Wie alt sind unsere Kirchen wirklich?

Die ersten christlichen Jahrhunderte im rheinischen Raum

Hermann Bauer

Im Heimat-Jahrbuch 1980 wurde die päpstliche Bulle von 1131 für das Bonner St. Cassiusstift behandelt. Diese Urkunde bestätigt dem Stift das Recht, den zehnten Teil der Einkünfte dieser Kirche einzuziehen, wodurch dieses wieder die Verpflichtung übernimmt, für den Unterhalt der Kirche, des Pfarrers und der Pfarrwohnung zu sorgen. Sie sagt aber nicht aus, wann diese Kirche gebaut wurde, sie sagt auch nicht aus, ob diese auf dem Gemäuer einer älteren errichtet wurde. Nicht erfahren wir aus der Urkunde, wie groß und aktiv die Gemeinde war, wer ihr die frohe Botschaft gebracht, wie überzeugend der Priester war, der dieser Gemeinde vorstand. Wir wissen lediglich — und das gilt für viele urkundliche Erwähnungen, auf Grund deren Jubiläen gefeiert wurden — von der Existenz dieses Gotteshauses zur Zeit der Urkundenausstellung.

Mit Hilfe eingehender Untersuchungen können wir uns aber ein Bild machen, wer den Samen der Botschaft gestreut haben mag. Wie die Pflanze des Glaubens aufging, wo sich das Gemeindeleben vollzog, wie die Gläubigen ihren Gottesdienst gestalteten, wann sie sich eine Holzkirche bauten, wer ihnen das erste massive Gotteshaus aus Stein errichtete. War es ein Adeliger, der Grundherr, der Bischof oder der König, wenn die Siedlung sich innerhalb des fiskalischen Landes befand?

 

Wenzel Hollar, Oberwinter mit Kirche St. Laurentius Anfang des 17. Jh.

Wenn wir auf diese Fragen direkt keine Antwort bekommen, fragen wir unsere Kirche selbst nach ihrem Namen. Martinskirchen und solche, die dem Dionysius geweiht sind, bisweilen auch Laurentiuskirchen, sind oft Eigenkirche des Königs gewesen. St. Alban, St. Columban, St. Peter und manchmal auch St. Laurentius sind Sacellani des Bischofs und weisen auf eine sehr frühe Entstehung hin, vielleicht schon auf die Zeit des 5. Jahrhunderts. Die meisten Laurentiuskirchen aber verdanken ihren Namen dem Siege Kaiser Ottos am 10. August 955 über die Ungarn auf dem Lechfeld, so daß Laurentiuskirchen auch erst um das Jahr Tausend entstanden sein können. Für die Laurentiuspfarrei Oberwinter fallen folgende Überlegungen zusammen: Oberwinter stand ursprünglich auf fiskalischem Gebiet, und Gerhard von Sinzig vertrat hier die Rechte des Königs, die erste Namensnennung des Ortes ist 886. Die erste Steinkirche könnte um das Jahr 1000 entstanden sein.

Die ersten und ältesten Heiligen brachten uns die Römer, unter denen auch unsere ersten Glaubensboten waren:

Die Legionäre, Kaufleute und Beamte

Natürlich nicht alle, sondern nur ganz Vereinzelte, die bereits ihre Begegnung mit der neuen ..jüdischen Sekte'', wie sie die neue Lehre sahen, gemacht hatten. In allen Schichten der römischen Bevölkerung war Aufnahmebereitschaft spürbar. Das war kein Massenzustrom, das konnte nur eine unauffällige Flüsterpropaganda sein, denn jede Öffentlichkeitsarbeit hätte die staatlichen Sicherheitskräfte auf den Plan gerufen. Denn wofür hier geworben wurde, erschütterte den Staat in seinen Grundfesten, entthronte den Götterhimmel und hob die ganze Sozialordnung aus den Angeln. Für die Soldaten als den Hütern der Ordnung war das Bekenntnis zum Christentum besonders gefährlich, denn sie rüttelten damit an der Gottgleichheit ihres Oberbefehlshabers. So konnten sie nur gut getarnt arbeiten. Die Kaufleute, die in sich die neue Lehre trugen, hatten die beste Gelegenheit, von dem Nazarener und seiner Lehre zu sprechen, wenn es ihnen nicht schwer fiel, gegen Korruption und Wucher Stellung zu beziehen. Den Beamten als Staatsdiener war es fast unmöglich, sie konnten nur durch andere Umgangsformen überzeugen und so auf sich aufmerksam machen, wenn sie römische Erkenntnisse im Acker- und Weinbau, im Straßen- und Häuserbau, im Handel und Wandel weitergaben. Vor allem mußten sie den Geheimcode in Sprache und Schrift anwenden. Wenn sie zu ihren Versammlungen ihre Kameraden. Freunde und Kollegen wie zu einem ..Fischessen" einluden, dann war die Einladung nur für Eingeweihte verständlich, die in den Anfangsbuchstaben des griechischen Wortes Ichthyos = Fisch ihr Bekenntnis zu Christus ausdrückten.

Was die Romreisenden in den Katakomben an Geheimzeichen sehen können, das war auch damals in dem eroberten Gallien, zu dem auch das Rheinland gehörte, zu finden. Selbstverständlich gab es solche kleine Zirkel nur da. wo die Soldaten in Garnison lagen, wo die Beamten ihre Verwaltungszentren hatten, wo Kaufleute ihre Warenlager unterhielten. Darüber haben wir auch schriftliche Kunde. Sie überliefert uns Irenäus, ein Kleinasiate aus Smyrna. Schüler von Polykarp. der wiederum Schüler des Apostels Johannes und in den Jahren 177 — 200 Bischof in Lyon war. Er hat noch eine hautnahe Tradition zu Christus hin. Tertullian, ein jüngerer Zeitgenosse des Irenäus, beschrieb die oben geschilderte Wirksamkeit so: "Die Germanen dürfen bis jetzt ihre Grenze noch nicht überschreiten, die Britannier sind rings von ihrem Ozean eingeschlossen. Christi Namen aber ist überall verbreitet, an ihn wird überall geglaubt, er wird von allen Völkern verehrt. . . "

Auf dem platten Lande haben sich in dieser Zeit nur verschwindend wenig kleine Inseln christlicher Gemeinden gebildet. Von ihnen künden Grabbeigaben und christliche Frühkunst. Aus den Verfolgungszeiten vor Konstantin Chlorus. dem Vater Kaiser Konstantins, sind uns Märtyrermemorialien von Rhein und Mosel überliefert. Über den Gräbern von 50 Blutzeugen wurden in Köln St. Gereon Erinnerungsstätten errichtet. Da die Anwohner einer solchen Kirche auch später einmal ihre Ruhestätte bei den Märtyrern haben wollten, wurde sie zum Mittelpunkt einer Totenstadt. "Sociata Martyribus" (mit den Märtyrern vereint' kündet ein Grabstein bei St. Gereon. Ahnliche Gedenkstätten sind St. Ursula. St. Severin in Köln. St. Maximin. St. Paulin und St. Matthias in Trier. St. Mattheis hat die einzige, heute noch erhaltene christliche Grabkammer. Die Krypta der Münsterkirche in Bonn birgt die Überreste der Märtyrer Cassius und Florentius. Die erste Kirche über ihren Gräbern war jenes Cassiusstift. das Ausgangspunkt dieser geschichtlichen Untersuchung ist.

Von den ersten Christen haben wir nur wenig Kunde, das Wenige aber hat eine starke Aussage. Wo immer sich eine christliche Kunst offenbart, muß auch eine lebendige Christengemeinde gewesen sein. Das Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin beherbergt als Totengabe die schönste aller bekannten Elfenbempyxiden. einen Behälter für Hostien oder Reliquien aus dem 4. Jahrhundert, auf dem Christus im Kreise semer 12 Apostel und das Opfer Abrahams dargestellt sind. Dieser Fund stammt aus einem Grabe an der Mosel. Ähnliche Kleinkunst kam in Köln. Bonn. Neuß und Zülpich. und außerhalb der römischen Garnisonen im Taunus, in der Nähe von Bingen. in Bausendorf bei Mayen. in der ältesten Römerstadt Trier und bei Merzig, mit dem heute noch üblichen Christusmonogramm zutage. Ein Unikum altchristlicher Kunst aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts offenbart uns spürbar den Kampf zwischen Christentum und Heidenglaube. Adam und Eva stehen sich nicht am Baum der Erkenntnis gegenüber, lebhaft redend und gestikulierend sind sie beieinander, und die Schlange beteiligt sich an diesem Gespräch. Welch vielsagende Idee! Daneben steht ein zweiter Baum: Gras und Strauchwerk beleben den Boden. Die Umschrift in deutscher Übersetzung: Freue dich in Gott, trinke und lebe. Bei der früheren Martinskirche von Remagen. der heutigen Apollinariskirche. fand man einen Grabstein aus dem 4. Jahrhundert. Seine Inschrift: Hier ruht Mütterchen, meine süße Gattin, die mit mir geschafft hat viele, ja recht viele Jahre, die mir 23 Jahr Gattin war, 8 Jahr 7 Monate und 18 Tage Schwester in unserem Herrn und Gott Jesus Christus, der mich für wert halten möge, seine Wege mir zu zeigen, daß ich sie wandeln könne!

Die Christengemeinde in Remagen, einer alten Römerstadt, muß groß gewesen sein, denn ein Geograph aus Ravenna erwähnt sie besonders unter den christlichen Römerstädten.

Wir sehen überall Zeugnisse um uns verstreut, aus denen wir schließen dürfen, daß sich bei uns auch Einiges tat. Sicher ist, daß mehr verborgen bleibt, als Forschung und Spaten offenbarten. Vielleicht wissen unsere kleineren Museen noch etwas mehr, worüber sie bis jetzt geschwiegen haben. Hier könnte der Lokalhistoriker ansetzen, um noch mehr ans Licht zu bringen. Zusammenfassend über die Zeitepoche schreibt Neuss: „Wir wissen wenig. Aber wir wissen genug, um zu erkennen, wie früh und wie tief das Christentum sich in den Boden unseres Rheinlandes eingewurzelt hat und wie sehr seine Einführung die ganze spätere Geschichte unserer Heimat maßgebend bestimmt und das Antlitz seiner Kultur geformt hat. Nicht von ungefähr sind am Rheine und an der Mosel die mächtigen Kurfürstentümer entstanden, nicht ohne Grund schlug hier das Herz des alten Deutschland, nicht zufällig spiegeln sich hier in den Fluten der rheinischen Flüsse die schönsten deutschen Dome. Das Christentum hat hier seit fast zweitausend Jahren beständig gewirkt, hat Volk und Boden durch eine uralte Kultur verbunden, indem es dem Lande und den Menschen seine Züge aufgeprägt und mit seiner immer neuen schöpferischen Kraft stets wieder Land und Volk verjüngte. Immer reichere und stolzere Denkmäler ließ es erstehen, die als köstlicher Schatz lebenspendender Erinnerung von Geschlecht zu Geschlecht wirken, die uns mit unserer rheinischen, deutschen Erde unzertrennlich verbinden. Wahrzeichen zugleich unzerstörbarer Hoffnung1'!

Aber für eine systematische Missionierung unserer Heimat mußten andere politische Voraussetzungen geschaffen werden. Die germanisch-keltischen Stammesgebiete boten sich erst dann als fruchtbares Missionsgebiet an. als die fränkische Landnahme begann. Der rechtsrheinische Stamm der Ubier, die bereits mit Caesar ein Bündnis geschlossen hatten und die römische Oberhoheit anerkannten, wurden im Land der Eburonen angesiedelt und hatten 12 v. Chr. ihren Staat, die Civitas Ubiorum, vollendet. Dieser Staat reichte im Süden etwa bis zum Vinxtbach. Reines römisches Land waren die Territorien der Colonia Claudia Ära Aggripiensium, also das Gebiet von Köln, und die Legionslager von Bonn und Neuß. In diesen noch rein römischen Gebieten setzte der Angleichungsprozeß der Germanen mit den Römern früh ein. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten erscheint zum ersten Mal der Name „Franken", der den Zusammenschluß germanischer Völkerschaften bezeichnete. Die erste militärische Berührung mit den Römern erfolgte gegen Ende des dritten Jahrhunderts. Gleichzeitig setzte ihre Übersiedlung auf das linke Rheinufer ein, womit ein neuer Abschnitt römisch-germanischer Beziehungen eingeleitet wurde. Inmitten des neu entstandenen Frankenreiches hielten die Römer für sich nur die festen Plätze in ihrer Hand. Zwar gelang es ihnen nochmals, wenn auch nur für ganz kurze Zeit, verlorenes Gelände wiederzugewinnen und die Alleinherrschaft bis zum Rhein zurückzuerobern, aber das Vordringen des Hunnenkönigs Attila brachte auch die hier ansässigen Völkerschaften erneut in Bewegung. Damit ging die Römerzeit in Gallien und am Rhein endgültig zu Ende. Als einen ihrer letzten Stützpunkte überließen sie 459 auch Köln den Franken. In allen fränkischen Stämmen herrschten seit dem 5. Jahrhundert die Merowinger als Könige. Der Stammvater dieses mächtigen Geschlechtes hieß Merovans oder Merowech. Durch die spektakuläre Taufe des Königs Clodwigs l. und der dreitausend fränkischen Edelinge in Reims durch Bischof Remigius sicherten sich die Merowinger einen breiten Bekanntheitsgrad bis in unsere Zeit, sie gaben aber auch der Kirche die politische Möglichkeit einer systematischen Mission.

Doch noch stand das fränkische Reich auf sehr schwankendem Boden. Blutige Familienfehden hatten die einzelnen Stämme verfeindet. Die Hausmeier, höchste Beamte der Könige, hielten die Macht fest in den Händen. Der letzte Hausmeier Pippin stürzte den letzten Merowinger und machte so den Weg frei für die kraftvolle Reichsgründung durch die Karolinger. Aber durch die politische Macht allein war der Hausmeier noch kein König. Da fand der Papst den Ausweg. Durch die kirchliche Salbung rückte er den Haus-meier in die Würde des „Königs von Gottes Gnaden", übertrug ihm die Schutzherrschaft über die westliche Christenheit und verhalf dem Frankenreich zur Weltgeltung.

 

Aus der Urkunde vom 26. Febr. 886 Abt Ansbach von Prüm: Zeile 8 von oben links
De vineis quoque: inter riegamaga. & concale. & winitorio & cassbach. & bahheim. et mielenheim & einalsfelt. et filippia & inpago aroense in geroldeshova
auch Weinberge zwischen Remagen & Unkel & Oberwinter & Kasselbach & Bachem und Mehlem & Einsfeld und Villip & im Ahrgau in Geroldshofen

Von allen politischen Umwälzungen erfuhr der Bauer auf dem platten Lande nichts. Um sie aus ihrem Aberglauben aufzurütteln, waren die iroschottischen Wandermönche gerade die Richtigen. Der heilige Patrick hatte das Feuer der Begeisterung für das Christenturn entfacht, aber die Iren waren zu sehr Individualisten, um sich von der neuen Lehre in Zucht nehmen zu lassen. Da die Römer die Insel nie betreten hatten, gab es auch keine Begegnung mit ihrer Kultur und es gab auch keine Städte. Patrick, der selbst aber mit dieser Kultur in Frankreich mehr als nur Berührung gefunden hatte, gründete in Irland statt der Städte strenge Klöster und versuchte, die Neubekehrten mit einem Kloster eng zu verbinden. So wurde der Abt gleichzeitig Bischof der Gläubigen eines „Clan". Dadurch erhielt die irische Kirche ein ausgesprochenes mönchisches Gepräge. Die Mönche waren auch die Seelsorger des Volkes, manche Mönchsgewohnheit ging in die seelsorgliche Praxis über und gab dem Christentum in Irland eine straffe Zucht. Die irische Kirche hatte weder eine Verbindung mit Rom, noch wurde sie von Irrlehren heimgesucht. Viele Mönche, erfüllt von dem angeborenen Wandertrieb, sahen in der „Heimatlosigkeit aus Liebe zu Gott" ihre Berufung als Missionare des Festlandes. Ihr Weg führte sie auch in das Land der Franken (Schuchert). Schon ihr Äußeres erregte Aufsehen. Sie trugen grob gewebte lange Röcke. Ihre Haare fielen hinter dem kahl geschorenen Vorderhaupt lang über die Schulter herab. Die Augenlider waren rot und schwarz bemalt. Jeder von ihnen hatte einen langen Pilgerstab, eine Wasserflasche, einen Zwerchsack, in dem vor allem handschriftliche Ausgaben der heiligen Schrift lagen, um den Hals hing eine Reliquienkapsel und ein Gefäß zur Aufbewahrung einer konsekrierten Hostie (Stommer).

So müssen wir den heiligen Fridolin auf seiner Wanderschaft zu den Schwaben sehen. In Säckingen gründete er ein Kloster, das nach irischer Tradition Ausgangspunkt, Mittelpunkt und Etappe seiner und seiner Brüder Missionstätigkeit wurde. Marinus und Anian lenkten ihre Schritte nach Bayern. Virgil und sein Begleiter Alto zogen nach Kärnten, wo er, wie in Irland, die Würde des Abtes mit der des Bischofs verband.

Von Feuereifer getrieben zog der heilige Columban durch die Länder am Bodensee. Er war ein schwieriger Mönch und sein Begleiter, St. Gallus, hatte das auch gemerkt. Co-lumban zog schließlich allein bis zum Apennin, wo er neben einer halbzerfallenen Petruskapelle ein Kloster erbaute. Das Lebenswerk des hl. Gallus vollendete sich im Bodenseegebiet. Sein Andenken lebt im Kloster St. Gallen in der Schweiz fort.

„Auch am Rhein und an der Mosel waren Wanderprediger tätig, wenn hier auch die christliche Tradition durch die altchristlichen Bischofssitze von Trier, Köln, Mainz, Worms, Speyer, Metz, Toul und Verdun niemals abgerissen ist. In Trier ragt Bischof Nicetius (f 556) durch seine Tätigkeit hervor, wie in Köln Bischof Kunibert (623—663). Am Mittelrhein wirkte der aquitanische Einsiedler St. Goar in der Gegend von Boppard, Oberwesel und Ba-charach. An der Mündung des Glan in die Nahe lebte auf der Bergeshöhe der irische Missionar St. Disibod, dem die Gründung des Klosters Desibodenberg zugeschrieben wird. .. " (Schuchert). So, wie diese Wandermönche auftraten, rüttelten sie primitive Menschen auf. Sie glichen einem Landwirt, der mit seiner Pflugschar den Boden aufreißen, aber mit dem gleichen Instrument nicht wieder glätten konnte. Doch eine Pflanze wächst erst dann, wenn Samen in die Erde geworfen wird, und die Frucht reift, wenn sie gepflegt wird. Diese Wandermönche waren notwendig wie bei jeder Revolution die erste laute Reihe der Fanatiker. Solange die Weltgeschichte geschrieben wird, frißt aber die Revolution ihre Kinder. Mit der Ernte ihrer Missionsarbeit konnten die Iroschotten nicht beauftragt werden, denn unverdünnt floß in ihren Adern das Keltenblut. Wir können sie uns gut vorstellen, wie sie laut auf den Straßen auf sich aufmerksam machten, wie die Neugierigen in Scharen herbeiliefen, wie sie ihre Lieder sangen, vielleicht in Sprechchören ihr Programm verkündeten, wie sie die Hölle anheizten und wie sie im Himmel vor Glück taumelten, und wie dann einer, der der fränkischen Sprache schon mächtig war, ihnen das Heil durch Christus verkündete.

Es gibt keinen Bericht, wie sie gearbeitet haben, es gibt lediglich eine Nachricht, daß sie wie in Irland hier aufgetreten sind.

Den aufgerissenen Boden zu kultivieren, den Samen in die Erde zu senken und für die Ernte zu bereiten wurden die Mönche des Erzvaters Benedikt von Nursia berufen, die sich eingehend auf ihre Aufgabe vorbereiten mußten. Benedikt, der Gepriesene, wie ihn seine Freunde nannten, zog nach Rom, um dort zu studieren. Angeekelt zog er jedoch in die Einsamkeit der Sabinerberge, bis er nach mehrjähriger Einsamkeit in der Berghöhle von Subiako sich auf den Monte Cassino bei Neapel begab und in dem dort gegründeten Kloster seine Regula schrieb. Nach ihr leben und wirken heute noch die Mönche in der Abtei Maria Laach. Auch ihnen ist das Opus Dei, das Werk Gottes, oberstes Gesetz. Auch für sie gilt die Regel: „Nichts darf der Verherrlichung Gottes vorgezogen werden". Hier werden die Wissenschaft und die Kunst gepflegt. Laach hat sein Ildefons-Herwegen-Institut, und der Name dieses großen und bedeutenden Abtes ist eine Verpflichtung. Was die Ars Liturgica leistet, kann jeder beurteilen, der nach Maria Laach kommt. In vielen Kirchen, nicht nur unseres Raumes, spüren wir den Geist von Laach. Auch werden Landwirtschaft und Handwerk meisterlich betrieben.

Wie hier auf verhältnismäßig engem Raum alle Sparten des kirchlichen Lebens, der Kunst und Wissenschaft, des Handwerks und der Landwirtschaft sich ergänzen, so bauten auch die ersten Benediktinerklöster unseres Raumes ihr Arbeitsfeld auf. Die Tätigkeit von St. Maximin in Trier ist bis heute noch in der Nordeifel spürbar. Die wichtigsten Besitzungen lagen zwar außerhalb unseres Kreisgebietes, aber wir müssen sie in unsere Betrachtungen mit einbeziehen, da sie in ihrer Wirksamkeit nach verschiedenen Richtungen ausstrahlten. Von Üxheim aus erwarb St. Maximin Güter in Leudesdorf, Flesten, Ahrdorf, Nohn, Senscheid, Dankerath, Trierscheid, Borler, Heyer, Dreimühlen (am Nohner Wasserfall), Barweiler, Pomster und Wiesemscheid. Es kann als sicher gelten, daß die Abtei ihrem Kolonisationsauftrag gemäß die angegebenen 32 Höfe in den einzelnen Ortschaften zerstreut angelegt hat, zumal sie auch spätestens im 10. Jahrhundert in Nohn, Ahrdorf und Barweiler Kapellen erbaute. Die Höfe bildeten den Grundstock zur Gründung vieler Ortschaften, wobei allerdings nicht auszuschließen ist, daß in einigen Siedlungen noch einzelne, der Abtei nicht hörige Bauern ansässig waren (Matthias Reuter).

Die Metzer Abtei St. Arnulf hatte in unserem Raum Besitz in Sinzig und Remagen, in Hön-ningen und Dümpelfeld sowie in Zissen. Das Doppelkloster Stablo-Malmedy besaß Villen in Mehlem und Villip. Ludwig der Fromme bestätigte ihr den Zehnten in Sinzig, und durch Privatschenkung erhielt sie 755 Weinberge in Remagen. Auf dem Weg von der Maas zur Ahr und Mosel bildeten Alendorf und Nohn im Eifelgau Etappenstationen. Die alte Hausabtei der Pippiniden Nivelles hatte neben den rechtsrheinischen Besitzungen auch Güter in Gielsdorf und Ödingen. Gut und Kirche von Ödingen sind Gründungen von Nivelles.

Das bedeutendste Kloster im Mittelalter war die Abtei Prüm. Eine adelige fränkische Witwe gilt als Gründerin, indem sie ihre Villa in der Eifel mit Benediktinern besiedelte. Nachdem Pippin der Kleine sich mit der Enkelin der Gründerin verehelicht hatte, begann für das Kloster die Zeit des großen Aufstiegs. Er vergrößerte das Klostergebäude und siedelte Mönche aus dem Kloster Meaux bei Paris an. Karl der Dicke schenkte Prüm den fiskalischen Hof von Neckarau und den dritten Teil des Waldes von Lindolfsheim (Leidelsheim in der bayerischen Pfalz). Durch Schenkung eines Bonner Bürgers Hartmann erhielt die Abtei Weinberge, „inter riegamaga et oncale et winitorio et cassbach, bahheim et mielen-heim et einsfeit et filippia et in pago aroense in geroldeshova... " („zwischen Remagen, Unkel, Oberwinter und Kasselbach, Bachern, Mehlem und Einsfeld und Villip und im Ahr-gau Geroldshofen"), schließlich eine Waldmark im Kottenforst (Mittelrheinische Regesten S. 748). Hier dürfte es sich um die älteste mir jetzt bekannte Namensnennung von Oberwinter handeln.

In fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen wird „wintere" gelegentlich mit „Königswinter" gleichgesetzt, zumal auch Unkel und Kassbach genannt sind. In Verbindung mit dem Stadtarchiv in Trier und dem Landes-hauptarchiv in Koblenz ist eindeutig klargeworden, daß es sich hier nur um Oberwinter handeln kann. Wenn der Weg zwischen Remagen und Unkel nach Winter geht, dann muß man wissen, daß der Rhein früher um Unkel floß, so daß Unkel wie Nonnenwerth eine Insel bildete. Der Abstand zum linken Rheinufer war geringer als zum rechten. Es besteht hiermit eine ganz gerade Wegführung bis Mehlem, und wahrscheinlich hat man von der Kasselbach und dem Kasselbachertal vor dem Aufstieg zum Tierschutzpark nichts gewußt. Es war also kein „Halmahüpfen" von der einen zur anderen Rheinseite, wie einstmals angenommen wurde.

Zur Zeit des Abtes Regino nennt das Güterverzeichnis von Prüm aus dem Jahre 893 einen weitverzweigten Besitz, der auf einer Karte wie rote „Blutstropfen" das Werden des christlichen Abendlandes veranschaulichen würde. Was verbirgt sich nicht alles in den trocken aufgezählten Namen? In jedem Gut halten vielleicht ein oder zwei Mönche die gerodete Stellung, zeigen, wie man Land kultiviert und Häuser baut, unterrichten die jungen und alten Menschen und halten den Gottesdienst. Ihr Wahlspruch war nicht: „Teile und herrsche", sondern, „Bete und arbeite"! Manchmal legten sieden Grundstock zu einer ganz neuen Siedlung. Ob man es wahrhaben will oder nicht: Die Söhne Benedikts von Nursia haben unsere Heimat zum Ausgangspunkt der abendländischen Kultur gemacht. Die starke Ballung des kirchlichen Fernbesitzes im Fiskus Remagen, vom Drachenfelser Ländchen bis zur Ahr und von Remagen bis Ahrweiler-Altenahr war auch zum Teil durch den Weinbau bedingt. Es wäre vermessen zu behaupten, daß bei dem Erwerb der Güter die Klöster nur an die Seelsorge dachten. So sehr die Stützpunkte der missionarischen Tätigkeit dienten, so viel sie beitrugen, die Dorfbevölkerung zur sinnvollen Ausübung ihres alten, vielleicht auch eines neuen Handwerks anzuleiten, wie sie lehrten den Boden zu bestellen, das Vieh zu pflegen, wie sie angehalten wurden, die richtigen Getreidesorten zu säen und welche Obstsorten sie anpflanzen sollten, es lag auch hier der Grund zum Niedergang. Wir erleben diese Gesetze selbst, welche Gefahren im Reichtum liegen, aber auch wie groß die Ansätze sind zum neuen Beginn! Die Wirksamkeit der einzelnen Klöster ist nur skizzenhaft dargestellt, es sollte hier die geistige Kraft veranschaulicht werden, die in einer fest gefügten Gemeinschaft steckt.

Bei der Christianisierung des Frankenlandes kann man genau drei Phasen unterscheiden: die erste, die missionarische, ist mit dem Namen des Abtes Willibrord verbunden, die reformerische Phase wird von Winfried-Bonifatius eingeleitet, für die Hebung des Bildungsniveau im karolingischen Reich und im englichen Kloster York als Ausgangspunkt und Nachschubbasis gibt der gelehrte Mönch Alkuin die entscheidenden Anstöße.

Die Familie, der Willibrord entstammt, hat einen ganz eigenen Stil, und der Vater, ein Nachkomme der ansässigen Sachsen, scheint diesen Stil geformt zu haben. Vielleicht ist die Mutter schon früh gestorben, auf jeden Fall entscheidet sich der Vater zu dem Leben eines Einsiedlers, das er in dem von ihm erbauten und dem hl. Andreas geweihten Oratorium führt und beschließt. Durch Schenkungen entwickelte sich hier ein bedeutendes Kloster, dem später Alkuin vorstand. Zur tieferen Ausbildung begab sich Willibrord in das Kloster York, wo auch der irische Mönchsgeist, „die Heimatlosigkeit um Gottes Willen", eingedrungen ist. Mit 11 Gefährten landete er 690 an der Rheinmündung, doch die Schwierigkeit der Friesenmission dämpfte bald den Enthusiasmus. Durch die Gründung des Klosters Echternach in Luxemburg, dessen Abt er später wurde, trat er mit Pippin in Verbindung. Damit reichten sich erstmalig jene aktiven Kräfte die Hand, die im 8. Jahrhundert die germanisch-lateinische Christenheit zusammenführen sollten (Schieffer). Als Helfer aus der angelsächsischen Heimat traf Winfried bei ihm ein, der später für Deutschland eine so große Bedeutung erlangen sollte. An Willibrords Tätigkeit erinnert zunächst ein Denkmal von Stein, die St. Willibrordkirche in Beul (Bad Neuenahr). Ich selbst erinnere mich an eine Begegnung in den 20er Jahren mit Pater Willibrord in Maria Laach, als er den jungen Menschen den gregorianischen Choral erschloß, den anschließend die Mönche in ihrem Stundengebet unter seiner diskreten Begleitung sangen. Gerade die Zeit um den 1. Weltkrieg war eine Zeit der inneren Gärung und Abt lldefons fand damals das Gespräch mit der Jugend. So kann in einem benediktinischen Kloster die Vergangenheit erlebte Gegenwart werden.

Bevor Winfried-(Bonifatius) die Friesenmission begann, „orientierte" er sich zunächst in Rom über die römische Kirche, die ganz italisch-byzantinisch ausgerichtet war. Er lenkte die Aufmerksamkeit des Papstes Gregor II. auf die religiöse Situation in Germanien, wie dies früher schon der Bayernherzog Theodo getan hatte, weil er in seinem Land Ordnung erstrebte. Als Ergebnis seiner Verhandlung mit dem Papst erhielt er im Mai 719 den erbetenen Missionsauftrag für Germanien. Sein großer Plan, Köln zur Metropole zu machen, wurde in der Zeit Karls des Großen verwirklicht. Köln wurde 795 Erzbistum. Köln lag auch günstig für die geplante Friesenmission und lag in der Etappe eines fast christlichen Landes. Für das fränkische Reich hatte sich die Begegnung der Karolinger mit den angelsächsischen Mönchen sehr fördernd für ihre Bindung an Rom ausgewirkt. Bonifatius hat die fränkisch-rheinische Kirche aus ihrem landeskirchlichen Einzeldasein herausgeführt und sie in fruchtbaren Kontakt mit der angelsächsischen und römischen Kirche gebracht. Köln aber konnte seine Stellung als Metropole nicht mehr halten. Mainz, das bereits 768 Erzbistum geworden war, war mächtiger. Mit diesen beiden Städten ist die reformatorische Tätigkeit von Bonifatius eng verbunden. Was hat es aber für einen Sinn, von diesen großen Missionaren in dieser Arbeit zu sprechen, wenn ihre Wirksamkeit hier nicht in Erscheinung trat? Letzteres wissen wir zwar nicht. Willibrord hat immerhin in Bad Neuenahr ein Patrozinium. und Bonifatius wählte den Rheinweg für seine Reise nach Rom. Sicher aber ist, daß wir eine lebendige Sprache von Bonifatius vernehmen. Da unterhält die Abtei am Eifelsee ein Jugendheim mit besonderer Aufgabe. Alljährlich führt sie im Winfriedhaus ihre Werkwochen durch und 1978 z. B. bemühten sich 36 Jugendliche aus 5 Ländern um die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und das war schon die dreißigste Werkwoche dieser Art. Zum ersten Mal kamen junge Deutsche und junge Franzosen 1947 in der Abtei zusammen. Das Jugendbildungsheim wurde erst 1953 eröffnet. Im Jahre 1978, so berichtet die Chronik von Maria Laach, tagten hier 99 Gruppen mit 2 800 Teilnehmern.

Und nun zu Alkuin, dem Mönch im Laacher Kloster. Seine Schüler kommen mit einem besonderen Anliegen zu ihm. Es sind gestandene Männer, bewährt im Beruf, Männer aus allen sozialen Schichten, die wieder Menschen sein wollen. Im Streß der Arbeit war ihnen Wesentliches verloren gegangen. Und da zogen sie sich hinter die Klostermauern zurück und waren ,,Mönche auf Zeit". Ich kenne solche, die neue Menschen geworden sind. Der Mönch Alkuin der Frühzeit wirkte als Gelehrter in York in Mittelengland, gründete um 800 im Auftrag Karls des Großen die Hochschule, wirkte als Abt von St. Martin in Tours, gründete im Westen des Frankenreiches Schulen, überarbeitete die lateinische Bibelübersetzung und führte die römische Liturgie in die fränkische Kirche ein. Sein Werk ist, wenn auch verändert, noch heute in unserem Gottesdienst lebendig.

Der ausgedehnte klösterliche Besitz und die dadurch ermöglichte Einwirkung auf Menschen entfernterer Regionen sowie die Impulse der Gelehrten und Missionare schuf allmählich einen weiten Raum christlich lebender Menschen mit einem starken Gefühl gegenseitiger Zusammengehörigkeit. Es fehlte jetzt nur der geordnete Geist, der aus den einzelnen Gemeinschaften einen lebendigen Organismus machte. Diese Aufgaben erfüllten nun die Bischöfe und Stiftspröpste. In der karolingischen Zeit ist diese Aufgabenteilung bereits erkennbar. Zu den Pröpsten älterer Ordnung gehörten die Leiter von St. Gereon, St. Severin und St. Kunibert in Köln, St. Cas-sius in Bonn und St. Viktor in Xanten (Hegel). In erster Linie aber war der Bischof Träger der Missionstätigkeit. Eugen Ewig hat auf den Erkenntnissen von Eduard Hegel fußend auf die Mithilfe der Stiftskirchen hingewiesen. Die am linken Rheinufer gelegenen Kirchen befanden sich in späterer Zeit fast alle in den Händen des Bischofs oder kirchlicher Korporationen. Dabei dürften im fiskalischen Besitz von Sinzig/Remagen die Kirchen am Rhein Eigenkirchen des Königs gewesen sein, die erst später durch Schenkungen in kirchlichen Besitz gekommen sind (Torsy).

Die hier aufgezeigte Entwicklung kirchlichen Lebens bis zur Entstehung fester organisatorischer Strukturen kann und will natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Ich wollte mit kleinen und kleinsten Steinchen das Walten der ordnenden Macht zeigen, die sich auch bei uns offenbarte beim Werden des christlichen Abendlandes.

Literatur:

Torsy. Lexikon der deutschen Heiligen, Köln 1959
Hegel. Kirchengeschichte
Ewig. Bistum Köln im Frühmittelalter, in: Ann. d, Hist. Vereins f. d. Niederrhein. Heft 155/156
Schwarz. Frühtypen rheinischer Kleinkirchen. Bonn 1927
Schumacher. Deutsche Klöster. Bonn
Schuchert, Kirchengeschichte. Bonn 1955
Stonner. Heilige der deutschen Frühzeit, Freiburg 1935
Reuter. Beiträge zur Geschichte der Hocheitel, Schieiden 1979
Chronik von Maria Laach 1978
Rhein. Vierteljahresblätter. Jg. 19. Bonn 1954

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