Zissener Wasser gegen alle Zipperlein, Beschwerden und Krankheiten
Die Sauerbrunnen von Nieder- und Oberzissen in einem Lexikonartikel aus dem Jahre 1749
Leonhard Janta
Der Kreis Ahrweiler ist reich an Thermal- und Mineralwasserquellen. Ja, man kann durchaus sagen, daß das Wasser dieses Gebiet berühmt gemacht hat. Die Quellen von Bad Neuenahr, Bad Bodendorf, Sinzig, Bad Breisig, Brohl und Tönisstein haben nicht nur in unserer Gegend, sondern im gesamten Bundesgebiet, und wenn von Bad Neuenahr die Rede ist, in der ganzen Welt einen guten Ruf. Anders steht es mit den kleinen Mineralwasserquellen im Brohltal — in Nieder- und Oberzissen. Sieht man einmal von den Einheimischen und der Bevölkerung aus der nahen Umgebung ab, so sind sie eigentlich heute nicht weiter bekannt, denn der dortige Sauerbrunnen wird nicht abgefüllt, — er eignet sich wohl auch nicht dafür. Trotzdem erfreut sich das kalte, klare Wasser außerordentlicher Beliebtheit. Besonders an heißen Sommertagen sind die ordentlich gefaßten Brunnen in beiden Orten von Kindern und Erwachsenen umlagert. An Ort und Stelle gewährt das Wasser den Durstigen Erquickung und viele nehmen noch zusätzlich einen kühlen Trunk in Flaschen mit nach Hause.
Da diese Quellen jetzt allenfalls von lokaler Bedeutung sind, ist es für den heutigen Leser schon verwunderlich, wenn er zufällig in einem alten Universallexikon aus dem 18. Jahrhundert unter dem Stichwort »Zißen« darauf stößt, daß diese Sauerbrunnen recht ausführlich beschrieben werden. Dazu muß man wissen, daß im 18. Jahrhundert, das von der gesamteuropäischen
Geistesströmung der Aufklärung geprägt war, die große Zeit der Universallexika war. Damals versuchte die Wissenschaft die kirchlich-theo-loischen Fesseln abzustreifen, durch die sie gebunden war. Die Geistesströmung der Aufklärung ist dabei durch einen ungeheuren Optimismus gekennzeichnet. Eine ihrer wichtigsten Forderungen war: den Menschen durch Wissen zu verbessern, wozu auch die großen Lexika neben den zahlreichen moralischen Wochenzeitschriften der Zeit beitragen sollten. Der Mensch sollte sich seiner Vernunft (ratio) bedienen. Wenn auch der uneingeschränkte Glaube an den Fortschritt der Menschheit heute vielfach einer pessimistischeren Sicht gewichen ist, so ist dennoch eine nicht bestreitbare Leistung der Aufklärung eine Humanisierung des sozialen und kulturellen Lebens.Der kleine Artikel über »Zißen« steht in Zedlers Universallexikon, dem berühmtesten und umfangreichsten Nachschlagewerk des 18. Jahrhunderts. Zwischen 1732 -1749 erschienen in Leipzig und Halle 64 Bände dieses Lexikons, in dem das gesamte Wissen der damaligen Zeit durch zahlreiche Fachgelehrte gesammelt wurde. Der Titel der Enzyklopädie umfaßt bereits eine Seite des Folianten und führt programmatisch den Anspruch des kühnen Unterfangens aus:
»Großes vollständiges Universal-Lexikon. Aller Wissenschaften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. (...)«
Der 62. Band von 1749, also aus Goethes Geburtsjahr, enthält die Beschreibung der Zissener Sauerbrunnen, deren Wasser bei den Einheimischen seit alters her »Buhr« genannt wird. Der Beitrag spiegelt den Stand der damaligen Naturwissenschaft wider. Im Zuge der Aufklärung hatte gerade die Medizin einen ungeheuren Aufschwung und bereits beachtliche Erfolge zu verzeichnen, was Hygiene, Wundbehandlung und Seuchenbekämpfung betraf. Das Wasser verschiedener Quellen spielte bei der Therapie und Prophylaxe eine nicht unbedeutende Rolle. Das Lob des Kurtrierischen Leibarztes Dr. S. E. Cohausen von 1748 auf den Tönissteiner Mineralbrunnen, dessen Benennung als »Helpert« im Volksmund den Glauben an die Heilkraft des Wassers unterstreicht, verdeutlicht die Bedeutung des Wassers in der damaligen Medizin.
Lob des Heilbrunnens
Hieraus dem Erdenschoss
Entspringen solche Quellen
Sehr häufig jederzeit für
Freund sowohl als Feind
So da vermögent seynd, die
Kranken herzustellen,
Wenn Leber, Nieren, Miltz nicht
recht beschaffen seynd.
Dies Wasser dienet auch
vortrefflich vor den Magen, wann ihn ein steter
Durst und
schärfte Säure plagt.
Den Jeder, der mich trinkt, muss
mir zum Ruhme sagen,
Dass er genesen sey, von dem
was er geklagt.
Jacob Theodors Artikel über das Zissener Wasser in Zedlers Lexikon weist den Sauerbrunnen quasi als Wunderquelle zur äußerlichen und innerlichen Anwendung gegen alle nur denkbaren Krankheiten aus.
Selbst der Kindersegen soll durch genannte Quellen gefördert werden. Die vom Verfasser angegebene Heilwirkung des Wassers überflügelt selbst alle heute verfügbaren Medikamente. Soweit die damaligen Bestimmungsmethoden berücksichtigt werden, ist die Analyse der Sauerbrunnen gewiß zutreffend. Was allerdings ihre Wirkung anbelangt, so ist der Verfasser, falls er an Ort und Stelle war, jedoch auf die Ausführungen der Einheimischen hereingefallen. Bei der einfachen Landbevölkerung muß im 18. Jahrhundert von einer starken Wundergläubigkeit ausgegangen werden. Da die medizinische Versorgung auf dem Lande besonders schlecht war, blieb den Menschen letztlich nichts anderes übrig, als bei Krankheiten auf diese Mittel zu vertrauen. Daß der Sauerbrunnen in vielen Fällen Wirkungen zeitigte — und sei es auch nur die Verteilung der »Winde im gantzen Leibe«, von denen der Autor spricht, ist unbestritten.
Zur hoffentlich vergnüglichen Lektüre zitiere ich im folgenden den größten Teil des Artikels über »Zißen«. Die Rechtschreibung wurde dabei nur ganz behutsam an einigen Stellen geändert, da auch sie für den interessierten Leser aufschlußreich ist. Einige Anmerkungen sollen zum besseren Verständnis beitragen. »Zißen, sind zwey Dörfer oder Flecken in dem Ertz-Stiffte Cölln, nicht weit vom Schloße Olburg bey der Stadt Andernach gelegen. Sie sind wegen der allda entspringenden zweyen Sauer-Brunnen berühmt, deren einer zu Ober- der andere zu Nieder-Zißen entspringet, und die von dem gemeinen Land-Volcke daherum zum täglichen Gebrauch an statt des Weins getruncken werden. Beyde halten in ihrer Vermischung die Krafft und spiritualischen Subtilitäten1) des Eisens, Vitriols, Saltzes und ein wenig Schwefels, unter welchen aber das Eisen den Vorzug hat, nach diesem Saltz, folgendes der Vitriol und letztlich der Schwefels. Ihre Krafft und Eigenschaft sind zu eröffnen, zu trucknen, zu verzehren, mittelmäßig zu wärmen, abzulösen, subtil und dünn zu machen, zu treiben, zu reinigen und zu stärcken. Es eröffnen diese beyde Sauerbrunnen die Verstopfung der Leber und des Miltzes, reinigen den verschleimten Magen, bringen den verlohrnen Appetit zum Eßen wieder zurecht, machen wohl däuen und stärcken den Magen, trucknen die Flüsse des Haupts, vertreiben die Gelbsucht, Wassersucht, Grimmen, Bauchwehe, Darmgicht, Gliedsucht und Podagra2, treiben aus dem gantzen Leibe alle Fäulniß, böse Feuchtigkeiten und das eingenommene Gifft, dienen vor den Schwindel, fallende Sucht, und behüten vor dem Schlag und Paralysi3. Sie reinigen die verschleimte Mutter, und legen die schmertzlichen Mutterwehe, zert-heilen die Winde im gantzen Leibe, fördern das Bürdlein4 Secundinam und der Weiber monatliche Zeit, vertreiben und verzehren den weißen Mutterfluß, eröffnen die Verstopfung der Lenden und Nieren und Blasen, und stillen den Schmertzen der Lenden und Nieren, treiben auch gewaltig den Harn, Lenden- und Nieren-Steine, und behüten den Menschen vor allen obgedachten Gebrechen und Kranckheiten. Äusserlich dienen solche beyde Sauer-Brunnen vor die Räude5, Grind, Schuppen, Zitterschen und Frantzosen Flechten6, vertreiben das Jucken und Beißen der Haut, reinigen und säubern die alten faulen Geschwür und Schäden, und machen frisches gesundes Fleisch darinnen wachsen, vertreiben auch das Lendenwehe, Gicht, Krampf, Podagra und das Reißen der
Schenckeln und anderen Gliedern. Es ist auch zu solchen und dergleichen Gebrechen der Mineralische Schleim oder Latten überaus dienlich und gut.«Sauerbrunnen in Oberzissen
Foto: Kreisbildstelle
Erläuterungen:
1 spiritualische Subtilltäten:
Nicht sichtbare feinste Bestandteile, die nur durch Destillation bestimmt werden können.2 Podagra:
Gicht in den Zehen — besonders im Großzeh — kann sich aber auch auf andere Fußkrankheiten beziehen.3 Paralysi:
Lähmungen4 Bürdlein:
Gemeint ist wohl hier die Leibesfrucht (Kind im Mutterleib), die im 18. Jahrhundert häufig auch als weibliche Bürde (onus uteris) bezeichnet wird.5 Räude:
Bezeichnet die rauhe Haut, besonders bei eiternden und nässenden Wunden (auch Schorf genannt)6 Zittersehen und Frantzosen Flechten:
Es handelt sich um eine Hautkrankheit, die nicht genau bestimmt werden kann.Literatur:
Großes vollständiges Universal-Lexikon. Aller Wissenschaften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. (...) Zwey und Sechzigster Band. Leipzig und Halle 1749. (Zeu-Zi), S. 1588f. (Der 1. Band erschien 1732 —der letzte (64.) 1749. — Das Lexikon ist auch unter dem Namen Zedlers-Universallexikon bekannt.