Als 1854 das Bergamt Saarbrücken Gastarbeiter warb:
Verarmte Winzer von Rhein und Ahr suchten Arbeit an der Saar
Carl Bertram Hommen
Manche Jahre hatten die Bergarbeiter an der Saar zu wenig Arbeit. Oft aber konnte der Bergbau — wie an der Ruhr — nicht genügend Arbeitskräfte aus den heimischen Gemeinden finden. Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als die Industrie im Rheinland immer weitere Bereiche mechanisierte und Kohle als Energiequelle verstärkt gesucht wurde, mußte man an der Saar auf die Suche nach »Gastarbeitern« gehen. Das Bergamt Saarbrücken führte diese Kampagne — etwas unbeholfen und ohne vollständige Information für die gesuchten neuen Arbeiter für den Untertage-Betrieb — recht bürokratisch in heimischen Landen zwischen Saar, Mosel und Ahr durch. Daß es bei diesem Versuch mancherlei Schwierigkeiten und auch böse Mißverständnisse gab, schildert der nachstehende Bericht. Er basiert auf bisher unbekannten Dokumenten, die interessante Hinweise auf die Arbeit und die Bezahlung der Bergleute vor 125 Jahren, aber auch auf die schwierige wirtschaftliche Lage in der Eifel und an der Ahr geben.
»Die hiesigen Königlichen Steinkohlen-Gruben sind wegen Mangel an Arbeitern neuerer Zeit nicht mehr im Stande den bedeutenden Anforderungen der Fabriken und Gewerbe an Kohlen und Koks Genüge zu leisten. Da nun die nähere Umgebung der Gruben die jetzt erforderliche Arbeiterzahl nicht zu liefern vermag, so sehen wir uns genötigt, nach Arbeitskräften in weiteren Kreisen uns umzusehen«. Mit dieser Bitte an das Königl. Landraths-Amt zu Ahrweiler wandte sich das Königl. Preuß. Bergamt in Saarbrücken — gez. Coellen — am 4. November 1854 an die Landräte der damaligen südlichen Rheinprovinz, geeignete Arbeiter für die Kohlengruben an der Saar zu vermitteln. Eine Abschrift dieses Schreibens, das der Ahrweiler Landrat von Hoevel eine Woche später an die Bürgermeister seines Landkreises weitergab mit der Aufforderung, »für das gehörige Bekanntwerden in allen Gemeinden Sorge zu tragen«, fand sich jetzt in alten Akten der früheren Bürgermeisterei Niederbreisig, die im Landeshauptarchiv Koblenz verwahrt werden (Best. 655, 206 Nr. 636).
Das Bergamt Saarbrücken, so nannte sich die Verwaltung der Saargruben damals, suchte als Arbeiter »junge kräftige und womöglich unverheiratete Leute«, die von den Bürgermeistern an die Saar geschickt werden sollten. Über ihre Arbeitsaufgabe im einzelnen wurde nichts gesagt, was schnell zu einem bösen Rückschlag der Werbe-Aktion führen sollte. Jedoch wurde den Arbeitssuchenden versprochen: »Es ist zur Aufnahme der aus der Ferne herankommenden Leute durch Schlafhäuser, welche mit guten Betten versehen sind und für die Beköstigung derselben durch Brodlieferungen und Einrichtung von Menagen Sorge getragen worden.
Auch wurde der Lohn für die achtstündige Arbeitsschicht auf dreizehn Sgr (Silbergroschen)
erhöht und kann bei längerer Arbeitszeit auch mehr verdient werden. Die aus Entfernung über sechs Meilen zu den Gruben heranziehenden Leute bekommen Reisegeld ausgezahlt; jedem aber werden zu seiner ersten Einrichtung Geldvorschüsse gewährt, welche später in kleinen Raten vom verdienten Lohn wieder abgetragen werden können«.
Die Werbe-Aktion scheint gerade in den ländlichen Gegenden zwischen Rhein und Ahr — in einem Landstrich praktisch ohne jede Industrie, mit einem geringen Einkommen der Familien und starker Arbeitslosigkeit — Erfolg gehabt zu haben. Die Menschen waren arm, die Mehrzahl der Männer kleine »Ackerer« und Tagelöhner, daneben Weber, die mit ihren Frauen und Kindern für Bonner und Krefelder Tuchfabriken in Heimarbeit vor allem Leinen und Samt webten.
Schließlich gab es viele Winzer unter ihnen, die aber allein von ihrer Hände Arbeit in den Weinbergen an der Ahr, im Vinxtbachtal und Brohltal nicht leben konnten. (Noch heute übersetzt der Volksmund das Auto-Kennzeichen des Kreises Ahrweiler »AW« mit »Arme Winzer«). Viele von ihnen griffen gerne zu diesem steten Verdienst, der ihnen versprochen wurde.
Aber da die Arbeit, die von diesen Menschen in den Kohlengruben an der Saar erwartet wurde, im einzelnen nicht erläutert worden war, kehrten die meisten von ihnen schon nach vierzehn Tagen zur bösen Überraschung der Ahrweiler Kreisverwaltung und des Saarbrücker Bergamtes nach Hause zurück. Ihre schnelle Abkehr vom Bergbau begründeten sie in erster Linie — so heißt es in einer Verfügung des Ahrweiler Landrats vom 3. Dezember 1854, mit der »auf höhere Veranlassung« die Bürgermeister zur Befragung dieser Heimkehrer aufgefordert werden — damit, daß »die ihnen gemachten Verheißungen von der Bergbehörde nicht gehalten seien oder daß die Arbeit zu schwer sei«. Namentlich die Schlafstellen und die Verpflegung seien Gegenstand der Beschwerden.
Der Niederbreisiger Bürgermeister Ehser versicherte dem Landrat jedoch nachdrücklich, er habe keine Ursache, an der Wahrheit der übereinstimmend gemachten Beschwerden der »armen Leute« zu zweifeln, von denen ein Teil noch unterwegs das wenige ersparte Geld habe ausgeben müssen. Ihr Unwille sei wohl nicht ohne Ursache so groß. Und in einem Nachsatz sagt der Bürgermeister, er glaube »die Bemerkung nicht unterdrücken zu dürfen, daß dieses Verfahren (über die Bürgermeister Grubenarbeiter anzuwerben) leider geeignet ist, das Ansehen der Behörden in Bezug auf deren Glaubwürdigkeit zu schwächen.«
In Saarbrücken versuchte man. den Schwarzen Peter für den Fehlschlag dieses Versuchs, Arbeiter in den armen Landkreisen von Eifel, Rhein und Ahr anzuwerben, auf die Bürgermeister abzuschieben mit dem Hinweis, diese schienen wohl das Gesuch, Arbeiter für den Bergbau an die Saar zu schicken, »in vielen Punkten mißverstanden« zu haben. Wer heute die entschuldigende und beschwichtigende Antwort des Bergamtes Saarbrücken an Landrat von Hoevel liest, kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, daß man beim Bergamt reichlich betriebsblind gewesen sein muß, wenn man voraussetzte, auch außerhalb der Kohlenreviere müsse man die »richtige Vorstellung« von der bergmännischen Arbeit, vor allem von der Schwere des Berufs Bergmann haben, Nachträglich versuchte das Bergamt seinen Fehler herunter zu spielen, wenn möglich auszubügeln. Die Antwort sei im Wortlaut wiedergegeben. Sie ist bei aller Nüchternheit der Formulierung ein beredtes zeitgenössisches Dokument. Es schildert eindringlich, unter welchen Bedingungen vor 125 Jahren in den Kohlengruben unter Tage gearbeitet werden mußte und was dem Bergmann für die von ihm erwartete Akkordleistung als Lohn gezahlt wurde.
Hier der Wortlaut des Antwortschreibens des Saarbrücker Bergamtes vom 9. Dezember 1854 im Auszug:
»Statt junger kräftiger Leute, deren allerdings auch mehrere hier angekommen, sind Knaben unter 16 und Greise von 60 Jahren, Einäugige
und selbst ein mit Epilepsie Behafteter, viele Verheiratete und oft ganz schwächliche Leute hierher gesendet worden. Die Folge davon war, daß der größere Teil dieser Leute oft noch ohne nur eine Schicht in der Grube verfahren zu haben, die Gegend verließen, um in ihre Heimat zurückzukehren, und es sind uns bereits bittere Klagen über Täuschung zugegangen, welche diese Leute haben erfahren müssen. Solche Täuschungen können nur durch unrichtige Vorstellungen hervorgerufen worden sein, welche die Leute von der Grubenarbeit haben, und es scheint uns nothwendig, daß das, was von ihnen gefordert werden muß, denjenigen welche hier Arbeit suchen, klar gemacht werde. Die Grubenarbeit, besonders das Schleppen, womit die Neueintretenden beginnen müssen, ist für diejenigen, welche niemals unter Tage gearbeitet haben, im Anfange eine beschwerlichere als sonstige Tagesarbeit, und es gehört einige Uebung und Gewohnheit dazu, um sich die gleichwohl geringen Handgriffe anzueignen, damit der Mann die ihm gestellte Aufgabe in 8 Stunden löse.Gleichwohl gewinnen unsere geübten Schlepper von 18 bis 20 Jahren in 8 Stunden ihren Schichtlohn von 13 Sgr und machen auch wohl noch Nebenschichten. Die Gruben aber erleichtern dem Neueintretenden die Arbeit dadurch, daß sie von ihm in den ersten 6 Tagen eine geringere Leistung bei Gewährung vollen Lohnes bewilligen und erst in der zweiten Woche die volle Leistung fordern.
Wenn nun aber schwächliche, kränkliche und alte Leute diese Arbeit verrichten sollen, so ist es begreiflich, daß sie schon in den ersten Tagen abgeschreckt, nicht den Muth haben die Lehrzeit auszuhalten und sofort die Arbeit und die Gegend verlassen. Es ist darum erforderlich, daß die Herren Bürgermeister die sich zur hiesigen Arbeit Meldenden mit diesen Verhältnissen bekannt machen und nur kräftige und wo immer möglich unverheiratete Leute hierher senden, nur solche welche wirklich die Absicht haben sich dauernd dem Bergbau zu widmen und den Muth, die mit jeder ungewohnten Arbeit verbundenen Schwierigkeiten zu überwinden.
Wir haben mit unserem ergebensten Schreiben vom 4. v. Mts. angezeigt, daß den Schleppern ein Lohn von 13 Sgr. für die achtstündige Arbeitsschicht gewährt wird und daß die Ankommenden in den Schlafhäusern ein Bett und auch für mäßigen Preis Beköstigung finden; wir müssen aber bemerken, daß alle Arbeiten in den hiesigen Gruben im Accorde ausgeführt werden und daß es nicht genügt, blos acht Stunden in der Grube zuzubringen, sondern das zu leisten, was einem Manne von mittleren Kräften zugemuthet werden muß. Wir müssen ferner erwähnen, daß der Schlepper von dem ihm bewilligten Schichtlohn von 13 Sgr. sein Geleuchte stellen muß, was pptr. 1 Sgr. kostet, und die Beiträge zur Knappschaftskasse mit 1 Sgr. je 1 rth (Reichsthaler) Verdienst zu leisten hat, wofür er aber alle Wohlthaten dieses Knappschafts-Verbandes genießt. Dagegen kann der Bergmann, wenn er als Hauer beschäftigt wird, 18 bis 20 Sgr. und darüber in 8 Stunden verdienen, und bei dem Mangel tüchtiger Arbeiter werden die kräftigen und geschickten Schlepper in nicht zu langer Zeit in diese Klasse einrücken können.
Bei der sehr starken Bevölkerung der hiesigen Gegend und den Schwierigkeiten, welche wegen der Nähe der Königl. Waldungen neue Ansiedlungen finden, sowie bei der jetzt herrschenden Theuerung aller Lebensmittel werden verheirathete Leute mit ihren Familien nur schwer ein Unterkommen finden. Wir können deshalb auch nur rathen, vorläufig keine Verheirathete, wohl aber ledige, starke und gesunde Leute von 20 bis höchstens 34 Jahren herzusenden, und wie wir nochmals wiederholen, solche, denen es wirklich Ernst ist, die Grubenarbeit zu ihrem künftigen Berufe zu wählen. . .«