Botschaften in Holz und Stein: Der Bildhauer Hanns Matschulla
Skulpturen von der Eifel bis zum Rhein Harry Lerch
Wie könnte ein Bildhauer und Maler vergessen sein, wenn seine Lebenszeugnisse uns überall begegnen von der hohen Eifel bis zum Rhein? Sein großes Oeuvre des Tafelbildes und des Fresko ist ebenso reich, ist verstreut in Erwerbungen der Sammler, die sich schon zu Hanns Matschullas Lebenszeit seine Bilder sicherten. Mancher Mitbürger besitzt von ihm ein kleines Ensemble, wohlgehütet und um keinen Preis herzugeben.
Hanns Matschulla hatte deutsch-russische Eltern, und er wäre jetzt 85 Jahre alt. Doch, nicht ein Jubiläumsgeburtstag fordert heraus, an ihn zu erinnern, denn er ist ja auf öffentlichen Plätzen, in Kirchen und Kapellen, erst recht in manchem Privathaus gegenwärtig. Es ist einfach dann und wann an der Zeit, sich zu erinnern, wie verläßlich und ruhefest diese Künstlerpersönlichkeit war. Gewiß, eine Spur slawischen Temperaments vibrierte oft auch in ihm, erst recht, als er im Krieg in Rußland war. Da flackerte eine Unruhe auf, die indessen niemals die Form zu sprengen wußten. Er führte dann alles wieder ins Lot. »Das Lot!« Das ist wörtlich zu nehmen. Für die Berufsschule in Ahrweiler hatte er ein Sinnzeichen schaffen wollen und stellte ins Rasengrün einen Werkmann, der das Lot hält. Das Lot senkt sich nach unten, dahin, wo das Fundament beginnt, ohne dessen Basis aber auch keine Mauer aufwachsen kann. Nach oben... das hat er ein andermal im auferstehenden Christus an der Bachemer St.-Anna-Kapelle verwirklicht, und letzten Endes
ist auch eine Wendung ins Licht sein ergreifendes Kruzifix auf dem Ahrweiler Friedhof. Ein Gabelkreuz, der Corpus Christi herausgelöst aus alten Balken einer verlassenen Mühle, deren Rad sich nicht mehr drehte . . . Inzwischen wurde die Skulptur neu gegossen, das Original des Corpus ist im Ahrweiler Museum verwahrt. So verläßlich und ruhevoll sein bildhauerisches Gesamtwerk, ist er doch niemals stehen geblieben in seinen künstlerischen Gedanken. Wie oft nahm er plötzlich den Skizzenblock und warf treffsicher eine Gestalt, eine künstlerische Vision mit dem Kohlestift hin, die dann Gestalt wurde, die wir wiedersehen am Ehrenmal in Wershofen, in Ahrweiler am Friedhofkreuz und am Ehrenmal, an der Gestalt von St. Barbara über dem Ahrtor oder in der Aufstehung in Bachern bis zur Beweinung in Dernau und zur Heiligen Familie in der Kirche Brohl. In der Tat, stets neue Formen hat Hanns Matschulla gefunden. Die Hoheit der Form in Metall und Holz und Stein . . . Viele Bildnisbüsten hat er geschaffen mit unbestechlichem Blick in die Persönlichkeit - dann wieder brauchte er freien Raum für ein Thema, für Größe, für Dimension und Gestaltungskraft. Er wollte immer am liebsten im Freien die Form bezwingen. Wie ist das noch in Erinnerung, als ersieh in Ahrweiler vor dem Ahrtor eine Hütte um den riesigen Basaltblock bauen ließ, um Inschriften und Reliefs in den Kubus zu hauen - bis dann alles weggeräumt war und sein in Relief und Kubus motivreiches Ehrenmal unter dem Himmel zu leben begann.Hanns Matschulla: Bildhauer, Steinmetz und Maler. Hier das
Modell vor Augen, dessen Maße nun zehn- oder fünfzehnfach in die größere Dimension übertragen werden. Je
härter der Kubus, um so schwerer der Schlag mit Meißel und Schlegel.
Fotos: Vollrath
Ein Fresko von Hanns Matschulla in der Kapelle Bölingen. Sein Thema ist Christus mit den Jüngern auf dem See Genezareth. Angstgebärden der Apostel, doch Jesus gebietet ihrer Furcht und den sturmgejagten Wellen.
Von der Studie zur Skulptur: das waren künstlerische Verknüpfungen, und es kann wohlbegründet gesagt werden, daß seine Mahnmale Sprache der Steine sind, selbst dann, wenn sie vom Tode künden - das ließ er dann wie vom Erlösungslicht überstrahlen. Vor allem: er hat
immer gemeißelt, hat selten plastiziert - er sah in einem Steinblock einfach eine Gestalt - und brauchte das Rundum nur abzulösen. Er blickte in den Stein und gewahrte, was ihm wert und Auftrag war.Nicht nur die Namen der Gefallenen, sondern auch die der Bombenopfer hat Hanns Matschulla in das große Ehrenmal vor dem Ahrtor von Ahrweiler eingemeißelt. Er füllte den Quader such mit dem weiterführenden Leben: Hier wird der Weinstock zur Bogrebe geschmiegt und an den Pfahl gebunden.
Er »meißelte« auch seine Zweitbegabung: seine Ölbilder. Das war immer pastos im Farbauftrag, wie ein flachflächiges Relief und voll Dramatik. Eines seiner großen, ausdrucksprengenden Bilder war »De profundis«. Wie der Chor der Gefangenen in Beethovens »Fidelio«,
so »singen« seine Farben auf den bleichen Gesichtern, die noch geblendet sind vom Freiheitslicht.Ein anderes dramatisches »Gemälde«: sein Fresko »Christus auf dem Meer« in der Kapelle von Bölingen. Der Wogensturm, die Angst der Apostel, und darüber das verläßliche Antlitz Christi. Der Schrei der plötzlich Erlösten. Andermal die Todesvisionen im Schützengraben, wie überhaupt der Krieg Hanns Matschulla nie völlig entlassen hat. In solchen Splittergräben
sah er den drohenden Untergang. Was würde er heute sagen - oder malen - zu atomarer, apokalyptischer, tausendfach gefahrvollerer Anarchie der Materie, das heißt expressionistisch auf die Leinwand werfen? Vielleicht führt gerade das dazu, sich seiner heute zu erinnern?Die Heilige Familie in der Kirche Brohl. Maria blickt auf zu Jesus, der nun schon in jenem Alter ist, als er die Weisen im Tempel lehrt, dahinter der die Familie beschützende Josef.
Weit ist der Weg gewesen seit seinem Studium an der Breslauer Kunsthochschule und später in Ateliers der Meister. Weitbogig begabt, hat er keinem seiner Lehrer auf die Dauer angehangen, sich viel eher seinen eigenen Formreichtum des Bildhauers erobert. Dazu eine Eigensprache der Farbe, die er spachtelte und oft ekstatisch auf die Leinwand fegte. Seine erstaunliche Spannungsfülle gab ihm Gelassenheit auch dann, wenn er »Täglich-Brot-Arbeit« für Friedhoftafeln meißelte. Auch dies erledigte er mit Sorgfalt, mit seiner schönen Antiqua-Majuskel oder im Relief für den Grabstein des Ahrweiler Orgelmeisters und Komponisten Johannes Müller.
Eines der besonders ausdrucksstarken Werke von Hanns Matschulla: der geschundene und gekreuzigte Christus am Gabelkreuz. Standort ist der Friedhof in Ahrweiler.
Was hat er alles gemalt. . . »Die alte Gasse« oder »Hafenarbeiter in Menhatka«. Eine Gassenlaterne vor brüchigem Ziegelverputz hat tröstlichsten Schein und ist in der Dunkelheit das Nachhause-Licht. Dann wieder hat er ein Fresko vom Wein in den Putz gemalt mit raschem Zugriff im Walporzheimer Winzerverein, und manch repäsentativer Faßboden in den Kellern der Weinbaugenossenschaften entstand unter seinem Meißel. Steingeklirr und Meißelschlag - das hörte man oft, wenn man in Bachern an seinem Atelier vorüberkam, und oft war die Verlockung groß, zu sehen, was da wieder neugeboren wurde aus dem Block von Holz oder Stein. Das Urtümliche - und damit sind wir wieder vor seinem Werk der Skulptur- lebte in jedem Kubus: »Die Kunst als die Antwort auf die Schöpfung Gottes«. Was Jakob Burckhardt damit wie in Bronze gegossen hat, war ihm in die Seele geschrieben. Das strömt zurück aus jeder Skulptur wie eine Klangmagie. Ihm war gegenwärtig, was Ernst Barlach von der Form gefordert hat: »Da muß ein Außen und muß auch ein Innen sein.« Dieses »Innen« eigentlich war das Formbewußtsein von Hanns Matschulla. Wer will es übersehen, daß die »Tönende Form« sein bildhauerisches Eigenleben war? Wenn er eine Figur aus dem Stein erlöst hatte, konnte man sie singen, beten, klagen, sprechen oder lobpreisen hören. Man mußte nur hinhören. Lächelnder Epilog zum Schluß: Vom »Lot« war zu Anfang die Rede. Diese Skulptur war zeitweise abhanden gekommen. Kein Mensch wußte, wohin, bis sie, (wohl mit Schutt als Uferbefestigung) in der Ahr gelandet, gefunden wurde. Das macht dieses Bildwerk geradezu »unsterblich« (heute steht das »Lot« im Berufsschulzentrum). Hanns Matschulla, so ernst im Künstlerischen, konnte auch lächeln. Das wäre ein Grund für ihn gewesen. Denn nicht nur »Die Musica aber bleibet bestehn«, sondern die Bildhauerei mit gutem Rechte auch. Und darin war er Meister.