Die »Goldene Meile«, ein Feld des Jammers im Frühjahr 1945
Das Kriegsgefangenenlager zwischen Remagen und Niederbreisig und der Lyriker Günter Eich
Leonhard Janta
Auf den Feldern und Rheinwiesen zwischen Remagen und Niederbreisig, die wegen ihrer Fruchtbarkeit die »Goldene Meile« genannt werden, erinnert heute nichts mehr daran, daß hier im Frühjahr des Jahres 1945 mehr als 250 000 deutsche Kriegsgefangene unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht lagen. Das Kriegsgefangenenlager wurde schon bald nachdem die Amerikaner die Remagener Brücke am 7. 3. 1945 eingenommen hatten, errichtet. Da die Gefangenen in Wind und Wetter auf den Feldern in Erdlöchern und nur teilweise unter Zeltplanen hausten, wurden aufgrund der katastrophalen hygienischen Verhältnisse und der schlechten Versorgungslage, mehr als 1 200 Kriegsgefangene durch die Ruhr, durch Unterernährung und Schwäche hinweggerafft. Diese Soldaten sind auf dem Sinzig-Bad Bodendorfer Ehrenfriedhof bestattet.
Unter den damaligen Kriegsgefangenen befand sich auch der bekannte Lyriker Günter Eich, in dessen Gedichtsammlung »Abgelegne Gehöfte« von 1948 es eine Reihe Gedichte gibt, die die Situation der Gefangenen in diesem Lager zeigen.
Günter Eich wurde 1907 in Lebus an der Oder geboren. Nach dem Abitur studierte er in Berlin und Paris Sinologie und Jura. Schon 1930 erschien sein erster Gedichtband. Obwohl Eich nie Mitglied der Partei war, wurde er als Mitarbeiter des Rundfunks bis 1944 vom Fronteinsatz bewahrt. Im Jahre 1945 geriet er dann bei Remagen in Kriegsgefangenschaft und kam
auch in das dortige Gefangenenlager, wo er mehrere Gedichte verfaßte. Die zahlreichen Hörspiele Eichs und auch seine Lyrik wurden mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet. So erhielt er 1959 den Georg-Büchner-Preis. Günter Eich starb 1972 in Salzburg. Von den 70 Gedichten in dem Lyrikband »Abgelegne Gehöfte«1 haben 14 direkten Bezug zum Krieg und zur Kriegsgefangenschaft. Obwohl die meisten Gedichte sich also nicht mit diesem Themenbereich auseinandersetzen, wurde dieser Lyrikband dennoch zum exemplarischen Gedichtband der Nachkriegszeit deklariert.2 Ähnlich wie die Kurzgeschichten und das Drama »Draußen vor der Tür« von Wolfgang Borchert und die frühen Erzählungen und Romane Heinrich Bölls, können auch Gedichte Eichs heute quasi als Dokumente der Nachkriegssituation angesehen werden. Einige Gedichttitel legen diese Bezeichnung auch nahe. Sie verdeutlichen die Verhältnisse im Kriegsgefangenenlager am Rhein zwischen Remagen und Niederbreisig:»Frühling in der Goldenen Meil«
»Erwachendes Lager«
»Mit klappernden Zähnen am Morgen Sophie«
»Wie grau es auch
regnet«
» Pfannkuchenrezept«
»Camp 16«
»Blick nach Remagen«
»Sinziger Nacht«
»Inventur«
»Latrine«
»Gefangener bei Nacht«
Einzelinterpretationen der genannten Gedichte können natürlich an dieser Stelle nicht geliefert werden, jedoch soll auf einige Grundtendenzen in der Nachkriegslyrik Eichs hingewiesen werden, die nicht nur unter dem Aspekt der Dokumentation' betrachtet werden soll. In den Gedichten wird ausgegangen vom Einzelnen, von einem Menschen in der Masse der Lagerinsassen, der seinen Blick auf seine Umgebung im Lager, aber auch darüber hinaus richtet. Neben der Bestandsaufnahme, wobei im Gedicht »Inventur« wirklich verstanden wird, was der Einzelne noch an Habseligkeiten besitzt, beziebt sich das Lyrische Ich zurück auf die Vergangenheit, denkt aber auch über die Ungewisse Zukunft nach, nachdem alle Werte verlorengegangen sind und es fraglich ist, was an die Stelle des Untergegangenen treten wird.
»Daheim verbrannten Kleider und Schuh,
Nibelungen und Faust.
Ich schaue dem Flug der Mosquitos zu,
mit fiebrigen Augen, stumpf und verlaust.
In trüber Stille das Lager versinkt.
Mein eigener Seufzer
füllt kein Ohr.
Als Gruß der Welt noch herüberdringt
der Geruch von Latrine
und Chlor.«
(Frühling in der Goldenen Meil)
In nahezu allen Gedichten ist Verfall und Desillusionierung spürbar, aber dennoch ist eine Nähe zur Naturlyrik feststellbar. In der Freude am Elementaren, Einfachen ist auch eine Zukunftsperspektive angedeutet.
»Wenn erst erwärmend die Sonne
auf den Hönninger Höhen sich
hebt,
ist es Auferstehungswonne,
die schauernd die Schläfer belebt.
Die
ungeschorenen Locken
schütteln sie übers Ohr,
wenn mit den ersten Glocken
lobpreiset der Lerchenchor.«
(Erwachendes Lager)
Details des Lagerlebens halten Gedichte wie "Das Pfannkuchenrezept" fest. In ihm wird beschrieben, wie aus zusammengesparten Rationen mehrere Gefangene Pfannkuchen in Konservendosen backen. Der Blick auf den Rhein durch den Stacheldraht hindurch zerstört alle Klischees, die in Gedichten der Rheinromantik zu finden sind.
»Durch den Stacheldraht schau ich
grad auf das Fließen des Rheins.
Ein Erdloch daneben bau ich,
ein Zelt hab ich keins. (...)
im Fließen des Rheins wird kein Wort sein,
das mir süß einschläfert das Lid.
Nichts wird sein als der Regen, —
mich schützt kein Dach und kein Damm, —
zertreten wird auf den Wegen
das Grün des Frühlings zu Schlamm.«
(Camp 16)
Die völlige Desillusionierung der Gefangenen
findet im Gedicht »Latrine«, in dem Hölderlins
auf Urin gereimt wird, ihren Ausdruck.
»Irr mir im Ohre schallen
Verse von Hölderlin.
In schneeiger Reinheit spiegeln
Wolken sich im Urin«.
(Latrine)
Obwohl der Mensch schier erdrückt wird vom Jetzt im Lager nach dem furchtbaren Krieg, so leuchtet in der ewigen Wiederkehr in der Natur eine Zukunftsperspektive auf. Der Einzelne liegt zwar:
» . . . erschauernd und winzig
auf den tauigen Wiesen vor Sinzig«,
jedoch birgt die Zukunft wieder Möglichkeiten in
sich, wenn diese auch noch so ungewiß sind.
»Am zerschoßnen Gemäuer,
weiß ich, grünt wieder der Wein.
Werden mir jünger und neuer
einmal die Stunden sein?«
(Blick nach Remagen)
In der Landschaft selbst ist nichts mehr von dem einstigen Lager zu sehen. Neben dem Friedhof in Bodendorf und den Erzählungen der Überlebenden und der Bevölkerung, die den Jammer
der Tausenden vor Augen hatte, gemahnen jedoch auch die Spuren, die Günter Eich mit seinen Gedichten hinterließ uns Nachgeborene an diese Zeit. Der Lyrikband »Abgelegne Gehöfte« führt uns neben allen Dokumenten ein Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte vor Augen, das auch auf den Feldern zwischen Remagen und Breisig geschrieben wurde.Anmerkungen:
zitiert wird aus dem Band der Erstausgabe: Eich, Günter: Abgelgne Gehöfte. Frankfurt/Main 1948.
vgl.: Schafroth, Heinz-F.: Günter Eich. (Reihe Autorenbücher). München 1976.
Friedrich Hölderlin (1770 -1843), deutscher idealistischer Dichter. Er schrieb formvollendete Gedichte im Vorfeld der Romantik, in denen er eine Harmonie des Menschen mit dem Guten und Schönen erstrebte.
Benutzte Literatur:
Böhme, Kurt W.: Die deutschen Kriegsgefangenen in
amerikanischer