»Blick in das Ahrtal bei Bodendorf«
— Anmerkungen zu E. W. Poses romantischer Ansicht —
Hildegard Ameln-Haffke und Jürgen Haffke
Eduard Wilhelm Pose, »Blick in das Ahrtal bei Bodendorf", 1834/35, Öl auf Leinwand, 28,7x41,1 cm, Frankfurt, Städelsches Kunstinstitut, Inv. Nr. 1874, Verz. 1966
l. Zur kunstgeschichtlichen
Einordnung des Gemäldes
1. Das Gemälde
Das romantische Ölgemälde des Düsseldorfer Malers Eduard Wilhelm Pose »Blick in das Ahrtal bei Bodendorf« entstand im Verlauf des Jahres 1834/35 von einem erhöhten Aussichtspunkt oberhalb der damals am Reisberg gelegenen Weinberge. Der Bildvordergrund, dunkel gehalten in der Farbigkeit, zeigt drei Frauen und drei Männer; während zwei von ihnen links und rechts etwas abseits sitzen — vorne links ein Maler—, scheinen die übrigen vier in der vorderen Bildmitte in ein Gespräch vertieft zu sein. Der Vordergrund wird links und rechts von niedrigen Bäumen und Sträuchern und zum Bildmittelgrund von einem nach rechts hin abfallenden Weinberg begrenzt.
Die Verbindung vom Bildvordergrund zum Mittelgrund, dem Dorf, stellen zwei Wege her (heute »Hauptstraße« und »Am Finkenstein«), die durch Weingärten führen und sich an einem Baum treffen (Standort der heutigen Linde), um von dort aus nach rechts aus dem Bild zu führen (heute »Schützenstraße«). Diese horizontale Linie nach links verlängert gedacht stellt die Standlinie dar, auf welcher der Künstler das Dorf »aufbaute«, die aber nicht identisch mit der horizontalen Mittelachse des Bildes ist. Das hinter dem Dorf Liegende, die Flußaue der Ahr, die Berge und der Himmel bilden den Bildhintergrund. Auffallend ist die Wahl des Blickausschnitts durch den Künstler, der am linken Bildrand den Mittelgrund stufenlos in den Hintergrund übergehen läßt und auf diese Weise die Tiefe des Bildes, die schon durch das Landschaftsmotiv selbst vorgegeben ist, noch betont.
Den »Blick in das Ahrtal bei Bodendorf« kann der Betrachter, jeweils beginnend bei der Vierergruppe im Bildvordergrund, über drei Blickrichtungen nachvollziehen:
einmal links am Dorf vorbei über die Ahraue bis zur Talenge bei Lohrsdorf,
oder dem geschwungenen Weg folgend über die Wegegabelung und das hervorgehobene Haus in der Dorfmitte (ehemaliger St. Thomashof) entlang des Hangfußes (heute »Am Sonnenberg«),
oder den heutigen Finkenstein hinter dem Dorf im Hohlweg (heute »Heerweg«) fortsetzend über den Bergrücken und die Landskrone wieder bis zur Talenge bei Lohrsdorf hin.
Die recht kleingliedrige Gestaltung des Vordergrundes und des Dorfes steht im Gegensatz zur großzügigeren und eher flächig wirkenden Landschaft des Mittel- und Hintergrundes. Zum kompositorischen Gleichgewicht trägt die Wolkenbank bei, deren Unterseite parallel zum oberen und unteren Bildrand, sowie zur Standlinie des Dorfes und den Bergrücken verläuft. Nach Börsch-Supan (1979, S. 227) angeblich den bedrohlichen Aspekt der Landschaft zeigend, haben die Wolken u. E. eher die Funktion, neben der Betonung des Dorfes als Schwerpunkt wiederum den Blick des Betrachters durch die nach links hin abfallende obere Begrenzungslinie auf die Talenge bei Lohrsdorf zu lenken, wo auch eine stärkere Konzentration des Lichts festzustellen ist.
Holzinger/Ziemke (1972, S. 283) und Börsch-Supan (1979, S. 227) vermuten, daß die Personen des Bildvordergrundes im von Pose gemalten Original nicht dargestellt waren; sie sollen von einem Künstlerfreund Poses, Alfred Rethel, schon 1835 hineingemalt worden sein. Eine Bleistiftnotiz auf der Rückseite des Gemälderahmens gibt über die Dargestellten Auskunft (von links nach rechts): 1. Eduard Wilhelm Pose selbst, 2. Wally Becker, 3. Johanna Müller, 4. Wilhelm Müller, 5. Jenny Heubes, 6. Jacob Bek-ker. Das Monogramm Poses »EWP« befindet sich in der Bildmitte des Vordergrundes an einem Stein.
Obwohl sich E. W. Pose sicherlich einiger künstlerischer und kompositorischer Freiheiten in seinem Gemälde bedient hat (Bildvordergrund, Blickausschnitt und Perspektive), gibt er doch mit großer Wahrscheinlichkeit die Charakteristika des damaligen Landschafts- und Dorfbildes recht genau wieder.
2. Der Künstler und seine Zeit
Eduard Wilhelm Pose kam am 9. Juli 1812 in Düsseldorf als Sohn des Landschafts- und Dekorationsmalers Ludwig Pose (geb. 1786) zur Welt. Mit 19 Jahren schloß er sich der Landschaftsklasse von Carl Friedrich Lessing an der Düsseldorfer Akademie an und wurde dann unter Johann Wilhelm Schirmer zum Landschaftsmaler ausgebildet. Aufgrund vieler Reisen, Wanderungen und Studien vor der Natur wurde Pose zu einem der bedeutendsten Landschaftsmaler der Düsseldorfer Malerschule. Er starb am 14. März 1878 in Frankfurt/ Main.
Die Düsseldorfer Akademie war nach der Rückeroberung des seit 1794 von Frankreich besetzten linken Rheinufers (1814) durch Preußen wieder neu begründet worden. Die Kunstpolitik Preußens richtete sich deshalb verstärkt
auf diese Akademie, weil man auch sie als Möglichkeit ansah, zu einer schrittweisen kulturellen und politischen Eingliederung der durch die Franzosenzeit liberal gesinnten Rheinlande in die »Preußische Rheinprovinz« beizutragen. Während sich östlich des Rheins die theoretische Auseinandersetzung mit der Romantik in Literatur und Malerei schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts verstärkt niedergeschlagen hatte — man unterscheidet heute (nach Einem) eine sogenannte »katholische« (Lukasbund und andere) und »protestantische« romantische Bewegung (Ph. 0. Runge, C. D. Friedrich, Landschaftsmalerei) —, erreichte die Romantik das Rheinland erst, als sich außerhalb schon Anzeichen des Niedergangs zeigten. Die Gründe für das späte Übergreifen sind hauptsächlich in den politischen Verhältnissen der französischen Besatzungszeit zu sehen. Die Landschaftsmalerei setzte sich allerdings im Rheinland zunächst nicht durch. Dies lag an der personellen Besetzung der Leitung der Düsseldorfer Kunstakademie. Peter Cornelius, von 1819-1824 Leiter der Akademie und selbst ehemaliges Mitglied des Lukasbundes, erklärte ausschließlich die Monumental- und Freskomalerei nach Vorbild der alten Meister (der Italiener des 13. und 14. Jahrhunderts und der Altdeutschen) zum Fundament von Ausbildung und Kunstschaffen. Erst mit Wilhelm von Schadow als neuem Direktor von 1826-1859 war kunstpolitisch eine Wende vollzogen; dieser räumte zwar selbst der Historienmalerei den Vorrang ein, ließ aber u. a. auch die Landschaftsmalerei zu und stellte hierzu Lehrer ein, so die Lehrer von E. W. Pose, Carl Friedrich Lessing und Johann Wilhelm Schirmer, deren Malstil die gesamte Landschaftsmalerei der Düsseldorfer Malerschule entscheidend beeinflußt hat.Die oft in Liedern, Gedichten, Sagen und Legenden besungene und gerühmte Rheinromantik fand in der Landschaftsmalerei der Düsseldorfer Akademie geringe Beachtung. Dies hängt mit dem gerade zu jener Zeit bestehenden, durch das Aufblühen der Rheinschiffahrt verstärkten Tourismus, hauptsächlich durch die Engländer, zusammen. Die damit verbundene
große Zahl von Reisebeschreibungen, illustriert mit unzähligen Stichen, nahmen den Malern einfach den Reiz, diese Landschaft in Gemälden einzufangen. So begnügte man sich bei den wenigen Rheingemälden, das Charakteristische einzufangen, d. h. nicht »abzubilden«, um ein künstlerisches Gegengewicht zu den Reisebüchern zu schaffen; vielmehr wich man auf die unbekannteren und vom Tourismus weniger berührten, rheinnahen Landschaften und Täler aus. Hier ging man allerdings dazu über, unter Verwendung von romantischen Akzenten (harmonische, warme Farbigkeit, raumschaffende Achsen, Konzentration von Licht, bedrohliche Wolkenbilder, Menschen im Bildvordergrund u. a.) das Motiv möglichst naturgetreu wiederzugeben.E. W. Poses »Blick in das Ahrtal bei Bodendorf« findet in diesem Zusammenhang eine Erklärungsgrundlage.
3. Die Beziehung des Künstlers zu Bodendorf
Die Bleistiftnotiz auf der Rückseite des Poseschen Gemäldes führt u. a. den Namen Wilhelm Müller auf. Jener Wilhelm Müller (1816 -1873) nannte sich später »Wolfgang Müller von Königswinter« und ist unter diesem Namen als rheinischer Dichter sehr bekannt geworden. Seine Großeltern besaßen in Bodendorf ein Weingut, den ehemaligen Zehnthof (heute Anwesen Giesen/Seifer an der Post), während seine Eltern und er in Königswinter bzw. Bergheim beheimatet waren. Nach dem Tod der Großeltern übernahm der Vater W. Müllers, Dr. med. Johann Georg Müller, 1822 den Besitz in Bodendorf; 1828 siedelte die Familie nach Düsseldorf über. Dort bildete das Müllersche Haus am Karlsplatz einen Anziehungspunkt für zahlreiche Studienfreunde W. Müllers, darunter die Landschaftsmaler Alfred Rethel und Andreas Achenbach von der Düsseldorfer Kunstakademie. Wolfgang Müller schreibt selbst über den Herbst 1834, in dem vermutlich das Gemälde von Bodendorf entstand (zitiert nach Ottendorff-Simrock 1961 auch in Seel/Haffke 1981, S. 707 71);
»In den Ferien des Jahres 1834 hatte ich die
Freude, Alfred Rethel als Gast im Kreise der meinigen zu Bodendorf an der Ahr zu sehen, wo meine Eltern ein Weingütchen besaßen und sich gewöhnlich vor und nach der Traubenlese aufhielten. Da der herrliche Herbst von 1834 ganz besondere Genüsse versprach, so erhielt ich die Erlaubnis, einige Bekannte von Düsseldorf mitzunehmen. Ich hatte zu jener Zeit meine nächsten Freunde unter den Künstlern und lud auch Rethel zum Besuch ein. Wir machten diesmal eine Fußreise mit dem Ranzen auf dem Rücken. . . . Am zweiten Tage gelangten wir nach Bodendorf, wo wir fröhliche Zeiten erlebten und in lauter Jugendlust Berg und Tal durchschwärmten . . .«Unter den angesprochenen »Bekannten von Düsseldorf« befand sich auch E. W. Pose, der diesen Aufenthalt in Bodendorf nutzte, seinen »Blick in das Ahrtal bei Bodendorf« zu malen. Ebenso hat eine Ansicht Erpels von Pose ihre Ursprünge in jenem Herbstaufenthalt. In beide Bilder hat Alfred Rethel gleich oder nicht viel später die Bildnisse der Freunde hineingemalt (Holzinger/Ziemke, 1972, S. 284). Das Bodendorf-Bild schenkte Pose der Mutter W. Müllers. Auch von dem in Poses Bild dargestellten Jacob Becker, der W. Müllers Schwester Wally geheiratet hatte, ist ein Gemälde »Ahrgegend bei Bodendorf« bekannt (Püttmann, 1839, S. 224), das sich bislang noch nicht auffinden ließ.
II. Zur Situation Bodendorfs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Neben dem ästhetischen Reiz vermittelt das Gemälde von E. W. Pose einen anschaulichen Eindruck vom Zustand Bodendorfs und seiner Gemarkung vor 150 Jahren. Poses Bild stellt die älteste, bisher bekannte Ansicht des Ortes dar, nachdem für frühere Zeiten lediglich Karten (siehe in Seel/Haffke, 1981, S. 90 »Sterzenbach-Karte« von ca. 1750, S. 87 »Tranchot-Karte« von ca. 1810, S. 99 »Urkatasterkarte« von 1828) vorliegen, die den Grundriss des Dorfes und seiner Gemarkung erkennen lassen.
Was wissen wir, über die Darstellung von Reisebeschreibungen des Ahrtals aus dem 19. Jahrhundert hinausgehend (siehe in Seel/Haffke, 1981, S. 60-65), vom Leben in Bodendorf vor 150 Jahren?
1. Die politischen Verhältnisse
Seit 1478 hatte das Dorf zur Herrschaft Lands-kron gehört, deren letzter Herr, der Reichsfreiherr vom Stein, es 1794 im Gefolge der Besetzung der linksrheinischen Rheinlande durch die revolutionären Armeen Frankreichs verlor. 1801 wurden die besetzten Gebiete staatsrechtlich mit Frankreich vereinigt; Bodendorf fiel in den »Kanton Remagen«, das dem »Arrondissement Bonn« unterstand, welches wiederum ein Teil des »Departements Rhin et Moselle« war. Schon seit jeher hatte die Pfarrei zum Bistum Köln gehört, wurde aber 1802 der Diözese Aachen zugeteilt. Nach der Niederlage Napoleons wies der Wiener Kongreß die Rheinlande dem Königreich Preußen zu (1815). welches die »Preußische Rheinprovinz« gründete; jetzt gehörte Bodendorf zum »Amt Remagen«, »Kreis Ahrweiler«, »Regierungsbezirk Koblenz«. Seit 1824 unterstand die Pfarrei der Diözese Trier, seit 1827 dem Dekanat Ahrweiler.
Die 40 Jahre zwischen 1790 und 1830 hatten dem Dorf also vielfältige Änderungen seiner politischen Verhältnisse gebracht, nachdem diese vorher jahrhundertelang stabil geblieben waren. Ob sich die Bodendorfer allerdings von dem Zeitgeschehen sonderlich beeindrucken ließen, ist nicht bekannt.
2. Das Siedlungsbild
Schattenspendende Bäume säumten den von Sinzig kommenden Weg. Hierbei handelt es sich um einen Zweig der mittelalterlichen Straße von Aachen nach Frankfurt (auch »Heerstraße« oder »Krönungsstraße« genannt), die am Ortseingang an dem großen Baum mit Bildstock nach rechts abbog und etwa dem Verlauf der heutigen Schützenstraße folgend die Stufung der Landschaft zum Aufstieg vom flachen Talgrund der Ahr zur Hochfläche der Grafschaft nutzte. Der andere, steilere Zweig dieser berühmten Straße, der noch heute so genannte »Heerweg«, tritt als Hohlweg deutlich in Poses Bild hervor. Allerdings hatten beide Wegarme im 19. Jahrhundert nur noch eine untergeordnete Bedeutung als überregionale Verbindung. Dagegen spielte seit der preußischen Herrschaftsübernahme die alleeartig ausgebaute Ahrtalstraße die wichtigste Rolle; für deren Benutzung mußten Kutschen je nach der Breite ihrer Räder an den »Chausseegeldhebestellen« in Kripp, Lohrsdorf und Dernau eine Gebühr zahlen. Seit 1838 löste eine tägliche, zwei-spännige Personen-Post mit einer Chaise für vier Personen die bis dahin bestehende dreimal wöchentliche Fahr-Post zwischen Ahrweiler und Remagen ab.
Poses Gemälde zeigt eindrucksvoll die bauliche Geschlossenheit Bodendorfs, dessen äußerer Rand fast ausschließlich von Wirtschaftsgebäuden und Stallungen bestimmt ist. Die Wohnhäuser weisen ihre Fronten der durch das Dorf verlaufenden Ahrtalstraße oder dem Ellig zu. Eine Untersuchung des Urkatasters von 1828 bestätigt die Zuverlässigkeit der Darstellung Poses; denn daraus geht hervor, daß Bodendorf 1828 aus 100 Wohnhäusern, einer Schule, einem Gemeindehaus und der in der Ahraue gelegenen Mühle bestand. Hinzu kommt als das Dorfbild bestimmender Bau die Kirche (Landes-hauptarchiv Koblenz 733 Nr. 152 Bd. 1 u. 2).
Das Gemälde liefert uns heute die einzige bekannte Ansicht dieser Kirche, die 1872 einem Neubau an gleicher Stelle zum Opfer fiel. Pastor Fey schrieb 1803 im Lagerbuch der Pfarrei (S. 3/4 sinngemäß zitiert): »Die hiesige Kirche war früher eine Kapelle, die durch zwei Nebengänge erweitert wurde; ich fand dieselbe im Ganzen sehr schmutzig und verfallen, . . Von drei Glok-ken waren die beiden größten geborsten und tönten erbärmlich . . . Das Pfarrhaus, an der Kirchhofsmauer gelegen, war fast ohne Hofraum und Garten, mit einer zusammengefallenen Scheune und altem Stall; das Haus war so baufällig, daß man ohne Gefahr die Treppe nicht besteigen konnte, mithin war es nicht mehr bewohnbar.« Noch 1862 meinte der Koblenzer Arzt Julius Wegeier in seinem Reiseführer »Bad Neuenahr und seine Umgebungen« (S. 61-63 im Original oder bei Seel/Haffke, 1981, S. 62): » Die Kirche ist klein und durch An- und Inbauten gänzlich verdorben.« Am Kirchturm befand sich die Jahresangabe 1647, die auf das Baujahr hinweisen kann (siehe Beitrag Schug/Haffke in Seel/Haffke, 1981, S. 24). Die Ansicht Poses von 1834/35 überliefert uns ein Bild Bodendorfs, wie es vermutlich während des 18. Jahrhunderts bestand, nachdem die Zerstörungen des 17. Jahrhunderts (SOjähriger Krieg 1618-1648, Reunionskriege Ludwig XIV 1672 - 1678 und 1688 - 1697) durch Neubauten beseitigt waren, und welches bis zum Bau der neuen Kirche von 1872 Gültigkeit hatte. In den 100 Häusern des Ortes lebten 1828 460 Einwohner. 90 einheimische und 4 auswärtige Eigentümer dieser Häuser führt das Urkataster auf. Bis 1840 stieg die Einwohnerzahl auf 597, blieb dann über die Wende zum 20. Jahrhundert hinaus darunter und übertraf diese Marke erst nach dem 1. Weltkrieg (Daten nach Haffke, 1979, S. 83/84). Die 80 Jahre dauernde Stagnation in der Entwicklung Bodendorfs findet ihre Erklärung in den wirtschaftlichen Lebensbedingungen jener Zeit, wie im folgenden dargelegt wird.
3. Die Flur
Außer wenigen Handwerkern fanden wohl alle übrigen Familien Bodendorfs ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft und im Weinbau. Die ca. 320 ha große Gemarkungsfläche teilten sich 1828 201 Eigentümer, von denen 41 nicht am Ort — meist in Nachbardörfern — lebten (nach Angaben des Urkatasters). Daran erkennt man, daß 70 Einwohner/Familien zwar kein Haus, aber Grundbesitz hatten. Es wird auch besitzlose Einwohner, insbesondere Knechte und Mägde, gegeben haben, deren Zahl in Realerbteilungsgebieten allerdings selten hoch ist. Landbesitz hatte meist jede Familie; das Problem war nur, ob der Besitz auch groß genug war, alle zu ernähren. Schon damals bestand der Weinbau in Bodendorf mindestens 1 000 Jahre und bildete den Haupterwerb der Bevölkerung. Durch den Einsatz Pastor Feys hatte man die Rebfläche von 1809 21,4 ha bis 1820 auf 33,7 ha ausgedehnt und die Qualität der Weine verbessert. Nach dem Übergang der Rheinlande an Preußen 1815 bildete Norddeutschland ein günstiges Absatzgebiet für die Weine des Ahrtals. Ein Zollgesetz von 1818 sicherte zudem die rheinischen Weine vor süddeutschen Konkurrenten. So zeigt Pose ausgedehnte Rebanlagen, die nahtlos an den Südhängen Bodendorfs hoch hinaufreichen und selbst flache Tallagen bedecken. Damit stellt das Bild ein Dokument für den Höhepunkt des neuzeitlichen Weinbaus in Bodendorf dar. Gerade in den Jahren 1834/35, als Pose hier bei der Familie Müller verweilte, trat die Wende und ein allmählicher Niedergang des Weinbaus am Ort und im unteren Ahrtal ein. Mehrere ungünstige Faktoren veränderten die wirtschaftliche Situation völlig (nach Ueing, 1958, S. 62/63):
Mit dem Beitritt Preußens zum Deutschen Zollverein 1834 wurde der Weinschutzzoll von 1818 aufgehoben und die Ahrweine gerieten in Konkurrenz zu den süddeutschen.
Auf in Preußen gewachsenem Wein lastete eine beträchtliche Steuer; diese gab es in Süddeutschland nicht.
Waren die Winzer zunächst froh, daß durch das Auftreten des Zwischenhandels seit etwa 1830 die Selbstvermarktung wegfiel und sie ihre Traubenernte ohne Kellerbearbeitung direkt weiterverkaufen konnten, führten bald Absprachen der Händler zu einem Preisverfall, da die Winzer nicht auf ihrer Lese sitzen bleiben wollten.
Durch üble Manipulationen stellten einige Händler aus Branntwein, Rum, Rosinen, Holunderbeeren und Wasser »Kunstwein« her, den sie als »Ahrbleicharte« vertrieben. Folge: Die Nachfrage sank beträchtlich.
Zehn Mißernten von 1834 an hintereinander lieferten noch genug Wein, um die geschwächte Nachfrage zu befriedigten.
1844 riet man den Winzern, die Weinberge in der Ebene zugunsten von Ackerland zu entfernen und eine Ausdehnung der Rebfläche in schlechte Weinbergslagen zu unterlassen oder rückgängig zu machen, um die Lebensmittelversorgung und die Weinqualität zu verbessern. Selbst der Versuch, aus Bodendorfer Wein Champagner herzustellen, was 1834 auch mit gutem Erfolg gelang, brachte keinen Ausweg aus der tiefgreifenden Krise.
Von Beginn des 19. Jahrhunderts an bis 1828 war die Einwohnerzahl Bodendorfs um ca. 60 Personen gestiegen, ein Zuwachs, der durch eine Ausdehnung der Rebfläche und auch des Ackerlandes (1809: 113 ha, ca. 1835: ca. 140 ha; Seel/Haffke, 1981, S. 60) verkraftet werden konnte. In den 12 Jahren von 1828 bis 1840 kamen jedoch erneut fast 140 Einwohner hinzu! Die Konjunkturflaute im Weinbau, von dem allein das Wohl des Dorfes abhing, unrentable Betriebsgrößen — durch die Realteilung bei wachsender Bevölkerung hervorgerufen —, sowie fehlende, von der Landwirtschaft unabhängige wirtschaftliche Impulse setzten der Entwicklung Bodendorfs für den Rest des Jahrhunderts und darüberhinaus Grenzen. Die Rebfläche weitete sich gegenüber 1828 bis 1867 nur noch um 0,27 ha auf 33,97 ha aus und erfaßte damit auch die letzten für Qualitätsweinbau geeigneten Parzellen der Gemarkung. Durch die Regulierung der in breitem, mit Sandbänken durchsetztem Bett fließenden Ahr wollte man in den 1860er Jahren zusätzliches Grünland gewinnen; aus Kostengründen kam man erst 20 Jahre später dazu und verband die Korrektion mit der Anlage einer aufwendigen Wiesenbewässerung. So wanderten schon in den 1840er Jahren viele Bewohner, durch die Not aus der Heimat getrieben, in die an Rhein und Ruhr entstehenden Industriezentren oder sogar nach Amerika aus. Bis 1871 verringerte sich die Einwohnerzahl um ca. 60 Personen auf 533! E. W. Poses Gemälde vermittelt künstlerisch romantischen Geist und sicherlich eine »Sonntagsstimmung«; dagegen stellte sich das Bodendorfer Alltagsleben vor 150 Jahren wohl nur selten so idyllisch dar.
III. Resümee
Das Gemälde »Blick in das Ahrtal bei Bodendorf« von Eduard Wilhelm Pose, einem bedeutenden Vertreter der Landschaftsmalerei der Düsseldorfer Malerschule, ist ein markantes Zeugnis für die romantische Stilrichtung im Rheinland und deshalb von besonderem kunstgeschichtlichen Wert. Im Unterschied zu anderen Orten des Ahrtals, deren Zustand des vergangenen Jahrhunderts in Stichen dokumentiert ist, bedeutet für Bodendorf ein Ölgemälde das älteste Dokument seines Aufrisses. Für die Geschichte des Ortes und des Ahrgebietes nimmt die Ansicht eine hervorragende Stellung ein, weil sie in anschaulicher Weise den baulichen und landschaftlichen Zustand unserer Heimat vor 150 Jahren wiedergibt.
Literatur:
Einem, Walter von: Deutsche Malerei des Klassizismus und der Romantik 1760 - 1840. München 1978.
Haffke, Jürgen: Der Kulturlandschaftswandel im Ahrtal seit dem beginnenden 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung von Bad Bodendorf. Unveröff. Magisterarb. Bonn 1977.
Haffke, Jürgen: Vom Winzerdorf zum Badeort— Bad Bodendorf und sein Fremdenverkehr im 19. und 20. Jahrhundert. Düsseldorf 1979.
Holzinger, Ernst/Ziemke, Hans-Joachim: Städelsches Kunstinstitut Frankfurt am Main. Die Gemälde des 19. Jahrhunderts. Text- und Bildband. Frankfurt/M. 1972, S. 283-284.
Kiessmann, Eckart: Die deutsche Romantik. Köln 1979. Püttmann, H.: Die Düsseldorfer Malerschule und ihre Leistungen . . . Leipzig 1839, S. 224.
Seel, Karl August/Haffke, Jürgen: Beiträge zur Heimatkunde von Bad Bodendorf. Festschrift 300 Jahre Sebastianus-Bru-derschaft Bad Bodendorf 1981. Darin folgende Beiträge:
Schug, Peter/Haffke, Jürgen: Geschichte der Pfarrei Bad Bodendorf. S. 24 - 33.
Haffke, Jürgen: Bodendorf in Reisebeschreibungen des 19. Jahrhunderts. S. 6 0-65.
Ottendorff-Simrock, Walther: Wolfgang Müller in Bodendorf und Bad Neuenahr. S. 70 - 72. Haffke, Jürgen: Bad Bodendorf— Ein geographisches Portrait. S. 87 - 89.
Seel, Karl August: Die Bodendorfer Gemarkung — Flurnamen und Weinbau. S. 90 - 108.
Trier, Eduard/Weyres, Willy: Kunst des 19. Jahrhunderts im Rheinland. Band 3: Malerei. Düsseldorf 1979. Darin folgende Beiträge:
Mai, Ekkehard: Kunstpolitik am Rhein. Zum Verhältnis von Kunst und Staat am Beispiel der Düsseldorfer Kunstakademie. S. 11 - 42.
Markowitz, Irene: Rheinische Maler im 19. Jahrhundert. Die Düsseldorfer Malerschule und die Kunststädte am Mittel- und Niederrhein. S. 43 - 144. Börsch-Supan, Helmut: Aufblühen der Landschaftsmalerei im Rheinland. S. 209 - 250.
Tümmers, Horst-Johs: Rheinromantik. Romantik und Reisen am Rhein. Köln 1968.
Ueing, Hans-Bernd: Entwicklungstendenzen des Ahrweinbaus seit Erstellung des Katasters bis zum Feldvergleich 1954/56. Diss. Bonn 1958.