Das Waldorfer Familienbuch von 1687 berichtet über die Gemeinde vor 3OO Jahren
Carl Bertram Hommen
Das Archiv der katholischen Pfarrgemeinde St. Remaclus in Waldorf besitzt unter seinen Beständen ein Taufbuch, das für die Heimatgeschichte und die Familienkunde eine einzigartige Fundgrube ist. Als der damalige Pfarrer von Waldorf, Balthasar Geyr, kurz nach seinem Amtsantritt am Sankt-Jakobs-Tag 1687 — am 25. Juli — mit diesen Aufzeichnungen begann, trat er ein nicht leichtes Erbe an.
Sein Vorgänger Wilhelm Esch, seit 1657 Pfarrer dieser zum kurkölnischen Ahrgau-Dekanat gehörenden Gemeinde, hatte im Jahr zuvor auf diese Stelle verzichtet. Im Jahre 1684 wurde bei der Visitation durch die bischöfliche Behörde darüber geklagt, daß er viele Jahre lang keine Katechese gehalten habe und in der Krankenseelsorge sehr nachlässig gewesen sei, sodaß durch seine Schuld Kranke — sieben Fälle wurden festgestellt — ohne das Sterbesakrament verschieden waren. Gravierend war auch, daß er keine Kirchenbücher geführt habe.1)
An diesem Punkt scheint sein Nachfolger, Pastor Geyr, vor allem angesetzt zu haben. Bei seiner Ankunft in Waldorf 27 Jahre alt, hatte er zuvor seit 1684 seine erste Pfarrstelle im benachbarten Gönnersdorf versehen. Hatte sein Vorgänger dreißig Jahre lang in Waldorf gewirkt, so blieb er nur sechs Jahre, um 1693 Pfarrer in seiner Heimatgemeinde Mersch zu werden.
Seine Nachfolger waren Johann Bennerscheidt, der von 1703 bis 1711 Pfarrer in Breisig wurde und dort starb, und Anton Queck, der aus Sinzig stammte und dreißig Jahre lang, bis 1733, in Waldorf wirkte und vor dem Hochaltar der damaligen Kirche beigesetzt wurde.
Als Pfarrer Geyr 1687 begann, die Geburten, Heiraten und Sterbefälle von Waldorf in einem Familienbuch 2) aufzuzeichnen, setzte er ihm in lateinischer Sprache — wie dies bis zum heutigen Tag üblich ist — einen Text voraus, in dem er nur andeutet, was vorher versäumt wurde. Diese Einleitung lautet wörtlich:
„Series Nominum Baptizatorum in Waldorff, quae usque ad annum 1687 ab praedecessoribus non sunt annotata, nunc 1687 ipso die S. Jacob! non solum nomina eorum quos baptizavit sed et adhuc aliqua illorum qui annis recentioribus baptizati sunt, inscripsit D. Balthasar Geyr, pastor in Waldorff." Zu deutsch: „Reihe der Namen der Täuflinge in Waldorf, die bis zum Jahre 1687 von den Vorgängern nicht aufgezeichnet wurden; im Jahre 1687 am Tag des hl. Jakob trägt nicht nur die Namen derer ein, die er taufte, sondern auch viele von denen, die in den zurückliegenden Jahren getauft wurden, Balthasar Geyr, Pastor in Waldorf."
Pastor Geyr und seine beiden Nachfolger haben dieses Taufbuch mit Sorgfalt geführt. Es enthält, 1687 beginnend, die Namen der Täuflinge mit Eltern- und Patennamen bis zum 10. August 1726; dabei werden zu Beginn der Aufzeichnungen auch die Geburtsdaten von Kindern, die in den nach den Pestjahren 1666 bis 1668 noch in Waldorf wohnenden Familien geboren wurden, durchweg ab 1666, teilweise ab 1658 nachgetragen. Außerdem werden seit der Tätigkeit von Pastor Queck auch die Sterbefälle und die Eheschließungen, von 1703 bis 1726 verzeichnet.
Die Einwohnerzahl von Waldorf war in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges offensichtlich kaum zurückgegangen; denn die Landschaft am linken Mittelrhein war von Kämpfen direkt nur wenig berührt worden. Dafür hatte die Gegend von durchziehenden Truppen — auch noch nach dem Westfälischen Frieden — und ihrer erbarmungslosen Requirierung von Futter und Lebensmitteln zu leiden; dies gilt vor allem für die unmittelbar am Rhein und in der Nähe der befestigten Burgen gelegenen Gemeinden. So zogen 1651 deutsche Regimenter in Stärke von 1500 Mann unter dem Kommando des Markgrafen Leopold Wilhelm von Baden auf ihrem Marsch in die Niederlande zum Beispiel durch Breisig, das die Einquartierung mit 500 bewaffneten Bürgern und Bauern vergeblich zu verhindern Buchte.
Um so mehr litt das Land unter der Pest von 1666 bis 1668. Für 1668 wird die Einwohnerzahl von Waldorf noch mit etwa 300 angegeben 3). Für 1684 sank sie auf 200, um sich erst bis 1743 auf rd. 400 verdoppelt zu haben. 1670 gab es nur 41 Häuser, 1740 jedoch 96 Häuser, ein Zeichen für die Zunahme vor allem neuer Familien.
Als Pastoar Geyr seine Pfarrstelle im. Vinxtbachtal und in Waldorf antrat, ahnte er sicherlich nicht, daß auch im auslaufenden 17. Jahrhundert diese seit den Tagen der Römer bedeutsame Grenzlandschaft manche kriegerische Unbill werde erleiden müssen. Nicht zuletzt war sie Durchzugsgebiet sich bekämpfender Truppen, die auf dem Wege zu Burgen und Schlössern, wie etwa Rheineck, Olbrück und Hammerstein, und zu Städten wie Ahrwei-ler, Bonn, Sinzig und Andernach waren. Fast zwanzig Jahre seit dem Westfälischen Frieden hatte Ruhe — wenn auch kein Frieden — in heimischen Landen geherrscht.
Wahrend fern in Österreich und Ungarn zwanzig Jahre nach Beginn des Türkenkrieges Wien belagert und 1683 nach der Schlacht am Kahlenberg durch deutsche und polnische Truppen befreit, 1686 Ofen (Budapest) erobert und 1687 die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie begründet wurde, bahnte sich im deutschen Westen erneut kriegerische Gefahr von Frankreich an. Nach den „Eroberungskriegen" gegen Spanien (1667/68) und Holland (1672/78) brachte der dritte Krieg, diesmal von 1688 bis 1697 gegen die Pfalz, den Landen vor allem links des Rheins viel Drangsal. 1688 wurde Koblenz beschossen und weitgehend zerstört; 1689 gingen die französischen Truppen, die bis Bonn das linke Rheinufer berherrschten und mit Beuel einen wichtigen Brückenkopf für Ausfälle auf dem rechten Rheinufer gewonnen hatten, von Ende April an gegen Brühl, Sinzig, Ahr-weiler und — neben zahlreichen anderen Schlössern und Burgen an Rhein und Mosel — auch gegen Rheineck und Olbrück vor und schleiften sie. Dies alles geschah zu einer Zeit, da Wilhelm von Oranien 1688 in England landete und der Enkel des 1649 hingerichteten Karl König von England wurde, zugleich aber durch die Declaration of Rights 1689 den Absolutismus beendete und eine konstitutionelle Monarchie begründete. In diesen Zeiten begann Pastor Geyr in Waldorf sein Taufbuch und schrieb mit spitzer Gänsefeder in gut lesbarer Schrift und in den Familien- und Kindernamen seiner Pfarrmitglieder die letzten zwanzig Jahre seiner Gemeinde nieder. Er benutzte dazu handgeschöpftes dickes Papier in etwa DIN A 4 großen Bogen, die er faltete und die offensichtlich erst nachträglich gebunden wurden. Denn beim Einbinden wurde die von Pastor Queck begonnene Liste mit den Namen der Verstorbenen für die Zeit vom 7. Oktober 1716 bis 24. Oktober 1726 (mit einem Hinweis auf das folgende „neue Buch",) irrtümlich vor das Verzeichnis für die Zeit vom 30. September 1703 bis 25. August 1716 gesetzt.
Untersucht man die Eintragungen unter familienkundlichen Gesichtspunkten, dann kann man die bis 1689 eingetragenen Familien zu den „Stamm-Familien" zählen, die damals in Waldorf wohnten. Von Adams bis Zirp reichen diese Namen, die sich — teilweise in der alten Schreibweise — bis auf den heutigen Tag erhalten haben und deren Namensträger in der Geschichte des Dorfes als Bürgermeister, Schultheiß, Lehrer oder Handwerker ihren festen Platz haben. Man denke ferner an Dedenbach, Frömbgen, Hansen, Nachtsheim, Paulsen, Schmitt, Schüller, Schumacher, Seul, Feiten, Walsdorf oder Zervas. Oft änderte sich die Schreibweise, wie etwa bei den Familien Feiten, deren Name sich von Veldten über Veiten zu den heutigen Formen der Felden und Feiten wandelte. Die Männer und Frauen der von Pastor Geyr aufgeschriebenen ersten „Stamm-Familien" sind zum Teil noch während des Dreißigjähri-
gen Krieges geboren. Sie lebten in 55 Familien mit 152 bis 1689 geborenen Kindern, während ihnen weitere 64 Kinder nach 1689 noch geboren wurden. Insgesamt haben sie an 672 Geburten, die für den Zeitraum ab 1666 bzw. 1658 verzeichnet wurden, einen Anteil von rund einem Drittel.
Nach 1690 sind aus den Eintragungen über Eheschließungen bzw. Geburten 159 neue Heiraten festzustellen, von denen 95 vor 1710 eingegangen wurden. Von diesen Ehen endeten drei bis 1726 durch den Tod beider Ehepartner, während in 28 Fällen ein Ehepartner starb, von denen sich siebzehn wieder verheirateten.
An Sterbefällen sind im Waldorfer Kirchenregister von 1703, als Pastor Queck die ersten Todesfälle eintrug, bis 1726 insgesamt 154 genannt, denen für diesen Zeitraum 101 Eheschließungen gegenüberstehen.
Während in den alten Kirchenbüchern — so auch in Waldorf — zunächst der Familienname der Ehefrau nicht genannt wird, sondern nur aus den Namen der Paten zu erahnen oder der Todesnotiz zu entnehmen ist, wird erstmals im Jahre 1717 bei Taufen auch der Geburtsname der Frau verzeichnet. Für den Zeitraum von 1704 bis 1726 lassen sich sechs Zwillingsgeburten feststellen.
Zur Namensgebung ist eine Auszählung aller Eintragungen höchst aufschlußreich. Der Täufling erhielt in der Regel den Vornamen des Paten bzw. der Patin. Nur in Ausnahmefällen, wenn zum Beispiel ein Mädchen zwei Patinnen hatte oder auch der Vorname etwa des Vaters oder Großvaters neben dem des Paten hinzugenommen werden sollte, tauchen — neben den üblichen Doppelnamen in Verbindung mit Maria — zwei Vornamen auf. Johann, Peter und Anton hießen zwei Drittel aller Jungen; der Namenspatron der Waldorfer Kirche, der hl. Remaclus, kommt ein einziges Mal vor. Catharina, Maria, Margaretha, Anna, Gertrud und Anna Maria lauteten die Taufnamen für die Hälfte der weiblichen Einwohner Waldorfs. Ein einziges Mädchen wurde Eva getauft. Aus der Vielzahl der Heiligen haben sich die Waldorfer Familien für Jungen nur 37 und für Mädchen nur 33 Namen ausgesucht, sodaß eine gewisse Monotonie entsteht, die vor allem auf die kirchliche Taufpraxis zurückzuführen ist.
In den Aufzeichnungen dieser ältesten Kirchenbücher von Waldorf werden nur selten Angaben über die Berufe gemacht, die ausgeübt wurden. Zu diesen wenigen Fällen gehört die Erwähnung des Lehrers (ludimagister) Johann Dam anläßlich der Taufe der Tochter Susanna der Eheleute Wilhelm Adams und Maria geb. Becker im Jahre 1718. Fünf Jahre später nennt das Taufbuch ihn bei der Taufnotiz für die Tochter Anna Maria der Eheleute Johannes und Elisabeth Pira einen Organisten. Die Schule in Waldorf bestand seit 1715 „auf dem Damm". Hier hatte Pastor Queck am 7. August den ersten Nagel zum Bau der offensichlich aus Holz errichteten Schule getan, wobei ihm Schultheiß Dedenbach und Bürgermeister Adams assisitierten; sie schlugen den zweiten bzw. dritten Nagel ein. Wie Schug 4) berichtet, war später Johann Anton Hoß Organist in Waldorf. Ihn hatte sein Vetter Anton Schmilz, der als Nachfolger von Pastor Queck von 1733 bis 1776 Pfarrer in Waldorf war, für ein Lehrgeld von zwölf Taler in Königsfeld das „Orgelschlagen" lernen lassen. Es werden die beiden Müller Adams und Becker erwähnt, die Gemüsegärtner Nicolaus Hoß aus Waldorf und Johann Lutger aus Königsfeld; schließlich wird Peter Frömbgen in einer Taufnotiz von 1725 als „im Volksmund Schneiderpeter genannt" bezeichnet.
Prominentere Berufe tauchen bei auswärtigen Taufpaten auf. So kamen im Jahre 1708 zur Taufe der ersten Tochter des Ehepaares Johannes Röhrig und seiner aus Gönnersdorf stammenden Frau Maria Sophia zwei Patinnen und der Pate aus Breisig und zwar die Tochter Maria Anna des Schultheißen Meurers, die Tochter Maria Theresia des Präfekten Bachoven sowie der Sohn Carl Joseph des Präfekten Keiffenheim; das Kind erhielt deshalb die drei Taufnamen Maria Anna Carolina. 1721 wird als Taufpatin einer Tochter der Familie Peter Hoß jr. und Maria geb. Cratz die Tochter Maria Francisca des Postmeisters Neander aus Breisig genannt.