Köbes und das Dritte Reich
Dem Leben nacherzählt
Werner Keller
Den treuen Lesern des Heimatjahrbuches des Kreises Ahrweiler ist »Köbes«, derauf die Anrede »Jakob« großen Wert legte, kein Unbekannter (Jahrbuch 1970, S. 152-153). Nur wenige der heute noch Lebenden werden sich erinnern, daß der Köbes bei den Auto- und Blumenkorsen in den 20er Jahren hoch zu Roß in der Uniform der Bonner Husaren, bei denen er vier Jahre freiwillig gedient hatte, einer der Attraktionen des Festzuges war.
Wen wundert es, daß soldatische Disziplin und Ordnung zur zweiten Natur des Köbes geworden waren. Die Rheinlandbesetzung durch die Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg und die Entmilitarisierung des Rheinlandes hatten mit dazu beigetragen, daß die soldatische Tradition von Kriegervereinen hoch gehalten wurde.
Die Kriegervereine waren unpolitisch, pflegten neben der Tradition besonders die Kameradschaft und hielten in der Bevölkerung das Andenken an ihre gefallenen Kameraden wach,
die in den Kriegen 1870 - 1871 und im Ersten Weltkrieg, von 1914-1918, gefallen waren. Die Schwerkriegsbeschädigten standen im Mittelpunkt der Betreuung und der öffentlichen Ehrungen durch die Kriegervereine. Anfang der 30er Jahre, in den letzten Jahren der Weimarer Republik, war der Kriegerverein Bengen mit der Ausrichtung des Kreiskriegertreffens beauftragt worden. Kameradschaftsführer des Kriegervereins Bengen war der Köbes. Er bereitete mit generalstabsmäßiger Planung das große Fest vor und spielte den Ablauf des Programms durch bis zum gemütlichen Beisammensein. Dabei war dem Köbes ein folgenschwerer Fehler unterlaufen, wie sich noch zeigen sollte. Während der Köbes davon ausging unter dem Programmpunkt »Begrüßung« habe er seines Amtes zu walten und seine Rede zu halten und unter Punkt »Grußworte« werde neben anderen Kameradschaftsführern auch der »Kreiskriegerführer« einige Worte sagen, kam es genau umgekehrt.Köbes, der eine wohlgesetzte nationale Rede ausgearbeitet hatte, die ihm und dem Kriegerverein Bengen zur Ehre gereicht hätte und in der die Hitlerpartei, wie die Leute damals sagten, schlecht weg kam, wollte kein Blatt vor den Mund nehmen. Als treuer Sohn der Kirche war seine Abneigung gegen Kommunisten und Nationalsozialisten, gegen die Atheisten, wie er sagte, begründet.
Diszipliniert, dennoch voller Spannung, denn der Erfolg hing vom Wetter mit ab, fieberte Köbes dem großen Tag entgegen. Endlich war es soweit.
Die Gemeinde Bengen hatte ihr schönstes Kleid angelegt. Der festlich geschmückte Ort und die rot-weißen und gelb-weißen Fahnen — die Kirchenfarben —, die die Bevölkerung an den Häusern gesetzt hatten, grüßten die Veteranen und ehemaligen Soldaten. Es sei Kaiserwetter, sagte der Köbes, denn die Sonne schien vom blauen Himmel.
Morgens feierten die Teilnehmer an dem Treffen in der Pfarrkirche, die nicht alle Teilnehmer fassen konnte, die heilige Messe für die Gefallenen. Danach war Heldengedenken mit Kranzniederlegung am Kriegerehrenmal. Nach dem Festzug am Nachmittag versammelten sich die Festteilnehmer im damaligen Saale des Gasthauses Krämer.
Der Kreiskriegerführer hatte eine Glatze. Wider Erwarten von Köbes trat er als erster Redner auf. Je länger Herr Broicher sprach, um so nervöser wurde Köbes. Sein Mienenspiel verriet mehr und mehr eine große Enttäuschung, obwohl der Redner ihm Lob und Anerkennung ausgesprochen hatte für die hervorragende Organisation des Festes.
Nach dieser Rede wurde Köbes als der örtliche Kriegervereinsführer angesagt, um ein Grußwort zu sprechen.
Köbes wischte sich den Schweiß von der Stirn, trat an das Rednerpult und mit Hinwendung zum Kreiskriegerführer nahm er Haltung an und begann: »Eminenzen, Exzellenzen, Prominenzen, liebe Kameraden!« Im Saal machte sich etwas Unruhe breit, vereinzelt auch verschmitztes oder stilles Lächeln. Köbes, dadurch noch nervöser geworden, hob seine Stimme und fuhr fort:
»Was ich heute zu Euch, meine lieben Kameraden, sagen wollte, daß hat schon mein Vorredner, der Herr« . .. Eine kleine Kunstpause folgte, in der Aufregung fiel ihm der Name des Kreiskriegerführers nicht mehr ein. Er wiederholte: »der Herr. . .« und zeigte mit der Hand auf den Vorredner:.. . »der Herr mit der Plät da gesagt.«
Im Saal brach schallendes Gelächter aus, von hinten hörte der Köbes das Wort Mumpitz und murmeln setzte ein. Köbes, total zerknirscht, machte nochmals den Versuch, zu retten was zu retten war. Energisch bat er um Ruhe. Unruhe und Zwischenrufe waren die Folge. Der Satz »ich wünsche noch schöne Stunden in Kameradschaft« ging im Saal unter. Köbes, verlassen und einsam, verschwand so gut es ging, unauffällig aus dem Saal.
Köbes vergaß nach gewisser Zeit den Patzer und den Reinfall. Darauf angesprochen in einem günstigen Moment, konnte er sogar darüber lachen und sagte: »die schön Red hann ech net gehale«.
Im April 1933 wurde von dem noch demokratisch gewählten Gemeinderat der Bruder des Köbes zum Ortsvorsteher gewählt, wie man nach der rheinischen Gemeindeordnung damals die heutigen Ortsbürgermeister nannte. Er wurde später Ortsbauernführer und blieb bei der Bürgerschaft beliebt, ebenso wie Köbes, der 1934 zum Bürgermeister der Gemeinde Bengen ernannt wurde. Er blieb im Amte bis Anfang der 40er Jahre, als ihn eine halbseitige Lähmung hinderte, seine Aufgaben zu erfüllen. In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß auch in den Jahren von 1933 -1945 der Gemeinderat bestehen blieb. Nach der deutschen Gemeindeordnung hatte er zwar nur beratende Mitwirkung; denn auch die Gemeindeordnung war vom Führerprinzip beherrscht. In den Dörfern des Kreises Ahrweiler arbeiteten Gemeinderat und Bürgermeister in der Regel eng und vertrauensvoll zusammen. Das galt besonders für die Grafschaft, wie der Verfasser aus eigener Sachkenntnis weiß.
Köbes war zwar national, aber nicht nationalsozialistisch. Er vollzog jedoch eine gewisse Anpassung, weil ihm der in Zeitungen immer wiederkehrende Spruch »Wer seines Volkes Freund will sein, kauft nicht im Warenhaus Konsumverein«, aus seiner Seele kommend gefiel. War er doch preislich diesen Häusern stets unterlegen gewesen. Als dann das Gesetz zum Schütze des Einzelhandels erlassen wurde, sah Köbes für sein eigenes Geschäft, das er in Ben-gen betrieb, eine bessere Zukunft.
Köbes, der als Gegner der Warenhäuser bekannt war (vergl. Heimatjahrbuch für den Kreis Ahrweiler, 1971, Seite 99), wurde beim Besuch des neuen Landrates in Bengen darauf angesprochen, der Bauernbetrieb und sein Geschäft bildeten doch eine solide Lebensgrundlage. Köbes nahm einen vor ihm auf der Erde liegenden Strohhalm, hielt ihn hoch und erwiderte: Herr Landrat, wenn ich mich hier in Bengen von meinem Geschäft ernähren will, kann ich meine Bedürfnisse durch diesen Strohhalm fallen lassen. Köbes blieb bei aller Anpassung zum neuen Regime in einer gewissensbestimmten Distanz. Die Anfangserfolge, so. z. B. die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, kommentierte er mit der Bemerkung, »neue Besen kehren gut«.
Im Jahre 1936 erschien im Rahmen der Gleichschaltung die vom Deutschen Gemeindetag herausgegebene Fachzeitschrift »Die nationalsozialistische Gemeinde«, deren Bezug durch die Gemeinde für den Bürgermeister und die Ratsmitglieder Pflicht war.
Köbes packte die Fachzeitschriften wieder zusammen und schrieb: »Anbei sende ich die Hefte wieder zurück, ich habe in der Gemeinde keine Nationalsozialisten«. Nun begann ein Pokerspiel zwischen Köbes und dem Amt Ringen. Köbes meinte, die leitenden Herrn (Amtsbürgermeister und Büroleiter, die in ihren Ämtern verblieben waren) hätten zuwenig Zivilcourage und ließ sich beim Landrat melden. Er wurde zwar vom Landrat zu einem Gespräch empfangen, erreichte aber nichts. Er kommentierte das Gespräch dahingehend, »genau wie in Ringen«, aber der Landrat wisse wenigstens, was er, Köbes, denke. Den Landrat habe er auch wissen lassen, daß er nun an höherer Stelle vorstellig werde. Köbes erreichte in der Tat in einem persönlichen Gespräch mit dem Regierungspräsidenten, daß er die Fachzeitschriften nicht zu beziehen brauchte und ließ das den Landrat in Ahrweiler und den Amtsbürgermeister in Ringen wissen.
Wie er erzählte, hatte Köbes den Regierungspräsidenten gefragt, ob er mehr Schneid habe als der Landrat und der Amtsbürgermeister. Wenn nicht, möge er das sagen und er, Köbes, werde nach Berlin fahren; denn dort wolle man sicher nicht, daß ihm Blättchen angedreht würden, die einen falschen Titel hätten. Mit dem Inhalt könne man in seiner Gemeinde keine Leute zum Nationalsozialismus bekehren. Sonntags nach dem Hochamt, man muß schon sagen, »verkündete« Köbes vor der Kirche in der Ortsmitte die Bekanntmachungen und gab zu jeder Bekanntmachung anschließend seine eigenen Kommentare, die von den Zuhörern, je nach Veranlagung, mit Grinsen oder einem herzhaften Lachen, aber auch mit tiefem Ernst aufgenommen wurden. Die Bekanntmachungen des Köbes waren über Bengen hinaus bekannt, und unter den Zuhörern waren stets Menschen, die nur wegen Köbes Kommentare nach Bengen kamen. Wenn dem Köbes das Lachen oder Grinsen der versammelten Personen zuviel wurde oder er fühlte sich nicht mehr ernst genommen, nahm er die Brille von der Nase und machte jeweils eine treffende Bemerkung, etwa: »Ech hann dat Geföhl, dat Lache wird och noch verjohn!« Es kam auch vor, daß einer der Zuhörer als eine verstohlene Provokation eine Bemerkung machte. Köbes meinte dann etwa: »Nu set es stell, dat es doch lebenswichtig für de janze Volksgemeinschaft und ihr könnt do de Schnüss net hale«.
In der Zeit der sogenannten »Erzeugungsschlacht« wurde die Pflichtablieferung der Milch verfügt. Als Köbes den Text der Verfügung verlesen hatte, donnerte Köbes zum Schluß: »Der Vorsitzende des Milchwirtschaftsverbandes Rheinland, gez. Dreyer (MdR) Major der Reserve«. Er sah in die Runde und kommentierte: »Su, nu had ihr ühr Fett!« Ein Kenner in der Runde der Zuhörer sagte Köbes später, MdR sei die Abkürzung für Mitglied des Reichstages und nicht Major der Reserve. Köbes konterte, ob der Dreyer Mitglied des Reichstages sei, wäre den Bauern egal, wenn sie aber hörten, Dreyer komme vom Kommiß (damaliger Ausdruck für Militär), dann gingen sie schon in die Knie.
In den Jahren 1933 -1945 fanden immer wieder die verschiedensten Sammlungen statt, Sach- und Geldspendensammlungen, so z. B. für das »Winterhilfswerk des deutschen Volkes?« oder Altmaterialsammlungen. Diese Sammlungen wurden mit einer auf das ganze deutsche Reich bezogenen großen Propagandawelle vorbereitet, um das Volk reif zu trommeln, die Geld- und Sachspenden immer wieder zu steigern.
Die älteren Mitbürger werden sich an das obligatorische Eintopfessen erinnern. Das dabei gesparte Geld sollte ebenfalls für die Winterhilfe gespendet werden.
Eine solche Winterhilfswerksammlung muß wohl einmal in Bengen »das erträgliche Maß weit unterschritten haben«, wie sich der Kreisleiter der NSDAP dem Köbes gegenüber in einem Telefongespräch äußerte. Köbes habe das schlechte Ergebnis zu verantworten, meinte der Kreisleiter. Als der Köbes die Wortkanonade des Kreisleiters über sich hatte ergehen lassen und dieser fragte, was er dazu zu sagen habe, antwortete der Köbes ruhig und gelassen auf Bengener Platt: »Wenn och dat zewinnich es, dann mot ihr et nächstemol der Bischof schek-ke, der kreit mih«. Darauf habe der Kreisleiter den Hörer aufgelegt, wußte der Köbes mit Stolz zu berichten.
Der Köbes und sein Bruder haben sich in den Jahren, als sie die öffentlichen Ämter bekleideten, um die Bürgerschaft verdient gemacht und stehen heute noch bei den älteren Mitbürgern, die die Zeit miterlebt haben, in ehrendem Andenken.
Während des Krieges, als die totale Ablieferungspflicht über den Eigenbedarf hinaus bestand, wußten sich die Bürger zu helfen und mit ihnen auch der Bürgermeister und der Ortsbauernführer.
Gerade aus dieser Zeit wären viele wahre Begebenheiten zu berichten, über Bauernschläue und die Kunst zu überleben oder die vielen Einfälle, die verwirklicht wurden. Aber das große Problem ist, wie soll man sie druckreif machen, die »Begebenheiten«?