Zartweiße "Blüten" aus tiefem Dunkel

Champignonzucht im ehemaligen Eisenbahntunnel bei Mayschoß

Wolfgang Pechtold

Richtigen Zugverkehr hat die „strategische Bahnlinie" durch das Ahrtal eigentlich nie gesehen. Denn zum Ersten Weltkrieg wurde sie nicht fertig, und sie zu vollenden, verbot 1919 der Versailler Vertrag. Seither wurden und werden ihre Tunnel zweckentfremdet genutzt, wenn auch vielseitig: als Produktionsstätte für Raketen, als Luftschutzkeller, Befehlsbunker, Wagenremise. . . Den Tunnel zwischen Mayschoß und Rech nutzt der Bachemer Heinz Fuchs seit 28 Jahren auf eine besonders sympatische Weise, nämlich für eine Champignon-Zucht. Die ist, wie er selbst betont, klein. Die ist aber auch, wie Gourmets wissen, fein.

Was der frühere Kaufmann und Gastwirt heute als appetitliches Hobby betreibt, fing 1952 durchaus professionell an. In die Champignon-Zucht, die vor dem Zweiten Weltkrieg schon im Silberberg-Tunnel zwischen Ahrweiler und Marienthal bestand, hatte er ein wenig hineingerochen, und noch genauere Kenntnis brachte Kompagnon Heinrich Gill mit, der bis 1963 am „Unternehmen Tunnel" beteiligt war. Gemeinsam handelten sie der Bundesbahndirektion Trier den ersten Fünf-Jahres-Vertrag ab. Gemeinsam mauerten sie nach Feierabend den Tunnel auf beiden Seiten zu. Gemeinsam holten sie den ersten Pferdemist, legten Beete an, spickten sie, ernteten. . .

Und verkauften ihre Ernten zu Preisen, die anfangs durchaus einträglich waren: fünf Mark das Kilo. „Heute kriege ich sieben. . . ", verrät Heinz Fuchs. Und hat damit schon umschrieben, warum der Partner in den sechziger Jahren ausstieg: Die Kosten waren von Jahr zu Jahr gewachsen, die Preise aber stagnierten unter dem Druck von Dosenimporten und Frischwaren-Schwemme. Die industrielle Zucht der Niederlande. Frankreichs oder Taiwans machte die gewerbliche von Mayschoß unrentabel. Fuchs hat holländische Anlagen besichtigt, die „größten Misthaufen Europas", wie er lächelnd sagt. Beeindruckt haben ihn die automatisierten und rationalisierten Arbeitsmethoden. Weniger beeindruckt haben ihn die Qualitäten, die dort erzielt werden. „Meine Champignons", sagt er selbstbewußt und sich auf das Urteil seiner Abnehmer stützend, „sind besser".

Vielleicht liegt es an den besonders günstigen Wachstumsbedingungen, die der Mayschosser Tunnel im Vergleich zu den Übertage-Anlagen der meisten Champignon-„Fabriken" bietet. Ganz bestimmt liegt es an der inzwischen reichen Erfahrung des 56jährigen Bachemers und am Zeitaufwand, den er seinem Hobby — dazu ist die Champignonzucht inzwischen für ihn geworden — regelmäßig widmet. Dreimal die Woche ist er zur Ernte im Tunnel. Aber vor den Preis ist auch bei der Pilzzucht der Schweiß gesetzt...

 

Erntezeit im Tunnel: Fast drei Monate zuvor hat Heinz Fuchs die Hügelbeete aus kompostiertem Mist mit dem Mycel dem Wurzelgeflecht. "geimpft" Nun sind zartweiße oder cremefarbene Pilze herangewachsen

Pferdemist ist der Nährboden, auf dem die „Saat" aufgehen soll, und zwar möglichst von Pferden, die überwiegend mit Heu und Hafer gefüttert werden. Der Mist wird auf-und zweimal umgesetzt wie ein Komposthaufen. Und er wird dabei tatsächlich kompostiert. Daß bei den Zersetzungsvorgängen im Inneren des Haufens Temperaturen von 70 bis 80 Grad entstehen, ist wichtig: denn bei solchen Hitzegraden sterben Keimlinge im Dünger ab. der gewissermaßen sterilisiert wird. Nebenbei trägt die Wärmeentwicklung nicht unwesentlich dazu bei, daß die Raumtemperatur im Tunnel relativ konstant bei 12 Grad gehalten wird, selbst im Winter.

Der kompostierte Mist wird in langen „Hügelbeeten" ausgebracht, die in ihrer Form an die welligen Spargelbeete erinnern. Fuchs bevorzugt diese Beetform, die vor allem in Frankreich zu Hause ist: in Deutschland dominieren sonst Flachbeete.

Im Karton kommt das Saatgut an, die „Brut". Pilzfortpflanzung ist ein in weiten Bereichen unerforschtes Phänomen. Champignonvermehrung geschieht mit Hilfe des „Mycels", des Geflechts. Und das kann von Zuchtanstalten — Heinz Fuchs kauft vorwiegend in Frankreich ein — bezogen werden. Das Mycel sitzt dabei auf körnigem Nährboden, meistens Hirsekörnchen. Und die werden in 20-Zentimeter-Abständen in den Humus gesteckt wie Setzbohnen.

Drei Wochen später erscheint hauchfein neues weißes Geflecht, das sich zur Oberfläche des Beets durchgewuchert hat. Das Beet wird nun mit Erde abgedeckt. Fuchs benutzt dazu Lava-Sand aus dem Laacher-See-Gebiet, der möglichst nicht an der Oberfläche abgebaut sein soll, weil sonst unerwünschte Samen, Keimlinge oder Wurzeln in ihm stecken.

Denn auch eine Champignon-Kultur kennt ihre tierischen und pflanzlichen Schädlinge. Ratten zum Beispiel, die Hirse samt Mycel ausgraben und fressen. Fliegen zum Beispiel, die ihre Eier in Pilzen ablegen und sie damit „madig gemacht" haben. Fast noch mehr fürchtet Heinz Fuchs Pilzschädlinge in der Pilzkultur, die Weichfäule vor allem. Gegen sie vorzugehen, heißt eine Radikalkur anwenden; weil selektive Bekämpfung des einen (schädlichen) Pilzes ohne Schädigung des anderen (nützlichen) kaum möglich ist, tötet Fuchs in den befallenen Bereichen auch die Champignons ab.

Die Erntezeit beginnt sechs bis acht Wochen, nachdem das Beet abgedeckt wurde. Wie lange und wieviel aus einem Beet geerntet werden kann, hängt vor allem von der Qualität des Düngers, also des Pferdemists ab. Manchmal hat ein Beet nach zwei Ertragswochen „sein Pulver verschossen". Es kommt aber auch vor, daß noch nach drei Monaten gute Erträge zu erzielen sind.

Exakt 234 Meter lang ist der Tunnel. Zu einem Viertel ist diese Länge noch für die Chamignonzucht genutzt. Das reicht für Stammkunden: Hotels, ein Fachgeschäft in der Neuenahrer Fußgängerzone. Und nicht zuletzt für die „Jägerschnitzel mit Champignons aus eigener Zucht", die Fuchs für sein Lokal „Zum alten Backhaus" in Bachern kreiert hat.

Er sieht trotzdem vor allem ein — nützliches — Hobby in seiner Tätigkeit unter Tage, bei der er meist allein ist. Mit der zischenden Petromaxlampe Oder der noch schwächeren Karbid-Funzel. Und mit seinen Cremefarbenen oder weißen Pilzen. Und mit seinen Gedanken.

 

Der Lohn der Mühe ist nicht überwältigend: Sieben Mark je  Ki!o erlöst Fuchs der seme Hochwertigen Champignons gleich im Tunnel auswiegt — im Schein des Tageslichts,  das durch ein einziges Fenster in der Stirnwand fällt
Fotos: Vollrath