Ein Blick von der Südempore zur Apsis und in die Kuppel. inks in das nördliche Seitenschiff. Mitgestaltend in der Raumwirkung ist die Betonung der Fugen an den Säulen und die Belebung der Rippen in den Gewölbebögen
Sakralbau der Harmonie aus der Stauferzeit
750 Jahre Kirche St. Peter in Sinzig
Harry Lerch
"Der Bau ist aus einem Gusse, und wir werden bei ihm nicht, wie so häufig, durch die Verbindung der Stile verschiedener Jahrhunderte gestört". Das ist ein Lobwort für die Kirche von Sinzig in Gottfried Kinkels Buch "Die Ahr. Romantische Wanderung vom Rheintal in die Hohe Eitel" (1849). Die Bewunderung schwingt weiter in unser Jahrhundert, als Georg Dehio ihr ebenfalls die Bedeutung zumißt, die für den Bau von St. Peter zu gelten hat: "Eine der letzten und energischen Äußerungen der rheinischen Spätromanik, kunstgeschichtlich von hervorragendem Interesse".
Als ein Hauptwerk der späteren Stauferzeit am Rhein zeigt sich in der Tat die Gliederungsphantasie rheinischer Spätromanik auf ihrer Höhe. Gleichwohl nicht verspielt! Der Reiz dieses Sakralbauwerkes offenbart sich nicht prunkend, nicht rauschhaft wie die Fassaden- und Grundrißeuphorie des Barock. Der Reiz von St. Peter ist Ordnung und Maß. Die schlicht maßvoll gegliederte Portalfront des Westwerks verbirgt zunächst, was an beidseitigen Längsfronten und erst recht im Ostchor an Gliederungsschönheit zutage tritt.
Die Kirchgemeinde hat 1980 den 750. Geburtstag von St. Peter gefeiert, eingedenk des Baubeginns im dritten Jahrzehnt des dreizehnten Jahrhunderts, mit Recht annehmend, daß die Konsekration 1230 geschehen ist. Begünstigt ist die architektonische Baugestalt zudem durch ihre Lage auf einer Bergzunge über dem fruchtbaren Land der Goldenen Meile, hell erneuert in der ursprünglichen Farbfassung von Weiß, als Akzente flankierend begleitendes Sonnenblumengelb, dazu das Schwarz der Pilaster, Säulen und Säulenpaare an Fenstern und offenen Galerien, die Säulenkapitelle purpurrot abgesetzt.
Die Bedeutung von Sinzig als fränkische Königspfalz hat auf dem Standort der Kirche zuvor schon eine frühere Petruskapelle (vielleicht sogar mehrere) und ziemlich gewiß eine Kirche zugewiesen. Dem Bau von St. Peter war nach Philipp de Lorenzi auch ein Frauenkloster beigeflügelt, von dem weder Fundamente noch Funde vorliegen. Bauherr ist das mit Lehen ausgestattete Aachener Marienstift gewesen. Der Meister der Bauhütte war Wolbero. der. so vermutet bereits Sulpiz Boisseree, vielleicht auch die Kirche St. Quirin in Neuß gebaut hat. War über die Konsekrierung bisher Konkretes nicht bekannt, hat Peter Pauly den Bischof Heinrich von Ösel als Konsekrator ermittelt, dessen Siegel bei der Renovierung der Sinziger Kirche (1964) gefunden wurde.
Die über dem Rheintal so bevorzugt auf einer Landzunge gegründete Kirche dominiert auf dem Grundriß des gebundenen Systems mit ihrem Vierungsturm und seinen begleitenden, schlanken Osttürmen, währenddes die Westfassade turmlos geblieben ist. Um so reicher gegliedert sind die Wände des nur wenig (um Mauerstärke) vorspringenden Querhauses und die Langhausfassaden mit Kleeblattfenstern im Vier- und Sechspaß, mit Rundbogenfriesen, Blendbögen und siebenteiligen Fächerfenstern in den Obergaden.
Überdies, zögernd und zaghaft, frühgotische Einsprengsel, die innen noch mehr zutagetreten. Sind außen die Leibungen der Fenster dominierend im romanischen Halbbogen, sind diese innen frühgotisch-spitzbogig verblendet, ebenso ist die Eingangshalle im mittleren Durchlaß rundbogig, die beiden flankierenden dagegen spitzbogig.
Noch beim Außenbild: Reich gegliedert ist die fünfseitig schließende Apsis. wie sie auch in Remagen, Heimersheim, Oberbreisig, Niederzissen, Königsfeld, Blasweiler und Koisdorf auftritt. Stilbildend freilich ist Sinzig. Ein zierliches Galeriewerk mit schwarzen Säulen — dies alles in Verwandtschaft mit dem Münster in Bonn, nur eben en miniature. flankiert von den Osttürmen mit ihren Steinhelmen. Darüber steigt der Vierungsturm auf mit doppelten Klangarkaden, Schallöffnungen und Lisenen — hier läutet eine der ältesten Glocken des Ahrtals, die Marienglocke von 1299. noch eben gegossen im Ausgang des Baujahrhunderts.
St. Peter. Schutzpatron der Sinziger Kirche. Eine Wandmalerei aus dem Ende des 13. Jahrhunderts im Zwickei der Taufkapelle
Ist es bereits vom äußeren Bauleib sichtbar, daß es sich um Zentralbauwirkung handelt, dann erst recht im Innern. Zwei quadratische Joche schwingt das Langhaus (einschließlich der Orgelbühne) voran. Dann nimmt diese Wirkung das Querhaus auf — und darüber die Kuppel. Sie ist nur in der farbigen Fassung der Kreuzrippen und des Schlußsteins betont, im übrigen von der grandiosen Wirkung einer frei aufgemauerten Wölbung. Eine Höhung des Lang- und Querhauses, himmelwärts weisend zum Baumeister der Welt.
Eine Pietá des 14. Jahrhunderts. Eine ungewöhnliche Holzplastik der Intensität im Gesicht des vom Kreuz genommenen Christus und im leergeweinten Gesicht der Maria
Die Peterskirche ist eine dreischiffige Basilika im gebundenen Grundriß mit zwei Emporen und Querschiff, mit zweigeschossigen Apsiden — und damit denen von St. Kunibert und St. Aposteln in Köln ähnlich. Das sind jeweils Entsprechungen und Bezüge im Detail, eine Affinität mit dem Dom von Limburg ist die Hochführung der Gewölbe, auf welche Art die Fenster gefaßt werden, fortgeführt ist das Emporensystem der Kirche Maria Himmelfahrt in Andernach. Bemerkenswert aber eben in Sinzig, wie der Laufgang des Querhauses in den Chorraum mündet und ihn umläuft — das ist derart beeindruckend, daß man sich wünschen könnte, es stünde da oben eine Knabenschola im Halbrund und sänge aus dem „Messias" oder dem „Weihnachtsoratorium".
Das teilt sich mit, wie schöpferisch in Vierung und Apsis rheinische und französische Elemente verschmolzen sind, das atmet Ausgeglichenheit und gibt Geborgenheit.
Von Bedeutung auch die Ausmalung, leider nur noch Reste einer zu Ende des 13. Jahrhunderts angelegten Schmückung, wie sie nur noch in den Kirchen von Ahrweiler und Oberbreisig zu finden sind. Graf Wolff Met-ternich, einst Provinzialkonservator, würdigt die Sinziger St. Peterskirche als „das bedeutendste Bauwerk des Kreises und eine der stattlichsten Schöpfungen aus der letzten Zeit der hohenstaufischen Herrschaft in ganz Deutschland". Leider ist bei den Instandsetzungen des 19. Jahrhunderts viel davon verlorengegangen, oft sogar mit Öl überdeckt worden — um so beklagenswerter, weil die frühe mittelalterliche Ausmalung als Zyklus auch den Kirchenraum füllte als Festgewand der Wände.
Heute sind nur noch die Fresken der Taufkapelle erhalten. Graf Wolff Metternich: „Ein großer Meister muß sie geschaffen haben, voll Kraft des Empfindens, voll wahrer und inniger Frömmigkeit". Er hat den Inhalt der Erlösungsgeschichte hauchfein und vor allem in ordnender Komposition dargestellt: die Verkündigung, die Begegnung Maria und Elisabeth, die Christgeburt, die Darstellung im Tempel, die Flucht nach Ägypten. Die Taufe im Jordan. Die Einsetzung des Abendmahls, Kreuztragung und Kreuzigung, die Jünger von Emmaus, die Auferstehung, die Himmelfahrt Christi und der Tod Mariens bis zum Jüngsten Gericht.
Alles auf kleinstem Raum! Darüber in einem Zwickel die Gestalt des Petrus als Patron dieser Kirche. Ranken und Blumen rahmen die Bilder in sensibler Schmuckfreudigkeit, geben Gliederung und sind mehr als dekoratives Element. Sie erinnern an die Miniaturen, Ranken und Leisten der Buchmalerei in den Meßbuchhandschriften des Mittelalters.
Fesselnd auch, wie der gebrochene Stil und der später schwingende Mantelfaltenstil der Gotik zur Ganzheit eingebunden sind — und daß diese Wandmalerei ihre Entsprechungen hat in St. Kunibert, St. Pantaleon, Maria Lyskirchen in Köln und im Kloster Arnstein an der Lahn. In der Königskapelle an der Nordseite hat sich als einziges Fresko nur die Szene Christus vor Pilatus erhalten.
Der Blick ist angezogen vom Triptychon des Altars in der Apsis. Die Mitteltafel zeigt die große Kreuzigung, die Seitenflügel den Marientod und die Himmelfahrt Christi. Gottfried Kinkel sah (nach Paul Clemen) 1845 den Altar verstaubt und beiseitegestellt in einer Nebenkapelle. Gestiftet hat den Altar IOHANN FOELEN FYE SYN HUSFRAU ANNO D. 1480 (in Fye verbirgt sich der Vorname Sophie). Ein Werk der Kölnischen Malschule, vielleicht aus der Werkstatt des Meisters der Lyversbergschen Passion. Die Kreuzigung personenreich, im Vordergrund der Totenschädel und ein Hündchen, geradezu detailverliebt mit Blumen und Gräsern im Vordergrund.
Handwerkskunst eines heimischen Schmiedes gab die Kostbarkeit dieser Kommunionbank in die Kirche. Hier das Sinziger Wappen mit dem Adler, der bereits das Wappenzeichen der Staufer gewesen ist. Die Kommunionbank entstand 1787
Zu einem zerstörten Marienaltar gehörte wahrscheinlich die Sitzmadonna vor der Taufkapelle, das an Schmerz intensivste Bildwerk freilich ist die Pietá rechts vom Eingangsportal. Weit weggehalten von Maria ist der Leib Christi, ein noch im Tode vom Schmerz gezeichnetes Gesicht, erschütternd die klaglos blickenden Augen der Madonna.
Von gleichem Rang auch (vor der Königskapelle) die Holzskulptur des Gleichnisses von Christus in der Kelter: hier sein schmächtiger Leib über einer langen Spindel. Die barocke Kommunionbank ist ein Zeugnis bester Kunstschmiedearbeit, im gebogenen Eisenzier das Sinziger Wappen, die Initialen des Stifters T. S. und die Jahreszahl 1787.
Zum Inventar gehört auch ..Der heilige Vogt" — ein Name im Volke, der sofort zu korrigieren ist. Der ehemalige Pfarrer Johannes Mumbauer hat im Heimatjahrbuch (1926) des Kreises Ahrweiler jedes derartige Adjektiv abgelehnt. Ein mineraliengünstiger Boden hat den Corpus mumifiziert. Er wurde zur Napoleonischen Zeit 1797 nach Paris gebracht, kehrte 1815 zurück und dämmert nun im Dunkel, aufzuhellen mit den Knopfdruck einer Lampe. Als ..heilig" haben ihn die Sinziger niemals genommen. Hier mischt sich Sakrales mit Profanem. Die Sinziger Burschen haben ihn manchmal herausgenommen und ihn nachts den Mädchen vor die Tür gestellt — zu nicht geringem Schrecken! Das trifft sich mit der einschränkenden Zuweisung des Pfarrers Johannes Mumbauer: ,,Der heilige Vogt ist den Sinzigern nur eine Art von Symbol und ihre Hinneigung ist kein religiöses, sondern ein volkstümliches Paladium des alten Städtchens".
Jeder Sakralbau ist ein Gefäß Gottes. Wie sehr gilt das auch für St. Peter in Sinzig! Die Harmonie der Proportionen ist spürbar in der Gesamtheit des Bauleibes. Das Auffangen der Lasten vollzieht sich gleichsam unauffällig, der Rhythmus der Gewölbe und die dominierende Kuppel sind Spiel der Leichtigkeit. Das läßt beim Eintreten erst einmal verweilen. Alles ist Ruhepunkt, hier wirkt nicht der Sog der langen gotischen Kathedralen nach vorn. Hier, im Morgen- wie im Nachmittagslicht, erhellen sich Wände und Langhaus, durchglüht von den Farben der kleinen und großen Fenster wie Blumenbeete auf Wänden und Boden. Dazu hat auch beigetragen die Ausmalung vor anderthalb Jahrzehnten. Farbig maßvoll hervorgehoben sind die Arkaden, die Gurtbögen und Schlußsteine, die Kapitelle und Kämpfer der Säulen mitsamt Schaftringen, die Dienste, die Konsolen. Dazu die Gesichtsmasken unter den Diensten der Gurtbögen auf den Emporen, die Gewölberippen betont mit Rundstab, Gewinde und Klötzchenfries.
Das Symbol von Christus und der Kelter. Hier ist das Holzbildwerk des 14. Jahrhunderts auf eine hohe Spindel unserer Zeit gestellt Fotos: Hans-Jürgen Vollrath
Zu den Details der Neuzeit gehört das Mosaik in der angeflügelten neuen Sakristei, ein Werk der Schwester Elma Königs von der Klosterinsel Nonnenwerth. Ebenso harmonisch eingefügt die Kreuzwegstationen von Egino Weinert. Dies und die Aufstellung der zuvor genannten Bildwerke von Pietà, Christus in der Kelter und Sitzmadonna aus dem 14. und 15. Jahrhundert, stimmt sich ein zu einem Kanon des Mittelalters.
Der Schritt in die Jahrhunderte hat der Kirche St. Peter eine neue Orgel gebracht, gebaut nach gemeinsamen Plänen von Organist Peter Bares und Orgelbauer Walcker. Um ein Jahrzehnt ist Sinzig damit voraus, mit einer Orgelmusik ungeahnter Dimensionen. Sie zu entfalten kommen in Seminare Organisten aus Japan, Skandinavien, aus der DDR, Ungarn und Frankreich. Ergänzt ist die Klangvielfalt und Elektronik auf der Seitenempore von einer Trompeteria, einer gebündelten Batterie von Trompeten, die zusätzliche dynamische Entfaltung zur Orgel herbeibringt wie — als Drittes — ein Positiv neben dem Hauptaltar.
750 Jahre St. Peter. . . auf dem Fels über dem Rheintal, begünstigt mit Patrozinium und Stiftungen. Hier hielten Kaiser Rast auf der Krönungsstraße nach Aachen. Mit Grazie und Kraft baute, als er das Achsenkreuz gelegt hatte. Meister Wolbero Langhaus. Querhaus und Apsis. Wölbesystem und Zierat. Im heiligen Dienst der Bauhütte vollendete er diesen Sakralbau der Ausgewogenheit, bändigte Energien mit dem Geheimnis der Bauhütten, die ihre Botschaft aus dem Jenseits haben.
Zuvor waren die Kapellen, und ein Erfordernis der Zeit wird vielleicht Aufschlüsse geben. Eine neue Heizung ist längst unerläßlich geworden. Unter der Königskapelle — so hofft Pfarrer Heribert Kraus — werden dabei (wie schon einmal angeschnitten und sichtbar) die Fundamente der ersten Gründungen Aufschluß geben, wie früh das Peterspatrozi-nium zurückzuverfolgen ist.
Auf jeden Fall: Sinzig ist römischer, ist christlicher Urboden. Baugestalt geworden in der Kirche, die diesen 750. Geburtstag begehen konnte.
Literatur:
Kinkel. Gottfried: Die Ahr (1849). Neudruck 1976.
de Lorenzi. Philipp: Beiträge zur Geschichte sämtlicher Pfarreien der Diözese Trier (1887).
Dehio. Georg: Handbuch der Kunstmaler Rheinland-Pfalz und Saarland 1972.
Mumbauer. Johannes: Der "heilige Vogt" von Sinzig. Heimatkalender für den Kreis Ahrweiler 1926.
Graf Wolff Metternich Die mittelalterlichen Wandmalereien n der Pfarrkirche zu Sinzig. Heimatkalender für den Kreis Ahrweiier 1928.
Schug. Peter: Geschichte der Dekanate Adenau, Ahrweiler und Remagen, Trier 1952.
Clemen. Paul: Die Kunstdenkmäler des Kreises Atvweiler. Düsseldorf 1938.
Klinge. Ekkart: St, Peter in Sinzig. Rheinische Kunststätten. Köln 1974.
Pauly. Peter: Heinrich von Ösei der Konsekrator von St Peter, Erstveröffentlichung September 1980. Sinziger Pfarrbriefe.
Lerch. Harry: Kunstdenkmäler des Kreises Ahrweiler. S, 207 —
242 in: Heimatchronik des Kreises Ahrweiler 1968.