Miteinander leben lernen ...

Zum 1500. Geburtstag des heiligen Benedikt von Nursia

Dr. Emmanuel v. Severus

Im Jahre 1980 gedenkt die christliche Welt der Geburt des heiligen Benedikt vor 1500 Jahren. Dieser Tag, dessen Datum über das Jahr 480 hinaus sich nicht genauer bestimmen läßt, darf auch in diesem Jahrbuch nicht vergessen werden. Große und kleine Namen im Kreise Ahrweiler erinnern an das Werk dieses Mannes: die Abtei Maria Laach, deren Münster zu den großen romanischen Bauwerken der salisch-staufischen Zeit zählt; die Pfarrkirche und Pfarrgemeinde St. Laurentius in Ahrweiler, an der von 1298 bis 1804 Benediktiner den Seelsorgedienst leisteten, da sie seit 1298 der Abtei Prüm inkorporiert war, eine Zeit, aus der uns noch wertvolle Choralhandschriften überliefert sind; schließlich ist auch die kleine Propstei Buchholz im Brohltal zu nennen, die im 12. Jahrhundert bei Weiler von der Benediktinerabtei Mönchengladbach gegründet wurde und von der sich noch wertvollstes liturgisches Gerät in Weiler befindet. Neben diesen wichtigen Orten könnten noch die bis zur Aufhebung im Jahre 1802 in vielen Gemeinden, z.B. in Breisig, Burgbrohl, Glees, Heckenbach, Koisdorf, Lützing, Wassenach und Weibern liegenden Besitzungen von Klöstern, Weide-, Wasser- und Fischrechte genannt werden. Aber der Sinn unserer Überlegungen darf nicht nur geschichtlicher Rückblick sein. Der Heilige aus Nursia wurde ja 1964 von Papst Paul VI. zum Patron Europas erhoben, und das ist sicher ein notwendiger Anlaß, über Europa nicht nur als politische Aufgabe nachzudenken, sondern auch darüber, was wir von diesem Heiligen lernen können. So notwendig die Fragen der Politik, Wirtschaft, Energieversorgung und des Umweltschutzes in unserem kleinen Erdteil sind, es gibt auch das „Europa Benedikts", wie eine angesehene deutsche Tageszeitung es formulierte. Dabei gilt es aber, nicht der Versuchung zu verfallen, die Vergangenheit zu verherrlichen und sich auf sie zu fixieren, Benedikt als Patron Europas weist heute eher in die Zukunft als in die Vergangenheit, und dabei mag offenbleiben, ob dieses Europa in Zukunft ein christliches oder sozialistisches sein wird. Wer als Benediktiner von Europa spricht, muß darum wissen:

Der Patron Europas ruft zuerst die Benediktiner auf

Der Titel „Patron Europas" geht darum auch in unserem Lande alle an, die sich Benediktiner nennen. Er spricht uns ins Gewissen: „Ruht euch nicht aus in der Rückschau auf die kulturellen und zivilisatorischen Leistungen der Vorfahren, rühmt euch nicht der Überlieferung der antiken Geistesgüter an das Mittelalter und der missionarischen Leistungen der benediktinischen Glaubensboten, der heiligen Willibrord, Bonifatius und ihrer Gefährten, sondern müht euch auch um diese unsere blutige, von Ängsten und Wirrsalen geschüttelte Gegenwart. Wenn wir die Regel Benedikts ernst nehmen in ihrem Anruf, sich Gottes Botschaft nicht zu verschließen, ist es schlimmer Pharisäismus und törichte Selbstgerechtigkeit, sich nicht danach zu fragen, wie wir es selbst damit halten. Darüber hinaus kann Miteinanderleben lernen, wie Benedikt es meint, nur dann in die Zukunft weisen, wenn dieser Imperativ als Auftrag verstanden wird, auch in der Gegenwart das Leben in der Familie, in der Gemeinde, in der Gesellschaft und im Staate, im Miteinander der Nationen als ein Leben der Verantwortung vor Gott zu sehen.

Antworten und Verantworten

Die Regel Benedikts spricht den Gedanken der Verantwortung schon in ihrem Vorwort aus. Sie weist den Abt, alle seine Mitarbeiter und die Mönchsgemeinde selbst immer neu auf die Verantwortung vor Gott hin. Wenn es sich bei der Vokabel Verantwortung auch um einen Fachausdruck des Rechtslebens handelt, so wie wir auch heute noch einem Menschen vor Gericht volle oder verminderte Verantwortlichkeit zuerkennen, so liegt diesem Wort bei Benedikt sicher auch eine Glaubensüberzeugung zugrunde. Der Mensch ist nämlich unter den Geschöpfen, die Gott durch sein Wort ins Dasein gerufen hat, auch mit dem Wort beschenkt. Er kann sich selbst mit und durch das Wort zur Sprache bringen. Er allein kann aber auch mit dem ihm geschenkten Wort Gott antworten und die Beziehung zwischen dem Schöpfer und der .stummen Kreatur' herstellen. Wer sich Gott verantwortlich weiß, dem wird es auch möglich sein, die Schöpfungsund Heilsordnung in Einklang zu bringen. Dieser Einklang allein garantiert aber eine Gesellschaft und eine Sozialordnung, die den Namen christlich verdient.

Miteinander leben heißt auch miteinander arbeiten

Noch im zweiten Viertel unseres Jahrhunderts haben Koryphäen der christlichen Gesellschaftslehre die Regel Benedikts als das 1. Kapitel der Sozialphilosophie und Wirtschaftsmoral bezeichnet. Wiederum könnten wir bei solcher Betrachtungsweise einer Verherrlichung der europäischen Vergangenheit verfallen. Blicken wir lieber auf die Länder der Dritten Welt: vor allem dort, wo der Islam vorherrschend ist, werden wir erkennen, daß der Stellenwert, den Benedikt der Arbeit neben dem Gebet zugewiesen hat, in diesen Ländern viel dazu beigetragen hat, der Frau ihre Menschen- und Personenwürde zuzuerkennen. In der Lebensordnung Benedikts erhält aber die Arbeit neben dem Gottesdienst und einer sinnvollen Freizeit den Stellenwert, der den Menschen davor bewahrt, zur Nummer in einem Apparat zu werden und sein Leben als Funktionsablauf zu erleiden. Der Gottesdienst, den Benedikt als Gipfel menschlicher Feier versteht, steigert die Grundwerte der menschlichen Gesellschaft zu Sinnwerten. Viele Forderungen der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik von heute können im Miteinanderleben lernen zu einer guten Entfaltung geführt werden: Miteinander leben heißt dann auch, einander ertragen, aufeinander hören, einander dienen. Das ist mehr als die elementaren Forderungen der Mitsprache und Mitbestimmung, das ist auch im kirchlichen Bereich mehr als der Abbau autoritärer Strukturen.

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St. Benedikt, spatgotisches Wandgemälde (um 1500) m der Abteikirche Maria Laach
Foto: Archiv

Die Regel Benedikts als Modell

Das Miteinanderleben, wie es der Patron Europas seine Schüler lehrt, gibt den Aktivitäten des Menschen nicht nur einen Sinn, sondern versucht dieses Miteinander unter Menschen verschiedenster Talente, Fähigkeiten, ohne Unterschied nach Herkunft und Bildung. So leben in Benedikts Kloster Bauern, Handwerker, Verwaltungsfachleute, Wissenschaftler und Gelehrte zusammen — allerdings in einer Gemeinde, die in ihrem Realitätsbezug zwar stets das Nächstliegende vor Augen haben muß, aber doch auf das Bleibende ausgerichtet ist und auf das Unvergängliche hinweist. Sekundären Zwecken und kurzfristigen Interessen ist vom Wesen her keine Dauer beschieden. Wenn es also einen Heiligen als Patron Europas gibt, dann müssen sich wenigstens die Christen dieses Erdteils fragen, wie sie die Werte ihres Glaubens, ihrer Vergangenheit und Gegenwart in das Miteinanderleben der Zukunft einbringen können.