Schneiderkreuz von Galenberg

Wolfgang Dietz

Vor nunmehr 370 Jahren wurde eines der ältesten Steinkreuze im ehemaligen Maiengau, das Schneiderkreuz von Galenberg, errichtet. Aus Basaltblöcken — mit Sockel 1,82 m hoch — wohl von einem heimischen Steinmetzen angefertigt, verrät es schon durch seine äußere Form (Schöpfkelle; leichte Krümmung nach vorne), wie auch seine künstlerische Ausgestaltung (Schriftlettern und Symbolik) sein hohes Alter. Seit seiner Errichtung im Jahre 1612 stand das Kreuz an seinem ursprünglichen Platz in der Willemsheck, einem Waldstück östlich des Ortes Galenberg, bis es im Winter 1976/77 beim Holzfällen von einem niederfallenden Baum getroffen, beschädigt und umgestoßen wurde. Bürger der Gemeinde Galenberg reparierten das Steinkreuz und richteten es Ende April 1979, weil im Zuge der Flurbereinigung eine neue Wegeführung vorgenommen wurde, ca. 21 m westlich des alten Standortes — oberhalb des jetzigen Weges — wieder auf.

Wie kommt nun das Kreuz zu seinem Namen? Hier mag ein Blick auf die nebenstehende Skizze Aufschluß geben. Außer einer Widmungsinschrift mit genauer Datierung trägt die Vorderseite des Kreuzes — wie schon erwähnt — einige Symbole: den Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen im unteren Teil des Schaftes, darüber eine große Schere und eine weitere, kleine Schere links unterhalb der Hohlkelle neben der Jahreszahl 1595. Dies läßt nur den Schluß zu, daß es sich bei dem Toten um einen Schneider gehandelt haben muß, und zwar — der Inschrift zufolge — einen Schneider namens Diederig (= Dietrich) Man (triescher), der hier am 2. April 1595 tot aufgefunden wurde. Gestiftet hat das Kreuz ein Cornelius Hantriescher, Einspenr (= Einspänner, die alte Bezeichnung für einen Junggesellen), zu Gottes Ehre und zum Gedächtnis an seinen Bruder. Nach alter Überlieferung, die von Generation zu Generation in der dörflichen Gemeinschaft weitergegeben wurde, gemahnt das Schneiderkreuz an eine — für unsere heutige Zeit — unmenschliche Begebenheit: Die Herren der Burg Olbrück — Ende des 16. Jahrhunderts die Waldbott von Bassenheim — hatten bei einem Schneider aus Dedenbach (nach anderen Erzählungen aus Dürenbach oder Niederzissen) ein Gewand in Auftrag gegeben, das bis zu einem bestimmten Termin — vielleicht einem Familienfest oder zu Ostern, das im Jahre 1595 auf den 26. März fiel — auf der Olbrück abgeliefert sein sollte. Der Schneider aber erkrankte und vermochte infolgedessen die Bestellung nicht fristgemäß auszuführen. Einer harten Rüge gewärtig, wagte er sich schließlich mit der fertigen Arbeit hinauf zur Burg. Der Auftraggeber aber hörte seine Entschuldigungen nicht einmal an, sondern ließ ihn von seinen Stallknechten packen und hinter ein Pferd binden, mit dem er dann von der Burg aus, über Berg und Tal bis zu der Stelle geschleift wurde, an der das Kreuz steht. Dort ließ man den geschundenen, leblosen Körper einfach liegen.

Foto:Dietz

Erst 17 Jahre später (1612), vermutlich nachdem der Verantwortliche gestorben war, wagte es der Bruder des Getöteten, den Gedenkstein mit der nachfolgenden, neuhochdeutsch normalisierten Inschrift:

»1612
Cornelius Hantriescher, Einspänner, Gott zu
Ehren, meinem Bruder zum Gedächtnis
1595
den 2. April
Dietrich Hantriescher«

zur Erinnerung an das Schicksal seines Bruders aufzustellen.