Die Gemeindepartnerschaft als Integrationsfaktor in der Gemeinde Grafschaft
Reinhard Danneleit
Im März 1974 wurde die Gemeinde Grafschaft per Verwaltungsakt geschaffen. Ziel war es damals, die ehemals 16 selbständigen Grafschaftdörfer zu einem »verwaltungstüchtigen Gemeinwesen« zusammenzufassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Grafschaft insgesamt 6 400 Einwohner.
Die ersten Jahre des Zusammenwachsens wirkten sich (wohl infolge des verordneten Zusammenschlusses) nachteilig auf das ehrenamtliche Engagement aus. Dies wurde an Widerständen spürbar, wenn hier und da ehrenamtliche oder unentgeltliche Funktionen zugunsten der Allgemeinheit übernommen werden sollten.
Die großen Aufgaben, vor denen sich die »junge« Gemeinde gestellt sah, waren von dem Bemühen geleitet, gerade das ehrenamtliche Engagement wieder stärker zu fördern und das sogenannte Kirchtumsdenken abzuschaffen. Bei den gemeindlichen Entwicklungsabsichten ging es vor allem um planerische, strukturelle und kulturelle Vorstellungen. Tatsächlich stieg die Einwohnerzahl, nicht zuletzt infolge der Nähe zum Einzugsbereich Bonn und reger Bautätigkeit bis Ende 1985, auf inzwischen rd. 7 600 Einwohner an.
Im kulturellen Bereich war es der Gemeinde ein Anliegen, auch das Entstehen von Vereinen, d. h. solchen, die über das Gebiet der gesamten Gemeinde Grafschaft wirken, als integrativen Aspekt zu fördern.
Zu diesen Vereinen zählen der Grafschafter Sportverein, die Grafschafter Sportschützen, die Folkloretanzgruppe des Eifelvereins sowie der in 1984 gegründete Partnerschaftsverein Grafschaft.
Gemeindepartnerschaft mit Fauville-en-Caux/NormandieIm Jahre 1978 ging die Gemeinde über das dort- und gemeindebezogene kulturelle Leben hinaus eine Partnerschaft mit der in Nordfrankreich gelegenen Gemeinde Fauville-en-Caux ein. Die Verschwisterung der beiden Gemeinden geht auf eine Initiative der französischen Seite zurück. Der in Bonn wohnende Vater einer nach Fauville eingeheirateten Deutschen wurde seinerzeit vom Fauviller Gemeinderat mit der Ausschau nach einem geeigneten Partner beauftragt.
Seit den ersten Kontakten in ihrer Anfangszeit führte die Verschwisterung der beiden Gemeinden zu so engen Bindungen auf Gemeinde- und Vereinsebene und im privaten Bereich, daß hier und in Fauville kaum ein größeres Fest gefeiert wird, ohne daß gern gesehene Gäste und Freunde aus der Partnergemeinde anwesend sind und in gebührender Form mitmachen.
Die Gemeindepartnerschaft, die als Bestandteil der deutsch-französischen Aussöhnung verstanden wird, wurde im Mai und im September 1980 in Grafschaft und Fauville mit der Unterzeichnung und dem Austausch der Urkunden durch die Bürgermeister Schmidt und Thelu vollzogen.
Eine Zwischenbilanz aus dem Jahre 1981 bestätigt, daß die Gemeindepartnerschaft Früchte zu tragen begonnen hat. Diese Entwicklung wird durch die zwischenzeitlich in beiden Gemeinden (in Fauville in 1981, in der Grafschaft in 1984) gegründeten Partnerschaftsvereine zwecks weiterem Ausbau der gemeindlichen Beziehungen unterstützt. Vorsitzender des
Grafschafter Partnerschaftsvereins ist Herrmann Josef Linden; sein Stellvertreter ist Reinhard Danneleit.In Fauville stehen dem dortigen Partnerschaftsverein Xavier Mauger (Vorsitzender) und Monique Dutöt (stellv. Vorsitzende) vor. Die Gemeinde Grafschaft fördert die Partnerschaftsaktivitäten auch finanziell (z. Z. rd. 4 000 DM p. a.), um die Fahrtkosten zwischen den beiden 600 km entfernt voneinander liegenden Gemeinden in Form von Fahrtkostenzuschüssen erträglicher zu halten. Die Gründung von Partnerschaftsvereinen kann wohl auch als Ergebnis der Einsicht gewertet werden, daß eine Gemeindepartnerschaft um so besser angenommen wird, je mehr diese von den Vereinen und von der Bevölkerung auf breiter Basis getragen wird.
Partnerschaftsverein Grafschaft
Der »Verein zur Pflege der Gemeindepartnerschaft zwischen der Gemeinde Grafschaft und der Commune Fauville-en-Caux und anderer europäischer Gemeinden« (Partnerschaftsverein) hat sich vorrangig das Ziel gesetzt, den Jugendaustausch zu fördern. Der Verein ist auch als gemeinnützig anerkannt. Die Verbindung mit der Gemeinde kommt ebenfalls in der Satzung zum Ausdruck, wonach drei vom Gemeinderat entsandte Ratsmitglieder dem gewählten Vorstand zusätzlich angehören. Leider ist die Mehrheit der Grafschafter Vereine noch nicht im Partnerschaftsverein repräsentiert. Dem Verein gehören rd. 100 Grafschafter Familien, dies entspricht etwa 5 % aller Haushalte, als eingeschriebene Mitglieder an. Darüber hinaus ist ein weiter Teil der Grafschafter Bevölkerung regelmäßig bereit, Unterkünfte bei französischen Besuchen bereitzustellen, bzw. beteiligt sich gelegentlich auch an den Fahrten in die französische Partnergemeinde. Der Vorstand des Partnerschaftsvereins bemüht sich auch um besonders starke Ansprache der Jugendlichen. So fand 1985 ein einwöchiger Besuch von 13 bis 17 Jahre alten Grafschafter Jugendlichen in Fauville statt. Zu Ostern 1986 weilte eine ebensostarke (ca. 35-köpfige) Jugendgruppe aus Fauville bei uns. Beide Fahrten wurden vom deutsch-französischen Jugendwerk bezuschußt. Als Beweis für
den Erfolg der beiden Fahrten mag die Tatsache gelten, daß bereits jetzt die Vorbereitungen für den Gegenbesuch der Grafschafter Jugendlichen in Fauville (zu Ostern 1987) getroffen werden.Mangels einer eigenen weiterführenden Schule in der Grafschaft half der Partnerschaftsverein noch in 1984 eine Schulpartnerschaft zwischen dem Are-Gymnasium und der Realschule Fauville (College Frangois Villon) zu vermitteln. Das Are-Gymnasium wird von sehr vielen Grafschafter Schülern besucht. Als mittelbarer »Erfolg« der Schulpartnerschaften wird seit 1985 neuerdings bereits im ersten Realschuljahr in Fauville (fakultativ) deutsch gelernt. In der Grafschaft haben die Französischkurse der Volkshochschule einen stetigen Hörerzuwachs zu verzeichnen.
Folgende Grafschafter Vereine nahmen an Begegnungen im Rahmen der Gemeindepartnerschaft in Fauville teil:
- Tambourcorps Lantershofen (1979, 1983)
- Grafschafter Sportverein (1979)
- Meßdienergruppe Gelsdorf (1981)
- Böllinger Liederkranz (1981, 1984)
- Tambourcorps Bengen (1982)
- Sportclub Birresdorf (Fußball, 1984, 1986)
- Folkloretanzgruppe der Ortsgruppe Grafschaft des
Eifelvereins (1984)
- Blaskapelle Leimersdorf (1985)
- Spielmannszug Karweiler 1986).
Der Grafschafter Gemeinderat war bisher einmal (1979) in Fauville. Der neue, in 1984 gewählte Gemeinderat, wird sicherlich noch innerhalb seiner Legislaturperiode ebenfalls einen Besuch in Erwägung ziehen.
Die Beziehungen der Vereine, Familien und Gemeinden
Die Partnerschaftsvereine hüben und drüben verstehen sich eher als »organisatorischer Hintergrund«, der bei Anfragen und Wünschen nach Kontakten, insbesondere auf Vereinsebene hilft. Die gastgebenden Vereine bleiben bei Partnerschaftsbegegnungen selbstverantwortliche Einladende. Der Partnerschaftsverein unterstützt jedoch diese (in Delegation durch die Gemeinde) z. B. mit Fahrtkostenzuschüssen bei Besuchsfahrten, bzw. hilft dolmetschen und steht überall wo irgend möglich, bei Besuchen
und Gegenbesuchen mit Rat und Tat zur Seite. Ansonsten ähneln sich die Beziehungen zwischen den beiden Gemeinden denen zweier Menschen (»zwischen zwanglosem Miteinander und Höhepunkten«). Viele Familien in Fauville und in der Grafschaft verfügen bereits über mehrjährige freundschaftliche Bindungen. In der einen oder anderen Familie - dies gilt für beide Länder - fällt die Wahl der Fremdsprache bei vor dieser Entscheidung stehenden Schülern zugunsten der Sprache des Partnerlandes aus. Von einigen Familien ist sogar bekannt, daß sie mit französischen Familien wechselweise regelmäßig Kurzurlaube im Land des anderen verbringen. Die Spitzen der beiden Partnerschaftsvereine wechseln sich jährlich (im Herbst) mit Besuchen ab, um das gemeinsame Veranstaltungsprogramm des kommenden Jahres zu besprechen. Die Partnerschaftsbegegnungen werden regelmäßig im jeweiligen gemeindlichen Mitteilungsblatt veröffentlicht. Auch die Bürgermeister der beiden Gemeinden stehen persönlich in gutem Kontakt.Immer wieder ist zu beobachten, daß besonders feste Beziehungen geknüpft werden, wenn eine gemischte Gruppe von Bürgern in die Partnergemeinde reist und die überwiegende Zeit ihres Aufenthalts in den gastgebenden Familien verbringt.
Integration durch Gemeindepartnerschaft
Die Bemühungen der Gemeinde Grafschaft zur Aufnahme der Beziehungen mit der französischen Gemeinde sowie die Gründung des Partnerschaftsvereins Grafschaft bilden einen Meilenstein der inneren Entwicklung der Gemeinde.
In den Bestrebungen zum Abbau des »Kirchtumsdenkens« sowie in Erreichung des Zieles, Grafschaftern aus allen Grafschaftorten eine Teilnahme an Partnerschaftsbegegnungen zu ermöglichen, hat es sich gezeigt, daß die seit sieben Jahren (offiziell seit gut fünf Jahren) bestehende Gemeindepartnerschaft zu einem spürbaren Integrationsfaktor in der Gemeinde Grafschaft geworden ist:
immer mehr Grafschaftbewohner lernen sich aus Interesse an der
Gemeindepartnerschaft auch überörtlich kennen; z. B. durch
- Besuche in Fauville und gemeinsame Teilnahme an Fahrten und
Begegnungen
- örtliche Gemeinschaftsveranstaltungen beim Empfang
französischer Gäste
Grafschafter Jugendliche, die zum Teil durch Besuche auswärtiger weiterführender und berufsbildender Schulen z. T. weniger gemeindeorientiert sind, bekommen neue Kontakte innerhalb der Gemeinde durch mehrtägige Jugendfahrten in Fauville bzw. in der Grafschaft (in Begleitung der französischen Gäste)
die Besuche der Franzosen, insbesondere der traditionelle Septemberbesuch (erstes Septemberwochenende in der Grafschaft, zeitgleich mit dem Ahrweiler Winzerfest) sind seit drei Jahren zu einem gesellschaftlichen Ereignis geworden, das sich neben sportlichen Begegnungen durch Tanzabende mit gemeinsamen Essen (unter aktiver Teilnahme von einigen Grafschafter Vereinen) auszeichnet. Das Essen wird hierbei i. d. R, durch die gastgebenden Grafschafter Familien vorbereitet.
die gegenseitigen Besuche bieten auch in der Grafschaft neue Gelegenheiten sich zu treffen, etwa bei Vorbereitung dieser Besuche oder Fahrten.
Bei allem Positiven bleibt anzumerken, daß der »Integrationsfaktor Gemeindepartnerschaft« noch intensiviert werden könnte durch
- stärkere Einbeziehung der Vereine
- Ansprache und Einbeziehung der Grafschafter Landwirte
- breitere Unterstützung in der Bevölkerung (mehr
Mitgliedschaften im Partnerschaftsverein)
- größere ideelle Unterstützung durch den Gemeinderat.
Die bisher günstige Entwicklung auf der Grafschafter Seite und in Fauville zeigt, daß gute Chancen bestehen, die in den Partnerschaftsurkunden der Gemeinden und in den Satzungen der Partnerschaftsvereine besiegelten Ziele in absehbarer Zeit mehr und mehr zu erreichen.