Cunos Kirche an der Kurgartenbrücke

Hans Warnecke

Jeder Passant der Poststraße in Bad Neuenahr wird bis heute durch ein Bronzerelief an der Kirchenwand daran erinnert, daß die gegenüber der Kurgartenbrücke stehende evangelische Kirche durch den ersten Pfarrer dieser Gemeinde, nämlich Gustav Adolf Pliester, im Jahre 1871 gebaut worden ist. Wenn auch jeder weiß, daß ein einzelner Pfarrer keine Kirche bauen kann, sondern hier dem Initiator des Kirchbaus ein bleibendes Andenken bewahrt werden soll, so zeigt ein Blick in das Archiv der evangelischen Kirchengemeinde, daß der eigentliche Erbauer dieser Kirche nicht Pliester, sondern Cuno hieß. Wer war dieser Hermann Cuno, und wie kam es zu seiner beherrschenden Rolle beim Bau dieser Kirche?

Um das Jahr 1870 wünschen die im Ahrtal lebenden Evangelischen und die zur Kur weilenden Gäste der gleichen Konfession, endlich eine Kirche bei ihren Gottesdiensten in Bad Neuenahr besuchen zu können. Deswegen beschließt das Presbyterium als Leitungsorgan dieser rheinischen Diasporagemeinde am 29. 4. 1870: »Das in Neuenahr in der Nähe des Kurhauses gelegene Grundstück des Herrn Dr. Schultz aus Barmen soll zu einem Preis von 417 Thalern erworben und die Ausfertigung des Planes und Kostenanschlages resp. die Ausführung des Baus ä ca. 6 000 Thalern dem Herrn Baumeister Böhm in Wesel übertragen werden.« Mit diesem Beschluß war der entscheidende Schritt zum Kirchbau getan. Die Gemeindevertretung entschied sich für einen auswärtigen Architekten, weil es unter den preußischen Beamten im Landkreis zu jener Zeit keinen geeigneten Fachmann gab, obwohl »in nächster Zeit der Zuzug evangelischer Beamter zu erwarten steht«, wie es im Protokoll der gleichen Presbyteriumssitzung heißt. Man wartete also auf evangelischer Seite darauf, daß aus Berlin weitere evangelische Beamte in die preußische Rheinprovinz geschickt würden, und so die seit 1815 begonnene Personalpolitik ihre Fortsetzung erführe. Wie sehr diese Erwartung zu Recht bestand, weist das Protokoll der nächsten Sitzung bereits aus: »Anstelle des verewigten Kirchmeisters, Rechnungs-Rath llges, wird Herr Kreis-baumeister Cuno zu Neuenahr zum Kirchmeister und Rendanten erwählt. Da uns Herr Kreisbaumeister Cuno als tüchtiger Architekt von den verschiedenen Seiten empfohlen worden ist, soll mit Aufhebung des Beschlusses der vorigen Sitzung Herr Baumeister Cuno mit der Leitung des Kirchbaus in Neuenahr betraut werden.«

Mit Schwung ging Cuno nicht nur an die Ausarbeitung eines Bauplanes, sondern gestaltete als Kreisbaumeister auch die Straßenführung an der Kurgartenbrücke für die zu errichtende Kirche äußerst vorteilhaft, so daß ein Chronist damaliger Zeit schreiben konnte: »Der Baumeister Cuno hatte die vom Eisgang zerstörte Brücke im Jahre 1870 wieder aufzubauen und richtet nun den Plan so ein, daß sie gerade auf den einen Halbkreis bildenden Bauplatz führte.« Bis heute hat dadurch die inzwischen längst umgebaute und erweiterte evangelische Kirche ihre dominierende Lage am Ausgang der Post- und Telegrafenstraße gegenüber der Kurgartenbrücke behalten. Im Juli des Jahres 1870 lagen bereits die Pläne Cunos vor. Im Presbyterium ist man sich dessen gewiß, »daß unser allergnädigster König und Herr sich für unseren Gottesdienst in Bad Neuenahr interessiert und würde uns ein allerhöchstes Gnadengeschenk wohl gewiß gewesen sein, wenn nicht der plötzliche Ausbruch des Krieges mit den Franzosen dazwischen getreten wäre.« Das hinderte aber die Gemeindeleitung nicht, den Bauplan Cunos zu beraten und zu beschließen. Die Kirche soll, damaligem Geschmack entsprechend, »als gothischer Centralbau in Form des griechischen Kreuzes mit angehängtem Chor aus hiesigem Sandbaustein erbaut werden. Sie hat einen 100 Fuß hohen Glocken- und Uhrturm und einen niedrigen Treppenturm.« Trotz der Anhebung des Daches und des Seitenanbaus Ende der 50er Jahre ist die Grundkonzeption Cunos bis heute erkennbar.

Notbrücke über die Ahr am Kurgarten 1870

Der Winter 1870/71 wird für das Ausheben der Baugrube weitgehend genutzt, so daß »am 13. Juni abends 
1/2 7 Uhr die feierliche Ecksteinlegung in die Mauern des neu zu erbauenden Kirchleins in Neuenahr stattfinden soll, und werden die näheren Vorbereitungen zu dieser Feier, insbesondere das Festprogramm festgestellt«, wie es das Protokollbuch ausführt. Danach geht der Bau zügig weiter und im Januar 1872 kann das Presbyterium dankbar zur Kenntnis nehmen, »daß S. Majestät der deutsche Kaiser und König von Preußen huldvollst ein Gnadengeschenk für den Kirchbau zu Neuenahr im Betrage von Ein Tausend Thalern bewilligt habe.« Ja, der gewonnene deutschfranzösische Krieg bringt nicht nur die Einigung des Reiches und den deutschen Kaiser, sondern auch 10 Zentner französische Geschützbronze nach Neuenahr zum Guß der Glocken.

Als am 14. August 1872 die feierliche Einweihung der Kirche stattfand, war nicht nur für die evangelische Gemeinde und den aufstrebenden Kurort Neuenahr ein wichtiges Gebäude nach den Plänen Cunos fertiggestellt, sondern auch die künstlerische Ausgestaltung trug ganz und gar Cunos Handschrift; denn »beim Einzug in die Kirche wurde die Gemeinde nicht minder wohltuend berührt durch die Innenwirkung des lichten, von Malermeister Schmolling aus Mönchen-Gladbach nach den Entwürfen Cunos ausgemalten, mit kunstvoll verglasten Fenstern versehen und mit Girlanden und Blumen reich geschmückten Baus.«

Die 1871/72 erbaute evangelische Kirche
Repros: Kreisbildstelle

Ja, die ganze Familie Cuno stellte sich in den Dienst des Kirchbaus. So stiftete und malte die Schwester Cunos, die Malerin Pauline Cuno, »die lebensgroßen Bildnisse der beiden letzten Grafen von Neuenahr, der Protektoren der ersten evangelischen Gemeinden des Rheinlandes und ihrer Synoden«, die an zwei Wänden inmitten biblischer Sprüche (Jesaja 40,31 und Psalm 119,105) zu sehen waren.« Und »Frau Geheimrath Emma Cuno zu Düsseldorf - die Mutter Cunos - Verfasserin der Nonnenweirer Kindertraktate, schrieb nach dem ihr von Pastor Pliester übergebenen historischen Material >Erinnerungsblätter aus Neuenahr< und schenkte diesem das Manuskript, damit dasselbe gedruckt und zum Besten des Kirchbaus verkauft werde.« Es ist deshalb nur allzu verständlich, daß das Presbyterium - damals selbstverständlich nur aus Männern bestehend - außerordentlich betroffen darüber ist, daß Baumeister Cuno Anfang des Jahres 1873 nach Remagen verzieht.

Wenn es dazu im Protokoll heißt, daß die »Versammelten den Abgang des Mannes bedauern, der in uneigennützigster Weise für das Wohl der Gemeinde gewirkt und namentlich durch den Bau der Kirche zu Neuenahr, welchen er mit Liebe und Umsicht entworfen und geleitet, sich ein bleibendes Andenken in der Gemeinde gestiftet hat«, so haben sie damit auf ihre Art zum Ausdruck gebracht, was dann doch bald vergessen wurde: Es ist die evangelische Kirche in Bad Neuenahr Cunos Kirche.