Sozialverständnis, geboren waren, die Form mittelalterlicher Klöster und Spitäler zu geben. Die Kirche, wie in Kripp eine Halle mit mittleren Stützen, aus Backstein mit Tuffgliederungen errichtet, ist besonders bemerkenswert durch das doppelte Querhaus, eine reine Erfindung des 19. Jahrhunderts, für die es keine mittelalterlichen Vorbilder gibt. Im Innern wurde die Kirche 1953 und 1963 umgestaltet, so daß von der ursprünglichen Ausstattung keine Reste mehr vorhanden sind. In dem noch stehenden Flügel befinden sich heute ein Altenheim der Franziskanerinnen von Nonnenwerth sowie ein Kindergarten. Die Erhaltung der mittlerweile desolaten Kapelle ist sowohl aus städtebaulicher Sicht, wie als Beleg für Pickels reiche Tätigkeit in Remagen unbedingt wünschenswert und notwendig!
Ebenfalls in die Jahre 1904 - 06 fällt die Errichtung des alten Remagener Krankenhauses »Maria Stern«. Das Haus geht zurück auf eine Stiftung des Remagener Arztes Dr. Harling und seiner Ehefrau und wich erst 1963 einem Neubau.
Auch bei diesem Bau fällt die Anlehnung an mittelalterliche Vorbilder auf, die der Anlage das Aussehen eines Hospizes gab, hinter dessen Fassade sich ein den Anforderungen der damaligen Zeit gemäßes Krankenhaus verbarg. Bemerkenswert an diesem Bau war vor allem die Anordnung der Kapelle mit Chorerker im 1. Stock.
Die in den letzten Jahren einsetzende Neubewertung der Kunst des 19. Jahrhunderts sollte mehr und mehr zum Bewußtsein bringen, daß die bisher als bloße Plagiate und "Schreinergotik" empfundenen Werke des Historismus auch Ausdruck ihrer Zeit waren, einer Zeit, die am Übergang ins technische Zeitalter vielfach auf der Suche nach der eigenen Identität und ihrer geschichtlichen Verwurzelung war. Klar sollte auch werden, daß der Schutz der in Folge der Kriegs- und Nachkriegsjahre stark dezimierten Ensembles und Einzelbauwerke ebenso ein Anliegen der Denkmalpflege ist bzw. sein sollte, wie der Schutz der »anerkannt« großen Bauten. Konkrete Ansätze für eine diesbezügliche »Vergangenheitsbewältigung" bieten sich allein in Remagen genug.
Auch wenn Pickel, wie H. Schmitges in seinem Buch schreibt, »die stilistische Gültigkeit seines Werkes überlebte«, zeigt sich noch heute, wie nachhaltig sein Wirken das Remagener Stadtbild geprägt hat. In C. C. Pickel ehren wir die Verdienste einer ganzen Generation und Epoche in und für Remagen.
Quellen