Ahrweiler Hexenprozesse im 16. und 17. Jahrhundert
Paul Krahforst
Es unterliegt keinem Zweifel, daß es im Ahrkreis, insbesondere in Ahrweiler, während des Mittelalters zu zahlreichen Hexenprozessen und Hexenverbrennungen gekommen ist. Die hierüber heute noch greifbaren Quellen berichten zwar über zahlreiche Einzelheiten, lassen jedoch — für sich allein betrachtet — den geistigen Hintergrund des furchtbaren Hexenwahns und das entsetzliche Ausmaß der Ereignisse nicht erkennen. Die Geistesverwirrung, der hunderttausende unschuldiger Menschen1) zum Opfer fielen, führte zu einem der schauerlichsten Kapitel der Menschheit. Im Rahmen des vorliegenden Beitrages ist es nicht möglich, die historischen Ursprünge dieser unseligen Entwicklung3) aufzuzeichnen. Ebenso kann aus Raumgründen nur skizzenhaft auf die Vorstellungen über das Hexenwesen und die Ausgestaltung des Hexenprozesses eingegangen werden. Letzteres erscheint jedoch unerläßlich, um in etwa zum Verständnis der grauenhaften Geschehnisse vordringen zu können, die in krassem Gegensatz zur heutigen Auffassung von Recht, Religion und Weltverständnis stehen.
Vorstellungen über das Hexenwesen
Die Vorstellungen über das Wesen und Treiben der Hexen sind weitgehend von der Idee des Teufelsbundes geprägt. Zum Inhalt dieses zwischen dem Menschen und dem Satan geschlossenen Vertrages gehörte, daß der Mensch sich von Papst und Kirche lossage und Christus verleugne. Die Form des Teufelsbundes ist durch das Homagium gekennzeichnet. Die einer Anbetung gleichzusetzende Anerkennung der Hoheit des Teufels wurde durch einen skandalösen Kuß — meistens auf das Gesäß .des Teufels — vollzogen. Dabei erschien der Teufel oft in Tiergestalt als Bock oder Hund, häufig auch als blasser Mann. Mit dem Kuß galt der betreffende Mensch als Vasall des Teufels. Der Teufelsbund konnte .aber auch so vollzogen werden, daß der Vertragspartner des Teufels eigenes Blut in ein Feuer aus toten Knochen laufen ließ. Breiten Raum nimmt in der Vorstellung des Hexenwesens die Teufelsbuhlschaft ein. Man nahm weitgehend an, daß die körperlosen Dämonen die Gestalten eines Mannes oder Weibes annehmen und dementsprechend in geschlechtliche Beziehungen mit Menschen treten konnten. Die gleiche Befähigung wurde dem Teufel selbst zugeschrieben. Thomas von Aquin untermauerte mit der ihm eigentümlichen Gründlichkeit derartige Auffassungen 3). Wie der Zisterzienser Cäsarlus von Heisterbach — nicht zu verwechseln mit dem Prümer Exabt, einem Benediktiner gleichen Namens — im „Dialogus miraculorum" berichtet,4) trat der Teufel oft als schmucker Reitersmann auf, wenn er eine Frau verführen wollte. Häufig schenkte er Geld, das am anderen Morgen in Kot oder dürres Laub verwandelt war. Er verstand es, einsame oder in Not geratene Frauen zu trösten und sie für sich zu gewinnen. Dabei betete er notfalls das „Vater unser" und das „Credo", jedoch falsch und mit Auslassungen, um zunächst Vertrauen zu gewinnen.
Hinrichtungen aus: Ulrich Tenglers Laienspiegel, Mainz 1508
Repro: Kreisbildstelle
Frucht des teuflichen Umganges waren sogenannte „Eiben", eine Art Ungeziefer mit spitzen Schnäbeln und schwarzen Köpfen. Bei dem geschlechtlichen Umgang ging es dem Teufel nicht um die Lust, sondern darum, den Menschen von Gott zu lösen und ihn an Satan zu dem Zweck zu fesseln, daß er fortan mit teuflischen Hilfsmitteln den Menschen Schaden zufüge. Zu den erstrebten Untaten der Hexen gehörte es, den Menschen an Gesundheit und Leben zu schaden, Ehegatten einander zu entfremden, Vieh und Getreide zu verderben, Schaden durch Sturm, Hagel und Feuer herbeizuführen, sich selbst und andere in Tiere zu verwandeln.
Große Bedeutung wurde den Hexenversammlungen beigemessen. Sie fanden an bestimmten Orten, häufig auf Bergen oder Wiesen, oft an kirchlichen Feiertagen, insbesondere in der Nacht zum 1. Mai, der Walpurgisnacht, statt. Auf dem Kreidenberg bei Würzburg sollen nach einem Hexengeständnis 3000 Hexen bei Spiel und Tanz den Sabbath mit 7 Fuder Wein gefeiert haben, die sie aus dem bischöflichen Keller gestohlen hatten. Zu solchen Versammlungen ritten die Hexen auf einem Stock durch die Luft. Der Flug erforderte eine — meist aus dem Fett ermorderter Kinder bereitete — Salbe, Hexensalbe, mit der die Spitzen der zum Flug verwendeten Gabeln und Stecken bestrichen wurden. Am Versammlungsort — in der Ahrgegend wurden die Teufelsley und ein Plateau gegenüber der Burg Are genannt5) — warfen sich die Hexen nieder und beteten zunächst den Teufel an6). Dieser war in der Gestalt eines Bockes oder eines düsteren, häßlichen Mannes erschienen, der auf dem Kopf und der Stirn Hörner trug. Das Stirnhorn verbreitete ein grelles Licht. Nach der Anbetung des Teufels wurde diesem gebeichtet, natürlich in -umgekehrter Wertung nur die „guten" Taten. Anschießend las der Teufel eine verkehrte Messe und parodierte die kirchliche Liturgie. Als Abendmahl reichte er eine schwarze, schwer zu kauende Masse, die einer alten Schuhsohle glich. Danach fand der Hexentanz und eine wilde Orgie aller Anwesenden statt. Zum Schluß befahl der Teufel jedem, überall Schaden zu stiften.
Dann verbrannte sich der Teufel selbst zu Asche.
Gestaltung des Hexenprozesses
Die Gestaltung des Hexenprozesses beruht weitgehend auf dem von den Dominikanern Jakob Sprenger und Heinrich Institor verfaßten „Hexenhammer". Dieses 1487 in Köln unter dem Titel „malleus maleficorum" erschienene Werk wurde später als das unheilvollste Buch der Weltliteratur bezeichnet. Es bewirkte eine enorme Steigerung der Hexenprozesse. Der „malleus" beschreibt umfassend das gesamte Hexenwesen in allen Details und gibt in allen Einzelheiten Anweisungen für das gerichtliche Verfahren 7). Im Erzstift Köln, damit auch im Bereich der mittleren Ahr, wurde die an Sprengers Hexenhammer anlehnende „Erzstift-cöllnische Hexengerichtsordnung" vom 24. Juli 1607 maßgebliches Gesetz für die nun systematisch betriebenen Verfolgungen. Zur Einleitung des Hexenprozesses gehörte zunächst ein Indizium. Es genügte hierzu bereits der heimliche Hinweis, jemand sei eine Hexe. Der Denunziant, dessen Name verschwiegen wurde, erhielt sogar noch Belohnung. Häufigstes Indiz war die Angabe einer gefolterten Hexe, jemand habe sich an ihrem Treiben beteiligt (sogenanntes „Besagen"). Damit ergab sich ein Schneeballsystem, in dem das unter Folterung erfolgte Befragen einer Hexe jeweils zu einem Indizium für einen neuen Beschuldigten führte, so daß sich aus einem Hexenprozeß automatisch weitere Hexenverfahren ergaben. Lag der Verdacht vor, wurde zur Verhaftung geschritten. Die Gefängnisse befanden sich damals in trostlosem Zustand. Es gab spezielle Hexentürme. In Rheinbach existiert heute noch der Hexenturm in mächtiger Bauweise. Auf der Saffenburg befand sich ebenfalls ein Hexenturm 8).
Wichtigste Handlung im Beweisverfahren des Hexenprozesses war das Verhör der Gefangenen. Gestand die Gefangene, sich als Hexe betätigt zu haben, wurde sie aufgrund ihres Geständnisses zum Tode verurteilt und verbrannt. Leugnete die Gefangene, so schritt man zur Tortur, zur Folter. Nach dem Hexenhammer Sprengers wurde die Folter stufenweise zur Anwendung gebracht. Vorweg wurden der Beschuldigten die Folter-Werkzeuge gezeigt und beschrieben. Das reichte bei manchen bereits aus, das erwartete Geständnis des Umgangs mit dem Teufel abzulegen. Der Jesuitenpater Friedrich von Spee rät in seiner „cautio criminalis", die Beschuldigte solle sogleich sagen, sie sei eine Hexe und dann sterben. Dann erspare sie sich die sonst folgenden schrecklichen Folterungen, die sie letztlich doch zum Geständnis brächten9). Die Folterungen sind im allgemeinen in fünf Grade abgestuft. Nach Anlegen eines Hexenhemdes begann die Folterung mit dem Anziehen der Daumenschraube. Blieb das Geständnis aus, wurden die Beinschrauben (Spanische Stiefel angelegt, durch die Schien- und Wadenbein bis zum Knochenbruch gepreßt wurden. Der dritte Grad der Folterung bestand in der Elevation, dem Aufziehen der Gefolterten. An den auf dem Rücken gebundenen Händen wurde die Person an einem Gerüst so in die Höhe gezogen, daß die Arme über den Kopf gerieten und oft ausrenkten. Reichte dieser Grad der Tortur immer noch nicht zum Geständnis, wurde das Aufziehen dadurch verschärft, das schwere Gewichte an die Füße gehängt wurden. Im letzten Grad erfolgte beim Aufziehen eine zusätzliche Steigerung der Qual durch erneutes Anlegen von Daumen- und Beinschrauben. Da die Scharfrichter bei der Folter oft in erbarmungsloser Weise erfinderisch waren, gab es außerdem viele andere Möglichkeiten der Schmerzenszufügung. Oft existierten besondere Folterstühle und Folterbänke, die mit eisernen Stacheln besetzt waren. Man scheute auch nicht davor zurück, den Inquisiten brennendes Pech auf den nackten Körper zu träufeln oder ihnen brennende Lichter unter die Fußsohlen zu halten. Es leuchtet ein, daß bei derartiger Vielfalt der Martermethoden fast immer das von vornherein erstrebte Geständnis erreicht wurde, das anschließend zur Verbrennung der Hexe auf dem Scheiterhaufen führte. Die einzelne Tortur wurde oft auf Stunden ausgedehnt. Sie konnte wiederholt werden, wenn sich neue Indizien fanden, was damals nicht schwer fiel. Oft kam es vor, daß die Gefolterte während der Tortur starb. Dann beruhigte man sich schnell mit der Erklärung, der Teufel habe das Opfer umgebracht, um sie am Geständnis zu hindern. Wurde ein Geständnis widerrufen, so schritt man erneut zur Tortur. Das Wissen hiervon verhinderte in der Regel den Widerruf des Geständnisses von vornherein. Bei dieser unmenschlichen Tortur verwundert es nicht, daß in den Geständnissen die unsinnigsten, ja haarsträubendsten Dinge auf entsprechende — vielfach suggestive — Fragen bejaht wurden.
Hexenprozesse in Ahrweiler
Untersucht man das Quellenmaterial zu den in Ahrweiler durchgeführten Hexenprozessen, so liegt es zum Teil in der Natur des damaligen Prozeßverfahrens, daß exakte Protokolle über Prozeßabläufe nicht vorliegen. Zeitabläufe, Kriegswirren, bewußtes oder unbewußtes Verdrängen der unangenehm belastenden Geschehnisse mögen weiter dazu beigetragen haben, daß die Quellen auf diesem Sektor nur spärlich fließen. Dennoch zeigen die vorhandenen Urkunden und sicheren Obermittlungen, daß in Ahrweiler eine beklagenswert große Anzahl von Hexenprozessen mit Verbrennen der Opfer geführt worden ist. Dabei muß von einer nicht unbeträchtlichen Dunkelziffer solcher Fälle ausgegangen werden, die keine quellenmäßigen Spuren hinterlassen haben. Ein erster Hinweis auf Hexenverbrennungen in Ahrweiler findet sich in den im Ahrweiler Stadtarchiv befindlichen Ratsprotokoll von 1501. Dort ist erwähnt, daß eine „Tryne von Eich" in Ahrweiler verbrannt worden ist. Als Kostenpunkt für die Errichtung des Scheiterhaufens, insbesondere „Schantzen" (Holzbündel), sind dabei 5 Mark notiert. Das Verbrennen der Hexe erfolgte auf dem Honenstein hinter dem Kalvarienberg, da es sich bei den Verbrechen der Hexerei um sogenannte crimina excepta handelte und die Hinrichtung auf kölnischem Boden als spezifischem Richtplatz erfolgte 10).
Richtplatz mit Scheiterhaufen. Kupfer Anfang 18. Jh.
Repro: Kreisbildstelle
Etwa um 1550 wurden in dem heute zum Stadtteil Bad Neuenahr gehörenden Wadenheim vier Frauen und ein Mann wegen Verdachts der Zauberei festgenommen. Zwei Frauen wurden zur Saffenburg gebracht. Im Jahre 1606 gibt ein Johann Hannen vor Mitgliedern des Ahrweiler Stadtrates zu Protokoll, daß er sich daran erinnere, daß eines Nachts, als er auf der Ahrweiler Stadtmauer Wache hielt, die Wadenheimer zwei wegen Zauberei gefangengenommene Weiber entlang der Stadt Ahrweiler auf einem Karren zur Saffenburg führten11). Nach der beschworenen und protokollierten Aussage eines Thomas Müller wurden zwei der insgesamt vier in Wadenheim ergriffenen Frauen auf die Saffenburg und die beiden anderen Frauen nach Rheinbach gebracht. An beiden Orten waren Hexentürme, in denen Folterungen vorgenommen werden konnten. Eine dieser Frauen wurde auf dem Scheid verbrannt. Mit Scheid könnte in diesem Zusammenhang der übliche Scheiterhaufen gemeint sein. Es könnte sich aber auch um die Erhebung bei Eckendorf handeln, die als „Scheid" die Gerichtsstätte war. Der außerdem der Zauberei beschuldigte Johann Meeß wurde im Hexenverfahren nicht verurteilt, sondern wieder freigegeben.
Im Jahre 1590 kommt es in einem Hexenprozeß vor dem Ahrweiler Stadtgericht zu einem Freispruch vom Vorwurf der Zauberei. Bei der Angeklagten handelte es sich um eine Barbara Kradenbach. Sie wurde des Ehebruchs schuldig befunden, deshalb in der Kirche öffentlich von der- Kanzel gerügt, jedoch hinsichtlich des gefährlichen Vorwurfs der Zauberei für unschuldig erklärt. Dieser glimpfliche Ausgang des Verfahrens spricht für die Objektivität der damaligen Ahrweiler Schöffen, denen in vollständiger Besetzung der Fall vom Stadtvogt Wilhelm von Weiß zur Entscheidung vorgelegt worden war12).
Interessant ist ein Rechtsstreit aus dem Jahre 1611, der zur Bestrafung des Ahrweiler Scharfrichters Balthaßar führte. Balthaßar war zur Anzeige gebracht worden, weil er die Maria Kistgens und die Maria Reichart unnötig gepeinigt habe. Der Vorwurf zielte offenbar dahin, daß der Schartrichter bei Anwendung der Folter über das übliche Maß hinausgegangen war. Da Balthaßar mit seiner Verteidigung, er habe nur auf ausdrücklichen Befehl des Vogtes gehandelt, durchdrang, kam er mit der Strafe des Prangers, Aufsetzen eines Brandzeichens auf den Rücken und der Landesverweisung unter Schwören der Urfehde davon. In der Entscheidung ist die Rede von „etlicher zu Ahrweiler hingerichteter Weiber"12). Damit wird deutlich, daß anhand der Quellen nicht mehr aufzuklären ist, wie hoch in Wirklichkeit die Zahl der Opfer ist.
Der nächste Quellennachweis stammt aus dem Jahre 160913). In jenem Jahr wurden zwei aus Bachem stammende Frauen in Ahrweiler als Hexen „gefenclich eingezogen" und später verbrannt. Die eine Frau wird als Hebamme zu Birtzheim bezeichnet und die andere heißt Susanne Olichschlagers. Nach der Verbrennung beider Frauen entwickelte sich ein Kostenstreit zwischen dem prüm'schen Hofschultheis Niclas Stapelberg und dem Vorsitzenden des Stadtgerichts, dem Kölner Vogt Wilhelm von Weiß. Unter Berufung auf den bestehenden Brauch und die Regelung der Ahrweiler Schöffenweistümer14) beansprucht der Prümer Hofschultheis 2/3 der aus dem Nachlaß der verbrannten Frauen zu erstattenden Unkosten in anteiliger Höhe von 88 Gulden und 8 Albus für sich, während das andere Drittel an den Hof der Grafen von Blarrkenheim zu entrichten sei. Demgegenüber beansprucht der Stadtvogt die zwei Teile der zu erstattenden Unkosten unter Berufung darauf, daß es sich um crimina extraordinaria, also der bei Hexenprozessen außergewöhnlichen Verbrechen, handele. In einem langen Schreiben an den Kölner Erzbischof und Kurfürsten Ferdinand legt Stapelberg seinen Rechtsstandpunkt ausführlich dar. Er hatte sich u. a. die Mühe gemacht, aus dem bereits damals existierenden Ahrweiler Stadtarchiv, wie er ausdrücklich erwähnt, eine Vielzahl solcher Fälle nachzuweisen, in denen die Gebühren immer gemäß der Regelung des Schöffenweistums aufgeteilt worden seien. Der Kölner Erzbischof Ferdinand entschied mit Schreiben vom 12. November 1609 diesen Kostenstreit zugunsten des prüm'schen Schultheiß Stapelberg dahin, daß es bei der Regelung des Schöffenweistums verbleiben solle.
Dieser Gebührenstreit erhält dadurch eine außergewöhnliche Note, daß Stapelberg, der 1609 als Gläubiger der Kostenschuld auftritt, im Jahre 1629 in tragischer Welse zum Schuldner einer Hexenkostenschuld wird. Stapelberg, der bereits 1618 als Bürgermeister von Ahrweiler nachweisbar ist15), mußte 1629 erleben, daß seine eigene Frau als Hexe verbrannt wurde. Ihm wurde für den Hexenprozeß ein Betrag von 1135 Gulden, 18 Alben und 4 Heller in Rechnung gestellt 16).
Die Hinrichtung der Frau des Bürgermeisters Stapelberg im Jahre 1629 erfolgte zur Zeit der schlimmsten Hexenverfolgung in Ahrweiler. Die allgemeinen Zeitverhältnisse waren durch Not, Krieg und Epedemien gekennzeichnet. Im Ahrweiler Ratsprotokoll von 162217) wird die abscheuliche Sucht der Pestilenz mit dem Bemerken genannt, es sei Sterbeluft. Im Ratsprotokoll vom 11. September 162618) heißt es, die gefährliche Krankheit habe in der Niederhut Ihren Anfang genommen. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß bei einer derartigen Eskalation der menschlichen Not und Verzweiflung sich das religiöse Bedürfnis steigert, vor Gott Buße zu tun und Hilfe in der Drangsal zu erflehen. Andererseits ist dann auch die Gefahr begründet, in eine ungeordnete Religiosität mit all ihren schlimmen Auswüchsen zu verfallen. In einem sich steigernden Wunderglauben sucht man den Ausweg aus der Not dadurch zu erzwingen, daß man den Kampf gegen den Widersacher Gottes und seine Verbündeten, nämlich die Hexen, aufnimmt. Wird ein solcher religiöser Irrweg dazu noch von einzelnen fanatischen Predigern, die als verblendete Inquisitoren eine Art von Sendungsbewußtsein haben, von der Kanzel aus angeschürt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn von einem Großteil der Bevölkerung die Hexenverbrennungen sogar gebilligt wird.
Zwar fehlen uns — wie bereits erwähnt — heute Akten oder Protokolle, die Aufschluß über den Hergang der Hexenverfahren in Ahrweiler und den Inhalt der Beschuldigungen und Geständnisse geben könnten. Es sind aber die General- und Spezialrechnungen über die Unkosten der Hexenprozesse in den Jahren 1628 und 1629 erhalten19). Aus diesen Rechnungen lassen sich viele Einzelheiten über das grausige Geschehen jener Zeit entnehmen. Während in dem vorerwähnten Prozeß gegen die Barbara Kradenbach aus dem Jahre 1590 die Entscheidungsgewalt noch unbeeinflußt bei den Ahrweiler Schöffen lag, vollzogen sich die zahlreichen Hexenprozesse der Jahre 1628 und 1629 weitgehend nach den verhängnisvollen Anweisungen des Hexenhammers. Das zeigt schon das Erscheinen der die Prozesse dirigierenden Inquisitoren, deren bloße Ankündigung bereits allgemeine Angst auslöste, wie es insbesondere in dem 1943 gedruckten Ahrroman „Die Hexenquelle" von Heinrich Linden eindrucksvoll beschrieben ist.
Aus den Rechnungen geht einwandfrei hervor, daß die sogenannten Commissarii, also die Inquisitoren des Hexenprozesses, in der Zeit vom 20. April bis zum 8. Mai 1628 in der Stadt Ahrweiler weilten und am 8. Mai von den Schützen und Fuhrleuten nach Bonn zurückgefahren wurden. Ob unter ihnen der übel beleumdete Dr. Jan Moden war, der in Rheinbach, Meckenheim und Flerzheim so großes Unheil anrichtete20), läßt sich aus der Rechnung nicht feststellen. Am 25. April wurde der Scharfrichter Meister Augustin vom Boten Engeln nach Ahrweiler geholt. Er blieb bis zum 20. Mai, also 25 Tage lang, in Ahrweiler.
Das Wirken der Inquisitoren und des Scharfrichters hatte zur Folge, daß in diesem Zeitabschnitt zahlreiche Personen verhaftet, gefoltert und zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Daß der Verurteilung Folterungen vorausgingen, läßt sich insofern der Generalrechnung entnehmen, als in dieser die Anfertigung eines vom Schreiner gefertigten Hexenstuhles aufgeführt ist. Wie dieser Folterstuhl beschaffen war, läßt sich nicht ersehen. Zum Vergleich sei der in Baden verwendete „Hackersche Stuhl" genannt, der mit Stumpfstacheln besetzt war und von unten beheizt wurde. In Nürnberg wurde ein Folterstuhl verwendet, der mit 2000 spitzen Holznägeln besetzt war21). Bei der Tortur ließ man die Opfer oft über viele Stunden auf solchen Stühlen sitzen, um das erstrebte Geständnis zu erlangen. In der Rechnung sind auch die Kosten für die Anfertigung eines Hexenhemdes in Höhe von 2 Gulden, 8 Alben enthalten. Zu Beginn der Folterung zog man der Beschuldigten das Hexenhemd an, um hierdurch alle das Verfahren störenden Einwirkungen des Teufels auf die Inquisitin abzuwenden22). Man glaubte, daß der Teufel zur Verhinderung eines Geständnisses den Gefolterten hart mache gegen die Leiden der Folter und ihm helfe, sich eher gliederweise zerreißen zu lassen, als die Wahrheit zu gestehen. Die Folter wurde, wie das Inquisitionsverfahren überhaupt, letztlich als ein Kampf gegen den Teufel selbst gesehen und als dämonenbefreiende Einrichtung aufgefaßt23). Das Hexenhemd mußte, sollte es gegen die Dämonen wirken, an einem Tage gewirkt, gesponnen und zusammengenäht sein 24). In der mehrseitigen Rechnung über die Ahrweiler Hexenverfolgungen der Jahre 1628 und 1629 sind insgesamt 26 Personen namentlich aufgeführt, von denen nach der Rechnung anzunehmen ist, daß sie als Hexen „incineriert", d. h. auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind. Unter ihnen befandet sich die bereits genannte Frau Stapelberg, die der Chronist des Kalvarienbergs als „ein mannlich Weib, des ein groß Maulwerk hatte"25) beschreibt. Es spricht einiges für die These von Rausch 26), daß Frau Stapelberg deshalb in Hexenverdacht geraten war, weil sie versucht habe, den Jesuiten aus Münstereifel, In deren Orden ihr Sohn eingetreten war, bei der Bewerbung um das Kloster Kalvarienberg behilflich zu sein. Dabei soll sie wie eine Hexe Einfluß auf den Stadtrat ausgeübt haben.
Drei Orden, nämlich Kapuziner, Jesuiten und die Franziskaner von Brühl waren äußerst daran interessiert, den schon wegen der zahlreichen Wallfahrten interessanten Klostersitz auf dem Kalvarienberg zu erringen.
Wie in der Klosterchronik berichtet wird27), war der Stadtrat zunächst den Franziskanern gewogen, nahm dann jedoch unter dem starken, Einfluß Stapelbergs eine zögernde Haltung zugunsten der Jesuiten ein. Es stimmt nachdenklich, wenn dann einerseits die Franziskaner, am 18. Dezember 1629 vom Kurfürsten Ferdinand die Stiftungsurkunde für den Kalvarienberg erhielten, andererseits Frau Stapelberg zuvor als Hexe hingerichtet wurde.
Die Rechnung weist weiter aus, daß die Hexenprozesse in drei Zeitabschnitten gelaufen sind, nämlich zwischen dem 25. April und 20. Mai 1628, im September 1628 (Verbrennung von vier Personen) und anschließend im Januar 1629. Es könnte noch eine weitere Phase des entsetzlichen Geschehens hinzukommen, da aus einem Einzelposten der Rechnung in Höhe von 3 Gulden und 6 Alben hervorgeht, daß die Ahrweiler Schützen „vier verschiedene malen" den Scharfrichter geholt haben 28).
Beträchtlich ist die jeweilige Summe, die den Erben der hingerichteten Person in Rechnung gestellt wurde. Sie belaufen sich zwischen 126 Gulden im geringsten Falle und bis zu 400 Gulden bei den höchsten Beträgen. Im Falle des Bürgermeisters Stapelberg wird der enorme Betrag von 1135 Gulden erreicht. Die Gesamtforderungen an die Hinterbliebenen beläuft sich in den Rechnungen auf 7681 Gulden.
Lassen sich auch aus den zur Verfügung stehenden Quellen für Ahrweiler keine späteren Prozesse nachweisen, so soll doch, noch ein Hexenverfahren aus Altenahr aus dem Jahre 1649 Erwähnung finden. Die beschuldigte Frau war drei Tage lang gefoltert worden. Dann war es der Angeklagten mit furchtbarer Anstrengung gelungen, aus dem Gefängnis zu fliehen. Die Verfolger konnten sie jedoch erneut einfangen. Sie wurde zum Tode verurteilt und anschließend wurde nach Erhängen ihre Leiche auf dem Holzstoß verbrannt29).
Es hat lange Zeit gedauert, den dämonischen Aberglauben des Hexenwahns zu überwinden. Der Arzt Johann Weyer (1516 bis 1588), die Jesuiten Adam Tanner (1572 bis 1632) und Paul Laymann (1575—1635), vor allem der Jesuitenpater Friedrich von Spee (1591—1635), sowie der Rechtsgelehrte Christian Thomasius waren die Männer, die in mutigem Einsatz die Voraussetzungen für das Abflauen der Hexenprozesse schufen. Betrachtet man rückblickend aus unserer Zeit die Epoche der Hexenprozesse, dann könnte man sich schnell mit dem Werturteil „finsteres Mittelalter" begnügen. Obwohl das sachlich nicht falsch wäre, dürfte eine solche Bewertung doch nicht voller Hochmut erfolgen, da in unserem Zeitalter Greuel ähnlicher Art ebenfalls in schrecklichem Ausmaß vorgekommen sind. Man denke nur an die Opfer der Judenverfolgung Hitlers oder an die stalinistische Säuberung in der Sowjetunion. Auch kann nicht übersehen werden, daß diese unselige Entwicklung in die Zeitverhältnisse und den damaligen Stand von Forschung und Lehre eingebettet war, in der vor allem die Psychiatrie vom heutigen Stand der Erkenntnisse so weit entfernt war, daß eine Epilepsie und das Phänomen der Halluzinationen allen Ernstes als Besessenheit gedeutet werden konnte. In Gegenwart und Zukunft sollte uns aus der furchtbaren Hexenverfolgung die Mahnung erwachsen, den Lehren von Philosophie, Theologie und Politik, wie überhaupt allen Meinungen von Wissenschaft und Weltanschauung kritisch gegenüberstehen.
Anmerkungen
Folgende Literatur wurde herangezogen, auf die sich auch die Zitathinweise
beziehen: Fehr, Hans, Gottesurteil und Folter, Berlin 1926 Frick, Quellen zur
Geschichte von Bad Neuenahr, Bad Neuenahr 1933
George, Humanität und Kriminalstrafen, Jena, 1898 Hansen, Joseph, Zauberwahn,
Inquisition und Hexenprozeß im Mittelalter, München 1900 Hansen, Joseph,
Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns, Bonn 1901 Kinkel,
Gottfried, Die Ahr
Rausch, Jakob, Heimatbuch der Stadt Ahrweiler Schuchert-Schütte, Die Kirche in
Geschichte und Gegenwart, Bonn 1969 Siebel, Die Hexenverfolgungen in Köln,
Diss. Bonn 1959
Soldan-Heppe-Bauer, Geschichte der Hexenprozesse, 2 Bände, Neudruck der 3.
Aufl., (der auch die Abbildungen entnommen wurden) Stramberg, von, Christian,
Rheinischer Antiquarius, Abt. III, Band 9 und Band 10 Wüller, Die Rheinbacher
Hexe, Rheinbach 1972, ein Roman in Anlehnung an das Hexenbuch des von Rheinbach
nach Amsterdam geflüchteten früheren Rheinbacher Schöffen Hermann Löher von
1676 Zimmer, Theresia, Inventar des Archivs der Stadt Ahrweiler, Koblenz 1965