Weltbahnhof der Musen
Skizzenblätter über Bolandseek
Harry Lerch
Von einer Bahnhofkultur zu reden, wird man immer Zögern, denn Bahnhöfe sind für Fahrgäste dazu da, abzureisen und anzukommen. Eine Bahnhofkultur zu entwickeln, hatte die Bahn selten Zeit oder Absicht — bis auf einen großen Wurf. Und der kam mit Allerhöchster Gunst und Förderung zustande. .Dieser Bahnhof ist dehn auch in Paul Clemens Inventarband „Die Kunstdenkmäler" enthalten, es ist der klassizistische Bahnhof Rolandseck. Endstation war er damals für die rheinische Strecke Köln-Bonn nach Süden. Eine Art Direktionsgebäude- sollte .dieser Bahnhof werden, doch auch ein Aufenthaltsort für Allerhöchste Herrschäften aus Potsdam, sprich das Kaiserhaus.
Dem Wunder der Zeit wurde Reverenz erwiesen. Architektur und Zierat des Gußeisens, wie es im Ruhrgebiet und auch in der Ben-dorfer Hütte hergestellt wurde, gab diesem Bahnhof den Schmuck zu wohlgewogenen Proportionen des Bauleibes. Kein Wunder, hierher kam Wilhelm II. auf Rheinreise, ein romantisches Haupt wie Carmen Sylva. Alexander von Humboldt, weitgereist und vielerfahren, pries diesen Blick zum Siebengebirge als einen der schönsten Blicke dieses Erdkreises.
Es kamen andere Häupter. Guilleaume Apollinaire schrieb hier die Verse seiner unerwiderten Liebe, Bernhard Shaw auf diesen Terrassen den ersten Akt zu den „Häusern des Herrn Sartorius". Bald kam auch die Queen Victoria, und es war höchstens eine Unterlassung des Protokolls, nicht auch
Queen Elizabeth hierher zu bitten, wo einst ihre Großmutter den Blick genoß auf Rhein und begrünte Ufer, Drachenfels und über die Insel Nonnenwerth zum Siebengebirge.
Vor in Wogen der Musik schmachtenden Damen musizierte hier Franz Liszt, Clara und Robert, Schumann waren da, und ausnahmsweise einmal nicht Bitternis führte hier die Feder Friedrich Nietzsches, eher „Menschliches" als „Allzumenschliches". Die Großen kamen, sie gingen, in der Dichter Verherrlichungen für das Einmalige hatte Rolandseck und sein Bahnhof seine bleibenden Zeilen, bis dieser Bahnhof in unserem Jahrhundert, das so wenig Gefühl für Repräsentation besitzt, verödete. Statt hoher Herrschaften Berufsreisende, mit und ohne Traglasten, und nach dem letzten Kriege war hier nichts als Schutt.
Vom Bahnhof Rolandseck sprechen, heißt von Johannes Wasmuth reden. Lassen wir in diesem Falle Viola Herms Drath sprechen. Sie ist Amerikanerin und schrieb das in New York erschienene Buch „Was wollen die Deutschen?"
Was heißt das: „die Deutschen?" Da ist Willy Brandt befragt und Franz Josef Strauß, Karl Schiller, Gerhard Stoltenberg, Klaus Schütz und Adolf von Thadden. Diese also von der Politik. Für die Literatur wurden befragt Martin Waiser, Peter Hacks, Uwe Johnson, Günter Grass und Klaus Wagenbach. Man sieht, jeweils die ganze politische oder künstlerische Couleur. Nicht genug: sie schrieb auch u. a. über Günther Uecker (Nägel), Peter Schamonie (Film), Gunter Sachs (Playboy), Heinz Mack (Lichtmonumenr te); Karl Jaspers (Philosophie) und über Johannes Wasmuth (Bahnhof).
Mit Bahnhof ist selbstverständlich Rolandseck gemeint. Der Autor dieser Zeilen läßt dafür die Autorin Viola Herrn Drath sprechen:
„Wer glaubt, Amerika allein sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, irrt sich. Erfolgsgeschichten gibt es auch in Deutschland. Daß Ruhm und Reichtum gewissermaßen auf der Straße liegen/beweist der spektakuläre Aufstieg von Johannes Wasmuth vom simplen Schaufensterdekorateur zum Galeriebesitzer und planenden kulturellen Zentrum. Trotz seiner jungen Jahre ist Wasmuth fast so prominent wie die Künstler, die bei ihm ein- und ausgehen . Johannes Wasmuth, das deutsche Wunderkind, erreichte das alles, ehe er seinen dreißigsten Geburtstag feierte. Gewiß kam der Erfolg nicht von allein. Wasmuth hat, was man haben muß, um vorwärts zu kommen. Ideen, dazu den Mut, diese Ideen zu verwirklichen — und Selbstvertrauen. Wer zum Beispiel würde daran denken, aus einem alten Bahnhof, der noch in Betrieb ist, eine Kunstgalerle zu machen? Wasmuth dachte nicht nur daran, er tat es auch. Wem würde es wohl einfallen, Konrad Adenauer von einem der bedeutendsten Maler, nämlich Oskar Kokoschka, malen zu lassen und das Porträt dem Bundestag zu schenken?"
Senator Edward Kennedy Im Gespräch mit dem damaligen
Außenminister Walter Scheel und Gattin
Foto: Wolf
Bahnhof Rolandseck Foto: Kreisbildstelle
Anfangs sah man Johannes Wasmuth weniger in seinem blauen Anzug als mit einer riesigen blauen Schürze angetan, meist eine große Schaufel in der Hand. Und trotzdem • kamen sie alle, und es ist ein Kreis hoher Namen:
Oskar. Kokoschka und der Pantomime Marcel Marceau. Die Frau des Dirigenten Wilhelm Furtwängler stiftete einen Flügel. Hier musizierte jahrelang der Chopininterpret Stefan Askenase und die junge südamerikanische Pianistin Marta Argerich. Zum Bahnhof Rolandseck kam und musizierte eine Nacht lang. Duke Ellington — noch immer ist Hoffnung, unter seinem Nachlaß werde die versprochene Jazzkompositiori „Bahnhof Rolandseck" aufgefunden. Längst, bevor es Kulturabkommen gab, musizierte im Bahnhof Rolandseck der Geiger Yehudi Menuhin.
Übrigens: Menuhin. .Des Geigers Schwester Yaltah unterzeichnete mit Stefan Askenase und Johannes Wasmuth das „Rolandsecker Manifest", das Marcel .Marceau 1969 geschrieben hat. Darin heißt es:
„Ich erging mich an den Ufern des Rheins, als ich ein Gebäude sah, das. verlassen schien/ Plötzlich riß mich,das Pfeifen einer Lokomotive in die Wirklichkeit zurück. Züge fuhren vorbei, blitzschnell durch diesen öden, verlassenen Tunnel.
Zigeunermusik und Gespräche: l. der Bundesminister für
Justiz, Dr. Hans Joachim Vogel, r. Dr. Bernhard Vogel, Kultusminister von
Rheinland-Pfalz
Foto: Spoerl
Vergangenheit und Gegenwart berührten zögernd einander, und langsam füllten Erinnerungen die Leere der Alltäglichkeit ... Der Bahnhof Rolandseck, wo Heine die Loreley besungen hat, wo Bismarck, Alexander von Humboldt, Liszt, Clara Schumann waren! ... Mein Herz gehört der Gegenwart, und meine Träume gehören der Zukunft... Ich wandle durch die Gallerie, die Wände von Rolandseck sind voller Bilder; ich begegne hier Dichtern und Malern der Gegenwart und Zukunft. Hier, im Bahnhof Rolandseck, kommen Freunde, aus aller Welt in brüderlicher Liebe zusammen. Hans Richter, Stefan Askenase, Pierre Fournier, Oskar Kokoschka, Salvadore Dali, Maurice André, Yaltah und Yehudin Menuhin, Henry Szeryng. Fremde und Freunde, wir brauchen Eure Verbundenheit und Eure Hilfe für ein schönes „Univers à Rolandseck"... Hier wird die Zauberwelt sich auftun, und der Zauber wird in uns wach werden. Der Bahnhof Rolandseck wird das Theater sein, in dem sich alle Künste vereinen, um das Wunderbare zu schaffen". Was hier so zauberisch klingt, ist Wirklichkeit geworden.
Vor allem sollten hier Ateliers zur Verfügung stehen, und sie würgen u. a. bewohnt von Bildhauer Lajos Barta (Budapest), hier ist eine Kunstausstellung nach der anderen gewesen: Kokoschka, Kecker, Arp, Beuys, Mense, die Molls, Sievogt, Dali. Da Johannes Wasmuth großzügig ist, helfen ihm auch andere gern. Er besuchte Picasso ohne ein Wort Spanisch und brachte Blätter aus seiner Hand mit. Er bekam ein Geschenk, das dem Bahnhofsvorplatz mehr als ' einen Akzent gibt: das drei Meter hohe Bildwerk „Beschwingtes Tanzgeschmeide". Die Witwe von Hans Arp schenkte es ihm. Und bald wird, direkt am Rheinufer, eine große Plastik des Engländers Henry Moore stehen, für die der Bildhauer in den italienischen Steinbrüchen von Carrara den Marmor suchte.
Der Jazzpianist Duke Ellington Im Bahnhof Rolandseck,
porträtiert von der Malerin Brigitte Würtz-Moll
Foto: Spoerl
Das zeugt vom Strom der Einfälle, mit denen der „Bahnhofchef" dieser Ruine Leben gegeben hat. Von den ersten Kunstausstellungen ließ er einen Kindergarten bauen. Einen interkonfessionellen. Und als die geistlichen Herren beider Couleur damals nicht entschlußfreudig genug waren, fuhr er zu .Johannes XXIII., bekam prompt seine Audienz, päpstliches Placet und Segen.
Man sieht, Johannes Wasmuth träumt praktische Träume. Das wohl und auch der Gedanke, sich ein Potsdam für die Bundeshauptstadt Bonn zu schaffen,.ließen es eines Tages geschehen, daß das Land Rheinland-Pfalz zugreift. Mit der Bundesbahn wird ein Landtausch vereinbart, und abends, bei viel Licht, Smokings und Roben von tout Bonn, überreichte Ministerpräsident Helmut Kohl an Stefan Askenase das Manifest, mit dem das Land sich verpflichtet, den Bahnhof Rolandseck zu erhalten. Das Land verpflichtet sich außerdem zu Renovierungsarbeiten für zwei Millionen Mark. Ein Segen: mittlerweile ist es im Bahnhof Rolandseck nicht mehr so kalt. Nun hat der Bahnhof inzwischen Farbe bekommen. Klassizismus lebt auf. Ungewandelt und geistweit ist „arts and music" am Werke, der Name, unter dem soviel Künstlerisches und. Festliches hier geschehen ist. Die Scheels waren oft da, die Kohls, die Brandts. Mit Carlo Schmid duzt sich Hausgeist Rosalka Allerweltskind Rosalka trägt wie Johannes Wasmuth mehr Schürze als Seidenkleid. Und wer den Bahnhof jetzt besucht, sei auf ein Waschbecken an der Wand, dreieinhalb Meter über dem Parkettboden, aufmerksam gemacht. Dort hat Rosalka auf einem Bretterpodest gehaust, wie Johannes Wasmuth und Stefan Askenase in den Stellwerkeisenbahner-Wohnungen in den Turmflanken.
Hier ist Realismus, aber auch Surealismus. Aus dem Bahnhof Rolandseck soll das Gesamtkunstwerk werden mit Atelierwohnungen für junge Künstler. Und wo Ludwig Erhard Zigarre qualmte in den palastartigen Sälen, sollen noch mehr Ausstellungen sein, Musik erklingen, alte und neue — wie zuvor.
Zur Initiative des Freundeskreises, dem sich Jeder anschließen kann, gehört auch
eine Zukunftsvision. Der Bahnhof wird sich im ersten Stock zum Waldhang hin öffnen. Gedacht ist, über die Gleise, über die täglich beinahe 400 Züge rollen, ein gläsernes Weltmuseum zu spannen. Jeder Künstler der Welt wird ein Werk stiften. Kunst und Technik finden hier eine Synthese wie nirgendwo.Der ehemalige Botschafter Seydoux de Clousonne mit dem
Pantomimen Marcel Marceau
Foto: Sander
Aus einem Provinzbahnhof ist ein Weltbahnhof geworden. Hier ist eben alles ganz anders. Sonst wäre ohne die hier anwesende Genialität gar nicht der Bahnhof Rolandseck daraus geworden. Der Musenbahnhof. Der 'Künstlerbahnhof. Der Musikbahnhof. Der Dichterbahnhof. Der Malerbahnhof. Und: wenn man so will: auch der Staatsbahnhof für Rheinland-Pfalz. Aber die Weltweite muß eben gewahrt bleiben. Die Züge der Phantasie müssen Halt haben und wieder abfahren,, wie es dem Bahnhof zugute Kommt und allem, was darin noch sich entfalten wird.